Die kriminellen Polizisten von der Alex-Wache

Sie wurden durch Aufnahmen aus Überwachungskameras fast ein Jahr nach der brutalen Tat überführt: Ein Berliner Polizist soll im Juli 2021 in der Wache auf dem Alexanderplatz einen Mann misshandelt haben, vier weitere Beamte sollen ihn unterstützt und die Tat vertuscht haben. Am Donnerstag wurde die Wache durchsucht, gegen fünf Beamte wird wegen Körperverletzung im Amt, Verfolgung Unschuldiger, Nötigung und Freiheitsberaubung ermittelt. Der Schläger-Polizist Said I. sitzt bereits seit fast sieben Monaten in Untersuchungshaft – dabei geht es aber um eine Kokainschmuggelbande.

Die Alex-Wache war Ende 2017 eröffnet worden, ein im Rückblick erfolgreiches Prestige-Projekt von Ex-Innensenator Andreas Geisel (SPD). Offenbar entwickelte sich dort aber ein kriminelles Eigenleben – Gewalt, Vertuschung, sogar Datenlecks für die Drogenbande. Der Chef der Wache wurde vor einigen Wochen nach Neukölln versetzt. Für Geisels Nachfolgerin Iris Spranger (SPD) kommt das alles zur Unzeit. Sie treibt Pläne für eine Wache am Kottbusser Tor voran. Vorbild, sogar der Zahl der 20 vorgesehenen Beamten nach, ist die Alex-Wache.

Dort suchten Ermittler am Donnerstag mit Richterbeschluss – nicht zum ersten Mal – Datenträger. Es geht um einen Vorfall vom 16. Juli 2021. Gegen 2.30 Uhr wollte ein 21-Jähriger eine Verlustanzeige stellen, der Polizist Said I. soll ihn angegriffen und mehrfach geschlagen haben, auch als drei weitere Beamte den Mann zu Boden brachten. Später sollen die fünf Beamten versucht haben, die Tat zu vertuschen. Entgegen der Anweisung eines Staatsanwaltes sollen sie eine Blutentnahme veranlasst haben, der 21-Jährige wurde mehr als zwei Stunden ohne Rechtsgrundlage festgehalten. Und sie sollen „wahrheitswidrig ein Ermittlungsverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte“ eingeleitet haben. Der 21-Jährige zeigte die Beamten an. Dass er recht hatte, erkannten Ermittler viel später, als sie die Aufnahmen aus Überwachungskameras sichteten.

Deshalb blieb der Polizist Said I. zunächst im Dienst. Ende November 2021 erging gegen ihn und eine Mitarbeiterin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg Haftbefehl wegen Bestechlichkeit und Falschbeurkundung. Sie sollen gegen Geld Daten abgefragt und gefälschte Dokumente erstellt haben – für eine international operierende Kokainbande. Die Ermittler fanden in der Alex-Wache noch mehr. Said I. soll einen höheren Geldbetrag angenommen haben, den ein Tourist gefunden hatte. Das Geld soll er nicht wie vorgeschrieben als Fundsache behandelt, sondern unterschlagen und in seinem Spind versteckt haben. Drei Beamte sollen ihn gedeckt haben, insgesamt fünf Beamten wurde Strafvereitelung im Amt und Urkundenfälschung vorgeworfen.

Gegen die Kokainbande, 28 Tatverdächtige, meist Deutsche, auch Türken, Griechen, Iraker, Georgier, Ukrainer, Letten und Kolumbianer, ermittelten das Bundeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Berlin über Jahre. 120 verdeckte Maßnahmen – Telefonüberwachungen, Observationen – liefen. Behörden in Frankreich, den Niederlanden, Lettland und Spanien halfen mit. Ende November dann die Razzia in 40 Objekten im In- und Ausland, sichergestellte Vermögen von 14,5 Millionen Euro, 14 Haftbefehle – darunter gegen den Beamten Said I. von der Alex-Wache.

Auslöser war der Fund von 690 Kilogramm Kokain in einem Seeschiffscontainer in Brasilien 2018, Zieladresse war eine Firma in Berlin. Seit 2011 soll die Bande mit einem Geflecht deutscher Scheinfirmen, eigener Logistik und gefälschten Identitäten tonnenweise Kokain, versteckt in Stahlträgern, nach Deutschland verschifft und die Gelderträge gewaschen haben. Zentrale Figur: Wolfgang L., geboren 1950, DDR-Jurist, einst Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), Oberleutnant bei einer Einheit, die als eine Art Kriminalpolizei gegen Oppositionelle vorging. Nach der Wende wurde L. straffällig, Urkundenfälschung, Untreue, Betrug, Insolvenzverschleppung und Missbrauch von Berufsbezeichnungen.

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passiert am 26.06.2022