Brandursachenermittler: Wie Kriminalbeamte Autobrandstiftern in Berlin auf die Spur kommen
Fast täglich werden in Berlin Autos angezündet. Die Suche nach den Tätern ist schwierig: Selten gibt es Zeugen oder Videoaufnahmen – und die Fingerabdrücke sind verbrannt. Wolf Siebert hat Brandursachenermittler der Polizei begleitet.
Um vier Uhr morgens geht der Anruf bei der Polizei ein: Ein Pärchen hat in der Sebastianstraße in Kreuzberg ein brennendes Auto entdeckt. Die Feuerwehr kommt zum Löschen, dann führt der Kriminaldauerdienst, also die 24-Stunden-Bereitschaft der Polizei, die ersten Ermittlungen durch.
Am Morgen danach hat Hauptkommissar Thomas Schnorrer den neuen Fall auf dem Tisch. Er ist Brandursachenermittler beim Landeskriminalamt und hat im ersten Schritt bereits die Autohalter und die beiden Zeugen überprüft: Waren sie schon einmal bei Autobränden aktenkundig geworden? Das Ergebnis: negativ.
In Berlin ist Autobrandstiftung ein großes Problem
Dass in Berlin Autos angezündet werden, ist ein „Alltagsdelikt“ geworden. 2020 brannten fast zwei Autos pro Tag. Bis Mitte Juli 2021 registrierte die Polizei 223 neue Fälle: 228 Autos wurden angezündet, 179 Fahrzeuge, die in der Nähe parkten, wurden dabei ebenfalls beschädigt. Autobrandstiftung ist zwar in vielen deutschen Großstädten ein Problem. Aber in Berlin ist es besonders groß.
Aufmerksam wird die Öffentlichkeit eigentlich nur, wenn rechte oder linke Gewalttäter als mutmaßliche Täter in Frage kommen. Diese Fälle werden dann vom polizeilichen Staatsschutz bearbeitet.
Bei Thomas Schnorrer vom Brandkommissariat landen die anderen: Brandstiftung aus Eifersucht, Versicherungs- oder Kreditbetrug, Vandalismus oder Pyromanie, medizinisch betrachtet die „wahnsinnige Lust“ am Feuer. Die Polizei vermutet, dass diese Fälle wesentlich häufiger als die „politischen“ sind. Und manchmal hat ein technischer Defekt den Autobrand ausgelöst – zum Beispiel nach einem Marderbiss.
Autobrandstifter haben gemeinsame Eigenschaften
Thomas Schnorrer ist 46 Jahre alt, ein schlanker, sportlicher Typ. Nach der Polizeiausbildung machte er verschiedene Lehrgänge, büffelte Chemie und Physik. Warum das wichtig ist, wird später am Brandort deutlich.
Seit 15 Jahren ist der Hauptkommissar Brandursachenermittler. Da es häufig keine verwertbaren Spuren gibt, werden die Täter selten gefasst. Aufgrund der gelösten Fälle kann Thomas Schnorrer aber gemeinsame Merkmale von Autobrandstiftern benennen: „Überwiegend sind es Männer, zwischen 30 und 40 Jahren, sie sind sozial gescheitert, haben also kaum soziale Bindungen. Sie kommen häufig aus Familien, in denen zum Beispiel Gewalt eine Rolle spielte oder Krankheiten, so dass sich die Eltern nicht um sie kümmern konnten.
Am Brandort: Auf welchen Wegen könnte der Täter hergekommen sein?
Schnorrer will zum Brandort und holt seine Ausrüstung. In einer durchsichtigen Kunststoffkiste liegen ein spezieller Brandschutzhelm, der ihn vor giftigen Gasen schützen soll, eine Kamera, eine Atemschutzmaske, ein Faserschutzanzug und Handschuhe. Das alles wuchtet er im Innenhof ins Auto. Kommissar Tobis Gnadke, 25 Jahre alt, begleitet ihn. Sie sind ein Team.
In der Sebastianstraße ist das ausgebrannte Auto schon von weitem zu sehen. Es steht neben einem Haus direkt unter einem Baum. Wäre der Baum in Brand geraten, hätte das auch für die schlafenden Mieter in den Wohnungen gefährlich werden können. Gnadke fängt sofort an, Fotos zu machen: Auf welchen Wegen könnte ein Täter zum Tatort gekommen sein? Er fotografiert auch die Häuser, die die schmale Straße flankieren: Wohnen hier vielleicht noch weitere Zeugen?
Komplett verkohltes Karosserie-Gerippe
Beim Näherkommen eröffnet sich ein trauriges Bild: ein Karosserie-Gerippe, einstmals als Smart vom Band gelaufen, nun verkohlt, die Teile vielfach ineinander verschmolzen. Der Golf davor ist leicht beschädigt.
Schnorrer trägt einen schwarzen Overall mit „Polizei“-Aufdruck und wadenhohe feste Stiefel. Er arbeitet konzentriert: Was für Laien nur ein übelriechendes Wrack ist, ist für den Ermittler ein komplexes Buch, das es zu lesen gilt. Glühmerkmale auf der Karosserie, Brandzehrung, Brandnarben – anhand dieser Merkmale erkennt der Kriminalist schnell: Der Brand ist im Bereich des rechten Hinterrads ausgebrochen. Der Gummireifen ist komplett heruntergebrannt.
Wie ein Archäologe am Tatort
Das Wrack ist zwar gelöscht, aber in der Luft liegt noch immer intensiver Brandgeruch. Im Hals fängt es an zu kratzen. Wenn ein Auto bei hohen Temperaturen verbrennt, können auch giftige Stoffe wie Chrom und Brom frei werden.
Hauptkommissar Schnorrer steigt nun in den weißen Faseranzug, um den Tatort nicht zu verschmutzen. Er streift sich Kapuze und Maske über und zieht stabile Schutzhandschuhe an. Erst jetzt schaut er sich das Wrack von innen an.
Wie ein Archäologe zieht er verklumpte, verschmolzene Gegenstände heraus und ordnet sie zu: ein Teil der Innenausstattung, eine Verpackung, ein BH und ein Koffergriff, Stecker und Kabel. Nun aber wird es körperlich anstrengend. Mit einer Schaufel bricht sein Kollege Gnadke die Abdeckung des Motors auf. Schnorrer analysiert den Motorraum, untersucht Kabel und Steckverbindungen. Dann prüft er den Bereich des rechten Radkastens und die Trommelbremse. Nun wird klar, warum er sich mit Physik und Chemie auskennen muss. Schnorrer ist sich sicher: Es ist eindeutig vorsätzliche Brandstiftung: „Wir sichern jetzt Beweise, um nachvollziehen zu können, ob zum Beispiel Brandbeschleuniger eingesetzt worden sind. Und deshalb nehmen wir jetzt mehrere Proben des Brandschutts.“
Vielleicht verrät der Brandschutt, wie das Auto angezündet wurde
Die durchsichtigen Brandschutttüten werden gasdicht verschlossen. In der Kriminaltechnik werden diese Proben untersucht, vielleicht ergeben sich brauchbare Hinweise.
75 Minuten hat Hauptkommissar Schnorrer das Wrack untersucht. Er ist verschwitzt, aber man merkt ihm die Anstrengung nicht an. Er ist zufrieden. „Wir haben herausgefunden, dass es kein technischer Defekt war. Und wir haben die Hoffnung, dass uns der Brandschutt verraten wird, wie der Täter das Auto angezündet hat. Damit haben wir zwar noch nicht den Täter, aber wir haben Täter-Wissen.“
Noch ist die Arbeit vor Ort nicht beendet, Aufräumen ist angesagt. Auch wenn die Autobesitzerin Opfer ist: Das Wrack muss sie selbst entfernen. Weil sie nicht gegen Brandschäden versichert ist, bleibt sie auf den Kosten sitzen.
Kann der Täter gefunden werden?
Anschließend klappern die beiden Ermittler noch die Häuser in der Nähe ab, auf der Suche nach Zeugen. Treppauf, treppab geht es durch beengte Sozialbauten auf der rechten und imposante Neubauten auf der linken Straßenseite. Mietern, die nicht zuhause sind, stecken sie einen Zettel in den Briefkasten: „Bitte melden, wenn Sie etwas gesehen haben.“
Aber Fehlanzeige: Brauchbare Hinweise bekommen die beiden Ermittler an diesem Tag nicht. Doch einen Monat später meldet sich ein Zeuge und kann eine Beschreibung des mutmaßlichen Täters geben. Die Ermittler haben Hoffnung.
Sollte der Täter dennoch nicht gefasst werden, wird der Fall „Sebastianstraße“ von der Staatsanwaltschaft in einigen Monaten zu den Akten gelegt werden. Brandursachenermittler haben inzwischen schon wieder neue Fälle auf dem Tisch.
Die Sendung: rbb 88,8, 11.08.2021, 10:41 Uhr
Beitrag von Wolf Siebert