Gerichtsbericht vom 22.11. (+eng)
Die Kundgebung startete 45 Minuten vor dem Gerichtstermin mit kraftvollen Reden und ein wenig Musik. Comrades eines anderen Verfahren, in dem 8 Leute für die Unterbrechung der Bundespresseschau 2019 für den kurdischen Kampf angeklagt waren, kamen auch dazu. Diese wurden gegen Auflagen nicht verurteilt.
12:15 ging der Prozess wegen 125a schliesslich los. Viele Leute wollten rein, doch nur 12 konnten. Der Rest blieb draussen bis der Prozess vorbei war. Es war ein starker Moment des Zusammenkommens, der Unterstützung der Beschuldigten und des Kampfes gegen das Justizsystem.
Drinnen war es während dem Prozess voll und die Beschuldigte las ein Statement vor. Die Atmosphäre war gespannt und das Publikum hatte die Gelegenheit durch Applaus, Kommentare und Verärgerung von Richterin und Staatsanwalt teilzunehmen.
Nur einer der Bulletten (Eike Bünsow) kreuzte auf und gab wieder an, die Beschuldigte beim Werfen eines Gegenstandes – möglicherweisse eines grauen Steines – in Richtung eines Gebäudes gesehen zu haben. Er sah nicht, ob das Geschoss das Gebäude traf oder ob ein Schaden entstand. Der andere Bullette (PM Meier) kam gar nicht, und das unentschuldigt. Der Anwalt beantragte, dass dieser den Gerichtstermin zahlen solle.
Das Verfahren wird nun am 29.11. um 15:00 im selben Raum fortgesetzt. Es ist wieder öffentlich, es wird aber keine Kundgebung draussen geben. Die Angeklagte muss auch nicht erscheinen und kann durch ihren Anwalt vertreten werden.
Prozess Erklärung der Beschuldigten und ihrer Soligruppe
Am 01.08.2020 haben sich tausende Menschen unter dem Motto „Raus aus der Defensive“ die Straßen von Neukölln genommen – gegen die Verdrängung von selbstorganisierten Räumen, die Gentrifizierung unserer Städte, die unterdrückende Regierung, die schon seit Jahrzehnten versucht, ihr Modell von sterilen Nachbarschaften durchzusetzen und gegen die Übernahme der totalen Kontrolle über unser Leben. Die Wut der Demonstrant*innen verwies die unterdrückende Kräfte des Staates und Symbole der Gentrifizierung an deren rechten Platz, indem sie von kämpfenden Menschen in die Defensive gedrängt wurden – wenn auch nur temporär. Das Ereignis, das an diesem Datum stattfand, war nicht etwa ein Bild der Vergangenheit oder einer dystopische Zukunft, sondern eine Realität der wir ins Auge sehen.
Aber am 1. August 2020 konnte man auch Zeuge der brutalen Auflösung von einer Demonstration von tausenden von Leuten werden, die gegen die Räumung von Projekten demonstrierten. Riesige Mengen Pfefferspray wurden eingesetzt und Gewalt durch die Polizei verursachte ernsthafte Verletzungen – auch durch die 11. Einsatzhundertschaft. Eben jener Einheit, die heute in Person von Eike Bünsow hier vertreten ist, um eine Geschichte zu erzählen, die zur repressiven Strategie passt und auf der ihre Karriere aufbauen kann. Einer der Anführer exakt dieser Einheit, Sebastian Gerlach, wurde vor einigen Monaten vom eigenen Gesetz als nicht glaubwürdig verurteilt. Etwa zur selben Zeit wurde ein anderer Polizist wiederum der selben Einheit aus dem Bereitschaftsdienst ausgeschlossen weil er zu gewalttätig war. Generell mit Polizist*innen und im besonderen mit dieser Hundertschaft haben wir es mit Staatsbütteln zu tun, die Gewalt, Misshandlung und politische Verfolgung in hunderten von Fällen zu verantworten haben. Ihre Verurteilung wirft ein oberflächliches Licht auf ein sorgfältig unterschlagenes Phänomen und überschattet gleichzeitig all die anderen Fälle, die den Menschen Berlins ins Bewusstsein gebrannt sind, indem die Verhaltensweisen von einigen Polizist*innen als Einzelfälle dargestellt werden. Wir wissen: die Polizei unterdrückt, foltert, vergewaltigt und mordet um dem Profit von Staat und Kapital zu dienen. Und es wird nicht besser.
Es wird nicht besser, denn diese Art von Repression zeigt das Gewaltmonopol mit Ursprung im römischen Reich. Herrscher und Noble schufen das Recht des Ewigen Landfrieden 1495 um Gewalt in spezifischen Gebieten zu legitimieren, um ihre eigenen legalen Ansprüche innerhalb der Lehen zu behaupten und einen stärkeren Nationalstaat zu erleichtern oder imperiale Macht zu verbreitern. Der deutsche Staat hat dieses Gesetz in den Paragraph 125, den „Landfriedensbruch“ umgestaltet und dieses Gewaltmonopol wird nun gegen die Unterdrückten angewandt, die jedem Monopol entgegnen, indem sie ihre Wut im Bereich der Öffentlichkeit zeigen. Öffentlicher Frieden ist inexistent, denn die Störung kommt durch Land- und Grundeigentümer und ihre Zusammenarbeit mit dem Staat. Dieser unterdrückt unseren Willen zur Freiheit durch ihre legalisierte Gewalt und um die Ordnung zu erhalten, schmeißen sie uns einige Krumen wie das 9 Euro Ticket hin.
Diesen Vorwurf in Form des Paragraphen 125A zu nutzen, bedeutet das Narrativ der legitimen Gewalt zu nutzen ohne darüber nachzudenken, wie Unterdrückung in Westeuropa aussieht. Im Bewusstsein dessen erscheint das Gericht als nichts anderes als ein absurdes Puppentheater, da es immernoch die Macht für die Herrscher von heute und morgen schützt. Sie lassen sich willig für den Schutz von Land, Eigentum und Unternehmen gebrauchen.
Sie geben vor, den öffentlichen Frieden, legitimiert durch das Gewaltmonopol, gegen die Unterdrückten durch Repression, Landausbeutung und Mord zu verteidigen. In diesem gut einstudierten Theater wird die Angeklagte dafür kriminalisiert, wütend wegen des Entzugs existenzieller Bedürfnisse zu sein. Dieses Gesetz ist kein Schutz von öffentlichem Frieden, dieses Gesetz ist ein Werkzeug der Repression und der Herstellung einer Friedhofsruhe.
Und von Berlin nach Minneapolis, von Nicaragua bis Griechenland, bis Iran, Indonesien und der Türkei – überall ertränken die repressiven Kräfte Revolten in Blut und Migranten in den Meeren. Was vor zwei Jahren auf dieser Demonstration geschah, war eine minimale Antwort und ein massives Anzeichen von Gegengewalt gegen die Brutalität des Staates und des Kapitals. Momente wie dieser am 1. August zeigen uns, dass unsere Stärke darin liegt, gemeinsam zu kämpfen.
Dies ist ein kollektiver Kampf gegen die Umfunktionierung unserer Straßen in Gebiete des Konsums, welche zur Vertreibung von Einwohner*innen und zur Einschränkung unseres Zugangs zu öffentlichen Räumen führt. Also dazu, dass jeder mögliche Raum für soziopolitische Entwicklungen, die möglicherweiße den existierenden Machtkomplex der Herrschaft in Frage stellen könnten, verschwindet.
Eine anhaltende Gentrifizierung ist dazu bestimmt, unsere Nachbarschaften und Städte zu säubern und sie für die Gier des Kapitalismus, der sich selbst als Lösung aller Probleme darstelt, zu sterilisieren. Politisches und ökonomisches Ziel ist es, sie in private Erholungsgebiete, Orte kapitalistischen Warentauschs oder Land für Spekulation zu verwandeln. Die Verbindung von selbstorganisierten Orten mit lokalen Kämpfen, mit solidarischen Aktionen und mit ihren Netzwerken gibt ihnen einen Wert. Sie dienen als Orte und als Boden für die Kämpfe die gekämpft werden müssen. Sie werden zu Bezugspunkten in ihrer sozialen Umgebung. Sie sind als Territorien definiert, weil es Orte sind wo Menschen eine Reihe von essentiellen Bedürfnissen und Freiheiten haben, die sie in keinem kommerziellen oder staatlichen Ort finden. Denn kommerzielle und staatliche Orte werden allesamt nur aus der kalten Logik des Profits gespeist.
Der Angriff auf die selbstorganisierten Orte und Strukturen der antagonistischen Bewegung, der 2020 bis 2022 stattfand, ist kein Spezifikum der damaligen Regierung, dass sie von früheren oder späteren unterscheidet. Je nach Verwalter der Macht und Regierungschef kann sich die Wahl der Worte und ihre Aggressivität ändern. Doch nichts weiter ändert sich.
Andere kämpfende Teile der Gesellschaft waren immer ähnlichen Angriffen ausgesetzt: von den unbezahlten Arbeiter*innen beim Gorillaz Lieferdienst über die Jugendlichen, die sich während Covid-19 in den Parks aufhielten, die Gefangenen in deutschen Knästen, die während der Pandemie widerlichen Bedingungen unterworfen waren, die Bewohner*innen des Camps an der Rummelsbucht, die pünktlich zur Winterkälte 2021 gewaltsam geräumt wurden, bis hin zu den politischen Individuen, die ins staatliche Visier geraten und eingesperrt werden… diese Liste ist lang. Es sind nur Beispiele für all die Fälle der permenenten Angriffe und Abwertungen. Am Ende wird jede Person, die sich gegen die etablierte Autorität wendet von ihrer Arbeit gefeuert, verprügelt oder gar auf offener Straße oder in ihrer Wohnung ermordet, oder ohne Beweise festgenommen und vom Rest der Gesellschaft marginalisiert.
Die Notwendigkeit der Reaktion wächst mit jedem Tag, genau wie die Ausbeutung und der Angriff, den wir erfahren. Wenn wir von diesem Angriff reden, beziehen wir uns nicht bloß auf direkte Repression, sondern auch auf indirekte, beispielsweise die Erhöhung von Miet-, Strom- und Gaskosten, so wie die konstante Reevaluierung unserer grundlegenden Lebensnotwendigkeiten. Auch reden wir vom Krieg und von Umweltzerstörung als Angriff von Oben auf uns.
Auf der Demonstration am 01.08.2020 verteidigten wir nicht bloß eine linke Bar, sondern schufen einen weiteren Moment des kollektiven Widerstands, um angesichts all der Taten dieses ungerechten und gewaltvollen Systems zurück zuschlagen. Das System, in welchem Investoren, Polizisten, Richter und Staatsanwälte ihre Karrieren und ihren Profit auf der täglichen Unterdrückung und Ermordung Tausender bauen.
Aus all diesen Gründen und vielen mehr verteidigen wir unsere Territorien. Unser Kampf geht nicht nur darum, unseren Besitz zu retten, sondern auch die Perspektive der totalen Befreiung für alle am Leben zu halten.
Als eine antagonistische Bewegung bauen wir jedes Mal Hürden, wenn der Staat und kapitalistische Aggression sich manifestieren.
Gegen den Alptraum einer verwesenden Gegenwart und Zukunft ist der einzige Ausweg ein kollektiver Kampf für eine Welt der Gleichheit, Solidarität und Freiheit.
The manifestation in front of the court started 45 minutes before the hearing with powerful speeches and some music. Comrades from another trial joined also the manifestation, to support 8 people, which had court on the same day, accused of interrupting the „Bundespresseschau“ in 2019 for the struggle in Kurdistan. All were acquitted with conditions.
At 12:15 the court of the accused with 125a started, a lot of people wanted to go inside the court, but only 12 were allowed in. The rest stayed outside, listening to more speeches, music and exchanging. Despite the cold, people stayed outside, till the accused comrade came out of the court.
It was a strong moment of coming together, supporting the accused comrades and fighting the judiciary system.
Inside the court the room was full, the comrade managed to read out a statement. The atmosphere was intense as the audience had the chance to „participate“ either by applauding, commenting or pissing of the judge and the prosecutor.
Only one of the two cops (Eike Bunsow) showed up to testify where he claimed again that he saw the accused throwing a object – possibly a grey stone – in the direction of a building. He could not see if the object hit the building or if any damage was caused.The other cop (PM Meier) did not show up, also without any excuse. The lawyer made an application for PM Meier to pay the court expenses.
The trial now will continue and has a new date for this Tuesday 29.11 at 15:00 at the same court and room. The hearing will be open to the public but there will be no manifestation outside. The accused has also the option not to be present and get represented by her lawyer.
Court statement of the accused and her soligroup:
On 01.08.2020 under the motto „Raus aus der Defensive“ thousands of people took the streets of Neukölln against the eviction of self-organised spaces, the gentrification of our cities and the repressive regime which has tried for decades to implement their model of sterilized neighborhoods and put total control on our lives. The anger and rage of the demonstrators put the repressive forces of the state and symbols of gentrification in their proper place, being forced into the defensive by the people of the struggle, if only temporarily. The incidents that took place on this date were neither an image of a dark past nor a dystopian future, instead a reality we face.
But on 01.08.2020 one could also witness the brutal dissolving of thousands of people, demonstrating against evictions of projects. Massive amounts of pepper-spray were used and violence from the side of police caused sever injuries- also by the police unit 11. The same police unit who is here today in the person of Eike Buensow to testify and tell a story which fits well to the repressive strategy and which helps them to build their career on. One of the leaders of exactly the same police unit, Sebastian Gerlach, some months ago got convicted from their own laws as not reliable source. Around the same time, another policeman, again of unit 11, got thrown out of the Riot Squads because of being too violent. Generally with cops, but especially with this unit, we deal with state agents that are responsible for violence, abuse and political persecution in hundreds of cases. So, in the same time their conviction of being untrustworthy by a court brings a superficial light to a well hidden phenomenon and also covers all the other cases that people in the city of Berlin are aware of by describing the behavior of some police as singular cases. We know that the police represses, tortures, rapes and murders in order to serve the profit of the state and capital. And it will not get better.
It will not get better because this kind of repression shows the monopoly on violence that has it’s origin in the Roman Empire. Rulers and nobles designed the law of Ewiger Landfrieden in 1495 to legitimate violence in specified territories, in order to assert their own legal claims within feuds and to facilitate a stronger nation state or to broaden imperial power. The German state has redesigned this law into §125 Landfriedensbruch and the monopoly on violence is now used against the oppressed who opposes any monopoly by showing their anger it the public realm. Public peace doesn’t exist because the disturbance comes from landlords, corporate and it’s a collaboration with the state which is repressing our will to freedom with their legalized violence. To keep order, they throw a few breadcrumbs in the form of a 9 euro ticket.
Using the accusation under §125A is using the narrative of legitimated violence without rethinking what oppression in Western Europe looks like. With that in mind, this law makes the court nothing than a absurdist puppet theater as it is still protecting the power for today’s and tomorrow’s rulers. Those rulers don’t even have to show up in court because their puppet cop army will do the work for them. They are being willfully used for the protection of land, property and corporate. They pretend to defend public peace within the legitimacy of monopolized violence against the oppressed by repressing, extracting land and murdering lives. In this well scripted theater, the accused gets criminalized for showing rage because basic existential needs are structurally deprived. This law is not the protection of public peace, this law is a tool for silencing and repression.
And from Berlin to Minneapolis, from Nicaragua to Greece, to Iran, to Indonesia and Turkey, the forces of repression are drowning revolts in blood and migrants in the seas. What took place on this demonstration two years ago, was a minimum answer and a massive sign of counter violence against the state’s and capital’s brutality. Moments like those on 1st August 2020 show us that our strength lies in fighting together.
It is a collective fight against the transformation of our streets into areas of consumption, leading to the displacement of residents and the restriction of our access to public spaces. Consequenting in the disappearance of any possible space for socio-political processes that could possibly question the existing power complex of domination.
Our neighborhoods and cities are part of a continuous gentrification designed to clean and sterilize them for the greedy motivation of capital, which presents itself as the solution to all problems.. With the political-economic aim to turn them into private recreational areas, places for capitalistic selling of commodities or land to be speculated on. The connection of self-organized places with local struggles, as with actions of solidarity and networks that they offer, is what gives them such social value serving as a territory and as a ground for struggles to be fought. They become reference points within their social surroundings. They are defined as territories because they are spaces where people can meet a number of basic needs and freedoms that they are unable to meet in any other commercial or statist space driven by the cold logic of profit.
The broader attack which escalated between 2020-2022 on the self-organised spaces and the structures of the antagonistic movement is not a policy that differentiates this government from every previous or the next one. Each time, depending on the manager of power and the prime minister, the words may change and be presented more or less aggressively, but nevertheless nothing else changes. Other fighting parts of the society also faced similar attacks after the demonstration on 01.08.2020 and there are many examples, from the unpaid workers of Gorillaz delivery company, to the youths at the parks during Covid-19, the disgusting living conditions of prisoners in German prisons during the pandemic, the violent eviction of Rummelsbucht camp during the cold winter of 2021, the targeting of political individuals and their imprisonment… and the list goes on. Examples of cases like these are under constant attack and devaluation, to the point where every person going against the established authority is fired from work, beaten or even murdered in the streets or at their homes, arrested without any evidence and marginalized from the rest of society.
The need for reaction grows, as the exploitation and attack we experience grows every day. When we speak of attack we are not only referring to direct repression but also indirect repression, like increasing rent, electricity and gas bills, and the constant revaluation of our basic necessities. And we speak also about war and the destruction of the earth as an attack from above.
In the demonstration on 01.08.2020 we did not only defend a leftist bar, but we created another collective moment of resistance, to counter-attack all of the actions of this unjust and violent system, where investors, cops, judges and prosecutors build their careers and profit by oppressing and murdering thousands everyday.
For all these reasons and many more, we defend our territories and our struggle is not to defend properties, but to keep the perspectives of total liberation for all alive. As an antagonistic movement we create barriers at every point where state and capitalist aggression manifests itself.
Against the nightmarish present and future imposed by a political-economic system in decay, the only way out is a collective fight for a world of equality, solidarity and freedom.