Aufarbeitung des patriarchalen Ist-Zustands

Angesichts der Häufung von Outcalls in den vergangenen Monaten (1,2,3) und der damit durch FLINTA*1 angestoßenen und eingeforderten Aufarbeitung sexualisierter Gewalt bzw. deren Duldung in unseren Reihen, gibt es auch in den Berliner Strukturen die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Rolle von cis Männern*2. Welche Verantwortung tragen sie für das was passiert ist und andauernd passiert? Wie können patriarchal geprägte Strukturen aufgebrochen werden, dass Übergriffe in der Folgezeit verhindert und Sexismus zurückgedrängt werden kann? Wie kann genügend Vertrauen hergestellt werden,um für FLINTA* wieder als politische Partner und nicht als Bedrohung wahrgenommen zu werden? Ein Bestandteil dieser notwendigen Arbeit sind Workshops – extern strukturierte und moderierte Formate – für cis Männer. Anfang Dezember gab es so ein Treffen mit rund 30 cis Männern, wovon wir hier gern berichten wollen, um andere zu ermutigen Ähnliches auszuprobieren. Letztlich heißt es, am Ball zu bleiben und Prioritäten zu setzen. Outcalls und Auschlüsse sollten nicht das Ende der gemeinschaftlichen Aufarbeitung sein.

Da wir die Auffassung teilen, dass es kein Zufall ist, dass viele der in den vergangenen Jahren bekannt gewordenen Täter aus Zusammenhängen stammen, in denen körperliche Gewalt maßgeblich das Aktionsfeld bestimmt (4), fanden wir es sehr gut, dass v.a. Antifas mit militantem Selbstverständnis eingeladen und gekommen waren. Ziel war es diesmal nicht, eine weitere Gruppe zur kritischer Männlichkeit (5) zu gründen sondern uns durch den gemeinsamen Austausch konkrete, verbindliche Ziele zu setzen, die wir zurück in unsere Gruppen und losen Zusammenhänge nehmen können.
Schnell wurde klar, dass alle Anwesenden Handlungsbedarf und nicht nur Diskussionsbedarf sehen. Es wurde mehrfach betont, dass sich nicht an einzelnen Tätern abgearbeitet werden sollte, um die eigene Verantwortung nicht zu überdecken. Andererseits sollte sich nicht in Theoriediskussionen zu Begriffen, Militanz-Debatte und Patriarchat zurückgezogen werden. Nicht weil Theorie gänzlich ungeeignet ist, um Dinge zu verstehen, sondern weil das ausufernde Reden und Auskennen in theoretischen Debatten zum eingeübten Handwerkszeug von cis Männern in der Bewegung gehört. Auch hierbei besteht die Gefahr vom eigentlichen Thema abzulenken. Am Ende des Tages sollte etwas Konkretes bei rauskommen – wohlwissentlich, dass dieser Kreis, in dieser Konstellation nicht so einfach wieder zusammenkommt. Und das hat leider nicht geklappt, weshalb wir auch diese Zusammenfassung schreiben.

Zu Beginn stand eine Erwartungsabfrage. Einige Stichworte daraus: „Das Treffen ist eine Anforderung aus unseren Strukturen. Wir wollen verstehen was eigentlich passiert ist. Wir wollen Millitanz kollektivieren und deshalb braucht es auch stabile Kollektive. Wir möchten mehr theoretische Diskussion. Es herrschut Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen und Tätern. Auch wenn dazu gearbeitet wird, dann sprechen die Gruppen nicht darüber, teilen ihre Gedanken nicht. Einige erinnern sich an einen ähnlichen Workshop vor 15 Jahren. Wir möchten mehr Betroffenenarbeit übernehmen. Wir möchten gegen unsere sexistische und rassistische Sozialisation und Persönlichkeit arbeiten. Die Sabotage der Bewegung durch patricales Verhalten muss aufhören. Vertrauen in uns und Vertraulichkeit bei militanter Praxis gehören eigentlich zusammen.“

Weil 30 Personen ohne Methoden nicht gut zurande kommen kamen verschiedene Methoden zur Anwendung: Theoretische Kurzinputs, Kleingruppen zur Besprechnung der entwickelten Fragen, Vorstellung im großen Plenum und Ergebnisauswertung zur weiteren Besprechnung in der nächsten Phase. Routierende Gruppen, Murmelrunden, Raum für kurze Pausen, Zerstreuung und gegenseitiger Sorge.

In den ersten zwei Stunden wurde sich hauptsächlich mit der Notwendigkeit des Treffens, den Auswirkungen von Fällen sexualisierter Gewalt auf Betroffene und auf unsere Strukturen, sowie den Defiziten beim Umgang mit Betroffenen und bei der Täterarbeit beschäftigt.

Einige Stichpunkte aus der Diskussion: „Es gibt eine Harmoniebedüftigkeit, die verhindert sexistisches Verhalten anzusprechen. Einzele Männer als Feindbilder und kurze Feuerwehr-Interventionen sind der übliche Umgang. Das Politikverständnis von ‚Wir sind immer die Guten‘ und das Abarbeiten an extremer Ungerechtigkeit verhindert die Arbeit in der Community und an den weniger offensichtlichen Ungerechtigkeiten. Straf- und Kontrollbedürfnis ist deshalb verständlich, da es keine gelungenen Prozesse gibt. Die Kritik an Betroffenenarbeit und feministischer Praxis trägt oft antifemistische Züge, wird aber libertär begründet.“

In der zweiten Tageshälfte wurden in Gruppen die zuvor gemeinsam erarbeiteten Probleme besprochen. Dazu zählten unter anderem: Täterschützende Verhaltensmuster, Szenezugehörigkeit und -Zugang für Flinta*, die eigene Verantwortung in Gruppenkonstellation, Umgang mit Tätern, Folgen für Genoss*innen, Verhalten bei Bekanntwerden sexualisierter Gewalt und mögliche Präventionsmaßnahmen.

Dabei helfen sollten einige Grundannahmen, die in der Großgruppe vorab vorgestellt wurden: Alle haben Bedüfnisse und Ängste, die unser Verhalten beeinflussen. Sexismus gibt es überall. Den Impuls sexualisierte Gewalt zu relativieren gibt es auch bei uns. Unrealistische Männlichkeitsbilder schaden auch Männern. Es gibt Konkurrenz und normative Bewertungen von gelungener Männlichkeit und von politischer Praxis. Welche davon in welchen Kontexten besonders hoch angesehen sind, ist eine Frage sozialer und kultureller Aushandlung. Gewalt mag strategisch zur Anwendung kommen, ist aber auch ein Akt von Überforderung.

Die Ergebnisse der acht Kleingruppen zu den oben genannten Themen wurden anschließend gemeinsam zusammengetragen und leider nur kurz im großen Plenum diskutiert.

Wir wollen hier nicht alles breittreten was gesagt wurde, vor allem nicht die vielen Fragen, die den wenigen Antworten gegenüberstanden. Deshalb nur einige Beiträge, die wir wichtig fanden: „Bei konkreten Fällen herrscht viel weniger Verbindlichkeit als bei anderen politischen Feldern. Während sich cis Mäner aussuchen können, ob sie sich mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzen, kommt der Startschuss zur Auseinandersetzung immer von Flinta*. Männer-Solidarität zieht einen bestimmten Typus von Mann in die Bewegung und hält Flinta* fern. Positionierung gegenüber cis männlichen Genossen ist wichtig – die Angst davor dafür gedisst zu werden aber oft zu groß. Ein Nicht-Positionieren fühlt sich bei Flinta* als Verrat an. Der Schaden ist bereits da, da der Normalzustand patriachal ist, das Verständnis für das Ausmaß nicht besteht und Flinta* permanente Abgrenzungsbereitschaft haben müssen. Es gibt einen Hang zu schnellen Lösungen und Erfolgen auch bei Täterarbeit. Wenn sich die nicht abzeichnen, ist sofort Überforderung da. Täter-Ausschlüsse führen oft zur Verlagerung. Besser wäre normalisierte Arbeit mit Betroffenen und Tätern aus den Gruppen selbst. Bei beidem können große Fehler mit schlimmen Folgen gemacht werden (6). Das sollte aber nicht davon abhalten Handlungsangebote zu machen, egal in welchem Verhältnis man zu den Betroffenen und Tätern steht. Viele sind aber nicht in Gruppen organisiert – deshalb muss es auch anders gehen, Community-Accountability zu erreichen. Auch Gruppen sind aufgrund Ressourcen und Regionalität nicht geeignet, um Fälle angemessen aufzuarbeiten, Konsequenzen durchzusetzen usw. In so einer ‚Community‘, ist es noch schwieriger präventiv zu arbeiten (7).“

Schon die kurzen Stichworte zeigen, dass die Diskussionen in Klein- und Großgruppen dann doch mehr Zeit in Anspruch genommen haben und ausufernd waren. Die insgesamt nur sechs angesetzten Stunden waren zu knapp und die Bedürfnisse, z.B. mehr von den anderen zu erfahren, eine Plattform zur Besprechung des Falls Domhöver zu bekommen, generell über sich selbst zu sprechen oder eigene Erkenntnisse aus kritischer Männlichkeitsarbeit und der (anti-)patriarchalen Praxis der Polit- und Aktionsgruppen zu teilen, waren sehr groß.

Das Ende des Treffens, bei dem es um Konsequenzen und Verabredungen gehen sollte, kam deshalb zu kurz. Gemeinsam wurde eine Liste von Maßnahmen, die in persönlichen Beziehungen, in Gruppen und in der weiter gefassten Bewegung angewendet werden können, gesammelt. An dieser Stelle, gab es gute Hinweise und auch eine Art von Aufbruchstimmung. Deshalb auch hier was zum Mitnehmen: „Beständige Vernetzungen, wie sie sonst auch zu anderen Themen bestehen, auch zu dem Thema etablieren. Flinta*-Vernetzungen stärken und still supporten (8). Kritische Männlichkeits zum Standard politischer Bildung machen. Handlungsoptionen bei Fällen von sexualisierter Gewalt besser vorher definieren. Militantes Auftreten und Demokultur hinterfragen. Eigenes Netzwerken und Verhalten in Gruppen beobachten. Gezieltes Einbinden von Flinta* und Abgabe von Schlüsselpositionen und Kontakten. Emotionale-, Reproduktive- und Carearbeit wertschätzen und selbst übernehmen. Für die feministische Bildung einen Lese- und Diskussionskreis etablieren (9). Amouröse Beziehungen und Konfliktlagen offenlegen und Kontakte für Krisensituationen teilen. Über Sexualität, Körperlichkeit und Gedanken dazu auch mit cis Männern reden. Therapien und kritische Männlichkeit nicht ausschließen um eigenes Verhalten gegenüber Flinta* zu reflektieren. uns an profeministischen Kämpfen beteiligen.“

Die Abfrage, was davon bis zum nächsten Treffen (zeitnah) umgesetzt, angefangen oder probiert und was stattdessen sein gelassen wird, kam nicht zustande. Vertrauen in die Verbindlichkeit der Vorschläge haben wir nicht, obwohl alle Zugriff auf das Protokoll bekommen haben. Letztlich wird vieles von dem Gehörten und Erfahrenen im Alltag untergehen, wenn die eigene Verantwortung nicht beständig reflektiert, verstanden und in Praxis umgesetzt wird. Dabei ist es auch sinnvoll sich selbst Druck zu machen. Eine Möglichkeit ist sich Zwischenziele zu setzen und Jahrespläne zu machen, die alle Ebenen (Individuum, persönliches Umfeld, Polit-Gruppe, Bewegung) beinhalten. Ein Weg Druck auch von außen zu ermöglichen, ist es, solche Diskussionsprozesse transparent zu kommunizieren. Dazu gehört in den Beziehungen, in den Gruppen und auch in den Teilöffentlichkeiten der Bewegungen dazu einzuladen, die Art und Weise, die Ziele und Potentiale kritisch zu diskutieren und Hinweise zu geben. Die Gruppen und Einzelpersonen sollten sich an ihren Vorsätzen auch messen lassen können. Ziel muss es sein, aktiv daran zu arbeiten, die patriarchalen Zustände in der Bewegung, die solche Vorfälle, wie die, die uns zu diesem Treffen bewegten, hervorbringt, anzugehen.

*1 FLINTA* steht für Frauen, Lesben, Inter, Nicht-Binär, Trans und A-Gender.
*2 Cisgender: Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt definierten Geschlechtseintrag übereinstimmt

(1) Fall Domhöver https://de.indymedia.org/node/156448
(2) Fall Schulze https://de.indymedia.org/node/149585
(3) Fall Kreuzberger Antifaschist https://de.indymedia.org/node/147578
(4) Statement Antifa FH https://de.indymedia.org/node/156449
(5) Kritische Männlichkeit – Kritik https://minzgespinst.net/2020/08/14/kritik-kritische-maennlichkeit/
(6) Beispiel Monis Rache: https://de.indymedia.org/node/160639
(7) Auf die Schwierigkeiten geht die Rigaer94 ein https://kontrapolis.info/5352/
(8) FAZ-Banden als ein Beispiel https://de.indymedia.org/node/149284
(9) Empfehlungen für den Lesekreis aus diesem Jahr:
Berlin: https://bebizine.de/veranstaltungsreihe-keine-sicheren-raeume/
Erfurt: https://de.indymedia.org/node/150803
Frankfurt: https://de.indymedia.org/node/162418
Freiburg: https://de.indymedia.org/node/147239 + Zine https://archive.org/details/TG_Freiburg_1.1
Jena: https://falken-jena.de/wp-content/uploads/2020/10/Vortrag-Jeja-Klein-Zum-Fortleben-sexueller-Gewalt-in-aufgeklaerten-und-linken-Kreisen.mp3
Würzburg: https://gegengewalt.blackblogs.org/broschure/
Und: https://maennerrundbrief.noblogs.org/