Schöne, neue Rüstungswelt

Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine verhilft einer Branche zu ganz neuem Ansehen und glänzenden Geschäften. Investieren, wenn es knallt, lautet die Devise – und das ist für einige ziemlich lukrativ.

Das Missverständnis beginnt schon damit, dass Unternehmen, die Panzer, Lenkwaffen oder Korvetten bauen, sich nicht so gerne als „Rüstungskonzerne“ präsentieren. Lieber sprechen sie von sich als Sicherheits- und Verteidigungsbranche. Das klingt in jedem Fall eleganter und weniger nach zerbombten Häusern, es ist aber leider nur die halbe Geschichte. Denn wo sich jemand verteidigt, gibt es auch einen Angreifer, und der fährt in der Regel nicht mit Lastenfahrrädern vor. Damit ein Krieg also überhaupt stattfinden kann, müssen alle ihre Waffen irgendwo bestellt haben.

Mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine sind diese Unternehmen nun auf einmal en vogue. Wo auch die öffentliche Rhetorik täglich militärischer wird, da verschiebt sich einiges – auch das Image der Rüstungsindustrie. Wer in diesen Wochen Berichte über Waffen sieht, könnte den Eindruck bekommen, dass Kettenfahrzeuge die neuen Autos sind. Auf einmal geht es auch hier um PS, Höchstgeschwindigkeit, Länge. Sind Schützenpanzer jetzt die neuen Porsche 911 aus dem Großraum Stuttgart? Wird aus Auto, Motor, Sport jetzt Panzer, Motor, Sport?

Die Aktien von Rheinmetall stiegen zuletzt um 150 Prozent

Dabei ist es nicht so, dass Wladimir Putin die Branche wieder groß gemacht hätte. Nicht die Rüstungsindustrie hat sich in diesen Wochen verändert, Raketenwerfer sind immer noch dieselben tödlichen Waffen, die sie auch schon vor dem 24. Februar waren. Die Geschäfte mit Rüstungsgütern florieren seit Jahren, weil die Ausgaben für Militärgüter weltweit auf immer neue Höchststände erreichen. Was sich mit Beginn dieses neuen Krieges in Europa aber verändert hat, sind Rolle und Wahrnehmung dieser Branche. Vorher schmutziges Geschäft, jetzt notwendiges Übel. Mag die Welt auch im Kriegsmodus sein, und die Inflation ebenso steigen wie die Angst vor einer längeren Rezession und schweren Hungerkrisen: Die Aktien des Düsseldorfer Rüstungskonzerns Rheinmetall haben zuletzt um 150 Prozent zugelegt. Investieren, wenn es knallt – wenn das die neue Normalität ist, ist sie für einige ziemlich lukrativ.

Auf den ersten Blick sind diese Konzerne ja auch wie alle anderen – knallhart kalkulierende Wirtschaftsunternehmen, bei denen es um sehr profane Dinge geht wie Stückzahlen, Gewinn, Umsatz und Absatzmärkte. Und doch gibt es einen Unterschied: Das Geld wird mit Produkten verdient, die Tod bringen. Es ist ja kein Zufall, dass die Vertreter dieser Branche in den vergangenen Jahren meist verschwiegen auftraten, dies hatte immer auch mit ihrem schlechten Image zu tun. Die Szene galt als die dunkle Seite der Industrie, die ihre Produkte gerne nach Ägypten und Katar, Israel oder in die Türkei lieferte, manchmal an Orte, an die sie nach Meinung ihrer Kritiker ganz bestimmt nicht hingehörten. Dass man seit Beginn des Krieges wieder mehr von diesen Unternehmen hört, ist kein Zufall: Wegen des aggressiven russischen Angriffskrieges bahnt sich eine neue Hochkonjunktur für Panzer und andere Rüstungsgüter an.

Rüstungskonzerne werden eben nie nur reine Wirtschaftsunternehmen sein

Es geht immer ums Geschäft, manchmal wirkt das im Nachhinein bizarr. Wie jene Pressemeldung, die Rheinmetall vor mehr als zehn Jahren rausschickte. Unter der Überschrift „Rheinmetall mit Großauftrag erfolgreich in Russland“ informierte das Unternehmen über den Plan, im Auftrag des russischen Verteidigungsministeriums ein Trainings- und Ausbildungszentrum zu bauen. Ein Auftrag von „besonderer strategischer Bedeutung“. Das Projekt, 2011 wohl noch ein normales Geschäft, scheiterte später am Widerstand der Bundesregierung – was vorher noch als strategisch bedeutend galt, war nun strategisch riskant. Und wenn heute russische Panzer älteren Datums über ukrainische Straßen rollen, dürfte hier und da auch noch Hightech Made in France mit an Bord sein. Es wird geliefert, auch wenn sich die Welt später mal drehen sollte. Selbst wenn der solvente und treue Kunde von heute vielleicht der böse Aggressor von morgen ist. Das Dilemma: Waffen halten lange, viel länger als die meisten Regierungen.

Der Export dieser Unternehmen ist deshalb nicht zufällig streng reglementiert: Weil ihre Produkte töten können, dürfen sie nicht in falsche Hände geraten. Auch deshalb sind Rüstungskonzerne eben doch nicht nur reine Wirtschaftsunternehmen, und sie werden es auch nie sein. Das sollte jeder bedenken, der jetzt überlegt, ihre Aktien zu kaufen. Wenn die Rüstungsbranche Umsatz und Gewinn steigert, wenn, wie Börsianer sagen, „Kursfantasien“ entstehen, dann klettern zwar „nur“ Aktienkurse. Aber über den Zustand der Welt sagt das in der Regel nichts Gutes aus.

Eine Welt ohne Rüstungskonzerne wäre daher die bessere, keine Frage. Da es aber immer Länder geben wird, die Waffen haben und damit andere Staaten bedrohen oder gar angreifen, wird diese Welt wohl leider eine Illusion bleiben. Denn wer angegriffen wird, will sich verteidigen können. So folgen auf Waffen noch mehr Waffen – ein lukratives Geschäftsmodell.

passiert am 06.05.2022