Prozessbericht 1.Mai 2020
Bei den ersten Sätzen der Richterin, Frau Nolting, stellten sich die Nackenhaare auf. Sie schaute ins voll besetzte Publikum, als wäre sie regelrecht angeekelt von der Öffentlichkeit. Gleich vorne weg stellte sie in spießiger Manier klar, dass sie die Verhaltensregeln aufstelle und wem der Magen knurre oder wer was essen wolle, solle bitte raus gehen.
Die Staatsanwältin verlas die Anklageschrift. Sie stellte den Vorwurf in bekanntem Wortlaut dar: Es gehe um den Vorwurf, die Angeklagte habe sich am 1. Mai 2020 an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt, in dessen Verlauf Personen körperlich mißhandelt wurden. Von der Angeklagten sei ein tätlicher Angriff mit einem gefährlichen Werkzeug aus einer gewalttätigen Menge von 200 Leuten heraus begangen worden. Sie habe eine grüne Bierflasche geworfen, um Polizeibeamte ernsthaft verletzen zu wollen. Von ihr gingen, wie von der Menge, polizeifeindliche Rufe aus.
Am diesem 1. Mai wurde unsere Gefährtin am Kottbusser Tor von Bayreuther BFE-Kräften fest genommen, die von zwei Tatbeobachtern (Tabos) auf diese Person angesetzt worden waren.
Geladen war Bayrischer Bulle I
Name: Dominik Küfner
Er trug Kleidung aus einer, vermutlich Berliner, Free-Box, Hornbrille und Perücke und wollte nicht erkannt werden. Er hatte damals den Auftrag im Umfeld Berlin Kreuzberg Personengruppen „aufzuklären“. Skalitzer- Ecke Wiener Straße fand er 200 Menschen auf der Kreuzung an. Die Stimmung war ruhig, ausgelassen, Leute tanzten. Um 20:12 kam eine Berliner Polizeieinheit mit Helmen und begann den Bereich frei zu machen. Komischerweise veränderte sich dann die Stimmung, wie er fest stellte. Es wurde laut geschrien und sich in den Weg gestellt. Die Polizei habe die Leute „veräumt“. Es wurde aggressiv, diverse Gegenstände seien flogen. Da sei ihm die Person in lila Jacke aufgefallen. Als Begründung nannte er, sie sei ihm aufgefallen, weil alle anderen schwarz gekleidet gewesen seien. Die Person habe Anlauf genommen, aktiven Anlauf, und einen gradlinigen direkten Wurf weit über den Köpfen der Menge hin weg durch geführt, Flugbahn unklar. Eine „sehr aktive Wurfbewegung“, die Zielrichtung habe den Beamten gegeolten. Er zeigte daraufhin seinem Kollegen die Person. Dieser bestätigte, sie auch gesehen zu haben und beobachtete sie weiter lückenlos, jede Sekunde, so gab er an. Dann habe sein Kollege die Verfolgung übernommen. Er habe sie aber später nochmal gesehen und nach der Festnahme bestätigt, dass es die Person ist, die er meinte. Er habe ein Kommunikationsmittel, über das er nicht mehr sagen dürfe, über das er die Uhrzeit nachschaute. In seinem Kurzbericht hatte er vermerkt, dass die Tatzeit des Flschenwurfs 20:15 war.
Dann wurden 2 Videos gezeigt. Der Anwalt hatte beantragt das Videomaterial des 1. Mai beim LKA eigenständig durchsehen zu können, da der Akte keine Videos beilagen. Jetzt wissen wir auch warum. Auf den Videos ist die Angeklagte zu sehen. Wie sie einmal in der Menge mitgeschoben wird und ein Rad dabei hat und einmal außerhalb der Menge. Das eine Video beginnt um 20:21 das andere um 20:25. Die chaotische Szene in dem ersten Video kann also nicht mit der Zeitangabe 20:12 übereinstimmen. Noch dazu erinnert sich der Bulle nicht mal daran, ob das Gefilmte diese Situation des Bulleneinsatzes gewesen sein.
Ein letzter Hinweis des Anwaltes war, dass der Tabo damals die Person als 1,60 schätzte, sie aber über 1,70 sei.
Er wurde erstmal nicht aus dem Zeugenstand entlassen, weil unklar war, was das Videomaterial noch zum Vorschein bringen würde beim 2. Bullenzeugen.
Bayrischer Bulle II
Name: Oliver Malowitz-Wendt, geboren, 2. März, 1972
Er erinnere sich daran, dass es eine Situation gab in der eine „Auseinandersetzung der Szene“ begann, als Einsatzkräfte eine Kreuzung frei räumen mussten. Erstmal ging es dem Tabo darum, sein Know-How preis zu geben. Er schaue sich die Szene an und erkenne die Rollen der Beteiligten. Es sei ein aktives Geschehen gewesen, ein ewiges Hin- und Her. Er erkenne, wer aktiv dagegen halte, entziffere Gesten, sind Leute alleine, er erkenne ob sie zufällig dabei seien oder aktiv am Geschehen beteiligt.
Er bekam den Hinweis von seinem Kollegten, dass er eine Person weiter beobachten solle, die eine Straftat begangen hatte. Die Dame war mit zwei Männern unterwegs und sie seien kurz darauf nach hinten weg gegangen und hätten am Ende am Kottbusser Tor vor einem Späti gesessen.
Dort konnte dann die Festnahme getätigt werden.
Als er den Hinweis bekam, war seiner Sicht nach die Aktion auf der Kreuzung beendet. Sie seien langsam aber nicht flüchtend weg gegangen. Die Verfolgung habe ca. 45 Minuten gedauert. Auf Nachfrage, sagte er, es sei keine lange Zeit, 45 Minuten nicht entdekct zu werden. Er mache das auch alleine über viele Stunden.
Auch er gab an wie Bulle I auf der Wiener Straße gestanden zu haben. Aber das Video zeigt das Gerangel auf der Skalitzer Straße auf Höhe der Manteuffelstraße und nicht hinein in die Wiener oder Ecke Wiener Straße.
Es hat bereits vor dem Einlass der Öffentlichkeit und Angeklagten ein Treffen mit Richterin, Anwalt und Staatsanwältin gegeben. Hier wurden die Videos gezeigt und die Richterin und Staatsanwältin konnten sie sich ansehen. Ab da war allen Beteiligten schon klar, so schien die sehr karge Befragung der Zeugen zu bestätigen, dass der Vorwurf des Flaschenwurfs vor allem zu der sehr genau angegebenen Uhrzeit, also der Tatzeit, nicht aufrecht zu halten sein wird. Außer die Tabos würden noch etwas Gegenteiliges zu ihrem Kurzbericht aussagen.
Somit war nach den sehr wenigen Erinnerungen, durch das nicht-Erkennen der Situation in dem Video, durch die falsche Tatzeit und in Verbindung mit der schlechten Ortskenntnis klar, dass der Vorwurf nicht zu halten ist.
So hieß es im kargen Plädoyer der Richterin: Irgendwann sei Bulle II bestimmt der hier Angeklagten hinter her gelaufen bis zur Festnahme, aber sie wisse nicht, wem zuvor der andere Bulle hinter her gelaufen sei.
Die Staatsanwältin sagte, der Tatworwurf ließe sich nicht bestätigen, es geben Zweifel, wie sich das Geschehen abgespielt habe. Die Bullen hätten es zeitlich nicht einordnen können. Die Aussage des Bullen sie habe beim Wurf den schwarzen Teil des Mundschutzes nach vorne getragen und danach grün, sei im Video nur anders herum sichtbar. Sie plädiere für Freispruch.
Auch der Rechtsanwalt hielt sich kurz. Die Tatzeit sei ein wesentliches Ding in diesem Verfahren und habe sich durch das Videomaterial widerlegen lassen. Noch dazu zweifele er daran, dass es eine ununterbrochene Observation gegeben habe. Er plädiere auf Freispruch.
Und es gab einen Freispruch!!
Am selben Tag fand auch der dritte Prozesstag gegen die Gefährtin Thunfisch statt, hier ist schon mal der Prozessbericht vom zweiten Prozesstag (https://kontrapolis.info/6444/) , der Bericht vom dritten Tag folgt demnächst.