Parlamentarische Anfrage: Wie geht Berlin mit Gefährdern um?
Drucksache 19 / 14 024 Schriftliche Anfrage 19. Wahlperiode
Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Kai Wegner (CDU) und Frank Balzer (CDU)
vom 22. November 2022 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. November 2022)
zum Thema:
Wie geht Berlin mit Gefährdern um?
und Antwort vom 09. Dez. 2022 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Dez. 2022) Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport
Herrn Abgeordneten Kai Wegner und Herrn Abgeordneten Frank Balzer (CDU)
über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin
über Senatskanzlei – G Sen –
Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 19/14024
vom 22. November 2022
über Wie geht Berlin mit Gefährdern um?
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Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:
1. Wie definiert der Senat im Rahmen des Sicherheits- und Ordnungsrechts, was ein „Gefährder“ ist? Legt er dabei die auch vom Bundeskriminalamt gewählte Definition zugrunde, wonach „Gefährder“ eine Person ist, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung, begehen wird, oder gibt es in Berlin eine landeseigene Definition, wenn ja, mit welchem Inhalt?
Zu 1.:
Eine Legaldefinition des Begriffs „Gefährder“ existiert im Allgemeinen Sicherheits- und
Ordnungsgesetz Berlin (ASOG Bln) nicht. Die Bezeichnung „Gefährder“ wird zwar in
§ 18b ASOG Bln in den Begriffen „Gefährderansprache“ und „Gefährderanschreiben“
genutzt. Gemeint ist damit eine Person gemäß § 13 ASOG Bln, unabhängig von einer po-
litischen Motivation. Im Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) wird der Begriff
„Gefährder“ für einen deutlich eingeschränkteren Personenkreis und in einem anderen
Kontext verwendet. Hierfür wird in der Polizei Berlin die in der Fragestellung benannte De-
finition des Bundeskriminalamts zugrunde gelegt, die ihrerseits jedoch keine Rechtsgrund-
lage für Maßnahmen begründet.
2. Arbeiten die Behörden des Landes Berlin auch mit dem vom Bundeskriminalamt genutzten Begriff der „relevanten Person“ und wie wird dieser Begriff gegebenenfalls definiert?
Zu 2.:
Ja. Die bundesweit festgelegte Definition für den Bereich der PMK lautet wie folgt:
Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/ terroristi-
schen Spektrums die Rolle einer
· Führungsperson,
· eines Unterstützers/Logistikers,
· eines Akteurs
einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch
motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des
§ 100a der Strafprozessordnung (StPO), fördert, unterstützt, begeht oder sich daran be-
teiligt, oder es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschul-
digten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeu-
tung, insbesondere einer solchen im Sinne des § 100a StPO, handelt.
3. Wie viele Personen sind in Berlin als Gefährder oder relevante Personen eingestuft? (Bitte aufschlüsseln nach Staatsangehörigkeit, nach Art der Gefährdung z.B. politisch motivierte Kriminalität – rechts -, politisch motivierte Kriminalität – links -, politisch motivierte Kriminalität – ausländische Ideologie -, politisch motivierte Kriminalität religiöse Ideologie -, politisch motivierte Kriminalität – nicht zuzuordnen -, Kriminalität allgemein.)
Zu 3.:
Im Bereich der PMK -rechts- wird eine Anzahl von Personen im unteren einstelligen Be-
reich als Gefährder und eine Anzahl von Personen im unteren zweistelligen Bereich als re-
levante Personen betrachtet.
Im Bereich der PMK -links- wird eine Anzahl von Personen im unteren einstelligen Bereich
als Gefährder und ebenfalls eine Anzahl von Personen im unteren einstelligen Bereich als
relevante Personen betrachtet.
Im Bereich der PMK -religiöse Ideologie sind in Berlin jeweils Personen in einer mittleren
Zahl im zweistelligen Bereich als Gefährder und relevante Personen eingestuft und in den
übrigen, in der Fragestellung genannten Bereichen, keine Personen.
Die Staatsangehörigkeit der oben genannten eingestuften Personen wird durch die Polizei
Berlin im Rahmen der Bearbeitung zwar erhoben, jedoch nicht statistisch auswertbar er-
fasst und ist somit im automatisierten Verfahren nicht recherchierbar.
4. Wie viele der als Gefährder oder relevante Person eingestuften Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind vollziehbar ausreisepflichtig?
Zu 4.:
Eine statistische Erfassung in automatisiert recherchierbarer Form im Sinne der Fragestel-
lung wird nicht durchgeführt.
5. Wie viele als Gefährder oder relevante Person eingestuften Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit wurden in den Jahren 2019, 2020 und 2021 in ihre Heimatländer zurückgeführt? (bitte nach Jahren aufschlüsseln)
Zu 5.:
Die Anzahl der in ihre Heimatländer zurückgeführten Personen, die als Gefährder oder
relevante Person eingestuft waren, lag in den Jahren 2019, 2020 und 2021 jeweils im un-
teren einstelligen Bereich.
6. Wie viele der als Gefährder oder relevante Person eingestuften Personen werden vom Verfassungs-
schutz oder der Polizei beobachtet? Wie viele werden von der Polizei überwacht?
Zu 6.:
Die Einstufung von Personen in die Kategorien „Gefährder“ bzw. „relevante Person“ ob-
liegt der Polizei. Die polizeilich eingestuften Personen werden neben weiteren Personen
regelmäßig auch vom Verfassungsschutz im Rahmen seiner gesetzlichen Zuständigkeit
bearbeitet. Zu aktuell laufenden Verfahren und der Anzahl der beteiligten Personen kann
keine Auskunft gegeben werden.
7. Wie viele Arbeitsstunden fallen bei Verfassungsschutz und Polizei für die Beobachtung an?
8. Wie hoch sind die Kosten der Beobachtung?
Zu 7. und 8.:
Die Bearbeitung verfassungsfeindlicher Bestrebungen in den jeweiligen Phänomenberei-
chen gehört zu den Regelaufgaben des Verfassungsschutzes und der Polizei. Der kon-
krete Aufwand in Form von Arbeitsstunden, Kosten o.ä. wird nicht erfasst. Entsprechende
Aussagen sind mithin nicht möglich.
9. Wie teuer ist es, einen Gefährder oder eine relevante Person rund um die Uhr zu überwachen? (Bitte Angabe der Kosten für einen Zeitraum, z.B. für einen Tag oder eine Woche.)
Zu 9.:
Ausgaben für Polizeieinsätze sind grundsätzlich durch die im Haushaltsplan von Berlin für
die Polizei eingestellten Haushaltsmittel gedeckt und werden deshalb nicht gesondert er-
hoben.
10. Welcher Begriff des „Gefährders“ wird für Gefährderansprachen, § 18b ADOG, zugrunde gelegt? Derselbe wie unter 1.) oder ein hiervon abweichender, gegebenenfalls welcher?
Zu 10.:
Es wird auf die Beantwortung zur Frage 1 verwiesen.
11. Unter welchen Voraussetzungen werden Gefährder oder relevante Personen in Gewahrsam oder in Abschiebungshaft genommen? Wie teuer ist es, einen Gefährder oder eine relevante Person in Gewahrsam oder in Abschiebungshaft zu nehmen? (Bitte Angaben der Kosten für einen Zeitraum, z.B. für einen Tag oder eine Woche.)
Zu 11.:
Ausreisepflichtige Gefährder und relevante Personen werden grundsätzlich in der Ab-
schiebungshaft für Gefährder Berlin (AHEG BE) untergebracht, sofern die Voraussetzun-
gen des § 62 AufenthG gegeben sind und ein Haftbeschluss vorliegt.
Die ermittelten Kosten für das Jahr 2022 für die Unterbringung dieses Personenkreises
sind dabei von der Belegung und dem damit verbundenen Personaleinsatz abhängig.
Miet- und Reinigungskosten werden gemäß Überlassungsvereinbarung von der Justiz ge-
tragen. Die Kosten pro Tag und Person variieren daher in Abhängigkeit von der tatsächli-
chen Belegung. Ausgehend von einer Belegung mit durchschnittlich 10 Personen liegen
die Tageskosten pro Person bei rd. 3.500 €.
Ingewahrsamnahmen nach dem ASOG Bln in anderen Gefangenensammelstellen der
Polizei Berlin wurden -soweit nachvollziehbar- für Gefährder und relevante Personen nicht
oder nur für sehr kurze Zeit (weniger als ein Tag) durchgeführt, sodass hierfür keine Auf-
schlüsselung der Kosten möglich ist.
12. Wie viele und welche Straftaten haben als Gefährder oder relevante Person eingestufte Personen in den Jahren 2019, 2020 und 2021 in Berlin verübt? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln.)
Zu 12.:
Eine Beantwortung dieser Frage ist angesichts der erfolgten Ein- und Ausstufungen nur in-
soweit möglich, als dass als Messgröße die aktuell eingestuften Personen betrachtet wur-
den. Nicht berücksichtigt sind die Personen, welche in ein anderes Bundesland verzogen
oder aus- bzw. umgestuft wurden.
Die Zahl der mit polizeilicher Vorgangsnummer in Berlin geführten Ermittlungsverfahren,
in denen mindestens ein Gefährder oder eine relevante Person tatverdächtig war, beläuft
sich für die Jahre 2019 und 2020 jeweils auf eine Zahl im unteren dreistelligen Bereich.
Die zugehörigen Straftaten sind durch die Polizei Berlin im automatisierten Verfahren
nicht recherchierbar.
Die Zahl der mit polizeilicher Vorgangsnummer in Berlin geführten Ermittlungsverfahren,
in denen mindestens ein Gefährder oder eine relevante Person tatverdächtig war, beläuft
sich im Jahr 2021 bisher ebenfalls auf eine Zahl im niedrigen dreistelligen Bereich. Die
statistische Erfassung ist noch nicht abgeschlossen. Die zugehörigen Straftaten sind durch
die Polizei Berlin im automatisierten Verfahren nicht recherchierbar.
13. Wie viele Haftplätze für Gefährder oder relevante Personen gibt es in Berlin? Wie viele dieser Haftplätze sind belegt? (Bitte monatsscharf aufschlüsseln für die Jahre 2019, 2020 und 2021.)
Zu 13.:
In Untersuchungshaft oder Strafhaft befindliche Personen werden unabhängig von einer
polizeilichen Einstufung als Gefährder oder relevante Person untergebracht. Gesonderte
Haftplätze gibt es für diese Personen nicht.
Zur Sicherung der Abschiebung von ausreisepflichtigen sicherheitsrelevanten Personen
verfügt die AHEG BE über insgesamt zehn Haftplätze.
In den Jahren 2019 bis 2021 waren insgesamt 78 Personen in der AHEG BE unterge-
bracht. Einige Personen waren monatsübergreifend untergebracht, so dass es hier zu ei-
ner doppelten Zählung kommen kann.
Jahr 2019
Monat / Anzahl der untergebrachten Personen
Januar 4
Februar 1
März 4
April 5
Mai 4
Juni 0
Juli 1
August 5
September 5
Oktober 2
November 5
Dezember 3
Jahr 2020
Monat Anzahl der untergebrachten Personen
Januar 6
Februar 11
März 3
April 1
Mai 1
Juni 0
Juli 0
August 0
September 0
Oktober 0
November 4
Dezember 7
Jahr 2021
Monat / Anzahl der untergebrachten Personen
Januar 4
Februar 1
März 1
April 2
Mai 4
Juni 3
Juli 3
August 2
September 6
Oktober 1
November 2
Dezember 1
Quelle aller Zahlen: interne Datenerhebung Direktion Zentrale Sonderdienste (Dir ZeSo), Stand: 25. November 2022
Berlin, den 09. Dezember 2022
In Vertretung
Dr. Ralf Kleindiek
Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport
passiert am 09.12.2022