„Flexibles Geflecht“ oder kriminelle Vereinigung: Wie organisieren sich Linksextremisten?

Am Landgericht Meiningen beginnt am Montag der Prozess gegen Johannes D.. Der 30-Jährige soll an einem Überfall auf Rechtsextremisten in Eisenach beteiligt gewesen sein. Zuvor hatte Johannes D. als Kronzeuge im Dresdner Strafprozess gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. ausgesagt. Seine Aussagen könnten Antworten zur Frage liefern, wie sich linksextreme Gewalttäter organisieren.

Johannes D. soll als „Späher“ dabei gewesen sein beim Überfall in Eisenach im Dezember 2019. Damals wurden der Wirt der bei Rechtsextremisten beliebten Szene-Kneipe „Bull’s Eye“, Leon R., sowie drei seiner Begleiter auf dem Nachhauseweg angegriffen und verletzt. Die Staatsanwaltschaft Gera wirft Johannes D. deswegen gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung vor.

Laut Bundesanwaltschaft sollen sich an dem Überfall in Eisenach mindestens acht Personen beteiligt haben. Gegen fünf Männer wird derzeit noch ermittelt. Zwei weitere mutmaßliche Eisenach-Angreifer stehen momentan in Dresden vor Gericht – darunter die Leipzigerin Lina E..

Kronzeuge im Verfahren gegen Lina E.

In diesem Verfahren am Oberlandesgericht sagte Johannes D. als Kronzeuge aus. Seine Aussagen könnten von Bedeutung sein, weil den Sicherheitsbehörden – anders als im Bereich Rechtsextremismus – nur wenige Erkenntnisse über linksextremistische Strukturen oder Organisationsformen in Deutschland vorliegen.

Lina E. sowie drei weitere Angeklagte müssen sich seit September 2021 vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht Dresden unter anderem wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung, gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruchs verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen insgesamt sieben gewalttätige Überfälle auf Rechtsextremisten vor. An den Taten sollen bis zu 20 Personen beteiligt gewesen sein. Zahlreiche Ermittlungen laufen noch. Johann G., einer der mutmaßlichen Haupttäter, der auch an der Tat in Eisenach beteiligt gewesen sein soll, befindet sich auf der Flucht.

Im Zeugenschutzprogramm des LKA Sachsen

Kronzeuge Johannes D. soll zum inneren Zirkel der Beschuldigten gehört haben. Seit Ende April 2022 befindet er sich im Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz hat er sich als Informant zur Verfügung gestellt.

Den Vorwurf gegen die vier Dresdner Angeklagten, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu sein, begründet die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklageschrift ausführlich. Darin ist die Rede von einem „in und um Leipzig bestehenden Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der sich aus dem linksextremistischen militant-antifaschistischen Spektrum rekrutiert“. „Vereinigungszweck“ sei „die Planung und Begehung körperlicher Angriffe gegen den politischen Gegner oder jedenfalls die Beteiligung an solchen Taten“.

Um zu belegen, dass die Beschuldigten mehr als einen lockeren Zusammenschluss dargestellt und tatsächlich eine feste Vereinigung gebildet haben, führen die Bundesanwälte zahlreiche Argumente an. So gehen die Ankläger etwa von einem „durchgängigen Bestehen“ der Gruppierung seit 2018 aus, weil in diesem Jahr der erste Überfall stattgefunden hatte. Zudem soll es eine Art „Rollenverteilung in Grundzügen“ gegeben haben. Dabei sollen Lina E. und Johann G. eine „herausgehobene Stellung“ innegehabt haben. Die anderen sollen für die „Aktionstelefone“, „Späh- und Wachfunktionen“ oder „aufgrund von Physis und Erfahrungen als Kampfsportler“ für die „unmittelbare Tatausführung“ zuständig gewesen sein.

Dazu kommt laut Bundesanwaltschaft ein hohes Maß an „Konspiration und Abschottung nach Außen“. Laut Anklageschrift zeichneten sich die Tatorte durch das „auffällige Fehlen kriminaltechnisch verwertbarer Spuren“ aus, „was auf nachhaltige, unter den Tatbeteiligten abgestimmte Vorsichts- und Schutzmaßnahmen“ hindeute. Für die Ankläger sind solche mutmaßlichen Belege von zentraler Bedeutung, damit ihre Vorwürfe vor Gericht Bestand haben.

„Flexibles Gefecht“

„Kronzeuge“ Johannes D. wurde im vergangenen Herbst im Dresdner Gerichtssaal an mehreren Verhandlungstagen nach mutmaßlichen linksextremistischen Organisationsformen und Strukturen befragt. Dabei ging es auch um eine Aussage, die er beim LKA Sachsen gemacht hatte: „Meine Erfahrung im Bereich militanter Politik ist, dass eine Gruppe ein flexibles Geflecht ist“, sagte er in der Vernehmung. Vor Gericht sprach er in diesem Zusammenhang von „keinen Muss-Zusammensetzungen“. Dies bedeute, dass „man nicht immer mit den gleichen Leuten was unternimmt oder was macht“. Als Beispiel nannte er den Überfall auf Leon R.: „In Eisenach waren Leute dabei, die ich vorher gar nicht kannte, andere als beim Training in der Gießerstraße.“

Für solche Trainings interessiert sich der Dresdner Staatsschutzsenat mit Blick auf mögliche linksradikale Strukturen ebenfalls. Die Übungen sollen an verschiedenen Orten in Leipzig stattgefunden haben, etwa in einem links-alternativen Zentrum in der Gießerstraße. Ziel sei es laut Johannes D. gewesen, zu lernen, „wie man Neonazis in der Gruppe angreifen“ und sie nachhaltig verletzten kann. Für ein „Großgruppentraining“ im August 2019 auf dem Vereinsgelände des Fußballclubs „Chemie Leipzig“ sollen bis zu 50 Personen aus dem Bundesgebiet angereist sein. Seitens der Dresdner Verteidiger bestehen allerdings erhebliche Zweifel daran, dass besagtes „Großgruppentraining“ überhaupt stattgefunden hat.

LKA-Kreistheorie

Wie schwierig es für die Sicherheitsbehörden ist, linksextremistische Strukturen und Organisationsformen aufzuklären, zeigte während des Dresdner Strafprozesses auch die Aussage des LKA-Beamten, der Johannes D. nach dessen Szene-Ausstieg vernommen hatte. Vor Gericht sagte der Kriminalhauptkommissar: „Letztlich war das Problem für uns: Wir hatten uns nach der Vernehmung am Vortag besprochen und festgestellt, dass für uns diese Personenstruktur nicht greifbar ist.“ Johannes D. hatte in dieser Vernehmung zwar Namen potentieller Mittäter genannt – gegenüber dem Verfassungsschutz hatte er mindestens acht Personen mit Straftaten in Verbindung gebracht. Wie diese Menschen aber zueinander standen oder miteinander agierten, blieb für die Polizisten unklar.

Wir hatten uns nach der Vernehmung am Vortag besprochen und festgestellt, dass für uns diese Personenstruktur nicht greifbar ist.

LKA-Beamter

Deswegen entwarfen die Vernehmer selbst ein dreiteiliges Schaubild. Ihr Modell zeigte schließlich drei Kreise, in die sie Namen von Verdächtigen einsortiert hatten. Das Ziel: Die „Aussagen in ein Modell zu bekommen, dass man das besser greifbar machen kann“.

Und so findet sich im Zentrum des polizeilichen Schaubilds die in Leipzig verortete „Kerngruppe LE, die Organisatoren waren, die Anfragen verschickt haben, Trainings organisiert haben“. In den mittleren Kreis sortierten die Polizisten „Personen, die öfter schon mit der Kerngruppe zusammengearbeitet haben. Leute, die nah dran sind“. Der äußere Kreis speiste sich schließlich aus „Personen im Bundesgebiet“, die „man dazu hole, weil man die kennt“. Vor Gericht gab der Polizeibeamte an, das Schaubild Johannes D. vorgelegt zu haben. Dieser habe daran „nur Modifizierungen vorgenommen und korrigiert“, das Modell aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Johannes D. als Zeuge im Thüringer Landtag?

Fälle wie der des „Kronzeugen“ Johannes D. sind extrem selten. Die meisten Linksradikalen packen bei der Polizei nicht aus, wenn sie gefasst werden. Wohl auch deswegen ist nun die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag auf Johannes D. aufmerksam geworden. Die Fraktion möchte ihn im parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Politische Gewalt“ als Zeugen anhören.

Das Gremium soll die Entwicklung politisch motivierter Gewaltkriminalität in Thüringen in den vergangenen 10 Jahren untersuchen. In den bisherigen Ausschusssitzungen seit Mai 2022 ging es dabei schwerpunktmäßig um Rechtsextremismus in Thüringen. Über mutmaßliche linksextremistische Strukturen im Freistaat hingegen wurden keine neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert – bisher jedenfalls.

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MDR-Thüringen – Stand: 27. Februar 2023, 11:47 Uhr

Prozess um Überfall auf Wirt von Rechtsextremisten-Kneipe in Eisenach

Im Prozess um einen Überfall auf den Wirt der Rechtsextremisten-Kneipe „Bull’s Eye“ in Eisenach hat der Angeklagte umfangreich ausgesagt. Der 30-jährige Johannes D. gestand am Montag vor dem Landgericht Meiningen unter anderem, das Opfer Leon R. vorab ausgespäht zu haben. Er selbst sei bei dem Überfall im Dezember 2019 in Eisenach nicht dabei gewesen. D. ist wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung angeklagt.

Angeklagter schildert ausführlich sein Leben

Vor Gericht in Meiningen schilderte der Angeklagte ausführlich sein Leben. Er sei in Bayern aufgewachsen und habe ein „gutes Elternhaus gehabt“, sagte er. Schon in der Schule sei er in einer Gruppe der Jugend-Antifa aktiv gewesen. Dann habe er sich weiter radikalisiert und Gewalt als legitimes Mittel im politischen Meinungskampf angesehen. Inzwischen sei er aus der linksextremen Szene ausgestiegen, sagte der Angeklagte. Er habe heute ganz andere Ziele im Leben: „Ich möchte einfach ein bürgerliches Leben führen, mit Reihenhaus am besten.“

Prozess-Auftakt unter massivem Polizeischutz

Der Prozess, der am Montag gestartet ist, findet unter massivem Polizeischutz statt. Der Angeklagte ist im Zeugenschutzprogramm des sächsischen Landeskriminalamtes. Er ist Kronzeuge im Prozess gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. Gegen sie wird derzeit in Dresden verhandelt, sie soll an dem Überfall beteiligt gewesen sein. Der Wirt und drei Begleiter waren dabei verletzt worden.

passiert am 27.02.2023