Zweites Statement im Bezug zum Outing von Johannes Domhöver. Eure Kritik, unsere Antworten.
Triggerwarnung: dieser Text befasst sich mit sexueller/körperlicher/psychischer Gewalt.
Im Kontext des Outings zu Johannes Domhöver (folglich J.) gab es auf de.indymedia.org viele Kommentare, ebenfalls erreichten uns einige Mails u.a. mit Kritik an unserem ersten Statement. Wir haben folglich versucht, einige vorgetragenen Kritikpunkte, welche uns direkt oder indirekt erreichten, zusammen zu tragen und zu beantworten. Wir wollen in diesem Rahmen auch Bezug nehmen auf die veröffentlichte Kritik der „Antikolonialen Aktion„. Leider haben wir ihren Text nicht immer ganz verstanden – viele Fachwörter und eine akademische Schreibweise hinterließen bei uns viele Fragezeichen. Insgesamt konnten wir an dem Text auch nicht so viel Kritik an unser Statement erkennen, wie uns der Text vermutlich vermitteln wollte, weil wir auf einer abstrakten Ebene die Punkte, die aufgemacht worden sind, teilen. Auf der konkreten Ebene, also im Bezug auf das Outing, versuchen wir nun folglich auf einige „Kritikpunkte“, die angesprochen wurden (von der „Antikolonialen Aktion“ und darüber hinaus) einzugehen.
1. „Ihr habt veröffentlicht, dass Johannes Domhöver Beschudligter im Dresden geführten 129 Verfahren ist – das ist nicht in Ordnung, denn damit gefährdet ihr das Verfahren bzw. habt damit schon brisante Informationen preisgegeben. Ihr habt außerdem dazu aufgerufen, sich öffentlich zu positionieren, wodurch ihr auch fordert, die „Szene und Strukturen“ offenzulegen, zu verraten“. = „Snitches Vorwurf“ (siehe auch Kritikpunkt Nummer 8)
Dass J. Beschuldigter im Dresden geführten 129 Verfahren ist, wissen die Bullen und das Gericht. Selbst das Compact Magazin führte J. schon vor einem halben Jahr als Beschuldigten in einem ihrer „Artikel“ auf. Dass von uns deswegen eine „gefährliche Information“ preisgegeben wurde, bestreiten wir.
Immer wieder hörten wir, dass wir den Prozess mit unserem Statement gefährdet hätten und unsere Solidarität somit in Frage gestellt wird. Aber eben weil wir uns solidarisch zeigen wollen, weil wir diesen Prozess als einen Angriff auf den Antifaschismus betrachten, und UM uns solidarisch zeigen zu können, forderten wir Transparenz ein.
Wenn J. nicht geoutet worden wäre, wenn niemand wüsste, wo er sich befindet, wenn auch niemand wüsste, wer mitverantwortlich dafür ist, dass J. offensichtlich jahrelang Gewalt ausüben konnte, was wäre daraus die Konsequenz? Er würde sich wahrscheinlich immer noch innerhalb unserer Strukturen bewegen und es gäbe noch weitere Menschen, die seiner Gewalt ausgesetzt sind. Denn wenn es etwas ist, was das Outing zeigte, dann dass er die Gewalt vor allem wegen eines Umfeldes ausüben konnte, welches ihn deckte.
Deswegen ist es auch sehr wichtig, den Ort zu nennen, an dem er sich befindet: damit kollektiver Schutz auch gewährleistet werden kann. Generell finden wir das Argument problematisch, weil es den Diskurs gänzlich verschiebt: wo doch eigentlich der Täter für seine Taten verantwortlich gemacht werden sollte, ebenso diejenigen, die „mitgemacht“ haben, werden mit diesem Argument nun die Betroffene und Menschen, die sich mit ihr solidarisieren, angegriffen. Im öffentlichen Diskurs geht es gerade wenig darum, sich mit der Gewalt innerhalb der Szene außeinanderzustezen (was übrigens auch eine Forderung im Outing war) sondern darum, über den Täter, sein Verfahren und alle „negativen Seiten eines Outings“ zu diskutieren.
Auch das finden wir problematisch. Für uns hat die Betroffenen-Perspektive ganz klar Priorität. Auf ihre Forderungen keinen Wert zu legen bzw. sie sogar anzuzweifeln, zu kritisieren oder wie in vielen Indymedia Kommentaren, auch noch zu beschimpfen und zu verurteilen, hat für uns nichts mit Emanzipation zu tun.
Seid wütend auf den Täter, seid wütend über die Gewalt! Richtet eure Wut gegen diejenigen, welche dafür verantwortlich sind, dass es zum Outing kommen musste. Nicht gegen diejenigen, welche die Gewalt erfahren mussten.
2.“Eure Analyse von Gewalt ist viel zu plump und spielt ebenfalls den Repressionsorganen in die Hände. Sie befeuert den Diskurs in eine falsche Richtung.“
Wir haben niemals geschrieben, dass unsere Analyse auf alle zutrifft und würden uns auch in Zukunft nicht anmaßen, derartige Behauptungen aufzustellen. Wir bleiben aber bei dem, was wir ausdrücken wollten: wenn sich Menschen sehr stark profilieren und machtvoll darstellen, vielleicht sogar innerhalb der Szene eine hohe Machtposition haben, machen sie sich damit vielleicht auch für den Staat interessant.
Gleichzeitig sind Menschen, welche sich in hohen Machtpositionen befinden, sehr oft Schweine. Diese Analyse tragen unserer Auffassung nach viele mit, vor allem wenn es um unsere „äußeren Feinde“ geht. Auch J. hatte offensichtlich eine gewisse Machtposition, anders kann nicht erklärt werden, weshalb er mitsamt seiner Gewalt geschützt wurde.
In dem Kontext wurde auch kritisiert, dass unsere Analyse „eine gewaltaffine Szene ist auch oft gewaltätig nach innen“ falsch sei bzw. ein Vorwand, um die staatliche Selektion für die Anwendung von Gewalt zu „erklären“.
Dem wollen wir entgegenhalten, dass es in letzter Zeit wirklich viele Outings gab, was uns impliziert, dass es innerhalb der Szene wirklich viel interne Gewalt gibt. Dafür gibt es sicherlich viele verschiedene Gründe. Aber einer ist, so denken wir, dass eine linksradikale Szene generell eher einen Gewalt-fetisch als eine Abneigung hat. Der Gewaltbegriff wird von uns in diesem Kontext nicht nur für körperliche/physische Gewalt verwendet. Auch unsere Sprache ist oft gewaltvoll (wo wir uns z.B. nicht ausnehmen würden, indem wir z.B. immer wieder betonen, dass Knäste ZERSTÖRT werden müssen). Wer absprechen möchte, dass die Szene sehr gewaltätig nach innen ist, spricht unserer Meinung nach auch die Wahrheit von Outings ab.
3.“Indem ihr den Narzissmus Begriff verwendet, pathologisiert ihr.“
Falls Menschen einen besseren Begriff kennen als den des Narzissmus, um ein sehr ausgeprägtes ich-bezogenes, auf die eigenen Bedürfnisse konzentriertes und dabei in der Konsequenz grenzüberschreitendes, übergriffiges Verhalten gegenüber anderen zu beschreiben, bitte schreibt uns das sehr gerne! Wir sind auf jeden Fall bereit, einen anderen Begriff zu benutzen.
Wir haben bewusst nicht von der psychiatrischen Diagnose der „narzistischen Persönlichkeitsstörung“ Gebrauch gemacht, sondern von „Narzissmus“ als Verhalten beschrieben. Eben wie wir davon sprechen würden, dass Menschen „ängstlich“ sein können, was aber nicht gleichbedeutetend mit der im ICD gekennzeichneten „ängstlichen Persönlichkeitsstörung“ ist.
Es ist uns wichtig, Verhaltensweisen, die aus dem Neoliberalismus resultieren, nicht zu leugnen. Wir denken, narzisstisches Verhalten ist ein solches.
Das bedeutet aber nicht, dass wir Diagnosen, Psychiatrie oder Pathologisierungen gutheißen, im Gegenteil. Wir sind eindeutig dagegen, Narzissmus als Verhalten zu pathologisieren.
Verhaltensweisen aber direkt zu bennenen, um sie zu verstehen und entlarven zu können, finden wir notwendig. In diesem Kontext denken wir, dass es wichtig ist, über Narzissmus als Verhalten zu reden. Wir sind im neoliberalen Zeitalter aufgewachsen, weswegen wir neoliberale Verhaltensmuster in uns tragen und stetig reproduzieren. So haben wir auch alle narzisstische Anteile in uns. Die Frage ist deswegen nicht, ob wir die Verhaltensweisen in uns tragen, sondern wie wir mit ihnen umgehen.
Erkennen wir, dass wir narzisstische Verhaltensweisen in uns tragen, fragen wir uns, weshalb das so ist und versuchen wir, daran zu arbeiten? Bei vielen geouteten (und nicht geouteten) Tätern müssen wir diese Fragen verneinen.
Bei manchen wird das Verhalten gefährlich für andere, eben dann, wenn die Grenzen anderer garkeine Beachtung mehr finden, weil ausschließlich eigene Bedürfnisse von Wichtigkeit zu sein scheinen. Im Fall von J. scheint genau das passiert zu sein – weswegen wir darauf eingegangen sind. Wir wollen Verhaltensweisen, die gefährlich, weil z.B. grenzüberschreitend sind, deswegen nicht wegignorieren – sie dürfen nicht unsichtbar bleiben.
Falls es aber Menschen gibt, die einen besseren Begriff als den des Narzissmus kennen, sind wir auf jeden Fall bereit, unseren Sprachgebrauch anzupassen.
Nachfolgend wollen wir auf die Kritikpunkte im Text der „Antikolonialen Aktion“ eingehen. Eventuell wird uns das nicht immer gelingen, weil wir den Text leider nicht gänzlich verstanden haben.
4.“Es geht euch um Rache und Bestrafung. Damit gefährdet ihr kollektive und nach gerechtigkeitstrebende Prozesse. Ihr strebt außerdem keine Prozesse auf Augenhöhe an.“
Nein. Rache und Bestrafung lehnen wir ab und beides macht aus einer Anti-Knast Perspektive auch überhaupt keinen Sinn. Es ging und geht uns immer um kollektive Prozesse. Allerdings stellt sich die Frage, wann wir diese bestreiten können.
Wir denken, Konzepte wie Transformative Justice und Community Accountability sind wichtige und gute Konzepte, die wir versuchen sollten, umzusetzen, damit emanzipatorische Ansprüche auch in unserem Alltag nicht nur eine Verlautbarung bleiben. Aber wir denken auch, dass die Frage ist, wann wir diese Prozesse beginnen.
In den meisten Fällen nämlich leider viel zu spät. J. hat, so ist es dem Outing zu entnehmen, über mehrere Jahre heftige Gewalt angewendet. Offenbar wurde auch schon versucht, eine Täteraufarbeitung mit ihm zu machen – diese ist gescheitert. Offensichtlich wurde in diesem Fall viel zu spät mit den „Kollektiven Prozessen“ begonnen – was ein Grund dafür sein kann, dass sie gescheitert sind.
Community Accountability finden wir ebenfalls notwendig. Allerdings stellt sich unserer Meinung nach oft das Problem dar, dass wir garkeine Community sind – dementsprechend uns auch garnicht verantwortlich fühlen.
Für uns stellt sich die Frage, wie wir Prozesse mit Menschen, die Gewalt angewendet haben eingehen können, und wie wir eine Community werden können, die aufeinander achtet, sich wertschätzt, mit Respekt behandelt und Verantwortung übernimmt.
Eine Antwort, und es gibt noch viele weitere, ist, dass wir dafür innerhalb der Szene konsequenter werden müssen. So wie wir keine Nazis in unseren Reihen dulden, dulden wir auch keine Vergewaltiger. Wenn wir eine Community, eine Bewegung werden wollen, müssen wir unserer Auffassung nach „erst einmal“ konsequent diejenigen aus unseren Reihen schmeißen, die kein Selbstverständnis, und damit meinen wir eben Nazis und z.B. Vergewaltiger, mit uns teilen – da machen wir keine Kompromisse. Das würden wir als Gegenmacht bezeichnen, was nicht das Ende der Revolution ist aber unserer Meinung nach ein notwendiger Schritt, um uns überhaupt oder neu organisieren zu können. Dementsprechend geben wir der „Antikolonialen Aktion“ Recht – denn wir streben keine Prozesse mit Vergewaltigern auf Augenhöhe an, das haben eben diese durch ihren Machtmissbrauch verwirkt.
Das Umfeld wiederum, welches solche Leute schützt, muss Verantwortung übernehmen, also Prozesse eingehen. Das hat nichts mit Bestrafung oder Rache zu tun- sondern damit, eben eine Gemeinschaft zu werden, die füreinander einstehen kann. Eine, welche sich für diejenigen einsetzt, die die Gewalt erfahren. Und auch denjenigen einen Raum bietet, und nicht den gewaltausübenden Personen.
Wir fordern also Konsequenzen im Bezug auf den Täter und die Täterschützer, um kollektive Prozesse eingehen zu können. Konsequenzen fordern heißt nicht, Rache oder Bestrafung auszuüben. Wenn sich das für den Täter oder seine Schützlinge aber so anfühlt, sollte sich vielleicht gefragt werden, weshalb das so ist (siehe Kritik Nr. 3).
5.“Eure Analyse ist universalistisch, gleichzeitig macht ihr einen Täter Opfer Dualismus auf, der bevormundend ist“.
Wir haben in unserem ersten Statement auf ein konkretes Outing reagiert – nicht auf eine abstrakte Theorie. Den Begriff des Opfers haben wir nicht verwendet. Die Gruppe schreibt auch, dass wir die Betroffene als „schwach“ dargestellt hätten. Das haben wir nicht, sondern als mutig und stark. Weshalb der Täter Begriff als schwierig angesehen wird, verstehen wir und eine allgemeine Kritik am Begriff können wir teilen. Natürlich wird ein Mensch nicht einzig und allein durch eine Handlung ausgemacht. Aber in dem Outing ging es nicht darum, J. allumfassend zu beschreiben, seine gesamte Biographie abzuzeichnen und seine Betroffenheiten darzustellen. Es ging darum, ihn zu outen, weil er auch ein Täter ist. Wir haben uns auf das Outing bezogen, nicht auf eine allgemeine Analyse zu den verschiedenen Gewaltebenen und Erfahrungen von Menschen. Deswegen sprechen wir in diesem Fall von einen Täter.
Das kann kritisiert werden – die Dynamik allerdings, dass wir vor allem dafür kritisiert werden, wie wir über den Täter reden, finden wir befremdlich und betrachten wir als Diskursverschiebung.
6.“Wir streben keine Emanzipation durch äußeren Schutz an.“ (in der Aussage interpretierten wir eine Art Kritik, dass wir das aber tun)
Wir denken, tatsächliche und allumfassende „Schutzräume“ kann es kaum geben, weil die wenigsten Räume wirklich komplett diskriminierungsfrei sind. Aber unabhängig davon ist es uns trotzdem wichtig, den Schutz von Personen deswegen nicht gänzlich aufzugeben – bzw es zumindest zu probieren. Dass wir garkeinen äußeren Schutz bräuchten finden wir wiederum eine sehr arrogante Analyse, weil es die vielen selbstbezeichneten Schutzräume, die es vor allem für marginalisierte Menschen/Gruppen gibt, infragestellt.
Sicherlich wäre es toll, wenn wir direkt heute mit der Emanzipation beginnen könnten, ohne uns im Vorfeld vor gesellschaftlicher/politischer Gewalt schützen zu müssen – wenn das so „einfach“ wäre, wären wir sicherlich mittlerweile an einem anderen Punkt. Allerdings ist es eben doch etwas komplexer und in erster Linie müssen wir, um emanzipatorisch handeln zu können, vor allem auf uns selbst und andere achten – und manchmal brauchen wir dafür Safe Spaces.
Flintas werden immer wieder durch patriarchales Verhalten aus Räumen gedrängt. Wir denken, damit eine gemeinsame Organisierung von Flintas stattfinden kann, braucht es Räume, zu denen beispielsweise Cis-Männer keinen Zugang haben. Sicher, das wäre dann kein allumfassender oder gar antipatriarchaler Schutzraum – aber eben einer, der mehr Schutz vor Cis – Männern und deren Gewalt/Verhalten bieten kann, als einer mit Cis-Männern.
Die Vorstellung, sich in einer gewaltvollen Welt gänzlich ohne Schutz emanzipieren zu wollen, können wir nicht teilen. Wir denken, für Emanzipation braucht es auch sog. „Schutzräume“ (auch hier wären wir für ein neues Wort offen, denn wie gesagt, gänzlichen „Schutz“ können die wenigstens Räume, nichtmal private Räume bieten), um eine gemeinsame Organisierung und Widerstand anzustreben.
7.“Ihr priorisiert Menschen untereinander, indem ihr einige Formen der Dominanz priorisiert.“
Diese Kritik, so verstehen wir sie, beinhaltet die Problematik der ungleichen Machtverteilung. Während es in unserer derzeitigen Gesellschaftsordnung machtvolle Gruppen und Verhaltensweisen gibt, existieren danebeben konsequenterweise auch welche, die unterdrückt werden. Die spannende und revolutionäre Frage ist, wie das aufzulösen ist. Unserer Meinung nach braucht es dafür Gegenmacht. Wir denken nicht, dass wir in einem Zustand, in dem es oben und unten gibt, sofort emanzipativ handeln und somit die Hierarchien auflösen können. Die Herrscher*innen werden nicht einfach „Macht abgeben“. Deswegen braucht es Gegenmacht/Gegengewalt (da ist sie wieder, die Gewaltaffine Sprache), mit der wir aber wohlüberlegt umgehen sollten.
Aus dem Abstrakten ins Konkrete: Im Falle des Outings hatte offensichtlich J. jahrelang viel Macht. Mithilfe des Outings wird versucht, dem entwas entgegenzusetzen. Und ja, deswegen solidarisieren wir uns mit dem Outing und priorisieren in diesem Fall auch dessen Darstellungen/Meinungen usw. Unsere Priorität setzen wir hierbei bei der Betroffenen bzw bei dem Widerstand von patriarchaler Gewalt. In unserer allgemeinen Arbeit priorisieren wir oft den Zustand der Menschen als Gefangene (nicht dominante Gruppe) – unabhängig von dem Vorwurf, weswegen sie sitzen.
Dass wir aufhören sollen, zu priorisieren, würde uns, unserer Meinung nach, sehr handlungsunfähig machen. Natürlich gibt es immer viele und nicht nur eine Gewaltebene – so wie beispielsweise Johannes ein Täter ist, ist er auch gleichzeitig ein Betroffener von Repression. Es ist ein revolutionärer Gedanke, alle Gewaltebenen auf dem Schirm haben zu wollen und auf der abstrakten Ebene begrüßen wir das sehr – in der Praxis wüssten wir allerdings ehrlich nicht, wie das umzusetzen wäre. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, und solidarisch mit der Betroffenen von patriarchaler/sexueller Gewalt zu zeigen, nicht dem Täter. Also ja, wir priorisieren. Das heißt nicht, dass wir beispielsweise nicht die Repression wahrnehmen würden, die J. ausgesetzt wird. Darum ging es aber nicht in unserem Text.
Dass diese Priorisierung aufzuheben wäre, bezweifeln wir. Wenn wir uns wirklich solidarisch mit Betroffenen zeigen wollen, wenn wir zum Beispiel darauf eingehen wollen, was sie brauchen, um mit Erlebtem umzugehen, dann kann beispielsweise ein Ausschluss des Täters eine Konsequenz sein. Damit würden wir die Betroffenen-Perspektive priorisieren, um Schutz zu ermöglichen. Gleichzeitig wäre das für uns auch ein Schritt, einen Raum zu öffnen, in welchem Organisierung, z.B. unter Flintas, anders möglich wäre als mit den Tätern in den eigenen Reihen zuvor (Stichwort Gegenmacht).
Oder wenn wir als Anti-Knast Gruppe Menschen in ihrer Situation als Gefangene prioriseren: auch hier nehmen wir die Betroffenen-Perspektive ein, und zwar die der von Repression Betroffenen. Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir dabei vielleicht auch mit Menschen zu tun haben, deren Meinungen wir nicht immer teilen oder sogar konkreten Handlungen feindlich gegenüberstehen. Weil wir aber denken, dass das Einsperren keine Perspektive sein kann, um eben mit Konflikten umzugehen, setzen wir uns für ihre Freiheit ein – nehmen also die Betroffenen-Perspektive ein. Das wiederum bedeutet allerdings nicht, dass wir Menschen, sofern sie draußen sind und sich z.B. scheiße verhalten, nicht aus Räumen ausschließen würden. Solange es das Patriarchat gibt, müssen wir bestimmte Menschen, z.B. jene, welche vor Vergewaltigung nicht scheuen, von Räumen fernhalten, um Schutz ansatzweise gewährleisten zu können. So wie wir auch Nazis aus unseren Räumen fernhalten müssen, um Übergriffe/Angriffe auf beispielsweise migrantische, migrantisierte, PoC oder schwarze Menschen zu minimieren. Dass damit weder das Patriarchat, noch Rassismus, gelöste Probleme sind, ist klar.
Schließlich denken wir deswegen, dass es wichtig ist, Kämpfe zu verbinden und gemeinsam (auch inhatlich) zu führen. Eine Welt ohne Rassismus, Patriarchat, Klassismus, Knäste usw ist allerdings eine weit entfernte Utopie, die in unserer zerstörerischen Realität nicht von heute auf morgen, wenn überhaupt irgendwann einmal, umzusetzen ist.
Der Weg dorthin wird von Widersprüchen gepflastert sein – wir supporten Gefangene und kämpfen für ihre Freiheit, und wenn sie draußen sind, kann es sein, dass wir riesige Meinungsunterschiede haben, die uns entzweien. Mit diesem Wissen könnten wir handlungsunfähig werden – aber um eben mit Widersrüchen umgehen zu können, priorisieren wir. Wir würden es auch gerne nicht tun und in der Theorie geht das auch leichter, als in der Praxis. Aber wenn wir uns praktisch wirklich solidarisch zeigen wollen, müssen wir uns manchmal einfach entscheiden, welche Perspektive wir einnehmen wollen. In unseren Fall haben wir in unserem ersten Statement unsere Augen auf die Betroffene gerichtet.
Daraus resultiert eine Kritik, auf die wir zum Schluss noch eingehen wollen:
8. Wenn euch klar ist, dass es diejenigen gibt, welche die von Repression Betroffenen supporten und diejenigen, welche Betroffene von sexueller Gewalt unterstützen, weshalb greift ihr dann das Soli Antifa-Ost Bündnis in eurem Statement an?
Zu allererst: uns ist durchaus bewusst, dass „Anfeindungen“ zwischen Gruppen genau das ist, was den Staat zum lächeln bringt und es deswegen wichtig ist, nicht in staatliche Zermürbungstaktiken hineinzufallen. Weil aber teilweise der Eindruck entstanden ist, dass wir genau diese Taktiken damit befeuern (wollen), gehen wir folglich nochmal genauer auf unsere Kritik am Bündnis bzw generellen Solistrukturen ein.
Im Outing der Betroffenen wurde sehr klar genannt, dass viele Menschen jahrelang von J.’s Gewalt wussten und weggeschaut haben. Wir haben die offene Frage gestellt, ob damit auch Menschen aus dem Bündnis gemeint sind, indem wir forderten, dass sie sich positionieren sollten. Unserer Meinung nach war das sehr lange nicht klar – zwar hatte das Bündnis ein erstes Statement formuliert, unklar blieb aber bis zum zweiten Statement, ob das Bündnis oder Teile davon im Vorfeld von J.’s Gewalt wussten. Diese Info ist aber wichtig, eben um kollektive Prozesse eingehen zu können. Solange dahingehend eine Intransparenz bestand, war das unserer Meinung nach nicht möglich.
Wie schon betont, supporten wir oft Menschen, deren Biographie wir nicht kennen (was aber auch einen Unterschied zu J./seinem Umfeld darstellt, weil von seinem Verhalten offensichtlich viele wussten). Deswegen war unsere Forderung nach einer Positionierung in erster Linie keine Kritik, sondern lediglich eine Forderung nach Transparenz – nicht mehr und nicht weniger. Dazu hat das abc Dresden vor Kurzem ebenfalls einen Text verfasst, welchen wir inhatlich teilen und auch auf den Text der Roten Hilfe Leipzig wollen wir an dieser Stelle verweisen und uns inhaltlich anschließen. Die Ortsgruppe macht außerdem die Diskussion um das Themenfeld „Anti-Repressionsarbeit mit Menschen, deren Verhalten wir nicht gutheißen/verachten“ auf – eine Diskussion, in welcher wir uns zukünftig auch verstärkt einbringen werden. An dieser Stelle aber schon einmal danke für den veröffentlichten Input.
Zurück zum Punkt: Kritik am Bündnis haben wir erst an der Stelle formuliert, als es, ohne sich zum Outing zu positionieren, weiterhin Aufrufe für Spenden für „alle Beschuldigten“ und Texte mit anderen Bezügen postete – was wir nicht nur respektlos fanden, sondern sich auch klar gegen die Forderungen der Betroffenen stellt. Das heißt nicht, dass wir das Bündnis im Generellen oder die Solidarität mit den Angeklagten im Bezug auf das Verfahren in Frage stellen. Auch hierzu teilen wir die Inhalte des Textes vom abc Dresden.
Zugegeben, dieser Eindruck hätte gemindert oder verhindert werden können, wenn wir dem Bündnis mehr Zeit als lediglich fünf Tage nach dem Outing gegeben hätten. Zum Verständnis: wir haben „so schnell reagiert“ wegen der Missachtung des Outings und weiteren Postings – was natürlich keine Entschuldigung dafür ist, dass wir damit offensichtlich im öffentlichen Diskurs einen Keil zwischen uns und dem Bündnis setzten, den wir nicht setzen wollten.
An dieser Stelle geht es uns weder darum, unser Statement in „falsche“ und „richtige“ Aussagen zu unterteilen. Es geht uns darum zu verstehen, weshalb bestimmte Worte bzw Aussagen in unserem Statement gewählt worden sind.
Und in erster Linie ging es darum, Druck auszuüben – Druck auf diejenigen, welche sich positionieren sollten, es aber nicht tun oder sich öffentlich „mit anderen Sachen beschäftigten“. Dieser Druck kann kritisiert werden, vor allem dann, wenn er „zu schnell“ oder „zu früh“ passiert. Uns erreichte das Feedback, dass es gut war, „schnell Druck auszuüben“, gleichzeitig erreichte uns die Kritik, dass es eben „zu früh“ war. Wir sehen keine der Meinungen als „richtig“ oder „falsch“ sondern denken, dass es auf die Perpsektive ankommt, die eingenomen wird.
Entschuldigen wollen wir uns, wenn der Eindruck aufgekommen ist, wir würden innerhalb des Diskurses spalten wollen. Das war nicht unser Anliegen und wenn der Eindruck aufgekommen sein sollte, lag das sicherlich an der Art und Weise, wie wir den Text formulierten.
Nicht entschuldigen wollen wir uns für den Druck, den wir gemacht haben, denn auch wenn er Menschen zu „früh“ war (keine Frage, die Kritik kann man haben!), finden wir ihn für einen antipatriarchalen Diskurs notwendig. Denn die entscheidene Frage ist unserer Meinung nach „warum fühlen sich Menschen unter Druck gesetzt?“. Haben sich beispielsweise Flintas unter Druck gesetzt gefühlt, obwohl sie zum Outing bzw zu J. garnicht viel sagen können? Und wenn das so ist, weshalb fühlen sie sich unter Druck gesetzt oder verantwortlich, obwohl sie keine Verantwortung haben? Haben sich die Täterschützer unter Druck gesetzt gefühlt und wenn ja, ist das nicht angemessen, wo sie doch jahrelang weggeschaut haben?
Wir würden uns einen weiterführenden Diskurs in diese Richtung (und nicht mehr im Sinne des Täters!) wünschen – denn wir denken, er kann zu einer antipatriarchalen Praxis beitragen.
Wir werden unsere Standpunkte ebenfalls stetig reflektieren und freuen uns über Kritik.
passiert am 12.01.22