Bericht und Kritik an der Antikriegsdemo vom 09.04.

Gestern gab es eine Demo in Berlin zum Ukrainekrieg und Aufrüstungswahnsinn. Bereits im Vorfeld regte sich Kritik an der Demo auf Basis anarchistischer, antikolonialer und feministischer Perspektiven[1] durch den AK war „starts here, stop it here!“. Ich fand es etwas schäbig, diese Kritik im Vorfeld der Demo kurzfristig zu veröffentlichen, anstatt auf die Orga der Demo einzuwirken und sich zu beteiligen. Ich wollte mir ein eigenes Bild machen, zugegeben, meine Erwartungen waren nach Aufruf und beteiligten Gruppen gering, aber vielleicht wird Mensch ja mal positiv überrascht.
Positiv war jedoch lediglich zu vermerken dass in allen Redebeiträgen klar Russland als Aggressor benannt wurde. Die gebetsmühlenhafte Vortragsweise zu Beginn jedes Redebeitrages erwekte jedoch eher den Eindruck dass dies von der Demoleitung als Bedingung für Redebeiträge vorgegeben wurde als dass es die ehrliche Analyse der redenden Gruppen war. In den sonstigen Redeteilen bekam Mensch nämlich teils einen anderen Eindruck. Sanktionen und Waffenlieferungen sind unbedingt abzulehnen, die NATO soll sich aus den an Russland angrenzenden Ländern zurückziehen, überhaupt NATO, NATO, NATO…

In einem Redebeitrag wurde gesagt die Priorität müsse sein die Menschen in der Ukraine zu unterstützen und den Krieg zu beenden. So richtig dieser Anspruch ist, so klar wurde er von der Demo verfehlt. Die Leute, die in der Ukraine von besoffenen russischen Soldaten gemeuchelt oder vergewaltigt werden, die Hunger und Durst leiden müssen weil ihre Stadt seid Wochen belagert und beschossen wird, interessieren sich einen SCHEISS dafür wo die NATO steht!
Auch außerhalb der Ukraine interessiert sich im aktuellen Krieg kaum jemand für die NATO, und da wo die Leute es tun, zieht es sie hin zur NATO (siehe Finnland, Schweden, Kosovo…). Diese Widersprüche wurden auf der Demo konsequent ausgeblendet und ignoriert. Lieber wurde sich an ideologischen Denkmustern aus den 70ern bedient und Putins narrativ genährt.

Insofern hat sich die Kritik des Eurozentrismus an der Demo leider bestätigt.

In einem verteilten Flyer zum diesjährigen Ostermarsch hieß es sinngemäß: „Die westlichen Regierungen müssen doch nur (!) Vernunft walten lassen, die Sanktionen und Waffenlieferunge einstellen und die NATO aus dem Baltikum abziehen, dann werde der Krieg bald vorbei sein.“ Also übersetzt: Putin ganz viel streicheln und kapitalistischen Handel mit ihm treiben, dann wird alles gut. Eine Position die bis zum Kriegausbruch bis in höchste deutsche Regierungskreise verbreitet war!

„Sanktionen sind abzulehnen weil sie nur die russische Arbeiter*Innenklasse treffen“: Dies ist erstens faktisch falsch. Die Sanktionen richten sich in 1. Linie gegen russisches Großkapital, was die Leute trifft sind mehr die „Selbstsanktionen“ westlicher Konzerne. Außerdem unterstützen, getränkt von massiver Propaganda, 70-80% der Russ*Innen den Krieg. Steigende Preise sind eine der wenigen Möglichkeiten diese Leute zu erreichen und am offiziellen russischen Narrativ zweifeln zu lassen.

Dass Sanktionen eine der wenigen friedlichen Möglichkeiten sind, auf eine Beendigung des Krieges hinzuwirken, wurde auf der Demo einfach ausgeblendet. Ebenso die Frage nach dem was sonst? Das einige Bellizisten die Sanktionen ebenfalls als unwirksam ansehen und gleich eine No-Fly-Zone, also den Kriegeintritt der mittel-/westeuopäischen Mächte, fordern, war dann folgerichtig ebenfalls kein Thema auf der Demo.

Die für Deutschland so wichtige Frage der Energieimporte as Russland wurde lediglich im Redebeitrag von „Ende Gelände“ angesprochen und (sofern ich richtig zugehört habe) nicht eindeutig beantwortet. Dabei könnte hier eine spannendene linke Debatte entstehen. Denn für die „kleinen Leute“ hierzulande wäre ein sofortiger Importstopp aufgrund von Jobverlusten im produzierenden Gewerbe und explodierender Preise fatal. Aus Klima und ukrainischer Perspektive dagegen wäre es genau das Richtige.

Zusammengefasst lässt sich sagen das die Demo die für viele Menschen zentralen Fragen im Ukrainekrieg (wie den Krieg am besten ohne weitere Eskalation beenden, Energieimporte, No-Fly-Zone, NATO-Beitrittswillige Länder in Europa, wie russische Opposition/Menschen in der Ukraine unterstützen) kaum oder nur oberflächlich adressiert hat. Eine Analyse auf der Höhe der Zeit muss die für die Menschen zentralen Fragen adressieren anstatt sich in holzschnittartigen Phrasen zu ergehen.

Ein Startpunkt dafür könnte sein den Menschen im postsowjetischen Raum zuzuhören. Lest euch mal die Analysen auf avtonom.org durch oder was russische/belarusische ABCs so schreiben. Die NATO wird da übrigens in den wenigsten Texten überhaupt erwähnt, einfach weil sie für die dortigen Konflikte außerhalb Putins Propaganda keine Rolle spielt.

Putins Interventionen in Georgien, Kasachstan, Tschetschenien und der Ukraine lassen sich vielmehr mit einem verqueren Bild der großrussichen Familie erklären. Getreu dem Motto: „Wie, du beschmutzt die Einheit und das Ansehen unserer Familie, dafür musst du bezahlen!?“ erklärt dies auch den bisweilen genozidalen Charakter von Putins Kriegen. Insofern ist die Kritik des AK, dass sich Putins Krieg eher mit patriarchalen Erklärungsmustern als mit NATO/Kapitalismus-Rhetorik erklären lässt ebenfalls gerechtfertigt.

Das die ideologischen Vordenker und Theorien hinter Putins hinwendung zu Nationalismus, Imperialismus und Patriarchat, z.B. der Protofaschist Alexander Dugin dann trotz der Beteiligung mehrerer antifaschistischer Gruppen an der Demo ebenfalls unerwähnt bleiben, bestärkt nur meinen Eindruck dass hier am Thema grundsätzlich vorbeigeredet wurde.

Zum Schluss noch was taktisches. Warum eine Großdemo (was für eine Hybris…) die den Ukrainekrieg und (laut Redebeiträgen) die Interessen der Arbeiter*Innen hier wie dort als Thema hat sich nichtmal traut an der russischen Botschaft vorbeizuziehen und dann durch Touri- und Bonzenzonen führt wo garantiert kein/e Arbeiter*In lebt bleibt wohl das Geheimnis der organisierenden Gruppen.

In diesem Sinne für die Zukunft, hört den Menschen hier wie dort zu was Sie belastet und brauchen (man munkelt, anarchistische kämpfenden Gruppen in der Ukraine freuen sich sogar über Waffenlieferungen…). Dies ist nämlich bestimmt keine angestaubte Ideologie aus irgendwelchen Schubladen. Analysen auf der Höhe der Zeit müssen sich aus dem ergeben was ist, und nicht aus wie Mensch es gerne hätte. Kommunistische Sekten gehören eigentlich in kein Demobündnis werden doch für jede Person die diese Anziehen mindestens 5 abgeschreckt. Das erklärt dann auch die maue Teilnehmer*innenzahl irgendwo bei 500-600.
Die hier aufgemachte Kritik soll sich jedoch nicht nur an das Demobündnis richten (insbesondere Perspektive Selbstverwaltung, welche ich eigentlich sehr schätze!) sondern vor allem auch an den Großteil der undogmatischen Gruppen, autonome, IL etc. die es im Angesicht des größten Gemetzels in Europa seid langem vorziehen lieber garnichts zu machen, als etwas falsch zu machen.

[1] https://kontrapolis.info/6781/

P.S. Unterstützt doch mal ABC Dresden, welche ukrainische Anarchist*Innen mit Nachschub versorgen: https://abcdd.org/2022/03/23/update-spende-in-solidaritat-mit-anarchistischen-und-antiautoritaren-aktivistinnen-aus-der-ukraine/

passiert am 09.04.2022