Staatsanwaltschaft lehnte Durchsuchung in der Rigaer Straße ab

Neue Hintergründe zum Großeinsatz an einem teilbesetzten Haus in Berlin: Die Staatsanwaltschaft wies eine Anfrage auf eine Durchsuchung zurück. Nicht nur das sorgt beim Eigentümer und Polizisten für Unmut. Wie erklären Behörden die Maßnahmen?

Nach dem Großeinsatz mit insgesamt mehr als 80 verletzten Polizisten an einem teilbesetzten Haus in Berlin sind weitere Hintergründe bekannt geworden. Nach Informationen von WELT hatte der für politische Straftaten zuständige polizeiliche Staatsschutz bei der Staatsanwaltschaft Berlin eine Wohnungsdurchsuchung beantragt. Grund dafür war ein vom Eigentümer angezeigter Hausfriedensbruch. Der Antrag sei von der Staatsanwaltschaft allerdings abgelehnt worden. „Die Gründe hierfür sind der Polizei Berlin nicht bekannt“, teilte ein Sprecher auf Nachfrage mit.

Die Wohnungsdurchsuchung sollte demnach im Anschluss der Brandschutzkontrolle am vergangenen Donnerstag stattfinden. Dass es dazu nicht kam, und dass bei der Begehung zudem keine Identitäten im Haus festgestellt wurden, verärgert die Anwälte des Eigentümers. Es habe erhebliche Straftaten im und um das Objekt herum gegeben, denen man nicht konsequent nachgegangen sei, sagt Markus Bernau. Polizistinnen und Polizisten wurden von Dächern aus teilweise mit Steinen beworfen. Dennoch hätten sich die Behörden „nicht einmal getraut, im Haus nach dem Ausweis zu fragen“. Der Anwalt kritisiert: „Unterwürfiger als dieser Staat kann man nicht handeln.“

Die Vertreter des Eigentümers hatten im Vorfeld des Einsatzes Strafanzeige gegen Bewohner des Hauses gestellt. „Wir hatten eine Liste mit allen illegal besetzten Wohnungen gemacht und darum gebeten, dass die Polizei die Personalien feststellt“, erklärt Bernau. Dies aber sei von der Justiz abgelehnt worden. Der Anwalt spricht davon, dass die Polizei „politisch ausgebremst“ wurde. „Mich würde es nicht wundern, wenn es eine entsprechende Weisung der Senatsinnenverwaltung gab.“ Auf Nachfrage bezeichnet der Sprecher der Innenverwaltung, Martin Pallgen, solche Vermutungen als „absurd“.

Die Staatsanwaltschaft Berlin weist die Vorwürfe zurück. Auf Nachfrage von WELT sagte Sprecher Martin Steltner, dass man sich mit der Polizei einig gewesen sei, dass die Voraussetzungen für eine Wohnungsdurchsuchung nicht vorlagen. Anders als von der Polizei dargestellt, sei auch kein Antrag eingegangen – man sei lediglich um eine Einschätzung gebeten worden.

Polizeisprecher Thilo Cablitz erklärt, dass keine Voraussetzungen für die „Feststellung von Identitäten“ bei der Brandschutzbegehung vorlagen. Man habe Straftaten einzelnen Personen nicht zuordnen können. Im Netz kursierte etwa ein Video, auf dem zu sehen ist, wie die Beamten in Schildkrötenformationen Richtung Rigaer 94 vorrücken. Dabei werden sie aus einer Sichtluke mit einem Feuerlöscher besprüht. Es sei kaum möglich, beweissicher festzustellen, wer tatsächlich gesprüht habe, sagt Sprecher Cablitz.

Bei Polizisten, die an dem Einsatz beteiligt waren, sorgt das Vorgehen beim Einsatz für Unmut. Beamte sprachen gegenüber WELT von einem „Freifahrtschein“ für Linksextremisten. Das Signal sei fatal: Jeder, der Steine von Hausdächern auf Beamte werfe und deren Tod billigend in Kauf nehme, müsse sich nur in die Rigaer Straße zurückziehen, um straffrei zu bleiben.

Die Polizeiführung weist auf Nachfrage darauf hin, dass es im Umfeld der Rigaer Straße zu Festnahmen und Identitätsfeststellungen gekommen sei. So wurden am Tag vor der Brandschutzbegehung und am Tag selbst insgesamt 34 Menschen kurzzeitig in Gewahrsam genommen – auch die Identitäten seien dabei festgestellt worden.

Die genauen Wohnverhältnisse in der Rigaer 94 sind undurchsichtig. Zumindest in einem Teil der Wohnungen lebten zuletzt Personen, die dafür keinen gültigen Vertrag haben. Der Eigentümer versucht weiterhin auf juristischem Wege, eine Räumung im Objekt durchzusetzen. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte kürzlich erklärt, das Ansinnen zu unterstützen. Im Interview mit WELT hatte er die Hausbewohner vor Wochen als „Gangster“ bezeichnet.

Von Alexander Dinger, Ibrahim Naber

https://www.welt.de/politik/deutschland/article232088681/Rigaer-Strasse-Staatsanwaltschaft-lehnte-Durchsuchung-ab.html

passiert am 25.06.2021