Stellungnahme – No War But Classwar-Demo

Am 09. April fand eine Demo gegen Krieg und Aufrüstung unter dem Motto „No War but Classwar“ statt, an der wir mit einem antiautoritären Block beteiligt waren. Da wir einerseits selber andere Erwartungen daran hatten und es andererseits Kritiken an der Demo, dem Aufruf und dem Bündnis gab, wollen wir dazu Stellung beziehen.

Dabei beziehen wir uns auf einen Text, der einen Tag vor der Demo von „AK: Waffen zerstören – Grenzen niederreißen – war starts here, stop it here!“ veröffentlicht wurde, auf einen kritischen Nachbericht von „Nestor“ sowie auf eine Mail, die uns erreicht hat.

*Einordnung – Was ist bisher geschehen?*

Als vor über 7 Wochen die Invasion des russischen Staates in der Ukraine begann, waren wir zwar geschockt davon, wollten aber nicht in typisch linksradikaler Manier aus Überforderung damit, was die „richtige“ Handlungsweise ist, in eine allgemeine Lähmung verfallen.

Daher folgten wir am ersten Tag dem Aufruf ukrainischer Anarchist*innen und riefen dazu auf, sich den Protesten vor der russischen Botschaft anzuschließen [https://twitter.com/perspektive_sv/status/1496953708747399189] und organisierten bei der ersten Großdemo einen antimilitaristischen & klassenkämpferischen Block auf der Demo von Vitsche (Zusammenschluss ukrainischer Diasporagruppen).

Nach Bekanntgabe des geplanten „Sondervermögens“ für die Bundeswehr war es uns wichtig, ein klares Zeichen gegen Aufrüstung zu setzen. Einerseits, weil diese 100 Mrd. den Krieg in der Ukraine nicht beenden werden, andererseits, weil wir mehr Perspektive darin sehen uns auf etwas zu fokussieren, das unsere Regierung macht – auf das wir also mehr Einfluss nehmen können als auf die menschenverachtenden Handlungen der russischen Regierung. Die rasante Verschiebung des öffentlichen Diskurses hin zu massiver Aufrüstung, der Wiedereinführung der Wehrpflicht und Forderungen nach einer Intervention der NATO haben uns entsetzt.

Neben der praktischen Unterstützung von selbstorganisierten Initiativen (wie Operation Solidarity in der Ukraine und Qasa X in Berlin) und einem Flyer mit anarchistischen Perspektiven auf den Krieg, strebten wir ein Bündnis mit undogmatischen Gruppen aus verschiedenen Bewegungen an, um antimilitaristischen Positionen gegen Aufrüstung in Deutschland, Wehrpflicht & Co. sowie gegen die rassistische Unterscheidung Geflüchteter gemeinsam auf die Straßen zu tragen. Da es auf unsere Einladung an über 30 Gruppen aber kaum Rückmeldung gab, und sich zeitgleich ein anderes Bündnis bildete, beschlossen wir beide Initiativen zusammenzuführen um Kräfte zu bündeln.

Anfangs war dieses Bündnis relativ breit aufgestellt und es gab uns Kraft zu sehen, dass es möglich ist linke Grabenkämpfe beiseite stehen zu lassen. Als das Bündnis immer mehr von autoritären Gruppen geprägt war, entschlossen wir uns aus pragmatischen Gründen die Zusammenarbeit weiterzuführen, aus Mangel an Alternativen und der Notwendigkeit, antimilitaristische Positionen jetzt auf die Straße zu bringen. Um eigene Inhalte zu setzen, organisierten wir einen antiautoritären Block, an dem sich u.a. die Plattform Berlin, Glitzerkatapult und die Anarchistische Bewegung Magdeburg beteiligten.

*Unsere Auswertung der Demo*

Wir erheben keinesfalls den Anspruch zu wissen, was „richtig“ ist. Besonders nicht in der aktuellen Situation, die für viele von uns neu ist und die voller Widersprüche steckt. Unsere öffentlichen Positionen sind Ergebnis von internen Diskussionen und weisen daher natürlich in einer sich täglich verändernden Lage Leerstellen auf. Es sind gerade die kontroverseren Themen, zu denen wir daher noch nicht viel gesagt haben.

Neben dem öffentlichen Diskurs kommt es für uns auch auf Handlungen an. Als relativ neue Organisation stehen wir dabei zu unser Praxis, die immer auch ein Ausprobieren ist und an der wir wachsen wollen. Wir fanden es wichtig zu handeln, nicht in einer Schockstarre zu verharren wie das den (radikalen) Linken schon bei der Pandemie passiert ist. Und wer handelt, kann auch Fehler machen.

Unser Ziel, eine anschlussfähige große Demo zu organisieren, die verschiedene antimilitaristische Perspektiven vereint und auch Raum für antirassistische Stimmen bietet, haben wir mit diesem Bündnis leider verfehlt. Wir sind konkret unzufrieden mit einigen Aspekten der Demo:

1. Der Bündnis-Aufruf reduziert teilweise Unterdrückungsverhältnisse auf Kapitalismus. Wir hätten den Aufruf so nicht geschrieben, es wäre aber unsere Aufgabe als Teil des Bündnisses gewesen, die Veröffentlichung so nicht zuzulassen, was aber unter den Sachzwängen einer bald anstehenden Demo und hoher Belastung schwer ist. Rassismus und Patriarchat als Nebenwidersprüche abzutun entspricht keineswegs unserem Ansatz. Vielmehr sollten jene in eine der Zeit entsprechende, intersektionale Klassenanalyse einfließen, nur in dieser Kombination kann sich von unten gegen den Krieg organisiert werden.

2. Auf der Demo gab es keine Stimmen von vor Ort, von direkt vom Krieg betroffenen Menschen. Wir haben zwar von Anfang an unterschiedliche Gruppen sowohl mit Verbindungen in die Ukraine, Belarus und Russland, als auch mit Fokus auf die rassistische Grenzpolitik eingeladen, vielleicht aber nicht auf die richtige Art und Weise. Das Menschliche an der Situation – es ist Krieg, Menschen sterben und müssen fliehen, das muss sofort aufhören – stand viel zu sehr im Hintergrund.

3. Dadurch hat auf der Demo eine Aneinanderreihung sich ähnelnder (geopolitischer) Analysen stattgefunden, was uns das Gefühl gegeben hat, die Demo sei reiner Selbstzweck. Die für uns eigentlich zentralen Themen – Aufrüstung, die Solidarität mit dem Menschen vor Ort, Rassismus gegenüber Geflüchteten ohne ukrainischen Pass – sind viel zu kurz gekommen. Das Verhältnis zwischen Kritiken an der NATO und Kritiken an Russland gegeneinander aufzuwiegen, erscheint uns aber müßig. Es geht darum, aus der berechtigten Kritik an beiden einen militanten Ansatz gegen jeden Imperialismus und jeden Krieg zu entwickeln. Dennoch können wir nachvollziehen, dass aus Betroffenenperspektive das Übermaß an NATO-Kritik gerade als Fehl am Platz wahrgenommen wird.

*Zu den Kritiken*

Wir werden nicht auf alle Kritikpunkte eingehen, da wir wie erwähnt nur ein Teil eines großen Bündnisses waren und der Bündnis-Aufruf sich nicht vollständig mit unseren Positionen deckt. Den Punkten, dass antikoloniale, antipatriarchale und Perspektiven der Menschen vor Ort sowie klarere Positionen gegen die Rolle Russlands gefehlt haben, stimmen wir zu.

Dass die Analysen und Ansatzpunkte nicht aktuellen Diskussionen angepasst waren (No-Fly-Zone, Gas/Öl-Importe, NATO-Beitritt für Skandinavien, Support Opposition in Russland und Menschen in Ukraine), ist wie gesagt der Tatsache geschuldet, dass wir den Anspruch haben als Organisation, oder zumindest als Arbeitsgruppe, über kontroverse Themen zu reden bevor wir uns öffentlich positionieren.

Dass der Begriff „imperialististischer Krieg“ andere Kriege (absichtlich) verharmlost, finden wir aber falsch. Russland ist kein sozialistischer Staat, genauso wenig wie China, auch sie sind imperialistische Großmächte.

Zuletzt zu der direkt an uns gerichteten Kritik, Bündnisse mit „autoritären K-Gruppen“ einzugehen, zeige „Kurzsichtigkeit, Naivität oder politische Unreife“. Hier sehen wir verschiedene Aspekte. Zum Einen wollen wir weg von einer puristischen, dogmatischen Art Politik zu machen. Wir organisieren uns bewusst explizit anarchistisch, da wir uns in langfristiger Arbeit nicht immer wieder an Grundsatzfragen aufhalten wollen. Gleichzeitig eröffnet das auch bewusst die Möglichkeit, zeitweise spektrenübergreifend zusammenzuarbeiten, da wir so stärker herrschaftskritische Perspektiven einbringen können als vereinzelt. Und es ist seit jeher ein Problem der (radikalen) Linken, dass wir uns mehr auf Unterschiede als auf Gemeinsamkeiten fokussieren. Zum Anderen gibt es aber auch da Grenzen, vor allem wenn die Anwesenheit bestimmter Gruppen andere, mit denen wir eigentlich viel lieber zusammenarbeiten wollen, ausschließt und sie unseren unmittelbaren oder langfristigen Zielen im Weg stehen.

*Ausblick*

Wir sind nicht mehr Teil des Bündnisses, insofern wir die Kritik in mancher Hinsicht teilen und auch, weil wir keine Perspektive darin sehen, sich ausschließlich auf Demos zu fokussieren.

Auch wenn wir aus dieser Erfahrung lernen, stehen wir immernoch großen Widersprüchen und Debatten gegenüber. An der Seite der Menschen vor Ort zu stehen und zuzuhören, heißt für uns nicht Positionen unhinterfragt zu übernehmen. Solidarität muss eine eigene Auseinandersetzung und Kritik mit einschließen, den eigenen Handlungsspielraum und die lokalen Verhältnisse mitdenken. Was ist geworden aus dem „Kampf im Herzen der Bestie“? Wir können am besten dort was verändern, wo wir sind, und das ist der deutsche Staat, ein NATO-Mitglied. Natürlich unterscheiden sich unsere Forderungen also teilweise von denen ukrainischer Anarchist*innen – das heißt aber nicht, dass wir sie alleine lassen.

So finden wir nach wie vor die Frage der Waffenlieferungen schwierig: Dafür spricht, dass Menschen ein Recht auf Selbstverteidigung haben und ihnen dabei materielle Unterstützung zusteht. Aber andererseits ist auch klar, wer von diesen Waffenlieferungen profitiert, dass mehr Waffen einen Krieg nicht (unbedingt) beenden und dass sie langfristig gegen Organisierung von unten gerichtet werden können, sei es durch den Staat oder durch faschistische Milizen wie Azov. Daher macht es einen Unterschied ob selbstorganisierte Verteidigung mit emanzipatorischen Ansätzen, wie z.B. anarchistischer Genoss*innen, oder der ukrainische Staat unterstützt werden.

Wir hoffen immer noch auf eine vereinte, antimilitaristische und systemkritische Friedensbewegung und freuen uns über Einladungen. Dafür braucht es einen Diskurs, in dem wir uns weiterhin solidarisch kritisieren, aber auch zuhören und versuchen Gemeinsamkeiten zu finden. Wie dringend notwendig diese ist und bleibt, wird durch den aktuellen, erneuten Angriff der Türkei auf Kurd*innen wieder auf grausame Art und Weise deutlich. Gegen jeden Krieg, überall, jederzeit!

*Wie kritisieren?*

Als anarchistische Organisation im Aufbau ist es unser Anspruch, eine Kritisierbarkeit und Ansprechbarkeit herzustellen. Solidarische Kritik wissen wir immer zu schätzen und inhaltlich können wir den beiden Texten in vielen Punkten zustimmen. Gleichzeitig hätten wir uns gewünscht, dass die erste Kritik nicht erst einen Tag vor der Demo erscheint, wo es eher demobilisierend wirken kann, da es eh zu knapp ist um noch was anders zu machen, sowie ein wenig Auseinandersetzung mit unserer Praxis. So wurde im ersten Text ein anarchistischer Block gefordert, ein Blick auf unsere Website hätte genügt um zu sehen, dass wir einen organisieren. Auch unser eigener Aufruf und andere Texte, an denen ihr uns eher messen solltet als am Bündnisaufruf, sind dort zu finden.

Außerdem wünschen uns bei direkter Kritik eine Form der Erreichbarkeit. Es ist natürlich leichter, anonym zu kritisieren und sich dadurch unangreifbar zu machen; es fällt uns aber schwer Kritiken einzuordnen wenn wir nicht wissen, von wem sie kommen. In dem ersten Text wird ein anarchistisches Anti-Kriegs-Bündnis gefordert – von wem? Wir freuen uns über die Einladung in solch ein Bündnis! Und würden, wenn wir wieder etwas in die Richtung machen, natürlich gern dazu einladen, was aber schwer ist, wenn nicht mal eine anonymisierte Mailadresse angegeben ist.

Also lasst uns gemeinsam weiter diskutieren, um unsere Analyse und Praxis zu verbessern – solidarisch und nicht um einander fertig zu machen. Die politische Zeitenwende, die wir aktuell erleben, dürfen wir nicht verschlafen. Kämpfen wir gemeinsam gegen den Krieg, den russischen und jeden Imperialismus, die Aufrüstung in der BRD und alles, was einer lebenswerten Zukunft im Weg steht.

Perspektive Selbstverwaltung

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