Kronzeuge gegen Lina E.: Wie funktioniert das Schutzprogramm?
Vom Weggefährten zum Kronzeugen: Am Donnerstag soll Johannes D. erstmals im Prozess gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. aussagen. Doch wie funktioniert ein solches Schutzprogramm eigentlich – und welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es?
Dresden. Diese Aussage wird mit Spannung erwartet: Im Prozess gegen mutmaßliche Linksextremisten will ein früherer Weggefährte vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden auspacken. Deshalb befindet sich der Kronzeuge Johannes D. (30) seit Monaten in einem Schutzprogramm. Doch was heißt das für den Überläufer – und welche Maßnahmen gibt es überhaupt?
Wer kommt in ein Zeugenschutzprogramm?
Das Schutzprogramm gilt als letzte Option, um wichtige Zeugen abzusichern. Es muss eine „besonders hohe Gefährdung von Leib und Leben“ vorliegen, die Generalbundesanwaltschaft muss eine Erforderlichkeit attestieren. Dabei geht es um Straftaten von erheblicher Bedeutung, etwa um Terrorismus, Organisierte Kriminalität oder Rocker-Gruppen. Im Fall von Johannes D. und der mutmaßlich linksextremistischen Gruppe um Lina E. gehen die Ermittler von der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Begehung schwerster Gewaltstraftaten aus. Der entsprechende Kontakt soll durch das Bundesamt für Verfassungsschutz hergestellt worden sein, für die Umsetzung ist ein spezialisiertes Dezernat im Landeskriminalamt Sachsen zuständig. Auch besonders geschulte Personenschützer sind – insbesondere während des Prozesses – im Einsatz.
Wie häufig wird dieses Sicherheitspaket angewendet?
Die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm erfolgt höchst selten. In Sachsen kommen pro Jahr allenfalls Fälle „im unteren einstelligen Bereich“ hinzu, heißt es, die durchaus bis zu zwei oder drei Jahrzehnte betreut werden. Im linken Lager sind solche Überläufer äußerst rar, weshalb die Sicherheitsbehörden Johannes D. als Glücksfall ansehen. Dagegen wurde beispielsweise im Prozess um das rechtsextremistische Netzwerk NSU der mitangeklagte Carsten S. wegen seiner Aussagen in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen.
Welche Gründe sprechen dagegen?
Im Vorfeld werden neben der Glaubhaftigkeit auch etwaige strafrechtliche Vergehen eines potenziellen Kronzeugen geprüft. Gegen Johannes D. gab es in der Vergangenheit mehrere Ermittlungsverfahren, die laut Sicherheitskreisen aber alle eingestellt worden waren. Der 30-Jährige soll allerdings an einem Überfall in Eisenach beteiligt gewesen sein, der der mutmaßlichen Gruppe um Lina E. zugeschrieben wird. Kronzeugen können bei Geständnissen aber auf mildere Strafen hoffen. Darüber hinaus wirft ihm eine Ex-Freundin in einem Online-Beitrag sexuellen Missbrauch und Gewalttätigkeiten vor. Auch diese Vorwürfe seien vor der Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm geprüft worden, heißt es, zudem würden keine entsprechenden Anzeigen bei der Polizei vorliegen.
Wie taucht ein Überläufer unter?
Kurz gesagt: Es läuft so, wie wir es aus Filmen kennen. Um Zeugen – und gegebenenfalls auch deren Angehörige – bis zu einem Prozess in Sicherheit zu bringen, werden sie in eine „gesicherte Unterkunft“ oder sogar ins Ausland gebracht, teilweise auch in Schutzhaft genommen. In Gerichtsverhandlungen sind sie berechtigt, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen und dürfen ihr Gesicht verbergen. Nach dem Strafverfahren bekommen sie eine neue Identität, inklusive neuen Papieren, sogenannten Tarndokumenten. Personen im Zeugenschutz wechseln ihren Wohnort und meist auch den Beruf – sie verschwinden offiziell einfach von der Bildfläche, und das meist für Jahrzehnte. In all der Zeit werden Kronzeugen von den Sicherheitsbehörden begleitet, wird unter anderem bei Wohnungs- oder Arbeitssuche geholfen.
Was wird von den Aussagen des Kronzeugen erwartet?
Die Aussagen von Johannes D. sollen laut OLG mittlerweile 140 Aktenseiten füllen. Sein Geständnis könnte dem Prozess eine entscheidende Wende geben: Über die Struktur der mutmaßlichen Gruppe um Lina E. wusste die Bundesanwaltschaft bislang wenig. Das Verfahren hatte sich zuletzt gezogen, da Zeugen die vermummten Angreifer nicht identifizieren konnten und die Angeklagten schweigen. Der ehemalige Weggefährte soll nun ein Netzwerk beschrieben haben, das sich je nach Tat immer neu zusammensetzte. Darüber hinaus soll er nicht nur über die eigentlichen Vorwürfe, sondern auch über andere Taten ausgesagt haben, etwa zu dem Angriff auf eine Leipziger Immobilienmaklerin im Jahr 2019.
passiert am 28.07.2022