Statement eines Teils des ehemaligen Umfelds von Johannes Domhöver, welches sich täterschützend verhalten hat

Wie in verschiedenen Outcalls und Diskussionsbeiträgen benannt, kommt uns, als einem Teil der ehemaligen Freundeskreisen des Täters, die Verantwortung zu, sich mit unseren täterschützenden Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Als Einzelpersonen aus seinem Umfeld, die in unterschiedlichen Zeiträumen und Intensitäten in Beziehung zu ihm standen sowie unterschiedliche Wissensstände zu seinem misogynen Verhalten hatten, haben wir uns für einen kollektiven Prozess der Auseinandersetzung entschlossen. Dabei stehen die verschiedenen Entscheidungen und Dynamiken, die ihn als Täter bis zum Frühjahr 2021 gedeckt haben, im Vordergrund.

Während sich manche von uns seit Jahren kennen, haben sich andere erst nach den Outcalls, im Rahmen dieser Auseinandersetzung kennengelernt.

Wir sehen hier vor allem die Notwendigkeit einer anhaltenden und tiefergehenden Beschäftigung mit unseren begangenen Fehlern und problematischen Verhaltensweisen. Wir tun das individuell in Gesprächen mit Freund*innen und Genoss*innen, kritischen Männergruppen, Therapien, sowie in unseren verschiedenen politischen Umfeldern und nun als Kollektiv. Dabei lassen wir uns von einer feministischen Supervisorin mit Schwerpunkt der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Szene beraten.

Grundlage ist, dass wir alle davon ausgehen, dass Johannes in den letzten Jahren in mehreren Fällen sexualisierte Gewalt ausgeübt, FLINTA* systematisch manipuliert und psychischer Gewalt ausgesetzt hat. Das Ausmaß des Wissens um diese Gewalt und die Tragweite des Täterschutzes unterscheiden sich zwischen den Teilnehmern des Prozesses.

Wir stehen momentan am Anfang einer kollektiven inhaltlichen Auseinandersetzung.Bisher haben wir unsere unterschiedlichen Wissensstände abgeglichen und begonnen unser Verhalten zu diskutieren. Im Anschluss daran haben wir uns gegenseitig dazu befragt, warum wir Johannes geglaubt haben, ab wann und warum sich das geändert hat und welche Konsequenzen das vor allem für FLINTA* und insbesondere Betoffene hat(te).

Weitere Fragen, mit denen wir uns in Zukunft intensiver beschäftigen wollen, sind:

  •  Wie habe ich Johannes geschützt und in seiner Abwehr bestärkt?
  •  Warum habe ich Anzeichen für Frauenfeindlichkeit in seinem alltäglichen Verhalten nicht identifizieren können, verharmlost oder ignoriert?
  •  Haben wir Einschätzungen und Kritik von FLINTA* auf Grund von eigener Misogynie/Sexismus ignoriert?
  •  Was hat die emotionale Nähe zum Täter mit meiner Urteilskraft und Positionierung gemacht? Wie und warum habe ich Partei ergriffen?
  •  Warum habe ich, obwohl mir seine Taten bekannt waren, zu viel Nähe zum Täter zugelassen?
  •  Warum habe ich nicht gesehen, dass er eine Gefahr ist?
  •  Warum habe ich seine Ausführungen und Erklärungen nicht hinterfragt und überprüft?
  •  Warum habe ich seine Lügen, nachdem sie aufgedeckt wurden, noch länger als Symptome der psychischer Belastung aufgefasst und Mitleid mit ihm gehabt, anstatt dies als Täterstrategie zu erkennen?
  •  Wieso habe ich sein misogynes Verhalten pathologisiert und damit verharmlost?
  •  Inwieweit habe ich selbst zu diesem Verhalten beigetragen?
  •  Wie hätte die Transparenz über seine Täterschaft besser geleistet werden können?
  •  Was hat mich daran gehindert mit anderen in Austausch zu treten und Verantwortung zu übernehmen?
  •  Warum habe ich auf eigene Faust agiert?
  •  Was sind meine eigenen kritischen Verhaltensweisen? Wann habe ich mich selbst toxisch oder grenzüberschreitend verhalten?
  •  Wo hat eine mangelnde Selbstkritik die Kritik an Johannes verhindert und wo hat umgekehrt das Nicht-Kritisieren von Johannes dazu geführt eigenes sexistisches Verhalten nicht wahrzunehmen und oder zu deckeln?

Teilnehmer des Prozesses, die politisch organisiert sind, machen ihre jeweiligen Stände der Auseinandersetzung in ihren Strukturen transparent. Von einer inhaltlichen Veröffentlichung unserer Aufarbeitung werden wir zunächst aufgrund des Risikos einer Verwendung durch Nazis und Behörden absehen, behalten uns dies aber für einen geeigneten Zeitpunkt vor. Wer sich für die inhaltlichen Stände der Auseinandersetzung interessiert oder sich durch Fragen oder Diskussionsanstöße beteiligen möchte, kann per Mail mit uns in Austausch treten: umfeld@systemli.org

Abschließend möchten wir uns kurz zur aktuellen Debatte um die Aussagen von Johannes äußern. Wir stehen weiterhin solidarisch zu den Betroffenen. Wir sind an unterschiedlichen Stellen im Umgang mit Johannes als sexistischem Gewalttäter und Verfahrensbeteiligtem im Antifa Ost-Verfahren gescheitert und wenden uns daher entschieden gegen Vorwürfe an die Unterstützungsgruppen und Betroffene, sie seien schuld an der Aussage von Johannes. Johannes allein trägt die Verantwortung für die Kooperation mit den Repressionsbehörden. Das öffentliche Outing und die darauffolgende Debatte haben dennoch Einfluss auf den Spielraum des Verfassungsschutzes genommen, eine Kooperation in die Wege zu leiten. Wir sprechen uns weiterhin dafür aus, anstatt mit dem Finger auf vermeintlich Schuldtragende zu zeigen, daran zu arbeiten eine Handlungsfähigkeit im Umgang mit sexualisierter Gewalt zu entwickeln. Probleme in unserem Fall waren etwa die fehlende Parteilichkeit zu Betroffenen durch Täterumfelder und die Unfähigkeit oder der fehlende Wille in einer solchen Situation, speziell im Druck eines großen Verfahrens, angemessen umzugehen. Innerhalb unseres kollektiven Prozesses werden wir uns genau damit beschäftigen.

Erst die mangelnde Verantwortungsübernahme und mangelnde Handlungsfähigkeit des Täterumfeldes hat ein öffentliches Outing nötig gemacht.

Es hätte einen Umgang gebraucht, der sowohl der Notwendigkeit einer Eindämmung des misogynen Gewaltpotentials von Johannes als auch der Vermeidung einer Exponierung vor den Repressionsbehörden gerecht wird. Dies wäre möglich gewesen, ist uns jedoch aufgrund der benannten fehlenden Parteilichkeit und Verantwortungsübernahme nicht gelungen.

Wir lehnen es strikt ab, dass jetzt durch das Ausnutzen der Situation durch den Verfassungsschutz auf eine Urheberschaft des Outings durch die Behörden geschlossen wird und die Aussagen von Johannes sowie damit einhergehende Verschärfung der Repression gegen die Beschuldigten im Antifa Ost-Verfahren instrumentalisiert werden um feministische Interventionen zu delegitimieren.

Solidarische Grüße!