Krieg, Faschismus und Emanzipation

/// Dieser Text wurde auf indymedia nach seinem Erscheinen wieder gelöscht. Vermutlich, weil einzelne Betreibende es nicht ertragen können, dass ich das russische Regime – begründet – als faschistisch bezeichne und das Recht von Menschen auf ihre Selbstverteidigung gegen die Invasion verteidige. Ganz ohne dabei an Regierungshandeln zu appellieren. Diesen Text zu zensieren, ist nicht weit davon entfernt davon zu schwafeln, dass die DDR der „bessere Staat“ gewesen wäre. Diesen Text zu zensieren, bedeutet mit ekelhaften Abwehrreflexen zu reagieren, wenn einmal auf differenzierte Weise an verkrusteten Dogmen gerüttelt wird. Wer die soziale Revolution will, muss einen klaren Strich zum autoritären Kommunismus ziehen. ///

Notgedrungen schreibe ich noch ein paar Zeilen zum Thema des Krieges. Seit dessen Beginn hatte dazu verschiedene Nachrichten gelesen – regelrecht konsumiert – um mir einen Überblick zu verschaffen. Das ist meine Strategie mit Ereignissen umzugehen, die mich zutiefst erschüttern. Dass darauf auch anders reagiert werden kann, ist schon klar. Dass ist eben eine Frage der Kapazitäten, also was sonst noch zu bewältigen ist, im Leben. Zugleich finde ich es auch gut, mich nicht – wie es früher oft mein Impuls war – sofort irgendwie in irgendwas hineinzustürzen, sondern zuvor darüber zu reflektieren. Mittlerweile lese ich wieder nur noch sporadisch Nachrichten. Aktuell sieht es offenbar danach aus, als würde Russland den Sieg„frieden“ durch die Annexion südöstlicher Regionen der Ukraine durchsetzen.

Die Durchhalteparolen, welche in den Medien der westlichen Länder kommuniziert wurden, erwiesen sich insofern als Propaganda, als dass das russische Militär – trotz aller anfänglichen Überraschungen – in der Feldschlacht und mit der Artillerie weit überlegen ist. Das militärische Kräfteungleichgewicht aufzuheben, würde für die NATO-Staaten bedeuten, über die Waffenlieferungen hinaus, Truppen zu schicken. Aber in einen offenen Krieg mit Russland werden sie sich nicht führen lassen. Deswegen scheint die Situation darauf hinaus zu laufen, dass die Ukraine geteilt und möglicherweise der westliche Teil in die EU und NATO integriert wird, sodass ein neuer eiserner Vorhang errichtet wird – worauf sich auch die baltischen Staaten einstellen. Bis dahin wird es wohl noch viele Tote und Zerstörung geben. Und das ist schrecklich.

Im Übrigen ist es auch eine ekelhafte Strategie der russischen Führung, Flüchtlingsströme zu erzeugen und damit zu destabilisieren, wie spätestens die Situation an der belarussisch-politischen Grenze im letzten Jahr gezeigt hat. Als die kriegslüsternen USA ab 2003 unter gefakten Vorwänden den Irak angriffen und Hunderttausende ermordet wurden, war Destabilisierung keine Absicht. Und setzte – oh Wunder! – dennoch in der gesamten Region ein, brachte unendliches Leid und nährte damit den fundamentalistischen Islamismus, ohne welchen auch die Aufbrüche im „Arabische Frühling“ nicht so traurig gescheitert wären.

Wie also soll man sich dazu aus anarchistischer Perspektive verhalten? Und aus welcher? Da sich mein Einfluss höchstens ansatzweise auf mein eigenes Umfeld und größtenteils auf die eine oder andere Szene-Veranstaltung beschränkt, stelle ich mich nicht wie politische Idioten hin, um dies und jenes zu fordern. Seien es Waffen für das ukrainische Militär, Boykotts von Gaslieferung oder „endlich Frieden“ (= den durch Russland erzwungenen Krieg). Solches Verhalten fand ich schon immer völlig absurd. Gut wäre, trotz aller Ohnmachtsgefühle, Dinge in die eigenen Hände zu nehmen.

Ich wünsche mir, dass alle Ukrainer*innen, die das wollen, auf verschiedene Weisen und auch mit Waffengewalt gegen die russische Invasion kämpfen können. Daher habe ich Respekt vor allen Menschen, die ukrainische Geflüchtete unterstützen – auch wenn es zynisch ist, das Menschen aus Syrien nicht genauso unterstützt wurden. Deswegen finde ich es gut, wenn es (noch viel mehr) Freiwilligenverbände gibt, die sich anarchistisch positionieren und bewaffnet gegen das russische Militär vorgehen – auch wenn sie das in den bitteren Widerspruch führt, an der Seite des ukrainischen Staates zu kämpfen, dessen Nationalismus und Oligarchie ja durch den Krieg nicht weniger, sondern mehr wird.

Meine Grundentscheidung steht aber fest, denn: Was seinen Herrschaftsapparat und die vertretene Ideologie angeht, halte ich die russischen Machthabenden für – im beschreibenden Sinne – faschistisch. Auch, wenn dies mit dem historischen Faschismus oder gar dem NS nicht verglichen werden kann und sollte. Der Faschismus in Russland tritt nicht erst seit der Invasion der Ukraine zu Tage, sondern wird seit zwei Jahrzehnten forciert – und von den westlichen Regierungen in ihrer heuchlerischen Doppelmoral ignoriert oder gelten gelassen. (So etwa, wie z.B. die Diktatur von al-Sisi in Ägypten durch europäische Länder toleriert bzw. auch mit Waffenlieferungen unterstützt wird. Was aber ebenso durch Russland geschieht.) Andernfalls müssten diese sich wirtschaftlich umorientieren oder sich mit ihrer eigenen Menschheitsverbrechen beschäftigen.

Wenn ich von „Faschismus“ spreche, dann meine ich keinen nichts-sagenden Propagandabegriff. Ich meine die brutale Homogenisierung der Bevölkerung, die grausame Unterdrückung von Minderheiten, die Durchführung von gefakten Anschlägen, als Vorwand, Kriege zu führen und die gezielte Verbreitung von Fake-News. Ich meine damit die Inhaftierung und Ermordung von Oppositionsführern, die Behauptung, der Widerstand in der eigenen Bevölkerung sei vom Ausland gesteuert, die Säuberung der eigenen Reihen und damit die Errichtung es paranoiden, in sich hermetisch abgeschlossenen totalitären Herrschaftsapparats. Schließlich meine ich damit die imperialen Großmachtbestrebungen, mit welchen massive soziale Probleme durch eine korrupte Oberschicht mittels nationalistischer Kränkung überdeckt wird. Damit einher gehen Militarismus und der Einmarsch in Nachbarländer, wie etwa zur Zerschlagung der Unruhen im autoritären Kasachstan Anfang 2022 durch russische Truppen.

Mehrere dieser Aspekte sind auch in westlich-liberalen Gesellschaften zu verschiedenen Graden vorhanden. Denn sie sind Merkmale von kratos, der modernen Nationalstaatlichkeit, welche ihrem Wesen nach auf Gewalt, Zwang, Homogenisierung, Fremdbestimmung, Zentralisierung, Hierarchisierung und Autoritarismus beruht – und diese Eigenschaften in die Gesellschaft hineinprojiziert. Der Faschismus ist also als Zuspitzung der autoritären, zentralistischen und hierarchisierenden Aspekte des Staates zu begreifen, welcher terrorisierte und vereinzelte Individuen in das Konstrukt einer patriarchalen „Volksgemeinschaft“ auflöst, die durch die Erzeugung grauenhafter Feindbilder integriert wird.

Man kann eine Fundamentalkritik daran üben, dass nationalstaatliche Formen stets latente faschistische Tendenzen beinhalten. Und das stimmt pauschal, schauen wir auf die Funktionsweise von Polizei, Militär, Gefängniswesen, aber auch auf die Verbreitung von sozialchauvistischen, sexistischen, rassistischen Einstellungen. Aber gleichzeitig sagt es auch nichts aus. Viel radikaler, weil zutreffender, ist Staatskritik dann, wenn sie nicht nur seine Auswüchse, sondern seine Entstehung und Durchsetzung, seine Ideologie und sein Rechtssystem, seine Bürokratie und Sozialstaatlichkeit, also auch die von ihm geschaffene „Bevölkerung“ und „Zivilgesellschaft“ kritisiert. Dies ist aber ein anderes Thema und muss daher hier nicht weiter verfolgt werden.

„Faschistoid“ ist nicht jede gängelnde Vorschrift, jedes einschränkende Gesetz, auch nicht individuell-autoritäres Verhalten oder gar eine klare Positionierung (Wie die Maskulinisten mit ihrem Verleumdungsbegriff „Feminazis“ gegenüber Feministinnen behaupten, womit sie sich auf eine übersteigerte Vorstellung von bürgerlicher „Freiheit“ beziehen). Faschistoid ist es, Obdachlose oder Transpersonen zu erschlagen, weil sie ohnehin ausgeschlossen sind oder – in einer krankhaften Täter-Opfer-Verkehrung – als bedrohliche Andere wahrgenommen werden. Faschistoid ist es, Unterkünfte von Geflüchteten anzuzünden.

Faschistoid ist auch das russische Regime, das Verhalten und die Gedanken des Diktators, sein totalitäres Machtgefüge und damit seine Schule – der KGB – und also der Stalinismus, aus welchem dieser entstammt. Faschistoid ist ein Denker wie Alexander Dugin, welcher über eine bestimmte weltanschauliche Position hinaus, Ideologien und Mythen spinnt, die einen faschistischen Staat (im hier verstandenen Sinne) ermöglichen und rechtfertigen. Dies ist kein historischer, sondern ein struktureller Vergleich, der nicht leichtfertig in den Raum gesprochen werden sollte.

Es gibt offensichtlich entscheidende Unterschiede, wie die faschistischen Tendenzen von Nationalstaatlichkeit in unterschiedlichen Gesellschaftsformen ausgeprägt sind und wie sie in die Schranken gewiesen werden können, um Emanzipation und potenziell sozial-revolutionäre Transformation zu ermöglichen. Betrachtet werden muss also auch, welchen faschistoiden Verhaltensweise in welchen Gesellschaftsformen wie viel Raum gegeben wird bzw. wie diese – im Fall Russlands auch sehr klar – gefördert werden.

Dies zu thematisieren, führt aber nicht zu einem bloß reflexhaften Anti-Faschismus und zur Verteidigung der westlich-liberalen Herrschaftsordnungen, weil sie eben das geringere Übel wären. Nein, der ukrainische Staat ist wie jeder Nationalstaat, nichts, dass es sich an sich zu verteidigen lohnt. Dagegen ist Rojava eben ein anderes Beispiel, weil trotz aller Schwierigkeiten, durch die kurdische Autonomiebewegung versucht wird, die Nationalstaatlichkeit selbst zu untergraben und abzubauen – was nicht zuletzt ein wesentlicher Grund für ihre vehemente Bekämpfung durch das autoritäre türkische Regime ist. Was nicht zuletzt zeigt, mit welcher Gewalt Nationalstaaten ihre Form nach innen und außen aufrechterhalten und durchsetzen müssen.

Trotzdem gibt es – ich wiederhole es – schlimmere und bessere Herrschaftsordnungen und Gesellschaftssysteme, wie bereits Bakunin und Kropotkin zutreffend feststellten. Meine Überzeugung ist, dass libertär-sozialistische Aufbrüche nicht in derart autoritären Regimen und zwangs-homogenisierten Gesellschaftsformen wie in Russland stattfinden können. Ich wünsche mir zutiefst, dass es in Russland zu massenhaften Desertionen, Anschlägen und Revolten kommt, die den Weg für etwas Besseres ebnen würden. Aber das ist ein langer Weg und damit zunächst ein frommer Wunsch. Für libertär-sozialistische Transformation braucht es demokratische Grundrechte und -freiheiten, den Schutz von Minderheiten, ein ziviles Verständnis von Menschenwürde, das Erlernen von Selbstbestimmung und soziale Umverteilung.

Trotzdem diese sozialen Rechte notwendigerweise immer wieder durch Regierungen eingeschränkt werden, bestehen sie in Gesellschaftsformen, die im Unterschied zu Russland, der Türkei oder China zurecht als „demokratisch“ bezeichnet werden können. Dass Demokratie lediglich ein Aspekt der Herrschaftsordnung ist und sie kaum in Wirtschaftsunternehmen, Kirchen oder Universitäten hinein reicht, ist ebenfalls bekannt. Und Demokratie sollte aus anarchistischer Perspektive ebenfalls kritisiert werden. Doch warum mit den demokratischen Seiten der bestehenden Herrschaftsordnung anfangen, wenn diese doch nur zu einem relativ geringen Grad ausgeprägt sind?

Sozialen Rechte und Freiheiten, die tatsächlich im zwischenmenschlichen Miteinander gelten, werden nicht durch Gesetze gewährt, sondern von Menschen genommen und erkämpft. Sie sind beispielsweise in Deutschland nicht deswegen vorhanden, weil die Herrschaftsordnung hierzulande irgendwie an sich „menschlicher“ oder gar „weiter entwickelt“ wäre, sondern weil soziale Rechte historisch graduell errungen werden konnten. Daran lohnt es sich anzuknüpfen und für die soziale Revolution im 21. Jahrhundert zu kämpfen.

Dies ist keine eindimensionale oder gar zwangsläufige Entwicklung, sondern setzt das leidenschaftliche Handeln von Menschen, ihre Organisierung und Bewusstseinsbildung voraus. Bei allen globalen reaktionären Tendenzen – ob in Russland, in den USA, Brasilien, China, in der Türkei, Ungarn, Polen oder auch in der BRD – geht es darum, emanzipatorische Errungenschaften zunichte zu machen. Egal, ob es um soziale Umverteilung, FLINTA-Rechte, Naturschutz, vielfältiges Miteinander, Selbstbestimmung, Demokratisierung der Wirtschaft, Vergesellschaftung von Eigentum oder kommunalistische Partizipation geht.

Aus diesen Gründen bin ich der Überzeugung, dass es mit allen Mitteln gegen die russische Invasion in der Ukraine anzukämpfen gilt – ohne deswegen an europäische Regierungen zu appellieren, stumpfsinniger Propaganda oder westlicher Wirtschaftsinteressen auf dem Leim zu gehen. Deswegen muss sich ja niemand – wie leider häufig während der Pandemie geschehen – zum konformistischen Regierungstrottel degradieren und aufhören, Kritik an den 100 Milliarden für die Aufrüstung, Militarismus oder Rüstungsgewinne in der BRD zu üben.

Aber „Linke“, welche ernsthaft die russische Invasion rechtfertigen oder relativieren (was übrigens auch mit neoleninistischen Imperialismus-Theorien getan wird), gilt es aus emanzipatorischen Zusammenhängen auszuschließen. Wer jetzt noch nicht den Wink mit dem Zaunpfahl gehört hat und krampfhaft an althergebrachten Denkmustern festhält, projiziert auf das Putin-Regime seine eigenen hochgradig autoritären Wünsche – und ist deswegen für emanzipatorische Bestrebungen verloren.

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