Sachsens LKA-Chefermittler zu linksextremen Straftaten: „Leipzig ist ganz vorne dran“
Leipzig gilt neben Hamburg und Berlin als Hochburg linksextremer Gewalt. Aber was heißt das eigentlich? Im Podcast „Der Fall Lina E.“ spricht der Leiter der Soko Linx beim Landeskriminalamt, Dirk Münster, über die Ermittlungen – und ihre Folgen.
Krawalle am Rand von linken Demos, Brandanschläge und eine brutale Bande, die von hier aus gezielt Angriffe auf Neonazis geplant haben soll: Leipzig gilt seit Jahren als eine Hochburg linksextremer Gewalt in Deutschland – in einer Reihe mit den Millionenstädten Hamburg und Berlin.
Beim Landeskriminalamt (LKA) in Sachsen gibt es eine Sonderkommission zu politisch links motivierten Straftaten, die Soko Linx. Dirk Münster leitet diese Einheit. Über seinen Tisch gehen auch die Ermittlungen zum Fall Lina E., mit dem sich die LVZ in einer fünfteiligen Podcast-Reihe beschäftigt hat. In einem Interview für die Serie hat Münster mit der LVZ über den Linksextremismus in Sachsen gesprochen. Und er findet: Leipzig sei die Stadt in Deutschland, in der es das größte Problem mit linksextremen Straftaten gebe.
Ein flüchtiger Blick auf die Zahlen zeigt zunächst etwas anderes. Dem LKA Sachsen zufolge gab es 2021 in Leipzig 367 politisch links motivierte Straften. In Hamburg zählten die Statistiker der Polizei 727 Taten, in Berlin 1507 – jeweils also deutlich mehr. Münster kennt diese Zahlen natürlich auch. „Hamburg und Berlin, das sind Städte mit Millionen Einwohnern, überhaupt nicht zu vergleichen mit Leipzig“, sagt er. Setze man aber die Zahlen der Straftaten in den drei Städten ins Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl, so der leitende LKA-Ermittler, „da ist Leipzig sogar ganz vorne dran“.
So ähnlich sieht es auch das Bundesamt für Verfassungsschutz. In einer Analyse zu linksextremistischer Radikalisierung aus dem Jahr 2020 heißt es: Im Verhältnis zu dem gewaltbereiten Personenpotenzial gebe es in Leipzig mit deutlichem Abstand die meisten linksextremistischen Gewalttaten. Und, auch das stellt der Verfassungsschutz in seiner Analyse fest: „Aktuell sind außerdem deutliche Zuzugsbewegungen aus Hamburg, Berlin und Köln nach Leipzig feststellbar.“
Sachsen: Mehr linksextreme Straftaten in Dresden als in Leipzig
Innerhalb Sachsens ragt Leipzig auf den ersten Blick allerdings gar nicht so sehr heraus in der Statistik der politisch links motivierten Straftaten. Die 367 Fälle in Leipzig sind zwar ein Großteil der insgesamt 1113, die es 2021 in ganz Sachsen gegeben hat. Die Landeshauptstadt Dresden zählte mit 418 Taten allerdings mehr. Sieht man jedoch auf die schweren Fälle, also auf die Gewaltstraftaten, dann liegt Leipzig auch innerhalb des Freistaats mit Abstand an der Spitze.
Nun muss man dazu wissen: Wie genau diese Zahlen zu interpretieren sind, ist umstritten. Dabei geht es vor allem um zwei Dinge: Erstens um einen Vergleich mit rechtsextremen Straftaten. Und zweitens um die Frage: Um welche Art von Kriminalität geht es eigentlich? Um Graffiti – oder um ein gebrochenes Jochbein? (siehe dazu die Info-Box)
Info-Box: Extremistische Straften von links und rechts
Es gibt mehr politisch rechts motivierte Straftaten, als es politisch links motivierte Straftaten gibt – deutschlandweit und auch in Sachsen. Aber: Gleichzeitig war die Zahl der Gewaltstraftaten zuletzt auf linker Seite höher als die auf rechter Seite. Jedoch lohnt sich auch darauf ein genauerer Blick: Zu den Gewaltstraftaten zählt Landfriedensbruch, also etwa Krawalle auf Demos. Zu Gewaltstraftaten gehört aber auch Körperverletzung. Und die werden seltener von linksextremen Tätern begangen – und häufiger von rechtsextremen. Rechte Gewalt ist für die Opfer auch viel öfter tödlich. Deutschlandweit zählte die Polizei 2021 vier Todesopfer bei rechten Gewaltdelikten – und keines bei linken.
Und nicht nur um die Zahlen gibt es Diskussionen. Dirk Münster vom LKA leitet auch eine umstrittene Einheit. Die Soko Linx wurde 2019 gegründet. In den Jahren zuvor hatte es in Sachsen und vor allem in Leipzig mehrere Brandanschläge gegeben, hinter denen die Polizei Linksextremisten vermutete. Darunter war der Anschlag auf die Großbaustelle am ehemaligen Technischen Rathaus in der Prager Straße – nach Angaben des Bundesverfassungsschutzes der linksextremistische Anschlag mit der bislang höchsten Schadenssumme, nämlich rund 20 Millionen Euro. Kurz darauf wurde die Prokuristin einer Immobilienfirma in ihrer Wohnung mutmaßlich von linksextremen Tätern zusammengeschlagen.
Für Dirk Münster, der bis zum Herbst 2019 die Kriminalpolizei in Leipzig geleitet hatte, waren das keine zufälligen Taten. „Da wurde eine organisierte, strukturierte Vorgehensweise erkennbar, mit einer aufwachsenden Schwere“, sagt Münster. Unter anderem deswegen, um all das besser ermitteln zu können, sei die Soko Linx gegründet worden.
Kritik an Soko Linx: Rabiates Vorgehen, wenig Erfolge
So also sieht Sachsens Polizei die Geschichte der Soko Linx: Als eine Geschichte von der Notwendigkeit, etwas gegen die radikaler werdenden Linksextremisten besonders in Leipzig zu tun. Aber schon an der Gründung der Soko Linx gab es Kritik. Die Leipziger Linken-Politikerin Juliane Nagel etwa kritisiert im LVZ-Podcast „Der Fall Lina E.“ den Zeitpunkt: mitten im Wahlkampf um das Oberbürgermeisteramt in Leipzig. Nagel glaubt, dass sich die CDU und deren damaliger Kandidat, der heutige sächsische Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow, damit habe profilieren wollen.
Und bis heute steht die Soko vor allem in politisch linken Kreisen in der Kritik. Die vielen Hausdurchsuchungen bei Verdächtigen seien unangemessen hart, die Ermittlungserfolge jenseits vom Fall Lina E. dagegen dürftig. Tatsächlich sind etwa viele der schweren Brandanschläge in den Jahren vor 2019 bis heute nicht aufgeklärt. Allerdings, darauf verweist auch Dirk Münster, wenn man ihn nach der Bilanz seiner Soko fragt: Seit deren Gründung sind die politisch links motivierten Straftaten in Sachsen zurückgegangen.
passiert am 09.02.2023