Panoptikum – Der „Anti-„Terrorismusparagraph 187a und das „Genossen-Genossinnen“-Verfahren

Ein Text des grieschischen Genossen G.I. über den Antiterrorparagraph in Griechenland und seine Anwendung im Genossen/Genoss*innen Verfahren. Der Text erschien in gekürzter Fassung in der letzten Ausgabe der Rote Hilfe Zeitung mit dem Themenschwerpunkt Griechenland.

Notiz: Der Begriff des αγωνιστής/αγωνίστρια (agonistis/agonistria), wörtlich übersetzt „Kämpfer*in“, wird hier übersetzt mit „Militant“.

Panoptikum

Der „Anti-„Terrorismusparagraph 187a und das „Genossen-Genossinnen“-Verfahren

Die ersten Versuche in Griechenland „Antiterrorgesetze“ zu erlassen wurden in der Zeit nach dem Regimewechsel (1980-1995) unternommen. Weil diese rechtlichen Bemühungen voller Unklarheiten und Unbestimmtheiten waren wurden sie bald wieder abgeschafft. Die formale Einführung der „Anti-Terror“-Gesetzgebung erfolgte schließlich 2001 mit dem Gesetz 2829/2001, das wichtige Bestimmungen enthielt, die auch heute noch in Kraft sind. 2004 wurde schließlich das Gesetz 3251/2004 verabschiedet, das den berühmten §187a des Strafgesetzbuchs einführte. Dieser Artikel wurde bis heute immer wieder angepasst, wodurch ein breiter repressiver Rahmen zur Verfolgung und Bestrafung von Aktivist*innen der anarchistischen, kommunistischen und revolutionären Bewegung geschaffen wurde. Die großen Ähnlichkeiten mit Paragraphen in anderen Ländern, wie z.B. dem §129a in Deutschland zeigen, dass dies ein Versuch ist die europäische repressive Gesetzgebung zu vereinheitlichen.

Die erste Anwendung des Anti-Terrorparagraphen erfolgte 2009 mit der Verhaftung von anarchistischen Genossen im „Halandri-Fall“. Seitdem ist der Kampf gegen den §187a ein fester Bestandteil der Solidaritätsbewegungen mit politischen Gefangenen und Verfolgten in Griechenland. Hunderte von Versammlungen, Aktionen und Demonstrationen haben bisher stattgefunden, und der Kampf wird auch innerhalb des Rechtssystems von Anwält*innen fortgesetzt.

Heute werden mit Hilfe des §187a ständig Repressionsmaßnahmen ergriffen, um Militante gezielt zu verhaften, zu verfolgen und zu isolieren. Seit einigen Jahren gibt es eine Liste von „Personen, die mit dem inländischen Terrorismus in Verbindung stehen“. Jede*r kann zu dieser Liste hinzugefügt werden, ohne dass er*sie davon durch einen Gerichtsbeschluss Kenntnis erhält. Worum geht es in dieser Liste eigentlich? Der Verdächtigenpool wird von der griechischen Polizei in Zusammenarbeit mit einer starken Lobby des Justizapparats genutzt, um im weitesten Sinne die antistaatlichen und antikapitalistischen Bewegungen zu erfassen. Aus diesem Pool werden diejenigen, die als politisch gefährlich gelten, ausgewählt, um sie zu überwachen und schließlich strafrechtlich zu verfolgen, wenn der Staat es wünscht.

Das Gesetz 2829/2001: ermöglicht schließlich die kriminalisierung der Gesinnung und setzt den Begriff „Verdächtig“ anstelle von „Beschuldigt“. Es beinhaltet eine Menge unbestimmter rechtlicher und sachlicher Begriffe, deren Definition und Auslegung allein den Strafverfolgungs- und Justizbehörden überlassen bleibt. Das Konzept des*der Verdächtigte*n existiert in unserem Leben jeden Tag.

Die Verdächtigen werden nicht aufgrund von (angeblichen oder tatsächlichen) Taten ausgewählt, sondern hauptsächlich aufgrund ihrer politischen Überzeugungen und ihrer freundschaftlichen oder solidarische Beziehungen. In Griechenland im Jahr 2022 reicht es aus, radikal zu sein (wie im Fall von Polykarpou Georgiadis), ein Freund von Anarchist*innen (wie im Fall von Irianna) oder einem verwundeten Genossen geholfen zu haben (wie im Fall von Vangelis Stathopoulos), um verfolgt und inhaftiert zu werden. Wir können also sehen, in welche Richtung die staatliche Verfolgung durch den §187a geht, nämlich in Richtung einer Kriminalisierung der politischen Identität und der solidarischen Beziehungen. Es wird versucht, die verfolgten Anarchist*innen durch Angst sozial zu isolieren, was als Angriff auf die Werte der revolutionären Anarchie – praktische Solidarität und Genoss*innenschaft – verstanden wird.

Die Justiz, die sich auf ein Gesetz mit vielen Ungenauigkeiten und absichtlichen Unklarheiten stützt, begnügt sich nicht mehr damit, die Schuld des*der Angeklagten für bestimmte Taten zu beweisen. Sie kann (und tut es oft) Militante verurteilen, einfach weil die Richter*innen der Meinung sind, dass die angeklagten Personen an einer terroristischen Vereinigung beteiligt waren oder eine solche gebildet haben. Durch die Umkehrung der juristischen Verfahren des bürgerlichen Rechtssystems, vertreten durch den Staat, wird der Beweis der Schuld durch das Gericht in den Beweis der Unschuld durch die Angeklagten selbst umgewandelt. Das Diktum der bürgerlichen Rechtsideologie „alle sind unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist“ wird umgewandelt in „alle Militanten könnten schuldig sein, gegenwärtig oder zukünftig, bis ihre Unschuld bewiesen ist“. Wie also beweist man Menschen, die einem existenziell feindlich gesinnt sind, dass man sich keiner zukünftigen Verbrechen schuldig machen wird? Aber natürlich durch Reue. Das ist ja der Zweck all dieser vagen juristischen Verfolgungen, die Reue der Verfolgten, die Verleugnung des anarchistischen Standpunktes und der revolutionären Sache, die Umwandlung des rebellischen Menschen in einen gefügigen Untertan. Hier wird unser kämpferischer Wall errichtet, in der unbeirrbaren Verteidigung unserer Positionen und des Vertrauens in die soziale Klassenrevolution.

Handlungen, die bisher als kleinere Vergehen galten, können durch den §187a zu Verbrechen werden, da sie als „terroristische“ Handlungen betrachtet werden können. Nach dem Paragraphen reicht es aus, wenn ein*e Staatsanwält*in und ein Bulle der Meinung sind, dass diese oder jene Handlungen dem Land oder einer internationalen Organisation ernsthaften Schaden zufügen könnten, dass sie darauf abzielten, die Bevölkerung ernsthaft zu verunsichern oder eine öffentliche Behörde, eine internationale Organisation oder die Regierung unter Druck zu setzen. Dies schafft eine riesige vage Grauzone im Strafgesetzbuch, durch die jede Aktion, selbst ein Streik (der z.B. den Tourismus des Landes blockiert), unter bestimmten Umständen als terroristischer Akt betrachtet und nach §187a bestraft werden kann. Dies ist die „Norm“ bei politischen Prozessen in Griechenland: Jede Handlung einer Person, die wegen Terrorismus verfolgt wird, gilt als terroristisch. Alles, was in seinem*ihrem Besitz gefunden wird, gilt als „Material für die Begehung terroristischer Handlungen„, während alles, was er*sie an den Tagen der Anschläge getan hat, als „Vorbereitungshandlung“ für diese angesehen werden kann.

Diese „kreative Zweideutigkeit“ der Gesetzgeber*innen ebnet dem Repressionsapparat den Weg zur massenhaften Verfolgung und Zerschlagung der radikalen Teile sozialer und anarchistischer Bewegungen. In diesen Zusammenhang gehört auch der Fall des Anarchisten Giannis Michailidis, der sich in diesem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, im 34. Tag seines Hungerstreiks befindet. Die Richter*innen, die sich auf die rechtlichen Unklarheiten des „Antiterrorismus“-Gesetzes berufen, lehnen seit sechs Monaten seine Anträge auf Freilassung, da sie der Ansicht sind, dass er „verdächtigt wird, neue Straftaten zu begehen„. Laut diesen Gesetzen reicht das Urteil einiger Richter*innen aus, um einen militanten Gefangenen [selbst nach Absitzen seiner Strafe] weiterhin in seiner Zelle einzusperren! Deshalb sind die Kämpfe des Anarchisten G. Michailidis, die Bewegung der Solidarität mit politischen Gefangenen und Verfolgten und der Kampf gegen den §187a Kämpfe die gewonnen werden müssen. Denn wenn sich die Repressionskampagne im Moment gegen die anarchistische Bewegung richtet, so zeichnet sie das Bild der Unterdrückung der sozialen Klassenkämpfe der Zukunft.

Mit den Gesetzen 2331/2005 und 3691/08, die später den Rahmen der „Anti-Terror“-Paragraphen vervollständigten, wurde ein Netz der totalen sozialen Überwachung, der Aufzeichnung und Kontrolle aller Daten menschlicher Aktivität, geschaffen. Dabei erhalten alle Arten von Finanz-, Versicherungs- usw. Unternehmen eine unkontrollierte institutionelle Rolle für die Speicherung der Daten der Bürger, die natürlich für jeden Zweck nutzbar sind.

Die Personen, die auf der Liste des „inländischen Terrorismus“ stehen, die verfolgt werden, die schon einmal verfolgt wurden oder die in Zukunft „verdächtigt“ sein werden, werden also nicht nur juristisch verfolgt. Der Staat schafft ein System zur Überwachung aller ihrer Aktivitäten, das zuweilen zu einem Mechanismus wird, um Militante ins Visier zu nehmen und „herauszufiltern“. Eine gängige Taktik besteht darin, die Bankkonten der Verfolgten einzufrieren, jeden ihrer Schritte zu bespitzeln und Freund*innen/Genoss*innen/Verwandte durch Überwachung einzuschüchtern. Die Genoss*innen werden so in die Arbeitslosigkeit, tägliche psychische Unsicherheit und soziale Isolation getrieben. Der Staat, der von Anfang an Anarchist*innen alsmarginalbezeichnet, unfähig mit ihrem subversiven Kampf umzugehen, schafft genau die isolierte, radikale Minderheit„, die er zu bekämpfen vorgibt.

Während die politischen Gerichtsprozesse unvermindert weitergehen, verabschiedet die rechtsextreme Regierung der Nea Dimokratia („Neue Demokratie“) unter dem Vorwand der „Eingliederung“ in die europäischen Repressionsrichtlinien ein neues Gesetz mit Auswirkungen auf den Antiterrorparagraphen. Die neuen Änderungen am §187a betreffen die Strafbarkeit der „öffentlichen Provokation zur Begehung einer terroristischen Handlung“. Dieser Absatz wird geändert in „Anstiftung zur Begehung einer terroristischen Handlung

Wir stellen 2 wesentliche Punkte fest.

  • Erstens die Änderung des Wortes „Provokation„, was bedeutet, dass tatsächlich eine Tat stattgefunden hat, in „Anstiftung„, was das nicht notwendigerweise impliziert. Daraus folgt, dass jeder und jede, die sich in irgendeiner Weise äußert, die als Anstiftung zum Terrorismus interpretiert werden kann, strafrechtlich verfolgt werden kann. Es ist nicht mehr erforderlich, dass überhaupt eine Tat ausgeführt wird. Es reicht aus, wenn sich jemand in einer „verdächtigen Weise“ äußert, um wegen Terrorismus verfolgt zu werden.

  • Zweitens: Das Wort „öffentlichwird gestrichen. Der Staat kann nun Menschen inhaftieren, die sich in privaten Gesprächen für Gewalt aussprechen. Wie wird das umgesetzt? Aber natürlich durch die Legalisierung der Entfernung von Material aus dem Internet, selbst aus „privaten“ Chats, und durch die Aufnahme von „Verrätern“ in Gerichtsverfahren und Prozessakten. Eine Strafverfolgung kann nun eingeleitet werden, weil „jemand“ gegenüber den Geheimdiensten ausgesagt hat, dass er*sie in privaten Gesprächen jemanden gehört hat, der gewalttätige Aktionen befürwortet!

Das Ziel der totalen Überwachung der Gesellschaft und insbesondere derjenigen, die sich widersetzen, wird somit erreicht, und es kommt ein neuer Rahmen hinzu: die Legalisierung der Verfolgung von Ansichten, die von der „Norm“ abweichen.

All dies führt die Begriffe der Gesinnungsjustiz und des inneren politischen Feindes in die Grundlagen der Gerichtsverfahren ein. In seiner Anwendung zeigt das Strafgesetz des griechischen Staates sein wahres Wesen und schafft einen umfassenden und mächtigen „antiterroristischen“ Komplex, ein „Panoptikum“ der antirevolutionären Kampagne.

Wenn wir von einem langjährigen Traum der staatlichen und kapitalistischen Machtzirkel in Griechenland sprechen können, dann ist es die breite Verfolgung und Unterdrückung der antiautoritären Bewegung, wobei der §187a zur Verschärfung der Anklagen genutzt wird. In diesem Sinne erheben sie konstruierte Anklagen und zögern nicht, sogar bewaffnete Organisationen zu „erfinden“, um Anarchisten und Anarchistinnen zu verfolgen. Genau das geschieht in unserem Fall, in dem wir zusammen mit 3weiteren Genoss*innen wegen unserer Beteiligung an der angeblichen Organisation „Genossen-Genossinnen“ verfolgt werden. Ein Fall, der, wie weiter unten erklärt wird, darauf abzielt, den repressiven Rahmen der Anti-Terrorparagraphen zu „öffnen“ und die gesamte antiautoritäre Bewegung in Griechenland anzugreifen.

Die breite Anwendung des §187a gegen das anarchistische Spektrum und die Anpassung der Repressionsmittel gehen einher mit einer Verschärfung der Anklagen gegen diejenigen, die strafrechtlich verfolgt werden. Der Staat setzt die nach dem Aufstand von 2008 begonnene Aufstandsbekämpfungskampagne fort und versucht, die Anwendung des Antiterrorgesetzes von einem Instrument gegen bewaffnete Organisationen zu einer Waffe für die Verfolgung von Massenbewegungen zu machen. Nun ist der§187a nicht nur ein juristisches Instrument des Staates, sondern das essenzielle Wesen der politischen Verfolgung. Es ist ihr Anfang, da die anarchistische Ideologie und Organisation in sozialen Bewegungen nun rechtlich als „verdächtig“ gilt, einer terroristischen Organisation anzugehören, aber auch ihr Ende, da die Aktivist*innen schließlich wegen Terrorismus verurteilt werden, wobei ihre anarchistische politische Identität ein Schlüsselelement darstellt. So schafft der §187a einen endlosen Kreislauf, in dem die anarchistische Gesinnung die Verhaftung rechtfertigt und umgekehrt die Verurteilung aufgrund der anarchistischen Gesinnung erfolgt.

Die Repressionskampagne besteht im wesentlichen aus zwei Punkten, die beide notwendig sind, um die radikalen Basiskämpfe anzugreifen: Der operative und der juristische. Der juristische Punkt ist derzeit maßgeblich in der staatlichen Verfolgungskampagne gegen die Bewegungen, wobei die Anti-Terrorgesetze die Hauptwaffe sind. Diesen müssen wir politisch entgegentreten, indem wir sie in den Mittelpunkt unserer Kämpfe stellen.

Der Fall „Genossen-Genossinnen

Seit nunmehr 2,5 Jahren werden ich und zwei weitere Genossen und eine Genossin vom griechischen Staat wegen der Beteiligung an der „terroristischen Organisation“ namens „Genossen-Genossinnen“ verfolgt. Kurzzeitig verhaftet wurde ich zunächst am 03.09.2020 aufgrund eines Videos, das mich angeblich beim Ausspähen und bei einem Angriff auf die „Mitsotakis-Stiftung“ (Gebäude der Familie des Premierministers) zeigt. Dabei erfolgte die Verhaftung nicht auf Basis von irgendwelchen angeblichen „Beweisen“, wie es für die Polizeidirektion bei der Verfolgung von Anarchist*innen üblich ist. Der Anlass, d.h. meine Beteiligung bei der Aktion wurde einfach von der Polizei erfunden. Sie wählten vorher einen für sie günstigen Zeitpunkt aus, sowie einen Angriff und schufen eine angebliche Organisation an deren Beteiligung wir beschuldigt werden sollen.

Ein typisches Beispiel für die wichtigsten „Beweise“ in diesem Fall:

/…/ Das grundlegende Indiz der Akte, das mich angeblich beim Ausspähen des Ortes am 03.01.2020 und bei der Teilnahme an dem Angriff auf die Mitsotakis-Stiftung am 06.01.2020 zeigt und zu meiner Verhaftung führt, wird NIE in den Labors der griechischen Polizei selbst analysiert. Stattdessen erfolgte eine Überprüfung des Videos und meine visuelle Identifizierung durch zwei Zivis, die mich fälschlicherweise identifizierten, ohne anzugeben, wie sie mich erkennen oder woher sie mich angeblich kennen, obwohl allein der enorme Größenunterschied für das bloße Auge offensichtlich ist. Auf Druck meiner Rechtsverteidigung berichtet schließlich die kriminaltechnische Abteilung der Polizei nach einem Jahr, dass das Videomaterial von mittelmäßiger Qualität ist und keine weiteren Schlussfolgerungen und keine Gesichtserkennung zulässt. Ein unabhängiger technischer Experte stellt nach einer vergleichenden Studie fest, dass meine Identifizierung im Video aufgrund der großen Unterschiede persönlicher Merkmale und der Größe ausgeschlossen ist! /…/

Neben der der Veröffentlichung dieser Taktik lohnt es sich, diesen Schritt auf kollektiver Ebene zu analysieren um zu sehen, was er uns signalisiert. Er zeigt, dass die Strafverfolgungsbehörden heute in der Lage sind, nicht nur Anschuldigungen zu erfinden um Militante anzuklagen, sie strafrechtlich zu verfolgen und zu inhaftieren, sondern auch, um sie gesellschaftspolitisch zu vernichten. Es signalisiert ihre Fähigkeit, Dachorganisationen zu erfinden unter die dann die sozialen Bewegungen fallen. In der Folge werden Militante ausgewählt, die sie soziopolitisch auslöschen, vertreiben oder inhaftieren wollen.

Im November 2021 schlägt sogar ein Staatsanwalt vor, dass wir von allen Anklagen entlastet und alle Beschränkungen aufgehoben werden sollen. Der Antrag des Staatsanwalts, der ausführlich für unseren Freispruch plädiert, wird in nächster Instanz gekippt. Der Prozess lässt wichtige Zeug*innen in dem Verfahren unberücksichtigt und versucht weiterhin, die von der Bewegung in großem Umfang verwendete Unterschrift in eine terroristische Organisationen umzuwandeln. Bezogen wird sich auf Angriffe, deren Tatbekenntnisse mit der Selbstbezeichnung „Anarchisten/Anarchistinnen“ und „Genossen-Genossinnen“ unterzeichnet wurden. Daraus wird der Schluss gezogen, dass die Unterschrift „Genossen/Genossinnen“ eine breite Organisation darstellt, die das radikale politische Spektrum umfasst und spezifische Untergruppen wie „Anarchisten/Anarchistinnen“ beinhaltet, die Angriffe auf die Riot Cops (MAT) durchführen würden. Es bedarf nur des Urteils von drei Personen (Richtern) ohne konkrete Beweise, um aus der Selbstbezeichnung der Militanten eine terroristische Organisation zu machen. Dieses ganze dystopische Theater der repressiven Absurdität dient nur dazu, unsere Verfolgung zu rechtfertigen, die Struktur und den Modus Operandi der angeblichen Organisation rechtlich zu analysieren und zu ermitteln und natürlich den Boden für eine künftige Kampagne der Massenverfolgung von Aktivist*innen und Militanten zu bereiten.

So kommt es, dass während des Verfahrens Dutzende von Genoss*innen als „Zeug*innen“ vorgeladen und vernommen werden. Dies ist eine übliche Taktik der griechischen Strafverfolgungsbehörden, um angebliche Zeug*innen zu Angeklagten zu machen. Die „Verdächtigen“ werden zu „Zeug*innen“ gemacht, die von Polizei, Staatsanwaltschaft und Vernehmungsbeamt*innen vernommen werden, und je nach deren Urteil werden sie zu Angeklagten gemacht. In diesem Fall wurden Genoss*innen nur aufgrund ihrer Freundschaft mit einem der Angeklagten oder ihrer politischen Identität als „Zeug*innen“ vorgeladen und zu ihrem Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Anschläge befragt. Natürlich scheiterte diese erste Phase des Versuchs, Dutzende von Genoss*innen als Angeklagte in die Prozessakte aufzunehmen, kläglich.

Nach meiner Entlassung im März 2020 erhielt ich neun strenge vom Gericht verordnete Verfügungen, die einzig und allein dem Zweck dienen, eine besondere „Strafe“ außerhalb des Gefängnisses zu verhängen. Ich wurde aus meiner Wohnung vertrieben und musste Athen verlassen, wo ich jahrelang gelebt, studiert und gearbeitet hatte. Die Verfügungen in ihrer Reihenfolge:

  1. Verbot der Kommunikation/Kontaktaufnahme mit den 3 mitangeklagten Genoss*innen und Freund*innen.

  2. Verbot, das Land zu verlassen

  3. Verbot der Teilnahme an jeglicher Versammlung/Protest

  4. Verbot, Athen zu betreten

  5. Niederlassung und ständiger Aufenthalt in der Stadt in der ich geboren wurde

  6. Verbot, die Stadt, in der ich geboren wurde, zu verlassen

  7. Verbot der Benutzung jeglicher Art von 2-rädrigen Krafträdern (weder als Fahrer noch als Beifahrer)

  8. Drei Meldungen pro Monat auf der Polizeiwache

  9. Die Sperrung meiner Bankkonten und das Verbot, neue Konten einzurichten

Auf diese Weise wird durch die Kombination von restriktiven Bedingungen und dem Einfrieren des für die Arbeit notwendigen Bankkontos ein Gefängnis außerhalb des Gefängnisses geschaffen, in dem niemand leben kann, da das Leben im Wesentlichen aus Entscheidungen besteht. Keine Entscheidungen treffen zu können heißt, keine Zukunft planen zu können. Schule, Arbeit, Freundschaften und Freundeskreise werden gewaltsam unterbrochen und nach den Definitionen des Staates neu geordnet. Ich bin seit März 2020 in diesem Regime der informellen Geiselnahme gefangen.

Wenn wir dieses Vorgehen des Staates in seiner Gesamtheit betrachten, sehen ein neues Experiment der Unterdrückung, das zum Scheitern gezwungen werden muss. Denn die Leichtigkeit, mit der Untersuchungsrichter*innen restriktive Bedingungen auferlegen können, schafft die Voraussetzung dafür, dass informelle Geiselnahmen außerhalb der Mauern in großem Umfang gegen diejenigen eingesetzt werden können, die sich gegen alle Formen der Unterdrückung zur Wehr setzen.

„Anti“-Terror-Gesetze haben in jedem kapitalistischen Land nur den Zweck, Angst zu schüren und Bewegungen zu unterdrücken. Ihre informelle rechtliche Vereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union kommt auch in der Praxis durch die Zusammenarbeit der Polizeikräfte aller Länder bei der Bekämpfung des „Radikalismus“ zum Ausdruck. Der Kampf gegen die Antiterrorgesetze muss umfassend sein, um eine internationalistische Bewegung gegen die Repression zu entwickeln, um die Angst zu besiegen und den revolutionären Kampf zu verankern.

G.I. / Verfolgter Anarchist im Verfahren „Genossen-Genossinnen“

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