Neukölln: Funkzellenabfrage wegen Berlinale-Instagram-Post

Nachdem das Mittel der Funkzellenabfragen¹ den Behörden Anfangs für bestimmte “schwere” Straftaten vorbehalten war, wurde dies mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2017 aufgeweicht. Ein anschauliches Beispiel dafür, welche Blüten das inzwischen treibt liefert die Berliner Staatsanwaltschaft:

Nachdem auf einem Instagram-Account der Berlinale am 2. Februar 2024 ein Beitrag abgesetzt wurde, der eine Grafik mit dem Schriftzug »Free Palestine – From the River to the Sea« und den Hashtag #ceasefirenow enthielt, ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft zum “Anfangsverdachts wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen” und machte ein Café in Berlin-Neukölln und dessen WLAN ausfindig, von dem aus der nicht mit der Berlinale-Leitung abgesprochene Beitrag veröffentlicht worden sein soll.

Die Ermittler:innen stellten fest, dass es dort keine Videoüberwachung gäbe und Zeug:innen auch nichts gesehen hätten. Daraufhin wurde für die Umgebung des Cafés eine Funkzellenabfrage vorgenommen, um herauszufinden, welche Mobiltelefone zum Zeitpunkt des Postings im Café aktiv gewesen seien. Eine solche lässt sich schwer auf ein Café eingrenzen und betrifft eher die Gegend um das Café – in Innenstadtlagen sind Funkzellen in der Regel kleiner als in dünner besiedelten Gegenden, allerdings halten sich hier dann auch viel mehr Leute in einer kleineren Zelle auf.
Im nächsten Schritt wurde verglichen, ob das Handy einer der “befugten Personen” mit Zugriffsrechten auf den Account (des Berlinale-Instagrams) zum fraglichen Zeitpunkt in dieser Funkzelle eingeloggt gewesen war. Die Abfrage erbrachte keinen Treffer.²

Zu welchem Café der Beitrag zurückverfolgt wurde (wohl über die IP Adresse – offenbar wurde kein VPN und kein Tor genutzt) ist nicht überliefert. Aber auch wenn es nicht das Café an der eigenen Ecke war: statistisch gesehen landet jede:r Einwohner:in Berlins alle paar Tage wegen Funkzellenabfragen in einer Datenbank bei der Polizei, so berichtete Netzpolitik.org schon 2017.
Trotz der Häufigkeit von Funkzellenabfragen in Berlin³ überrascht die Nutzung zu diesem Anlass. Der Fall zeigt, dass auch die manchmal belächtelten Berliner Landesbehörden größere Aufwände auf sich nehmen – und sich Ermittlungserfolge trotzdem nicht einstellen müssen. Der Fall konnte nicht aufgeklärt werden.

Gegen Funkzellenabfragen schützt übrigens der Flugmodus und trotzdem: Lasst eure Handys im Zweifel besser zu Hause!

 

 

 

¹ Funkzellenabfrage kurz erklärt: Es werden durch die Behörden bei den Telco-Betreibern Listen aller zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einem Funkmast eingeloggten Mobilfunkgeräte angefordert. Dies geschieht in der Regel entlang einer (mutmaßlich) gefahrenen Route oder an verschiedenen Tatorten. Spannend sind für die Ermittler:innen dann alle mehrfach auftauchenden Handys. Hierzu werden bei den Anbietern die personenbezogenen Daten abgefragt und erneut aussortiert. Übrig bleibt dann eine Liste von Personen und/oder Nummern, die man sich genauer anschaut. Die Nutzung von Sim-Karten auf falsche/fremde Personalien schafft auch hier etwas mehr Sicherheit – eine automatische Datenabfrage ist dann nicht mehr genug, um mit den eigenen Personalien in solchen Tabellen zu landen. Bei Verfahren mit nur einem Tatort, wie in diesem Fall, muss es bereits Verdächtige geben deren Handynummern abgeglichen werden oder, umständlicher, es muss aussortiert werden welche Handys dort üblicherweise auch an anderen Tagen vor Ort sind und welche Sim-Karten dort auf eine Wohnanschrift registriert sind. Auch auszusortieren ist, wer dort wegen Arbeit regelmäßig ist usw., übrig gebliebene Nummern werden dann dann genauer angeschaut. Sollten die verbliebenen „verdächtigen“ Nummern auf keine korrekten Personalien angemeldet sein, käme noch eine Telekommunikationsüberwachung in Frage um diese zu klären – wohl aber nur selten und besonders in Tatserien mit mehrmals wiederkehrender Nummer.
https://polizeibericht.info/massnahmen/ueberwachung/#funkzellenabfragen

² Primärquelle zu den Ermittlungen: https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/ermittler-insta-account-der-berlinale-wurde-gehackt/

³ Es gab seit 2018 ein Transparenzsystem über solche Abfragen in Berlin, bei dem man sich allerdings mit der eigenen Telefonnummer registrieren musste (Opt-in) und Informiert wurde, wenn man als Beifang erfasst wurde. Dies wurde kürzlich abgeschaltet: https://netzpolitik.org/2024/pruefbericht-berlin-schaltet-funkzellenabfragen-transparenz-system-ab/

¬ Artikelbilder: Funkzellenabfragen im Jahr 2012 beispielhaft dargestellt // Inkriminierter Instagram-Post auf dem Account der Berlinale-Panorama Sektion

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