Der Preis ist heiss: Freitagsdemos und Textserie
Mobilisierungserinnerung fuer die Freitagsdemos, den anarchistischen Block auf der Umverteilendemo und Texte 1. zur Inflation allgemein, 2. zum Strommarkt und 3. zur Rolle der Europaeischen Zentralbank.
Die offene Versammlung zur Inflation „Der Preis ist heiss“ ruft jetzt jeden Freitag zur Demo vom Hermannplatz zum Kottbusser Tor auf. Beteiligt euch daran, endlich eine Mobilisierung ohne autoritaere Krisenloesungen sondern fuer eine Organisierung und einen Widerstand von unten aufzubauen. Ihr koennt ganz einfach mitmachen, indem ihr z.B. plakatieren geht. Plakate gibt es an folgenden Auslagestellen:
New Yorck im Bethanien, Mariannenplatz 2a, Kreuzberg
Kalabal!k, Reichenberger Straße 63a, Kreuzberg
Kadterschmiede, Rigaer Straße 94, Friedrichshain
Stadtteilladen Zielona Góra, Grünberger Str. 73, Friedrichshain
Schwarze Risse, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg
Kommt Freitags auf die Demos (17 Uhr Infotisch und 18 Uhr Demo vom Hermannplatz zum Kotti) und am 12.11. in den anarchistischen Block auf der „Umverteilen“ Demo.
Kommt auch auf die offenen Versammlungen (die naechste ist am 6. November um 14 Uhr im Bethanien Suedfluegel in Kreuzberg). Ihr koennt euch mit eigenen Ideen einbringen. Es wird auch unterstuetzung benoetigt, z.b. dabei, Texte zu uebersetzen um moeglichst viele Menschen zu erreichen.
Die offene Versammlung hat mittlerweile einen Blog (derpreisistheiss.noblogs.org) und gibt jetzt auch eine Broschuere heraus, die sich mit der Inflation beschaeftigt, um ein gemeinsames Verstaendnis dieses Themas zu schaffen. Wir veroeffentlichen hier die drei Texte.
1.
Was ist Inflation?
„Nach meinen Berechnungen liegt die gefühlte Inflation in Deutschland deutlich höher als die offizielle Zahl – nämlich bei rund 8,5 Prozent“ – Wirtschaftswissenschaftler Gunter Schabel bei einer offiziellen Inflation von 5,5 % im Februar 2022
Unter Inflation wird allgemein ein Verlust der Kaufkraft von Geld verstanden. Das heißt für die gleiche Menge an Geld bekommt man weniger als in der Vergangenheit. Oder der gleiche Döner kostet jetzt plötzlich 6 Euro statt 4 Euro wie vor einem Jahr.
Ein weiterer Aspekt der Inflation ist die Frage: Wie wird diese gemessen und was wird gemessen? Wird in den Medien die Inflationsrate genannt, handelt es sich um den Verbraucherpreisindex. Also ausschließlich um Güter, die wir konsumieren und verbrauchen. So kommt es auch, dass in den vergangenen 10 Jahren nicht von Inflation die Rede war, auch wenn manche Preise massiv gestiegen sind. Kunstwerke, Oldtimer, Immobilien und selbst absurde Dinge wie Pappkarten für das Sammelkartenspiel ‚Magic – The Gathering‘ sind im letzten Jahrzent mit rund 10 % pro Jahr teurer geworden.
Das alles könnte den Leuten von unten egal sein, doch auch wir brauchen gelegentlich sogenannte Vermögensgüter. Der Preis für Immobilien zum wohnen (und damit auch die Mieten) z.B. ist bereits in der Vergangenheit enorm gestiegen, wird jedoch gar nicht erst mit einbezogen, da es sich nicht um Verbrauchsgüter handelt.
Warenkorb: eine etwas beliebige Auswahl an Dingen für das tägliche Leben – von Lebensmitteln zu Kleidung bis Haushaltswaren.
Besonders trickreich wird es bei der Zusammensetzung des Warenkorbs anhand derer die Inflation gemessen wird. So werden z.B. Güter im Warenkorb durch andere ersetzt, wenn die Konsument*innen diese aufgrund relativ gestiegener Preise durch günstigere Produkte ersetzen. Statistisch gesehen fragwürdig, da die Reaktion auf Inflation bereits in die Inflationsmessung miteinfließt. Geradezu absurd wird es bei Produkten die ihre Qualität im Laufe der Zeit verändern. So lag z.B. der Preis für einen durchschnittlichen Pkw im Jahr 1999 bei 18.500 Euro, war er 2020 um fast 100 Prozent auf gut 36.000 Euro gestiegen. In der Statistik wird jedoch nur ein Preisanstieg von 22,5 Prozent ausgewiesen. Nun ist es klar das ein Auto im Jahr 2020 ein paar Verbesserungen gegenüber 1999 aufweist, ein niedrigerer Spritverbrauch oder weniger Lärm im Innenraum z.B.. Dies ändert jedoch nichts daran dass ein Auto ein Auto bleibt welches uns von A nach B bringen soll. Diese Verbesserungen sollen jedoch laut Statistikamt über 70% des gestiegenen Kaufpreises ausmachen! Ein Auto mit dem Stand von 1999 zu 22,5% gestiegen Preisen können wir jedoch garnicht kaufen, die Inflationszahl ist nicht in die Realität umsetzbar, es handelt sich also um eine statistisch verzerrte reine Fantasiezahl.
Wir merken also, schon die ausgewiesene Inflationsrate ist keine präzise bestimmbare wissenschaftliche Größe, sondern ein hochpolitischer Wert. Im Text „Die Rolle der europäischen Zentralbank“ werden wir näher darauf eingehen warum Staat und Kapital Interesse daran haben die Inflationsrate niedriger darzustellen als sie für viele Menschen eigentlich ist.
2.
Strommarkt
„Ich beziehe doch Ökostrom, wieso soll ich denn jetzt wegen gestiegener Gaspreise mehr für Strom zahlen, der Preis von Wind und Sonne hat sich nicht geändert…“ So mag der oder die eine derzeit denken.
Dafür verantwortlich sind zwei Dinge: Erstens die kapitalistische Logik, denn Strom wird seid 20 Jahren an der Strombörse gehandelt, und Strom wird nicht günstiger verkauft, als der Preris der sich dort bildet.
Zweitends ist es die Gesetzeslage wie sich der Preis dort bildet, denn es gilt dort per Gesetz das Prinzip des Grenzpreises. Das heißt, dass nicht wie an einer normalen Börse der Preis gezahlt wird den die Anbietenden verlangen. sondern das teuerste Kraftwerk, welches gerade noch benötigt wird um die Stromnachfrage zu decken, gibt den Preis vor. Alle Anderen erhalten auch diesen Preis, selbst wenn sie ihr Angebot selbst viel niedriger gemacht haben.
Dieser Gesetzeslage zugrunde liegt das sogenannte ‚Merrit-Order-Modell‘, welches eine wirtschaftswissenschaftliche Theorie darstellt, wie sich Preise für Strom bilden.
Dem Modell zufolge bieten Stromerzeuger ungefähr mit ihren Betriebskosten an der Strombörse, bei Erneuerbaren Energien also fast 0. Damit diese dennoch ihre Investitionskosten wieder einspielen können, wurde festgelegt dass diese einfach den Preis bekommen den das derzeit teuerste (fossile) Kraftwerk bekommt.
In der aktuellen Situation, wo es enorme Unterschiede in den Betriebskosten einzelner Kraftwerksarten gibt, ist dieses System zudem leicht zu manipulieren. Ein Beispiel: Ein Betreiber von Wasserkraftwerken rechnet sich aus, dass mit allen seinen Kraftwerken in Betrieb ein Kohlekraftwerk das teuerste Kraftwerk sein wird. Wenn er nur die Hälfte seiner Wasserkraftwerke in Betrieb nimmt, wird ein Gaskraftwerk benötigt um die Nachfrage zu decken. Ein Gaskraftwerk ist fünfmal so teuer wie ein Kohlekraftwerk. Wenn der Wasserkraftwerksbetreiber nun nur die Hälfte seiner Kraftwerke anbietet macht er den 2,5-fachen Gewinn, obwohl er selbst garkein Gas- oder Kohlekraftwerk besitzt.
Diese System ist nicht nur völlig absurd und, vor dem Hintergrund dass viele Leute ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen werden können, geradezu kriminell. Es ist auch nicht Zukunftsfest. In Deutschland macht die Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien, derzeit knapp 50 % der Erzeugung aus. Im Zuge des EE-Ausbaus wird dies bis 2030 auf über 80 % ansteigen. Wir werden also 80 % unseres Strom sehr günstig erzeugen (EE haben inzwischen die niedrigsten Kosten aller Erzeugungsarten) aber müssen dafür weiterhin den Preis bezahlen, als ob all unserStrom aus Gas kommt.
Es zeigt sich beim Strom, der Preisanstieg wird nicht nur wegen dem Krieg in der Ukraine oder den Sanktionen verursacht, sondern durch die Politik der Regierung, der EU und ebenjener Lobbyist*innen, welche diesen das wahnwitzige System der Strombörse eingeflüstert haben.
3.
Rolle der EZB
„Dies geht unter Umständen damit einher, dass die Inflation vorübergehend moderat über dem Zielwert liegt“ – EZB Chefin Lagarde anlässlich der Vorstellung eines neuen (höheren) Inflationsziels im Juli 2021
Wie wir alle in unseren Geldbeuteln merken ist dieses Zitat nicht gut gealtert; statt vorübergehend steuert die Inflation in Deutschland ungebremst auf zweistellige Werte zu. Bei Nahrungsmitteln und anderen Alltagsgütern liegt sie sogar bereits bei über 20 %. Doch warum geben sich die Europäische Zentralbank oder auch das Statistikamt (siehe Artikel 1) soviel Mühe die Inflation ständig klein zu reden und zu rechnen? Nun, weil die EZB dann keine Veranlassung hat ihre Politik des Gelddruckens zu ändern. Und von dieser Politik profitieren Staat und Kapital erheblich.
Doch wie funktioniert das mit dem Gelddrucken eigentlich?
Es gibt zwei Wege um neues Geld in Umlauf zu bringen. Der erste und „normale“ Weg ist über Kredite und die normalen Banken. Eine Bank die einen Kredit vergibt schafft dabei neues Geld, da sie nur (in der Eurozone 1%) einen Bruchteil der zu verleihenden Summe tatsächlich als Kundeneinlagen oder Kredit der Zentralbank tatsächlich besitzen muss. Der Rest ist neu erschaffenes Geld, im Fachsprech Giralgeld. In dieser Logik kann die Zentralbank mit der Senkung der Leitzinsen das Wachstum der Wirtschaft stimulieren. Leitzinsen sind die Zinsen, welche Banken erhalten in dem sie ihr Geld bei der Zentralbank einlagern, somit orientieren sich die Zinsen für die Kreditvergabe hieran, da die Banken natürlich mehr Geld verdienen wollen als mit Geld parken bei der Zentralbank. Durch günstigere Zinsen gibt es mehr Kredite und mehr neues Geld welches (theoretisch) in Investitionen fließt: Die Wirtschaft wächst.
In der Praxis gilt dieser Zusammenhang nur noch sehr eingeschränkt. Fast alle Zentralbanken fahren seit einem Jahrzehnt eine starke Niedrigzinspolitik. Ein starkes Wirtschaftswachstum blieb jedoch aus. Trotz der Möglichkeit sehr günstig Kredite aufzunehmen wurde dies nicht genutzt oder das neue Geld nicht in realwirtschaftliche Investitionen umgesetzt. Die Zinsrate kann jedoch nicht unter 0 % gesenkt werde, da die Leute ansonsten Bargeld horten. Diese Situation, ein geringes Wirtschaftswachstum welches ein niedrigeres Zinsniveau suggeriert, aber gleichzeitig die Zinsen bereits bei 0 sind, heißt in der Fachsprache Liquiditätsfalle und besteht in mehr oder weniger allen entwickelten Volkswirtschaften spätestens seit der Finanzkrise 2009.
Dies bringt uns zum zweiten Weg wie heutzutage das meiste Geld in Umlauf gebracht wird. Nachdem die Leute trotz niedriger Zinsen keine Kredite aufnehmen wollen (bzw. dies nicht können, wie später noch geschildert), wurde sich überlegt wie trotzdem Geld in Umlauf gebracht werden kann um „Investitionen zu stimulieren“. In der wirtschaftsfreundlichen „Fachsprache“ heißt das Zauberwort Quantitative Easing, was nichts anderes bedeutet dass die Zentralbank Geld druckt und dies ohne den Umweg über die Banken in Umlauf bringt. Mit diesem Geld werden dann Staatsanleihen und Aktien gekauft. Dies senkt die Zinsen für Staatsanleihen und hebt die Aktienpreise.
Doch was hat all dies jetzt mit den Preisen zu tun?
Volkswirtschaftlich betrachtet gilt für das Preisniveau folgende Formel: Geldmenge*Geldumlaufgeschwindigkeit=Preisniveau*Güterangebot
Das Preisniveau kann also steigen wenn entweder Geldmenge bzw. Umlaufgeschwindigkeit (diese ist allerdings stark mit der Inflation verknüpft und daher vernachlässigbar) steigen oder das Güterangebot sinkt. In der gegenwärtigen Lage überlagern sich diese Effekte und die jeweiligen politischen Lager und ihre Hausökonomen picken sich den jeweils ihnen genehmen Teil heraus. Für gewerkschaftsnahe Ökonomen erklärt sich die Inflation durch sinkendes Angebot (z.B. weniger Gas oder langsamere Lieferketten) bei gleichbleibender Geldmenge. Staatskritische Ökonomen betonen die steigende Geldmenge der vergangenen Dekade. In der Praxis haben beide Seiten recht.
Zu beachten ist, wer erhält das neue Geld und kauft damit was. In der vergangenen Dekade erhielten das neue Geld fast ausschließlich Banken, Unternehmen und reiche Leute. Denn arme Leute sind in der Regel nicht kreditwürdig und besitzen auch keine Aktien oder Staatsanleihen. So erklärt sich, warum die Inflation bisher nur auf die Vermögenspreise gewirkt hat. Denn Leute die schon vorher mehr als genug Geld hatten, kaufen mit dem neuen Geld keine Komsumgüter, sondern ihre Drittwohnung. In der Coronakrise hat sich dies dann geändert, erstmals bekamen auch Leute die ihre Konsumausgaben noch steigern können ein paar Krümel der Geldschwemme ab. Und prompt zogen die Preise für Konsumgüter an.
Volkswirtschaftflich ist es eine Binsenweisheit das zusätzliches Geld nichts real an den wirtschaftlichen Verhältnissen ändert. Das neue Geld erzeugt ein kurzes Strohfeuer und nachdem die Preise sich angepasst haben ist alles wie vorher nur mit höheren Preisen. Warum wird diese Strategie dann doch so agressiv verfolgt?
Der Staat als größter Schuldner profitiert von dem neuen Geld in zweierlei Maß. Erstens wird durch das neue Geld die Inflation angeheizt und dadurch die bestehenden Schulden weniger Wert. Zweitens wird durch den Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank deren Zinsen und damit die Kosten für neue Staatsverschuldung gesenkt. Somit kann der Staat weiterhin viel Geld ausgeben und damit (eventuell) gute Dinge finanzieren. In diese Richtung argumentieren auch einige vermeintlich Linke, gewerkschaftsnahe Ökonomen.
Für die Kapitalfraktion entsteht der Reiz der Geldschwemme vor allem in der extremen Asymmetrie der Verteilung des neuen Gelds. Sie stehen in der Nahrungskette der Geldverteilung oben und erhalten dieses Geld zuerst, sie können also mit dem neuen Geld noch zu den alten Preisen einkaufen. Hat sich das neue Geld in der Wirtschaft verteilt und die Preise steigen auf breiter Front haben sie, gemessen in Geld, schon erheblichen Gewinn gemacht. Für alle die nicht von dem neuen Geld profitieren weil sie keine Kredite bekommen und keine Aktien besitzen bleiben nur die gestiegenen Preise. Dieser Effekt wird Cantillon Effekt genannt.
Wohlgemerkt, es findet durch das neue Geld kaum zusätzliche Produktion oder Mehrwert statt. Es handelt sich bei Inflation allein um eine Neubewertung der bestehen wirtschaftlichen Güter. Es findet somit eine massive Umverteilung von den Leuten die nur ihre Arbeitskraft und etwas Geld besitzen hin zu Staat und Kapital statt.
Diese massive Umverteilung wird dabei maßgeblich von einer Institution gelenkt die keinerlei demokratische Legitimation besitzt. Die EZB ist niemanden gegenüber rechenschaftspflichtig und „unabhängig“, damit sie nicht Geld druckt für den Staat. Nebem dem Fakt, dass dies offensichtlich nicht funktioniert, die EZB kauft ja gerade Staatsanleihen um den Staat zu finanzieren, ist es interessant sich vor Augen zu führen was unabhängig eigentlich bedeutet. Ist die EZB unabhängig von deiner und meiner Meinung oder unabhängig von der Bundestagswahl? Mit Sicherheit. Ist die EZB unabhängig von der herrschenden ökonomischen Mainstreamlehre, von dem was Lagarde in ihrer Ausbildung gelernt hat, von dem was Think Thanks auf Ökonomentreffen verbreiten? Schon deutlich weniger. Wer die Diskurshoheit in dieser Ökonomensphäre hält kann die Geldpolitik ohne demokratische Kontrolle gestalten.
Staat und Kapital haben sich hier das perfekte System geschaffen. Ohne Demokratie können Sie den arbeitenden eine Steuer auferlegen welche zugunsten von Staat und Kapital umverteilt. Diese Steuer heißt Inflation und liegt im September 2022 in Deutschland bei 10 %!