Analye&Kritik: Zum Stand der juristischen Verfolgung des Slogans „From the river to the sea“ – Interview mit Anwält*innen

Analyse & Kritik, 16.12.2025 – »Man wollte diese Meinung unterbinden«

Die Strafverteidiger*innen Jessica Grimm und Benjamin Düsberg klären über den Stand der juristischen Verfolgung des Ausspruchs »from the river to the sea« auf

Interview: Katharina Schoenes

Seit Oktober 2023 gehen die deutschen Strafverfolgungsbehörden mit großer Härte gegen die palästinasolidarische Bewegung vor. Dies beinhaltet auch die Kriminalisierung von Meinungsäußerungen wie des Ausspruchs »from the river to the sea«. Die Berliner Strafverteidiger*innen Jessica Grimm und Benjamin Düsberg sprechen im Interview darüber, wie die Berliner Justiz mit diesen Verfahren umgeht und warum es wichtig ist, einen Prozess, der aktuell vor dem Berliner Landgericht geführt wird, zu beobachten.

Ihr vertretet momentan einen Mandanten, der unter anderem deshalb vor Gericht steht, weil er auf einer Demonstration die Wortfolge »from the river to the sea« gerufen haben soll. Warum ist es wichtig, diesen Prozess zu beobachten?

Benjamin Düsberg: Um die Bedeutung dieses Prozesses zu verstehen, müssen wir zunächst einen Schritt zurückgehen und uns die Entwicklung der letzten zwei Jahre anschauen. In Berlin wurde die Verwendung von »from the river to the sea« vor dem 7. Oktober 2023 nicht verfolgt. Zu einer inflationären Einleitung von Strafverfahren kam es erst, nachdem das Bundesinnenministerium (BMI) am 2. November 2023 eine Verbotsverfügung gegen die Hamas erlassen hatte. In der Verfügung wird behauptet, »from the river to the sea« sei ein Kennzeichen der Hamas. Allerdings hat die Verbotsverfügung für die Frage der Kennzeicheneigenschaft gar keine Bindungswirkung. Das ist nur die Meinung des BMI, die im Übrigen auch nicht näher begründet wird. Trotzdem ist die Berliner Staatsanwaltschaft von einer Strafbarkeit ausgegangen und hat massenhaft Strafverfahren eingeleitet. Deren Zahl bewegt sich mittlerweile im vierstelligen Bereich.

Jessica Grimm: Aus unserer Sicht ist klar, warum der Ausspruch ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kriminalisiert wurde. Nach dem 7. Oktober gingen Menschen auf die Straße und riefen auf Demonstrationen »from the river to the sea, Palestine will be free«. Die Bundesregierung wollte diese Worte nicht hören. Der Hintergrund ist, dass der Gedanke an das Gebiet des historischen Palästinas als Einheit der Staatsräson zuwiderläuft. Man hat also einen Weg gesucht, diese Meinung zu unterbinden. Da die Hamas für den Überfall auf Israel verantwortlich war, hat es sich angeboten zu sagen, die Wortfolge sei ein Kennzeichen dieser Organisation. Das führte dazu, dass die Polizei massenhaft auf Demos einschritt. Es ging darum, diese Worte von den Straßen zu verbannen.

Wie haben die Berliner Gerichte auf diese Strafverfahren reagiert?

BD: Zu Beginn gab es Hunderte eingeleitete Verfahren, die mit einem Strafbefehl beendet werden sollten. Einige Richter*innen lehnten es jedoch ab, einen Strafbefehl zu erlassen. Sie konnten sich dabei auf eine wegweisende Entscheidung des Landgerichts Mannheim berufen, die die Bedeutung der Meinungsfreiheit hervorhebt und ausführlich begründet, warum es abwegig ist, diese Wortfolge als Kennzeichen einer Organisation anzusehen. In anderen Fällen haben die Betroffenen gegen den erlassenen Strafbefehl Einspruch eingelegt, mit der Folge, dass es zur mündlichen Verhandlung kommt. Wasser auf die Mühlen der Repression war dann ein Urteil der Staatsschutzkammer des Landgerichts Berlin – also derselben Kammer, die auch in unserem laufenden Verfahren zuständig ist – von November 2024. Damals entschied diese Kammer, dass »from the river to the sea« ein Kennzeichen der Hamas sei, und verurteilte die Angeklagte zu einer Geldstrafe. Die Verteidigung ging in Revision, und in Erwartung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) gingen viele Richter*innen dazu über, anhängige Verfahren auszusetzen und abzuwarten, was der BGH zu der Frage sagt. Dann wurde die Revision allerdings zurückgenommen, und die anhängigen Verfahren wurden doch terminiert.

Wie ging es dann weiter?

BD: In diesem Kontext wurde erstmals ein ausführliches Gutachten zur Verwendung der Wortfolge in Auftrag gegeben. Eine Politologin vom Berliner Landeskriminalamt arbeitete darin heraus, dass die Verwendungsgeschichte bis in die 1960er Jahre zurückreicht. Der Ausspruch werde von verschiedenen Organisationen verwendet. Auch die Hamas benutze ihn, allerdings lasse sich keine regelmäßige Verwendung feststellen. Das wäre aber die Voraussetzung dafür, dass es sich um ein Kennzeichen handeln kann. Auf dieser Grundlage kam es zu einer Serie von Freisprüchen und Einstellungen. Das war für uns Verteidigerinnen im Sommer der Anlass, einen offenen Brief an die Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft zu schreiben und ein sofortiges Ende der Verfolgung des Slogans zu fordern.

Dem sind die Strafverfolgungsbehörden aber nicht gefolgt, oder?

BD: Nein. Stattdessen hat die Staatsanwaltschaft verzweifelt nach einem Ausweg gesucht und das nächste Verfahren vor die Staatsschutzkammer des Landgerichts gebracht – zu derselben Richterin, die schon letztes Jahr verurteilt hat. Das ist der eingangs von dir erwähnte Prozess. Dazu muss man wissen, dass Verstöße gegen das Kennzeichenverbot normalerweise vor dem Amtsgericht verhandelt werden. Durch einen juristischen Trick, nämlich das Verbinden mit einem weiteren Vorwurf, den es gegen unseren Mandanten gab, wurde die Anklage gegen ihn vor die Staatsschutzkammer gezogen. Da es in Berlin nur eine einzige Staatsschutzkammer gibt, war klar, bei welcher Richterin das Verfahren landen würde. Das wirkte alles ziemlich orchestriert.

Die Zahl der Berliner Strafverfahren bewegt sich mittlerweile im vierstelligen Bereich

JG: Jetzt haben wir wieder eine Phase der Aussetzung, weil viele Richter*innen warten, wie das Landgericht und anschließend der BGH als Revisionsinstanz entscheiden werden. Dieses Aussetzen ist Ausdruck einer problematischen Hörigkeit der Justiz. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber die meisten Richter*innen orientieren sich daran, was das Landgericht und der BGH sagen, anstatt sich selbst Gedanken zu machen. Sie prüfen nicht einmal, ob eine Entscheidung ordentlich begründet ist, sondern übernehmen einfach das, was ein höheres Gericht entschieden hat. Bei »from the river to the sea« spielt auch eine Rolle, dass das Thema so politisiert ist und Richter*innen Angst haben, in der Presse auseinandergenommen zu werden.

Im Mittelpunkt des aktuellen Prozesses steht ein neues Gutachten, in dem es wieder um die Verwendung von »from the river to the sea« durch die Hamas geht. Wie kam es dazu?

JG: Die Staatsanwaltschaft hat mit Anklageerhebung angeregt, dass ein neues Gutachten in Auftrag gegeben wird, und auch gleich den Sachverständigen Dr. Guido Steinberg vorgeschlagen. Die Kammer ist dem gefolgt. Herr Steinberg arbeitet als Islamismus- und Terrorismusexperte in der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik. Er tritt häufig in Terrorprozessen als Sachverständiger auf. Wir gehen davon aus, dass das neue Gutachten beauftragt wurde, weil das Ergebnis des LKA-Gutachtens der Kammer und der Staatsanwaltschaft nicht gepasst hat.

BD: Inhaltlich kann man sagen, dass Herr Dr. Steinberg mehr oder weniger dieselben Verwendungsbeispiele gefunden hat, die auch im LKA- Gutachten erwähnt werden. Es sind etwa acht – in mehr als 35 Jahren, in denen die Hamas existiert. Herr Steinberg geht aber mit einer viel stärkeren Färbung an das Thema ran: Schon zu Beginn seines Textes stellt er die Behauptung auf, dass die Wortfolge fast nur von Personen verwendet werde, die Gewalt befürworten, ohne das zu belegen. Deshalb haben wir ihn als befangen abgelehnt. Und obwohl er Arabisch spricht und angeblich Hamas-Experte ist, hat er keinerlei Primärquellen verwendet, er kennt nicht einmal die aktuelle Website der Organisation. Die wenigen Verwendungsbeispiele setzt er also nicht zur Fülle an Veröffentlichungen ins Verhältnis, in denen die Wortfolge nicht vorkommt. Das ist methodisch unhaltbar. Einer unserer Beweisanträge zielt deshalb darauf ab, Veröffentlichungen der Hamas aus den letzten Jahren ins Deutsche zu übersetzen und zu verlesen. Damit wollen wir das nachholen, was Herr Steinberg versäumt hat. Wir haben dem Gericht ein Paket mit rund 2.500 Texten und gut 7.000 Seiten zur Verfügung gestellt.

Durch das bisher Gesagte ist deutlich geworden, dass es in der Justiz einige Akteure gibt, die aktiv das Ziel verfolgen, die Palästinabewegung mit den Mitteln der Strafjustiz zu unterdrücken und einzuschüchtern. Was motiviert euch, in diesem Feld weiterzukämpfen ?

JG: Als Verteidigerinnen haben wir zum einen trotz allem die Hoffnung auf juristische Erfolge. Weil wir immer weitermachen und nicht aufgeben. Zum anderen geht es darum, einen Gegenpol zu setzen, weil wir damit rechnen müssen, dass die politische Entwicklung nach rechts sich fortsetzt. Wir bauen schon jetzt Netzwerke auf und üben uns darin, diese Kämpfe zu führen, um später handlungsfähig zu sein.

BD: Persönlich kann ich sagen, dass dieses Kämpfen vor Gericht es mir erträglicher macht, überhaupt noch in Deutschland zu leben. Für die juristische Arbeit motiviert es mich, wenn diese an politische Bewegungen andockt. Außerdem bin ich überzeugt, dass das Recht trotz aller Einfallstore für politische Vorurteile einen Rest an Eigenlogik hat. Es ist nicht komplett willkürlich. Bei »from the river to the sea« bin ich sicher, dass wir am Ende gewinnen – spätestens beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

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Katharina Schoenes

ist aktiv zu institutionellem Rassismus und arbeitet im Bundestagsbüro der Linksparteiabgeordneten Clara Bünger.

passiert am 16.12.2025