Tot nach Polizeieinsatz in Brandenburg: An Erde erstickt, hirntot, wiederbelebt und in Berlin gestorben
Ist in Brandenburg ein Polizeieinsatz außer Kontrolle geraten? Das Opfer, ein 45-jähriger Bulgare, starb später im Klinikum Neukölln. Nach Tagesspiegel-Recherchen ist er an Erde erstickt.
Beim Personal im Klinikum Berlin-Neukölln herrscht pures Entsetzen. Ein Mann, der dort nach einem Einsatz der Brandenburger Polizei am Dienstagabend eingeliefert wurde, ist verstorben. Grund sind nach Einschätzung der Mediziner schwerste Schäden, die dem 45-jährigen Bulgaren durch Brandenburger Beamte zugefügt worden sein sollen. Nun ermitteln Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft in Berlin zur Todesursache.
Die Brandenburger Beamten selbst stellten den Vorfall in ihrem Einsatzprotokoll offenbar ganz anders dar, als ihn die Mediziner später einschätzten. Denn im offiziellen Pressebericht der Polizeidirektion Süd in Cottbus ist fast nichts vom Ausmaß des Falls zu lesen, wie ihn die Mediziner sehen. Vielmehr muss die Polizei in ihrem Bericht entscheidende Details verschwiegen haben – ob nun be- oder entlastend für die Beamten.
Tatort ist Niederlehme, ein Ortsteil von Königs Wusterhausen (Dahme-Spreewald). Laut offiziellem Bericht riefen Anwohner um 21.15 Uhr die Polizei, Beamte fuhren in die Karl-Marx-Straße, wo sich dreigeschossige Mietshäuser aneinander reihen und wo Vitali N. seit 1. April offiziell seine Meldeadresse hatte.
Der Mann verhielt sich aggressiv, biss und war psychisch auffällig.
Bericht der Polizeidirektion Süd in Brandenburg.
„Dort hielt sich ein Mann unberechtigt auf einem Grundstück auf, trat gegen Gegenstände und schlug auf PKW ein“, heißt es im Polizeibericht. „Der Mann war nach der Aufforderung von Polizeibeamten nicht bereit, von seinem Handeln zu lassen. Er verhielt sich aggressiv, biss und war psychisch auffällig. Durch die Polizisten kam Pfefferspray zum Einsatz.“
Weiter ist im Bericht der Polizei zu lesen: „Der 45-Jährige konnte mit Unterstützung von Anwohnern fixiert und gefesselt werden. Unmittelbar danach wurde er ohnmächtig, die Handfesseln wurden gelöst, erste Hilfe geleistet und ein Notarzt hinzugerufen. Der Mann wurde zur medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus gebracht.“
Vitali N. war bereits hirntot, als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde
Tatsächlich war Vitali N. nach Tagesspiegel-Informationen bereits hirntot, als er auf die Intensivstation in Neukölln kam. Die Ärzte dort stellten einen hypoxischen Hirnschaden fest. Dazu kommt es durch massiven Sauerstoffmangel, etwa beim Ersticken.
Im Klinikum wird davon ausgegangen, dass N. erstickt ist. Das entscheidende Detail, das in der Darstellung der Polizei fehlt, ist: In den Atemwegen und in der Lunge haben die Mediziner Erde gefunden. So steht es in den Akten zu N. Auch im Gesicht sei Erde gewesen, als der Mann eingeliefert wurde.
Hirntod
Eine Sauerstoffunterversorgung des Gehirns ist die Ursache für den Hirntod. Eine Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr von wenigen Minuten kann zu einem Ausfall des Hirns führen. Häufig ist eine Hirnblutung infolge von Bluthochdruck eine Ursache, es können aber auch hypoxisch-ischämische Hirnschäden sein. Sie hängen mit einer Sauerstoffunterversorgung, etwa nach Herzkreislauf-Stillstand, zusammen. Weitere Ursachen sind Schädel-Hirn-Verletzungen, Hirninfarkt, Tumore, Hirnentzündungen oder ein Wasserkopf. (axf)
Offenbar, zu diesem Schluss kommen die Mediziner, muss der Mann gewaltsam und für längere Zeit mit dem Gesicht in matschige Erde gedrückt worden sein. Er sei an der Erde erstickt, hieß es von mehreren mit dem Fall vertrauten Personen.
Die These, dass der Mann mit dem Gesicht über mehrere Minuten auf den Boden gedrückt wurde, deckt sich mit der Witterung: Am Dienstag hat es in der Hauptstadtregion ausgiebig geregnet, der Boden ist aufgeweicht und stellenweise matschig.
Leiche wird obduziert
Am Mittwochabend um 17.57 Uhr verstarb Vitali N. im Klinikum Neukölln. Die Ärzte vermerkten im Totenschein, dass er eines unnatürlichen Todes gestorben, die Ursache unklar sei. Regulär wird dann von den Behörden ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, auch in diesem Fall. Zuständig ist die Polizei Berlin, wie eine Sprecherin bestätigte. Die Staatsanwaltschaft Berlin nimmt den Fall überaus ernst. Sie hat eine Obduktion des Leichnams für nächste Woche angeordnet. Das sei das ungewöhnlich zügig, hieß es.
Das Brandenburger Polizeipräsidium in Potsdam ließ eine Anfrage unbeantwortet. Ein Sprecher verwies auf die Staatsanwaltschaft Cottbus. Dort aber ist der Todesfall noch gar kein Thema: Bislang werde zu den Widerstandshandlungen von Vitali N. ermittelt, sagte eine Sprecherin.
Weil die Brandenburger Behörden schweigen, bleibt unklar, ob die Einschätzung der Mediziner zutrifft oder ob die Erde auf ganz andere Weise in die Atemwege von Vitali N. gelangt ist.