Nordkiez: ein Viertel unter Belagerung

Seit dem 11. Februar 2021, dem Tag, an dem zwei undurchsichtige, nicht öffentliche Gerichte zu der Entscheidung gelangt sind, einer jahrelang vergeblich bemühten Firma das Recht auszusprechen, die Rigaer94 ihr Eigentum zu nennen, herrscht im Nordkiez wieder Ausnahmezustand. Was wir 2015 das erste Mal hier erleben durften, wiederholt sich gerade wieder. Wieder ist es der Beginn des Wahljahres, da ein Machtblock des Polizeistaates sich gesammelt hat, um die Rigaer Straße dauerhaft zu besetzen.

Einige Monate vorher wurde davon geredet, dass dem Rot-Rot-Grünen Senat die Zeit auslaufen würde, um hier unkomplizierte propagandistische Aktionen für die rechte Klientel inszenieren zu können. Anfang 2020 sollte der Einsatz der eigens für die Gefahrengebiete geschaffenen Einheit „BPE“ darauf hinauslaufen, dass gezielter Terror gegen die Kerne der rebellierenden Zonen die so in die Ecke gedrängte Zielgruppe zu einem Kleinkrieg treiben würde. Das wurde nicht erreicht und so befindet sich jetzt insbesondere der Innensenator Geisel in der Not, die wabernde Masse zwischen CDU und SPD für sich zu überzeugen. Hat er den Mumm wie Henkel, sich Hals über Kopf in einen Konflikt mit unsicherem Ausgang zu stürzen?

Das hat er längst getan. Schlecht sah es zunächst aus am 11. Februar, als es so schien, als ob sich tatsächlich ein Machtblock formiert hätte. Florian Schmidt, der selbsternannte Fidel Castro von Friedrichshain und Kreuzberg, hatte dem gerichtlich delegitimierten Torsten Luschnat die Anweisung erteilt, sich um den Brandschutz in der Rigaer94 zu kümmern. Dieser hatte den Ball angenommen und über die gerichtliche Bande dem Innensenator zugespielt, der sich nach dem Urteil freudig in die Torschussposition dribbelte. Die Rigaer94 verwies auf vergangene ähnliche Situationen, in denen die Feinde der autonomen und selbstverwalteten Orte sich zu früh freuten und mutmaßte, dass die Zeit zeigen würde, „wie wacklig die von Innensenat, Gerichten und nicht zuletzt in jahrelanger Arbeit der Staatschutzabteilungen geschaffenen Konstrukte“ seien.

Für die Menschen rund um den Dorfplatz ist Geisels Abschlussversuch eine bekannte Sache. Bullen stehen an den bekannten Orten, pendeln im Minutentakt zwischen Bersarinplatz und dem bereits fertiggestellten CG-Bau und schikanieren, kontrollieren, leuchten. Am gestrigen Sonntag hatten sie neben ihrem menschenverachtenden Werk aber noch einiges mehr zu tun. Wie von Hengameh Yaghoobifarah vor einiger Zeit in der taz gefordert, hatte die Rigaer ihnen einen Job zwischen ihresgleichen besorgt: „Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ Das war ihnen leider nicht anzusehen, als sie mehrere Haufen Sperrmüll und Unrat auf ihre eigenen Transporter verladen mussten. Ihre Vorgesetzten, die in den letzten Tagen auffällig viel im Kiez unterwegs sind, hatten kein Mitleid, denn als brennende Barrikaden bei dem anstehenden Einsatz wollten sie die Möbel nicht sehen.

Die Presse berichtet zeitweise im Stundentakt von den neuen Entwicklungen und zitiert dabei auch gerne aus Aufrufen, Solierklärungen und -aktionen, die immer zahlreicher auf Seiten der unabhängigen Medien erscheinen. Die Spannung, so kann man sagen, steigt merklich. Gleichzeitig bröckelt der polizeistaatliche Machtblock schon wieder merklich auf den ersten Metern. Florian Schmidt als einer der Hauptverantwortlichen rudert zurück und seines Kompagnion Geisels Kopf ist wohl schon des öfteren in den letzten Tagen rot angelaufen. Mit diesem internen Konflikt ist das Brandschutzargument, das angeführt wurde, längst als Finte entlarvt. Dieses dient klar ersichtlich dazu, sich im Namen der Hausverwaltungsfirma Luschnats Zutritt zum Haus zu verschaffen und alles dort auf den Kopf zu stellen. Das linke Medienkollektiv Leftvision hat als Beleg ein internes Schreiben geleakt, in dem Andreas Geisel schreibt: „Die Bewohner wollen nicht, dass ihre Verteidigungsvorkehrungen in den Wohnungen und ihr Waffenlager auf dem Dachboden bekannt werden.“ Damit ist klar, dass die Brandschutzbegehung eigentlich eine Hausdurchsuchung ist. Auch hier müssen wir uns an Henkel erinnern, der im Januar 2016 die Rigaer94 auch unter fadenscheinigen Begründungen durchsucht hat. Damals handelte es sich nach offiziellem Sprech um eine „Begehung nach ASOG“. Henkels Aktion im Januar hatte eine Demonstration mit mehreren tausend Menschen und erste kleinere Scharmützel zur Folge, die die Grundlage für einen gewaltigen Widerstand gegen den nicht weniger illegalen Räumungsversuch im Sommer des selben Jahres bildeten.

Genau ein solcher illegaler Räumungsversuch rollt wieder auf alle Beteiligten gerade zu. Das Gute ist: wie von der Rigaer94 angekündigt, sind die geschaffenen Grundlagen ihrer Feind*innen auch jetzt wieder sehr wackelig.

Jetzt geht es darum, angesichts der angekündigten Roten Zone, dem Versammlungsverbot und anrückenden Spezialeinheiten mit Bauarbeitern und Securities im Schlepptau nicht die Nerven zu verlieren, sondern die immer hochgehaltenen Ziele nicht aus dem Auge zu verlieren. Das eine ist, die Rigaer94 zu halten, das andere ist, aus einer tatsächlichen Räumung ein Desaster für alle Verantwortlichen zu machen.

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