Erste Berliner Firmen stellen um auf Rüstung

Unternehmen der Hauptstadtregion bereiten sich vor auf Großaufträge der Bundeswehr. Nicht allen gefällt das, berichtet ein Gewerkschafter. Aber wenn es nötig sei, solle der Industriestandort Berlin auch profitieren.

Europa muss es schaffen sich selbst zu verteidigen, in Berlin starten Koalitionsverhandlungen, die möglichst schnell ein Sondervermögen für Verteidigungsausgaben auf den Weg bringen sollen. „Whatever it takes“, kommentierte Friedrich Merz (CDU) die Pläne. Die Rüstungsindustrie in Berlin macht sich bereit für das große Geschäft. Und das nicht nur in den Lobbybüros der großen Konzerne. Berlin wird auch als Standort für Produktion und Entwicklung interessant.

Der Firmenname steht schmal auf einem Klingelschild. Die Schaufenster der Erdgeschossfläche im J.-F.-Kennedy-Hauses mit Blick auf das Kanzleramt sind mit Milchglasfolie abgeklebt. Und nur wer klingelt und erwartet wird, bekommt Einlass zum Showroom von
Quantum Systems. Der deutsche Hersteller von Aufklärungsdrohnen betreibt seit September 2024 sein Berliner Büro und hat kurzfristig zum Pressegespräch eingeladen.

Showroom für Drohnen im Regierungsviertel

Es geht um die laufende Kampagne des Unternehmens für das Geschäftsfeld „Regierungen“, in Kreuzberg kleben Plakate an Litfaßsäulen ihrer Drohnen im Einsatz, Slogan: „Für ein neues Zeitalter der Aufklärung“. Denn die Rüstungsbranche ist im Wettbewerbsmodus, das milliardenschwere Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur soll kommen, der Lauf um die Vergabe der angebotenen Systeme ist eilig.

Vertriebsleiter und Berliner Büroleiter sind persönlich vor Ort. Der Gründer und Geschäftsführer Florian Seibel hat sich aus dem Firmenhauptsitz nahe München per Video zugeschaltet. Alle eint ihre Militärlaufbahn. „Wir haben gefechtsfelderprobte und marktverfügbare Systeme und sind bereit das zu liefern, was die Bundeswehr und ihre Verbündeten brauchen“, wirbt Seibel für seine Firma, die er vor zehn Jahren ursprünglich für den Drohneneinsatz in der Landwirtschaft, zur Vermessung oder auf Baustellen entwickelte.

Seit Mai 2022 fliegen seine Aufklärungsdrohnen, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können („Dual-Use“), in der Ukraine, und werden mittlerweile in einer dort im April 2024 eröffneten Drohnenfabrik produziert. Der Standort ist inzwischen 2000 Quadratmeter groß und beschäftigt 85 ukrainische Mitarbeiter, bis Ende des Jahres sollen es 125 werden. Das Unternehmen erhielt mehrere Aufträge des ukrainischen Verteidigungsministeriums, 2024 wurden 500 Vector-Drohnen geliefert, seit Kriegsbeginn über 1000.

Jetzt, mit Europas Sicherheitsdruck, macht Seibel klar, dass er mit seinen Drohnen der Standard in der kommenden Verteidigungsstrategie werden will, die unter anderem kompatible Systeme verlangt. „Wir wollen diese Aufstockung aktiv gestalten. Wir sind auch bereit, das vorzufinanzieren“, sagt Seibel. „Aber wir erwarten dann natürlich gewisse Abnahmegarantien.“ Die Bundesregierung müsse nicht in Vorleistung gehen, was die Entwicklung entsprechender Systeme betrifft. Alles sei bereit, heißt es.

Mit 2,80 Meter Spannweite liegt sie im Berliner Büro vor Einsatzfotos und auf Tarndecken drapiert. Die Vector-Aufklärungsdrohne startet senkrecht, schaltet dann in den Flugzeugmodus und kann so große Gebiete überfliegen. Allein oder im Schwarm mit KI-Sensoren soll sie dabei helfen, feindliche Stellungen, Truppenbewegungen und Fahrzeuge aus der Luft zu erkennen und die Informationen in Echtzeit weiterzuleiten.

Entscheidungsträger wollen Drohnen sehen und anfassen

Der Showroom sei kein klassisches Lobby-Hinterzimmer, betont Vertriebsleiter Markus Karkour. Sicherlich ginge es auch um einen Ort für vertrauliche Gespräche, aber viele der Entscheidungsträger, ob von der Bundeswehr, dem Innen- oder Verteidigungsministerium, würden die Drohnen schlichtweg einmal sehen und anfassen wollen. Quantum Systems teilt sich das Büro mit ARX Robotics, ebenfalls ein Verteidigungs-Start-up aus München, das autonome Mini-Panzer entwickelt.

Berlins Wirtschaftsförderung Berlin-Partner ließ bei ihrer kürzlichen Jahresbilanz durchklingen, dass aktuell verstärkt Rüstungsunternehmen in die Hauptstadt drängen. Vor allem US-amerikanische Firmen würden von den Fragen um die europäische Verteidigungsfähigkeit angelockt. Seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hätten die EU-Länder 63 Prozent ihrer Rüstungsgüter in den USA eingekauft. Das soll sich fortan ändern, Ziel ist eine möglichst große europäische Souveränität.

„Im Bereich der Drohnentechnologie gibt es gar keine Notwendigkeit, sich amerikanisch zu orientieren“, sagt Susanne Wiegand, die seit kurzem als neue Beraterin für Quantum Systems arbeitet und sich per Video aus Italien zugeschaltet hat. Als eine der wenigen Managerinnen in der Rüstungsbranche hatte sie zuletzt als Geschäftsführerin bei der Renk Group, einem führenden Hersteller von Antriebssystemen für militärische Fahrzeuge, gearbeitet, und das Unternehmen in der Expansion und seinem Börsengang 2023 begleitet. Wiegand ist deutlich. In Sachen Drohnentechnik- und produktion den USA nun eine Tür zu öffnen, „wäre politisch ein völlig falsches Zeichen und wirtschaftlich einfach dumm“.

Große Rüstungskonzerne haben nur eine Repräsentanz in Berlin

In welchem Umfang auch die Berliner Wirtschaft von den anstehenden Ausgaben in der Rüstungsindustrie profitieren wird, ist noch nicht klar. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Rüstungsindustrie in Berlin und Brandenburg weitgehend demontiert oder nach Westdeutschland verlagert. Berlin hat keine bedeutende, klassische Rüstungsproduktion mehr. Kleinere Unternehmen wie Rohde & Schwarz produzieren Technik für sichere Kommunikation und Überwachung in Adlershof oder MTU Aero Engines betreibt in Ludwigsfelde südlich von Berlin einen Standort für Instandhaltung und Reparatur von Flugzeug- und Hubschraubertriebwerken.

Die großen deutschen Rüstungskonzerne wie Diehl Defence (Lenkflugkörper, Munition und Luftverteidigungssysteme), Krauss-Maffei Wegmann (Panzerfahrzeuge), MBDA (Lenkflugkörpern und Raketenabwehrsystemen) oder auch Boeing (Kampfjets) haben vor allem Repräsentanzbüros, die der Kontaktpflege und als Schnittstelle zur Bundeswehr dienen. Die eigentliche Produktion findet weiterhin vornehmlich in Süddeutschland statt. Aber es tut sich was.

Software-Entwicklung von Kampfdrohnen drängt nach Berlin

Beim Gespräch mit Quantum Systems kam es beiläufig zur Sprache: Ein neues Start-up von Gründer Florian Seibel namens „Stark“ hat letzten Sommer seinen Sitz in Berlin angemeldet. Es geht wieder um unbemannte Luftfahrzeuge, nur diesmal als Waffe mit Munition. Stark entwickelt Kampfdrohnen für den Krieg. Die Neugründung war notwendig, weil ein Teil der Investoren von Quantum Systems gemäß ihren Richtlinien keine Investitionen in Waffentechnologie tätigen durften. Für die Angriffsdrohnen brauchte es also eine eigene Firma.

In Berlin wird die Software für die „Loitering Munition“, auch als „Kamikaze-Drohne“ oder „Schwebende Munition“ bezeichnet, entwickelt. Die Drohne schwebt über einem Gebiet (loitert) und ist in der Lage, autonom oder auf Befehl ein Ziel anzugreifen. Dabei zerstört sie sich in der Regel selbst. Dass es derart Kampfdrohnen braucht, ergab sich als Erkenntnis aus den ukrainischen Kampfgebieten. „Die fortschrittlichen Technologien, die unsere Gegner zunehmend einsetzen, haben die Notwendigkeit für Innovationen aufgezeigt“, erklärte eine Sprecherin von Stark.

Kampfdrohnentests unter „Realbedingungen“ in der Ukraine

„Die Dynamik Berlins ist für uns als Standort essenziell. Ein großer Teil unserer Softwareentwicklung findet hier statt und unsere Büros wachsen schnell“, heißt es. Die Hardware-Entwicklung und Produktion bleiben im Münchener Umland nahe der verwandten Firma Quantum Systems. Wobei die Tests „in Realbedingungen“ in Zusammenarbeit mit den ukrainischen Soldaten in der Ukraine stattfinden. „Wir erhalten Feedback zu unseren Produkten aus kampferprobten Gebieten.“

Der Einsatz von Kampfdrohnen, die Entscheidungen ohne menschliche Eingriffe treffen können, wirft immer wieder ethische Fragen zu Verantwortung und Kontrolle solcher Einsätze auf. Kritiker befürchten, dass die Nutzung von autonomen Waffensystemen zu einer Entfremdung der Kriegsführung führen könnte. Doch in Zeiten verlorener Gewissheiten und die Bundeswehr bislang keine einzige Kampfdrohne besitzt, geht es in Berlin aktuell um einen nicht erschlossenen Markt und eine Lücke in der Abschreckung. Es geht um Reichweiten, Ausdauer, kompatible System und vor allem Skalierbarkeit.

KI-Software-Entwicklung für Kampfdrohnen

Auch das Münchener Start-up Helsing, das erst 2021 gegründet wurde und künstliche Intelligenz für Verteidigungssysteme entwickelt, betreibt neben Standorten in Paris, London und Tallinn auch ein Büro in Berlin. Als Repräsentanz 2021 gestartet, arbeiten dort inzwischen 50 Leute und entwickeln KI-Software, die Echtzeit-Datenanalyse und autonome Entscheidungsfindung ermöglichen. Und der Wachstumskurs soll anhalten. 2024 erreichte Helsing nach einer Finanzierungsrunde von 450 Millionen Euro eine Bewertung von rund 5 Milliarden Euro.

Zudem blieb es nicht bei der Software. Letztes Jahr stellte das Unternehmen zwei Kampfdrohnen-Modelle vor, die an einem ersten geheimen Produktionsstandort in Süddeutschland per 3D-Druck hergestellt werden. Solche sogenannten „Resilienzfabriken“ will Helsing auf dem ganzen europäischen Kontinent errichten. Über weitere Standorte ist bisher nichts bekannt.

Rheinmetall in Berlin stellt auf Rüstung um

Und dennoch macht sich auch die produzierende Industrie in Berlin in noch überschaubaren Teilen für die Rüstung bereit. So teilte der Düsseldorfer Rheinmetall – einer der Branchenführer mit 31.000 Beschäftigten an 171 Standorten weltweit – mit, dass künftig in seinem Werk der Tochtergesellschaft Pierburg, wo bisher Teile für die Automobil- und Energiewirtschaft produziert wurden, „künftig überwiegend mechanische Teile für den militärischen Bedarf“ gefertigt werden sollen.

Explosivstoffe sollen jedoch nicht verarbeitet werden. „Ein Konzept dafür wurde den Belegschaften der Standorte bereits vorgestellt und befindet sich nun in den zuständigen Gremien in Abstimmung mit Belegschaftsvertretern“, sagte ein Sprecher von Rheinmetall. Es ginge auch darum, die Auslastung und die Beschäftigung der 400 Mitarbeiter:innen abzusichern.

„Ich freue mich erstmal, wenn damit die Arbeitsplätze erhalten werden können“, sagt Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin. Die Diskussionen rund um das Thema Rüstung seien in seiner Gewerkschaft in den letzten Jahren immer wieder groß gewesen. Er verstehe das. „Natürlich wäre es am besten, wenn es gar keinen Krieg gäbe“, sagt Otto.

Die Belegschaft sei gespalten. Einige Mitarbeiter hadern mit der Vorstellung, künftig keine Auto-, sondern Militärteile produzieren zu müssen. Die meisten würden sich aber erstmal freuen, dass es weitergeht. Auch Otto will die Entwicklung positiv deuten. Die Berliner Industrie habe bisher noch nicht viel profitiert. „Wenn der Scheiß eh produziert werden muss, dann soll auch der Industriestandort Berlin profitieren“, sagt Otto.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-wirtschaft/rustungswirtschaft-in-berlin-kampfdrohnen-software-und-militar-statt-autoteile-13341562.html

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passiert am 11.03.2025