Transportmanagement der Bundesverwaltung — wo der Verfassungsschutz Büros anmietet
Das Bundesamt für Verfassungsschutz betreibt in Deutschland Tarnbehörden, um seine Büros und Tätigkeiten möglichst schwer nachvollziehbar zu machen. Im Januar habe ich eine davon zufällig gefunden: den Bundesservice Telekommunikation. Daraufhin bekam ich in den vergangenen Wochen viele weitere Hinweise auf mögliche Tarnbehörden. Die habe ich angefangen zu überprüfen — und nun eine weitere Tarnbehörde mit mehreren Standorten gefunden. Hier erkläre ich, wie das diesmal funktioniert hat und warum das ein Problem ist.
Trügerischer Schein
Der “Bundesservice Telekommunikation” ist weder ein Bundesservice noch hat er was mit Telekommunikation zu tun. Der Name ist willkürlich gewählt und hätte auch ganz anders heißen können. Hauptsache unauffällig. Denn der “Bundesservice Telekommunikation” ist eigentlich gar keine echte Behörde, sondern eine Scheinbehörde.
Der Verfassungsschutz in Berlin Treptow hat hier Angestellte als Mitarbeitende ausgegeben, um zu verschleiern, wo sie wirklich arbeiten. Im Januar habe ich dieses System zufällig enttarnt — und darüber zwei Texte geschrieben:
- Bundesservice Telekommunikation — wie ich versehentlich eine Tarnbehörde in der Bundesverwaltung fand
- Bundesservice Telekommunikation — enttarnt: Dieser Geheimdienst steckt dahinter
Offiziell bestätigt
Mittlerweile hat das Bundesamt für Verfassungsschutz meine Recherche indirekt bestätigt. Denn auf Grundlage meiner Texte hat die Linke Bundestagsabgeordnete Martina Renner Ende Januar eine Kleine Anfrage an das BMI zum Bundesservice Telekommunikation gestellt.
Der Großteil der Antwort wurde leider als Verschlusssache eingestuft. Trotzdem enthält der öffentliche Teil der Antwort die offizielle Bestätigung, dass der Bundesservice Telekommunikation, eine Tarnbehörde des Bundesamtes für Verfassungsschutz war.
Das wurde in der Vergangenheit erst dementiert und dann jede Aussage zum Thema verweigert.
Access denied — Keine demokratische Kontrolle möglich
Das Problem an diesen Tarnbehörden ist, das für uns als Bürger*innen erstmal völlig unklar bleibt, ob eine Behörde eine “echte” oder eine “getarnte” Behörde ist. Denn gegenüber Behörden hat man als Bürger*in grundsätzlich erstmal einige Rechte. So sind Behörden zum Beispiel verpflichtet, Dokumente nach dem Informationsfreiheitsgesetz herauszugeben. Das ist wichtig, damit die Zivilgesellschaft den Staat und seine Arbeit kontrollieren kann. Wenn es nun Behörden gibt, die allerdings nicht erreichbar sind und nicht auf Fragen antworten, dann ist das problematisch. Weil nicht klar ist, ob die Behörde da gerade gegen ihre Pflichten verstößt oder nicht dazu verpflichtet ist zu antworten, weil sie eine Tarnbehörde einer Sicherheitsbehörde ist.
Es ist schlecht, dass die Zivilgesellschaft Sicherheitsbehörden nur marginal demokratisch kontrollieren kann. Durch eine Tarnung wird das allerdings defacto unmöglich. Und es wird dadurch natürlich umso schwerer, sicherzugehen, das man auch wirklich alle demokratisch kontrollierbaren Behörden im Blick hat.
Noch problematischer wird es, wenn Tarnbehörden echte Behörden als Tarnmantel benutzen (wie das BfV es mit dem “BMI in Köln” tut). Denn damit verliert die Gesellschaft vertrauen in Vertreter dieser Behörde. Wie sollen sie auch sicher sein, dass eine Person wirklich beim BMI arbeitet, wenn sich auch Geheimdienste regelmäßig als Vertreter*innen der Behörde ausgeben.
Stich ins Wespennest
Nachdem ich die Artikel zum Bundesservice Telekommunikation veröffentlicht hatte, bekam ich viele Hinweise zu weiteren Organisation und Gebäuden, die angeblich auch vom Verfassungsschutz oder einem anderen Geheimdienst zur Tarnung ihrer Mitarbeiter*innen und Operationen verwendet werden.
So viele Hinweise, dass die Auswertung ziemlich anstrengend wurde. Deshalb habe ich nach Möglichkeiten gesucht, diese Hinweise schneller zu prüfen. Wenn es um mögliche Tarnunternehmen geht, dann kann man sie oft ganz gut über den Bundesanzeiger oder das Unternehmensregister näher in den Blick nehmen.
Wenn eine Firma mit Büro dort nicht eingetragen ist oder keine Umsätze vorzuweisen hat, dann ist das verdächtig. Wenn dann bei einer Google-Suche nichts über sie zu finden ist, dann ist das sehr verdächtig.
Sagt mir, wo eure Häuser stehen
Für Bundesbehörden gibt es ein solches Verzeichnis an echten Behörden leider nicht. Nur der Dienst service.bund.de listet sehr viele Bundesbehörden und einige ihrer Standorte auf. Da wir über diese Liste ja bereits den Bundesservice Telekommunikation entdeckt hatten und diese Liste nach mir noch einige weitere Menschen analysiert haben, halte ich es für unwahrscheinlich, dass wir darüber noch mehr Tarnbehörden finden.
Aber es gibt in der Bundesverwaltung ja noch mehr Verzeichnisse von Behörden und deren Standorten. So werden zum Beispiel alle Immobilien der Bundesverwaltung seit 2013 zentral bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben organisiert. Dort sollte es also eine Liste geben mit allen Standorten, wo Bundesbehörden Büros haben bzw. wo der Bund Immobilien besitzt oder verwaltet.
Also fragte ich mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes die Liste aller Immobilien an, die die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verwaltet. Und überraschenderweise erhielt ich tatsächlich etwa einen Monat später eine Liste mit über 200.000 Gebäuden, Grundstücken und Co. im Besitz des Bundes. Mit Vermerken dazu, falls diese von einer Bundesbehörde genutzt werden.
Alle Gebäude? Nein!
Aus meinem Bescheid ging außerdem hervor, dass alle Objekte aus der mir übersandten Liste gelöscht wurden, die geheim sind und von Sicherheitsbehörden genutzt werden. Das war so zu erwarten, da solche Informationen, die Sicherheitsbehörden betreffen, nicht im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetz herausgegeben werden müssen.
Ich konnte jetzt aber meine Liste an potentiellen Tarnbehörden, die ich auf Basis von Hinweisen erstellt hatte, mit der Liste der “Bundesanstalt für Immobilienaufgaben” (BIMA) abgleichen. Und wenn eine Behörde nicht auf der Liste der BIMA steht, dann ist vermutlich etwas komisch.
Und siehe da: ein Treffer. Das “Transportmanagement der Bundesverwaltung” gibt es laut einem Hinweis in der Wilhelm-Kabus-Straße 9, 10829 Berlin. Diese Adresse steht aber nicht in der Liste der “Bundesanstalt für Immobilienaufgaben”. Und es dazu auch keine Suchergebnisse bei Google gibt. Also eigentlich alles wie bereits beim Bundesservice Telekommunikation.
Internetanschlüsse suchen
Auch diesmal habe ich — wie schon beim Bundesservice Telekommunikation — eine kurze Recherche in der RIPE-Datenbank durchgeführt. Dabei bin ich auf einen Internetanschluss des “Transportmanagements der Bundesverwaltung” gestoßen.
Zur Erinnerung: Die RIPE-Datenbank ist so etwas wie das Grundbuch aller europäischen IP-Adressen. Nur das Unternehmen da in der Regel anstatt einer einzelnen Adresse ganze Nummernblöcke besitzen. Und jeder dieser Nummernblöcke hat dort eine eingetragene Ansprechpartnerin. Und nach diesen Ansprechpartnerinnen können Interessierte suchen. Grundsätzlich kann jeder, der IP-Adressen besitzt, quasi alles, was er möchte, in die Datenbank der RIPE eintragen. Allerdings wirken die gefundenen Einträge valide und in sich schlüssig.
Es ist also sehr wahrscheinlich, das diese Institution dort tatsächlich ansässig ist. Und wie immer, wenn ich eine Telefonnummer finde, habe ich auch in diesem Fall versucht, dort anzurufen. Den Herrn Hochmuth, der dort als Ansprechpartner eingetragen ist, konnte ich aber leider nicht erreichen. Die Handynummer schien tot zu sein.
Herr Hochmuth verfügt zwar über keine E-Mail-Adresse beim Bundesamt für Verfassungsschutz (Uwe.Hochmuth@bfv.bund.de) sondern nur über eine beim Bundesverwaltungsamt (Uwe.Hochmuth@bva.bund.de). Das ist nicht sehr unerwartet, da das Bundesverwaltungsamt (BVA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht nur in der selben Stadt ihren Hauptsitz haben, sondern auch in vielen Dingen zusammenarbeiten. So erledigt das BVA z.B. die Lohnabrechnung für das “BMI Köln” bzw. das BfV 😉.
Oft werden sogar ehemalige Mitarbeiter*innen vom BfV zum BVA versetzt. Eine Recherche im Intranet des Bundes ergab, das Herr Hochmuth zwar nicht beim BVA arbeitet, dort aber über ein Funktionspostfach verfügt. Ein Funktionspostfach ist kein E-Mail-Postfach einer einzelnen Person, sondern ist entweder für einen Personenkreis zugänglich oder eine Weiterleitung an ein anderes Postfach. Es könnte sich also um ein Fake-Postfach für das Bundesamt für Verfassungsschutz handeln.
Natürlich habe ich noch Menschen gefragt, die in der Bundesverwaltung arbeiten, ob sie jemals von einem “Transportmanagement der Bundesverwaltung” gehört haben. Das haben alle verneint und auch eine Recherche im Intranet des Bundes ergab keine Treffer.
Unter einer der dem “Transportmanagement der Bundesverwaltung” zugewiesenen IP-Adressen befand sich außerdem eine Arlarmanlage öffentlich zugänglich im Internet. Ein weiterer Indikator, das es dort tatsächlich Büros gibt.
Endlich wieder rausgehen
Im Internet waren keine weiteren Infos auffindbar zu der Adresse. Also war es an der Zeit, rauszugehen und sich das Bürogebäude anzusehen.
Auch vor Ort habe ich ein Déjà-vu zum Bundesservice Telekommunikation erlebt: Ich habe ein wirklich hässliches Bürogebäude gefunden. Mit einer Etage, auf der alle Vorhänge zugezogen sind. Es war also sofort klar, wo der Geheimdienst sitzt ;-).
Auf der Klingel steht tatsächlich “Transportmanagement der Bundesverwaltung” und im Hausflur kann man ein Aufzugschild mit Bundesadler erspähen.
Um wirklich sicherzugehen, dass ich nicht etwas völlig Banales übersehen hatte, habe ich gewartet, bis Menschen aus dem Gebäude gekommen sind. Ich habe sie gefragt, ob sie irgendetwas über das “Transportmanagement der Bundesverwaltung” wissen. Sie haben mir gesagt, dass sie noch nie jemanden von denen getroffen hätten und das alles auch sehr komisch fänden. Außerdem haben sie mir versichert, dass sie weder für das “Transportmanagement der Bundesverwaltung” noch für eine andere Behörde arbeiten.
Immerhin konnte ich so in Erfahrung bringen, dass das Transportmanagement die gesamte 2. Etage gemietet habe. Das entspricht knapp 1000 qm Bürofläche.
Nachdem ich nochmal kurz versuchte, in die Tiefgarage zu kommen und das Gebäude noch etwas beobachtete, wusste ich dann auch nichtmehr weiter. Und tat das, was ich immer tue, wenn ich nichtmehr weiter weiß: Ich twittere:
Noch ein Büro
Wie die letzten Male haben mich auch diesmal die OSINT-Fähigkeiten der Menschen auf Twitter nicht enttäuscht. Schon wenige Minuten später hat jemand einen weiteren Hinweis auf einen anderen Standort des “Transportmangements der Bundesverwaltung” gefunden, diesmal ein Business-Center in der Nähe des Flughafens Berlin Brandenburg. Es tauchte auf in einem Imagefilm einer anderen Firma, die sich in den Gebäude Büros gemietet hat.
Außerdem befindet sich offenbar nicht nur in der Eingangshalle ein Logo, sondern auch an der Außentür. Dort stand zumindest laut Google StreetView im Jahr 2020 ein Schild der Tarnbehörde.
Auf ins Business-Center
Also war es für mich schon wieder an der Zeit rauszugehen und die Situation vor Ort zu begutachten. Das Business-Center Falkenbergpark liegt für mich so ziemlich am Ende der Welt, kurz vor dem Flughafen Berlin-Brandenburg. Ein Ort, den man sich für ein Büro, das wirklich niemand finden sollte, gar nicht besser hätte aussuchen können.
In der Paradiesstraße 209a/b war dann alles relativ eindeutig. Eine ganze Etage, etwa 2000 qm, scheint das “Transportmanagement der Bundesverwaltung” dort angemietet zu haben.
Die Parkplätze mit der Markierung “Transportmanagement der Bundesverwaltung” vor dem Bürogebäude waren leider alle leer. Als ich mehrere Umzugslaster gesehen habe, die gerade beladen wurden, dachte ich schon, ich sei zu spät gekommen und die sind schon fast ausgezogen.
Ich wagte dann doch noch einen Blick in die Tiefgarage und fand im hintersten Eck eine ganze Reihe Autos, die auf Parkplätzen “Reserviert für das Transportmanagement der Bundesverwaltung” standen.
Und da habe die typischen Geheimdienst-Kombis gefunden: alle sauber und ohne jegliche persönliche Gegenstände im Innenraum. Solche Autos kennen wir schon vom Bundesservice Telekommunikation oder dem Zollauktionsportal, wo Gebrauchtwagen vom BfV verkauft werden. Wahrscheinlich werden diese hier dort auch bald angeboten.
Die Autobahn ist auch da?
Seit Kurzem ist am Falkenbergpark laut dem Schild an der Einfahrt nicht nur das “Transportmanagement des Bundes” sondern auch die Autobahn GmbH des Bundes ansässig. Auch eine auf sie seit Ende 2020 registrierte IP-Range findet man bei der RIPE. Kurioserweise gibt es momentan zumindest im Internet keine weiteren Informationen zu diesem Standort der Autobahn GmbH. Ich habe daher eine Presseanfrage an die Autobahn GmbH gestellt — nur, um sicherzugehen, dass das nicht auch noch ein Tarnbüro ist .
Die Autobahn GmbH antwortete darauf, dass die für den Bereich Berlin zuständige Niederlassung Nordost der Autobahn GmbH keinen Standort am Falkenbergpark betreibe. Daraufhin versuchte ich — wie üblich — die Ansprechpartnerin bei der RIPE anzurufen. Ich erreichte aber wieder einmal niemanden unter der Nummer und schrieb daher eine E-Mail. Darauf erhielt ich die Antwort, das man sofort weiter recherchieren werde und wollte sich vor etwa einer Woche wieder bei mir melden. Das geschah trotz mehrfacher Rückfrage nicht.
Bei meinem letzten Besuch vor Ort traf ich einen Mitarbeiter in Autobahn GmbH Kleidung an, der mir bestätigte das er bei der Autobahn GmbH arbeitet. Diese Außenstelle allerdings nicht zu Berlin gehöre.
Das ist deswegen verwunderlich, weil die Autobahn GmbH etwa 15 Minuten von diesem Bürocenter entfernt einen deutlich größeren Standort hat. Aber bei einem solch ineffizienten Unternehmen des Bundes auch nicht unerwartet. Deswegen nehme ich momentan an, dass es sich dabei tatsächlich um eine echte Aussenstelle handelt.
Ihre freundliche Zeitschriftenlieferung
Bei meinen vergangenen Recherchen habe ich Zeitschriften verschickt, um herauszufinden, wo Briefe landen, die ich an verdächtige Adressen schicke. Darin habe ich sogenannten Airtags reingebastelt. Das sind kleine Peilsender, die mir regelmäßig ihren Standort mitteilen. So kann ich zum Beispiel feststellen, ob Post umgeleitet wird oder wo Post an Postfächer letztendlich abgeliefert wird.
Auch dieses Mal habe ich zwei Airtags an die Adressen des “Transportmanagement der Bundesverwaltung“ geschickt. Leider besitze ich keine interessanten Magazine zum Thema Transport, deshalb nahm ich zwei alte Hefte der Roten Hilfe. Daraus kann man immer etwas lernen.
Kleine Airtags auf großer Reise
Nachdem die beiden Airtags eine Nacht im Briefzentrum 10 Berlin (der nach Wilhelm-Kabus-Straße) bzw, Deutsche Post Logistikzentrum Berlin-Südost (der nach Paradiesstraße) verbrachten, wurde sie am nächsten morgen ausgeliefert. Relativ schnell fand der Airtag, der in die Paradiesstraße gehen sollte, auch tatsächlich seinen Weg dorthin.
Der andere Airtag, der in die Wilhelm-Kabus-Straße geliefert werden sollte, landete allerdings nicht dort, sondern in einem weiteren Business Center am Sachsendamm 3. Das war schon erwartbar gewesen, da es in der Wilhelm-Kabus-Straße keinen Briefkasten des “Transportmanagement der Bundesverwaltung” am Gebäude gab.
Nun war es an der Zeit ein weiteres mal einem Business Center im Süden Berlins einen Besuch abzustatten. Und meinen Airtag zu suchen. Dort angekommen war relativ schnell ersichtlich, dass dort ein im Internet nicht dokumentiertes Verteilzentrum der Deutschen Post ansässig war. Und direkt am Fenster baute mein Telefon sogar eine Verbindung zum Airtag auf. Er konnte also entweder nicht zugestellt werden — oder er wurde nicht angenommen.
Einige Tage später landete er beim Service Center Briefermittlung der Deutschen Post in Marburg. Die dort jetzt nach einem neuen Empfänger für den Brief suchen.
Der Airtag in der Paradiesstraße lag dort mehrere Tage im Briefkasten und wanderte dann in den Papiercontainer um die Ecke. Von dort konnte er wohlbehalten geborgen werden.
Letzter Versuch…
Jedes Mal, wenn ich vor Ort war, war niemand in den Büros des Transportmanagement der Bundesverwaltung anwesend oder es wollte mir niemand die Tür öffnen. Deshalb hinterließ ich ihnen als letzten verzweifelten Versuch noch einen Zettel an der Tür, auf den sich allerdings auch niemand bei mir meldete.
Ich schickte natürlich zur Sicherheit auch Presseanfragen an das Bundesamt für Verfassungsschutz und das BMI. Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilte hierzu mit:
„Das BfV nimmt zu Spekulationen über nachrichtendienstliche Bezüge grundsätzlich nicht öffentlich Stellung. Damit ist keine Aussage getroffen, ob der Sachverhalt zutreffend ist oder nicht.“
Vom Innenministerium gab es keinerlei Rückmeldung.
Fassen wir zusammen
Wir haben also zwei Büros mit insgesamt etwa 3000 m2 Fläche gefunden, deren Türschilder auf eine Behörde verweisen, die niemand kennt und zu der man im Internet nichts finden kann. Sie verfügen über einen Behörden-Internetanschluss bei der Telekom, der auf eine Person mit einer T-Online-E-Mail-Adresse registriert ist. Und unter dessen Handynummer man nie jemanden erreichen kann. Der Mensch scheint aber beim BfV-nahen Bundesverwaltungsamt ein Funktionspostfach zu haben. In der Tiefgarage des einen Büros befinden sich Automodelle, die wir so ähnlich bereits von anderen Enttarnungen kennen.
Alles deutet darauf hin, dass es sich beim “Transportmanagement der Bundesverwaltung” wieder um Büros des Bundesamtes für Verfassungsschutz handelt. Wie ich aus Gesprächen mit Mitarbeiter*innen des BfVs erfahren habe, gibt es von diesen Büros einige. Die meisten sind als Unternehmen getarnt. Einige aber auch als Behörde. Weil es für viele Dinge praktischer ist, eine Behörde zu sein — und kein Unternehmen.
Diese Büros werden als Stützpunkte zur Informationsbeschaffung verwendet. Von dort aus fahren also Leute zur Beschattung raus oder Menschen beschaffen Information über das Internet.
Eine Frage des Vertrauens
Besonders kritisch ist in dem Fall der Aspekt, dass sich hier das BfV nicht nur für eine Phantasie Behörde ausgibt, sondern die Hoheitszeichen, Logos und scheinbar sogar die Fahrzeuge von ähnlich tatsächlich existierender Behörden benutzt. Das bedeutet, dass es für mich als Bürger*in völlig unklar ist, ob es sich bei Mitarbeiter*innen der Behörde tatsächlich um deren Mitarbeiter*innen handelt oder um Agenten eines Geheimdienst.
Diese Unsicherheit vermindert natürlich das Vertrauen in die Verwaltung. Auch das sich in der Tiefgarage Fahrzeuge mit einem “B — KA”-Kennzeichen auf einem Volvo V60, der so z.B. auch bei der Bundespolizei eingesetzt wird, befindet, finde ich beunruhigend, da ich es zumindest für ein Indiz halte, dass sich das BfV auch gerne für das Bundeskriminalamt oder andere Polizeibehörden ausgibt.
Außerdem habe ich die Bestätigung erhalten, dass sich der “Bundesservice Telekommunikation” tatsächlich um GSM-Abhöreinrichtungen des Bundesamts für Verfassungsschutz kümmerte. Und sich ursprünglich auch um die Überwachungsinfrastruktur anderer Sicherheitsbehörden kümmern sollte. Hier warte ich aber noch auf die Antwort einer IFG-Anfrage, in der sich hoffentlich Details dazu finden lassen.
Warum das alles?
Immer wenn so ein Standort aufgedeckt wird, gelten die Leute, die dort arbeiteten, als “verbrannt” und werden intern zum Aktenschubsen versetzt. Häufiger sogar außerhalb des BfVs 😉.
Es ist also wirklich doof für das BfV, wenn ein solcher Standort aufgedeckt wird, da sie dann nicht nur das Büro zur Tarnung sondern auch die Menschen, die für sie ermitteln, verlieren. Auf einer Fläche von 3000m2 könnten das selbst bei komfortablen 20m2 pro Person immer noch 150 Menschen sein. Das entspricht knapp 4% der Belegschaft des BfV. Die jetzt keinen Büroarbeitsplatz mehr haben und teilweise als enttarnt anzusehen sind.
Das ist auch der Grund, warum es angeblich nicht einmal beim BfV selbst eine Liste über die Standorte dieser Büros gibt. Weil sonst wäre ja die komplette Tarnung aller Büros relativ einfach aufdeckbar, falls jemand diese Liste verliert. Das macht es einerseits eine besonders spaßige und andererseits eine sehr effektive Form des zivilgesellschaftlichen Protestes. Weil man mit relativ wenig Aufwand die Arbeit der “Verfassungsschützer” massiv behindern kann.
In Anbetracht dessen, dass das BfV in den letzten 20 Jahren von 2000 auf 4000 Mitarbeiter*innen angewachsen ist und sie offiziell seitdem in keine neuen Immobilien gezogen sind, sollte es also auch eine ganze Menge dieser getarnten Büros geben. Mit der Liste aller Büroflächen der Bundesverwaltung sollten wir nun ein Tool besitzen, mit dem sich eine Menge weiterer Tarnbehörden finden lassen.
Es wirkt außerdem so, als ob sie immer wieder dieselben Methoden zur Tarnung ihrer Büros verwenden. Das heißt, ihr solltet dank deren Inkompetenz jetzt mit den präsentierten Methoden in der Lage sein, weitere Tarnbehörden und Unternehmen aufzudecken.
Dem Bundesamt für Verfassungsschutz viel Arbeit zu machen ist wichtig. Wenn wir ihm Arbeit machen, dann kann es sich nicht mit anderen Menschen beschäftigen — denn das war in der Vergangenheit keine gute Idee (siehe z.B. NSU, Lübcke, Hanau).
Aber selbst wenn sie etwas Sinnvolles machen würden, bekommen wir als Zivilgesellschaft davon nichts mit. Denn das Einzige, was diese 4000 Mitarbeiter*innen im Jahr neben der Skandale, die öffentlich werden, für uns als sichtbaren Ergebnissen präsentieren, ist ein 400 Seiten starker Bericht. Der in der Regel immer aus denselben Plattitüden und einer halbwegs willkürlichen Liste an beobachteten Organisationen besteht. Es gibt also keine demokratische Kontrolle über diese 4000 Menschen. Sie sind aber gleichzeitig mit allen möglichen Privilegien ausgestattet. Wie z.B. das Abhören und Observieren von Menschen, ohne jeden Richtervorbehalt.
Dabei hat man oft nicht einmal als betroffene Person das Recht, von diesen Maßnahmen zu erfahren. Es werden in Deutschland also Organisationen vom Staat verfolgt und sie haben — außer ein paar Zeilen in einem jährlichen Bericht — kein Recht darauf zu erfahren, was denn über sie erfasst wird. Oder warum. Gleichzeitig führt eine offizielle Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu erheblichen Nachteilen für die Organisationen. Sie können diese in der Regel keine Förderungen der öffentlichen Hand mehr erhalten oder ihnen wird die Gemeinnützigkeit aberkannt.
Das Aufdecken von Tarnbehörden ermöglicht uns als Zivilgesellschaft also einerseits einen kleinen Einblick in die Arbeitsweisen des Verfassungsschutzes. Es ermöglicht aber auch unter Umständen Betroffenen, eine Überwachung besser festzustellen. Und es ermöglicht Firmen, die bisher nicht wussten, das ihre Waren und Dienstleistungen vom Verfassungsschutz genutzt werden, die Lieferungen an diesen einzustellen. Wir können den Verfassungsschutz so vielleicht nicht abschaffen, aber wir können ihm das Leben wirklich schwer machen.
Danke an alle Menschen die bei dieser Recherche unterstützt haben.
Offenlegung: Die Autorin ist Mitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Vereinen Rote Hilfe und VVN-BDA.