LKA Sachsen: Gab ein Ermittler gegen Linke vertrauliche Informationen an Rechte weiter?

Wie gelangt ein Magazin, das der Verfassungsschutz als rechtsextremen Verdachtsfall einstuft, an Interna aus dem sächsischen LKA? Womöglich stammen sie von einem Polizisten – mit sehr persönlichem Motiv.

Von Aiko Kempen, Edgar Lopez und Peter Maxwill, Leipzig

An einem Mittwochmorgen Ende April stehen Polizisten in der Altbauwohnung von Henry A. im Süden von Leipzig. Sie suchen unter anderem eine Jogginghose und eine weiße Sturmhaube. A. soll Teil einer Gruppe gewaltbereiter Fußballfans gewesen sein, die laut Ermittlern im September 2019 Anhänger eines rivalisierenden Vereins im sächsischen Neukieritzsch attackierte. Die Beamten nehmen unter anderem den Computer von A. mit, ein Handy und seinen Dienstrechner. A. arbeitet als Sachbearbeiter in der Stadtverwaltung.

Gleich am nächsten Tag berichtet das rechtsextreme Magazin »Compact« auf seiner Webseite über die Durchsuchung und schreibt über A.: »Mutmaßlicher Antifa-Gewalttäter arbeitet im Rathaus.« In den darauffolgenden Monaten erscheinen weitere Artikel. Das Magazin brüstet sich mit »exklusiven Informationen«, einiges davon stammt offenbar vom sichergestellten Handy. Es werden auch intime und rufschädigende Informationen aus dem Privatleben von Henry A. verbreitet: etwa Details aus einer Krankheitsgeschichte und Inhalte aus Ermittlungsakten. »Compact« knöpft sich Henry A. vor, als ginge es um die schmutzigen Machenschaften eines Mächtigen.

Dabei arbeitet A. im Leipziger Amt für Bauordnung und Denkmalpflege. Der 33-Jährige lebt mit seiner Familie in einer Dreizimmer-Mietwohnung, ist Fußballfan und steht politisch offenbar links. Wegen Fahrerflucht sowie Fahren ohne Führerschein unter Drogeneinfluss geriet er schon mit dem Gesetz in Konflikt – eine Rechtfertigung für eine solche Berichterstattung ist das aber nicht.

Der Fall hat daher das Zeug zum Polizeiskandal. Es besteht nicht nur der Verdacht, dass jemand im sächsischen Landeskriminalamt Details aus laufenden Ermittlungen an mutmaßliche rechtsextreme Kreise durchgestochen haben könnte, noch dazu jemand aus der »Soko LinX«, die auf linksextreme Straftaten spezialisiert ist. Es gibt vielmehr obendrein Indizien, dass dieser Polizist sich aus persönlichen Gründen an dem Bauamtsmitarbeiter rächen wollte. Womöglich wollte er ein Bauvorhaben in seiner Nachbarschaft verhindern oder wenigstens den Mann aus dem Bauamt diffamieren.

»Compact« ist eines der wichtigsten Medien der rechten Szene, seit dem vergangenen Jahr stuft der Bundesverfassungsschutz das von Jürgen Elsässer verantwortete Magazin als sogenannten rechtsextremen Verdachtsfall ein. Es ist besorgniserregend, dass ein solches Medium sich damit brüstet, Zugang zu sensiblen Informationen jener Behörde zu haben, die extremistische Umtriebe bekämpfen soll. Dass »Compact« tatsächlich Zugriff auf vertrauliche Interna hatte, glaubt man offenbar auch in der sächsischen Justiz: Sie hat zwei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen eröffnet.

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz ermittelt zum einen wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen gegen unbekannt, nachdem das LKA mitgeteilt hatte, »dass in den Artikeln mitgeteilte Sachverhalte aus einem dort geführten Ermittlungsverfahren rechtswidrig an die Journalisten gelangt sein könnten«.

Außerdem erstattete neben Henry A. auch der Leipziger Oberbürgermeister als dessen Dienstherr Anzeige. Denn Ende Mai sendete jemand, der sich als Henry A. ausgab, per Mail mehrere PDF-Dateien an mehrere Stellen der Stadtverwaltung. Es waren frühere Strafbefehle gegen A. wegen Fahrerflucht und Fahren ohne Fahrerlaubnis, sie waren auch auf dem von der Polizei konfiszierten Handy gespeichert. Der Absender der Mail schrieb: »Liebe Kolleginnen und Kollegen der Stadt Leipzig, wie ich euch schon länger mitteilen wollte, habe ich in meiner Freizeit ein paar spezielle Hobbies.« Zwei Wochen später veröffentlichte »Compact« einen Ausschnitt aus einem der Strafbefehle.

Tausende Telefonate abgehört

Der Anlass für die Fehde gegen Henry A. könnte womöglich im Leipziger Westen zu finden sein: auf einem Grundstück im Stadtteil Leutzsch. Bis Ende Juni stand dort ein Bungalow aus DDR-Zeiten, inzwischen wird der Neubau von Reihenhäusern vorbereitet, zum Missfallen mancher Nachbarn, die sich gegen die Nachverdichtung in ihrem Viertel wehren.

Auf Transparenten in der Einfamilienhaussiedlung finden sich Unmutsbekundungen zum Bauprojekt, die Nachbarschaft mobilisiert auch auf Instagram. Dabei ist die Sache längst entschieden, der zuständige Sachbearbeiter genehmigte den Bauantrag vor Monaten. Sein Name: Henry A.

Erkundigt man sich in der Nachbarschaft, wer den Widerstand gegen die Reihenhäuser vorantreibt, zeigen viele Anwohnerinnen und Anwohner auf ein bestimmtes Haus. Dort wohnt ein LKA-Beamter, der in der »Soko LinX« linksextreme Straftaten aufklären soll und Henry A. bereits vor dem Baustreit bestens kannte – denn der Polizist hat schon früher gegen den Sachbearbeiter ermittelt.

2013 geriet Henry A. ins Visier der Ermittler, weil er neben seinem Job im Rathaus auch ehrenamtlicher Geschäftsführer des Fußballvereins BSG Chemie Leipzig war. Die Polizei vermutete unter den mutmaßlich linksradikalen Anhängern des Amateurklubs eine kriminelle Vereinigung. Über viele Monate hörte die Polizei Tausende Telefonate ab, auch Gespräche mit Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten und Ärzten. Am Ende erwies sich das Verfahren als Fehlschlag und wurde eingestellt, auch Henry A. konnte die Polizei nichts nachweisen.

Der Polizist aus Leutzsch war bei den Ermittlungen offenbar einer der Hauptbearbeiter. Im Januar 2015 schrieb er: »Der A. ist bereit, anderen Leuten aufgrund seiner Tätigkeit bei der Stadt einen Vorteil zu verschaffen und mithin sein Netzwerk zu festigen.« Zu diesem Zeitpunkt hatte der Polizist monatelang abgehörte Gespräche von A. ausgewertet. Aus genau diesem Bericht zitierte »Compact« mehr als sechs Jahre später, um in einem Artikel die These von einem angeblichen »roten Sumpf« im Leipziger Rathaus zu unterfüttern.

Die »Soko LinX« ist in Sachsen ein Politikum. Zwar gibt es insbesondere in Leipzig eine aktive linksextreme Szene, aber die Soko fiel in erster Linie durch Erfolglosigkeit auf, etwa als vor knapp einem Jahr Haftbefehle gegen zwei Männer aufgehoben wurden, die Ermittler für linksextreme Brandstifter gehalten hatten. Vor allem Politiker von Grünen und Linken vor Ort kritisieren, Sachsen solle sich stärker auf die Bekämpfung von Rechtsextremismus konzentrieren. Wenn jetzt herauskäme, dass ein LKA-Beamter, der gegen Linksextremisten ermittelt, dem rechten Magazin »Compact« dienstliche Informationen überlassen hat, könnte das zu einer erneuten Grundsatzdiskussion über Sinn und Unsinn dieser Einheit führen.

Natürlich könnte auch ein anderer Beteiligter die Informationen an die »Compact«-Redaktion durchgestochen haben; bisher ist nicht bewiesen, dass es tatsächlich der Polizist aus Leutzsch war. Beim Blick in die Ermittlungsakten des Verfahrens aus dem Jahr 2013 fällt allerdings auf: Nur wenige Beamte haben sich derart intensiv mit Henry A. beschäftigt wie er, sein Name und sein Kürzel finden sich auf Abhörprotokollen und Sachstandsberichten.

Der Polizist hätte womöglich auch ein Motiv: Etwa, wenn er hoffte, dass sich die Reihenhäuser in der Nachbarschaft doch noch stoppen ließen, wenn Henry A. infolge der »Compact«-Veröffentlichungen seinen Job verlöre.

Im Juni beschwerte sich außerdem eine Anwohnerin per Mail beim Stadtplanungsamt. Die Frau, die sich schon zuvor mehrmals deswegen an die Behörden und auch direkt an Henry A. gewandt hatte, verwies auf Presseberichte über die »Compact«-Kampagne gegen Henry A.: Diese ließen sie »an der Seriosität und Integrität des städtischen Mitarbeiters zweifeln«. Die Absenderin dieser Mail ist die Ehefrau des Beamten aus Leutzsch. Eine SPIEGEL-Anfrage ließ er unbeantwortet. Auch das »Compact«-Magazin reagierte nicht auf Fragen.

Im LKA sieht man die Angelegenheit offenbar gelassen. Eine Überprüfung habe bislang keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass die fraglichen Informationen von der Polizei unbefugt weitergegeben worden seien, teilte die Behörde auf Nachfrage mit. Es gebe stattdessen Anhaltspunkte, »welche auf einen anderen Geschehensablauf hindeuten« beziehungsweise »eine andere Version stützen.« Was genau das heißen soll, ist unklar, personelle Konsequenzen jedenfalls gibt es demzufolge nicht: »Der angesprochene Mitarbeiter genießt unser vollstes Vertrauen und wird bei der Wahrnahme seiner Aufgaben vollumfänglich unterstützt.«

Henry A. klagte unterdessen gegen die detaillierte »Compact«-Berichterstattung, das Landgericht Leipzig gab ihm überwiegend recht: Teile der Veröffentlichungen seien rechtswidrig, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Inzwischen sind die Texte nicht mehr online.

An einem Donnerstag Ende September trat der LKA-Beamte aus Leutzsch als Zeuge vor dem Dresdner Oberlandesgericht auf. Im Verfahren gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. sollte er als Ermittler aussagen. Zur Verwunderung der Anwesenden kam der Polizist mit einem Anwalt – und berief sich, als es um mögliche Kontakte zwischen Mitarbeitern der »Soko LinX« und einem Rechtsextremisten ging, auf sein Auskunftsverweigerungsrecht. Sein Mandant, so erläuterte der Anwalt, stehe womöglich im Verdacht, Interna an Dritte weitergegeben zu haben.

Inzwischen ist dieser Verdacht zumindest formell aktenkundig: Seit dieser Woche ermittelt die Staatsanwaltschaft Chemnitz »aufgrund eines Schriftsatzes des Anzeigeerstatters Henry A.« unter anderem gegen den Polizisten, es geht um den Verrat von Dienstgeheimnissen »im Zusammenhang mit dem Versenden von Dateien aus einem beschlagnahmten Mobiltelefon«.

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passiert am 09.10.2021