Prozess im Fall Lina E. – Gericht verurteilt Kronzeugen Johannes D.
Der Kronzeuge im Fall Lina E. soll an einem Angriff auf Rechtsextreme in Eisenach beteiligt gewesen sein. Vor einem Thüringer Gericht wurde am Montag gegen Johannes D. verhandelt. Eine Rolle spielte dabei auch die Frage nach der Milde der Justiz.
Meiningen. In Graffiti ist Johannes D. mit dem Tod bedroht worden. Ganz gleich, wie ernst man so etwas nehmen will: Ein Regenponcho hilft gegen etwaige Gewalttaten wenig. Wogegen also wollte Johannes D. sich schützen, als er genauso, in einem schwarzen Poncho, mit Handschuhen und einem leeren Ordner vorm Gesicht in den Saal des Landgerichts Meiningen kam? Er, dessen Name und Gesicht im Internet weit verbreitet, der im Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamts (LKA) Dresden ist?
Johannes D., 30 Jahre alt, Erzieher aus Berlin, soll zur mutmaßlichen linksextremen Bande um die Leipziger Studentin Lina E. gehört und einen rechtsextremen Kneipenwirt in Eisenach mit überfallen haben. Anders als Lina E. und drei weitere Männer sitzt Johannes D. aber nicht vor dem Oberlandesgericht Dresden, wo derzeit deswegen verhandelt wird. Er kam als Zeuge in das Dresdner Mammut-Verfahren, als wichtigster der Anklage. Seine ehemaligen Freunde hat er schwer belastet.
Wie milde ist die Justiz mit einem wie ihm? Der linken Szene gilt er als Verräter, als einer, der davon kommen wolle und andere reinreiten. Was also hat Johannes D. strafrechtlich davon, ein, wie er selbst sagt, Aussteiger zu sein?
Richter: Beweislage ist erdrückend
Darum ging es am Montag vor dem Landgericht Meiningen in Thüringen. Dort war Johannes D. wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung angeklagt. Hintergrund ist eine Attacke auf den rechtsextremen Kneipenwirt Leon R. in Eisenach, der im Dezember 2019 vor seiner Wohnung von Vermummten angegriffen worden war. Er wehrte sich erfolgreich, drei seiner Kameraden wurden mit Hämmern, Schlagstöcken und Pfefferspray attackiert und verletzt. Johannes D. soll damals als Späher agiert haben. Nun musste er sich unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Der Prozess gegen ihn wurde gesichert von einem immensen Polizeiaufgebot.
Es dauerte, bis eine mögliche Milde der Justiz zur Sprache kam. D. berichtete von seinem „guten Elternhaus“. Dann: eine Festnahme bei linksextremen Krawallen in Paris und eine Verurteilung wegen Steinewürfen in Frankfurt. Was die Attacke in Eisenach anging, wiederholte Johannes D. schon Gesagtes: Ja, er war dabei, hat Leon R. ausgespäht. Ja, die Attacke ging fundamental schief, denn Lina E. und andere wurden direkt danach festgenommen. „Die Beweislage ist aber auch so erdrückend“, sagte der Vorsitzende Richter zur Aussage von D. Als Ortskundiger kam der Richter kaum darüber hinweg, dass D. bei der Eisenach-Reise sowohl auf dem Hin- als auch dem Rückweg in einen Blitzer fuhr.
Der Rechtsanwalt von Johannes D. brachte es dann zur Sprache: Ob es nicht einen Strafnachlass geben müsse für D., weil der so umfassend ausgesagt habe. Nicht nur im Lina-E.-Prozess in Dresden, sondern auch bei der Polizei und dem Verfassungsschutz.
Soko Linx: Aussage „nicht gang und gebe“
Argumente dafür kamen dann von der Soko Linx des LKA in Dresden. Der Ermittlungsleiter im Fall Lina E. war als Zeuge geladen und trug vor, was D. der Polizei konkret gebracht habe: drei neue Namen von mutmaßlichen Tätern aus dem Umfeld von Lina E. Und einen Einblick, wie die Gruppe strukturiert gewesen sei. „Es ist nicht gang und gebe“, sagte der Polizist zur Aussage von D. „Um genau zu sein, ist es nicht vorgekommen, dass Beschuldigte oder Personen aus diesem Umfeld jemals mit uns gesprochen hätten.“
Johannes D. gehört zu mehreren Beschuldigten aus dem Umfeld von Lina E., gegen die jenseits des Verfahrens in Dresden gesondert ermittelt wurde. Seinen Fall hatte die Staatsanwaltschaft Gera übernommen. Deren Vertreter sagte am Rande des Prozesses, dass Johannes D. auch aus „verfahrensökonomischen Gründen“ nicht als Mitglied der mutmaßlichen Bande von Lina E. angeklagt worden sei – sondern „nur“ für den strafrechtlich dann kleineren Vorwurf der Körperverletzung.
Dafür forderte der Staatsanwaltschaft schließlich eine Bewährungsstrafe, der Anwalt von D. verlangte eine Geldstrafe – nur so sei seine gerade in der verschwiegenen linken Szene „außergewöhnliche Tataufklärung“ zu würdigen. Das Gericht verurteilte Johannes D. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung.
Das Gericht berücksichtigte bei seinem Spruch die Kronzeugen-Funktion von D. – musste sie berücksichtigen, wie der Vorsitzende Richter ausführte. Andernfalls, so klang es durch, wäre es wohl auch nur schwer möglich gewesen, D. noch einmal zu einer Bewährungsstrafe zu verurteilen – obwohl er bei der Attacke in Eisenach auch schon unter Bewährung stand.
passiert am 27.02.2023