Prozess, RAZ, RL, Radikal – Prozessbericht I vom ersten Verhandlungstag

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Der Auftakt im RAZ-RL-radikal-Prozess gegen unseren Gefährten begann unter strengen Sicherheitsmaßnahmen am 08.06.2021 um 13 Uhr vor dem Landgericht in Berlin Moabit mit dem 1. von bisher insgesamt 21 angesetzten Gerichtsterminen. Vor dem Eingang zum Gerichtsgebäude in der Wilsnacker Str. fand ab 12 Uhr eine Kundgebung in Solidarität mit dem Angeklagten statt, an der sich ca. 40 Menschen beteiligten.

Die Zuhörerinnen und Zuhörer wurden beim Betreten des Gerichtsgebäudes von den Justizbullen durchsucht, nichts durfte mit rein, auch Bleistift und Papier mussten abgegeben werden mit dem Hinweis, im Saal würden Stifte und Papier zur Verfügung gestellt werden. Als der dritte Mensch sich der Durchsuchung unterzog, kam ein Anruf an die Bullen, worauf es hieß, es gäbe nicht genug Stifte und Papier und die mitgebrachten Schreibutensilien wurden wieder ausgehändigt. Um ca.13:15 Uhr wurden die Zuhörerinnen und Zuhörer vom Wartebereich, in dem es im Übrigen keine funktionierenden Toiletten gab, in den Sitzungssaal gelassen.

Der vorsitzende Richter begann mit der Aufnahme der Personalien des Angeklagten und bat den Staatsanwalt um Verlesung der Anklageschrift, dies wurde jedoch von den beiden Rechtsanwälten des Angeklagten durch die Vorlegung eines Antrags bezüglich der angeordneten sitzungspolizeilichen Maßnahmen verhindert. Dabei wurde zunächst geklärt, dass die Erhöhung der Anzahl der zuhörenden Menschen, die zum Prozess zugelassen wurden, von 10 auf 15 auf eine Saaländerung zurückzuführen sei. Dann führten die Rechtsanwälte in ihrem Antrag aus, dass die gerichtliche Anordnung vom 05.05.21 rechtswidrig sei, da es keine Gründe für die Maßnahmen gäbe und sie von dem Angeklagten als ein Ausdruck des Misstrauens gegenüber ihm und der Anwaltschaft verstanden werden und der Öffentlichkeit und der Presse eine Gefährlichkeit unseres Gefährten suggeriere, für die es keine Grundlage gäbe. Des Weiteren wurde im Antrag auf die Beschränkung der Zuhörendenzahl eingegangen und auf die Praxis des Kopierens der Lichtbildausweise der Zuhörenden beim Betreten des Gebäudes, was angeblich der schnellen Identifizierung von Störern dienen solle. Es sei zweifelhaft, dass diese Kopien nach Schluss der Sitzung tatsächlich vernichtet werden, eine Identifizierung von Störern sei auch auf anderem Wege möglich und auch sei es völlig unklar wie und wer diese Kopien anfertigt und wie diese dann in den Sitzungssaal gelangen. Der Anwaltschaft seien durchaus Fälle bekannt, in denen solche angefertigten Kopien von Besucherinnen und Besuchern bei Prozessen in die Hände des Staatsschutzes gelangten. Ergänzend wurde sich ebenfalls erkundigt, nach welchen Kriterien denn die Auswahl der Pressevertreter erfolgt sei, deren Anzahl durch die Anordnung auf fünf begrenzt wurde und von denen sich wohl einige nun in dem für die Zuhörenden vorgesehenen Bereich des Sitzungsaales befinden.

Der vorsitzende Richter beantwortete zunächst die Frage nach der Auswahl der Pressevertreter, diese sei nach dem Kriterium des zeitlichen Erscheinens der Vertreter erfolgt, also nach dem Prinzip wer zuerst kommt, malt zuerst. Des Weiteren seien die Wachtmeister für das Kopieren der Lichtbildausweise zuständig und der Staatsschutz habe kein Interesse an den Ausweiskopien. Der Staatsanwalt Zündorf, der durch seine undeutliche und teilweise schwer verständliche Sprechweise auffiel, erklärte den Antrag der Rechtsanwälte für nicht statthaft, die Anordnungen seien aus seiner Sicht angemessen. Inzwischen war es ca. 13:40 Uhr und es wurde eine Pause von 15 Minuten angeordnet.

Um ca. 14 Uhr wurde die Sitzung fortgesetzt. Der vorsitzende Richter verkündete den Beschluss, dass die angeordneten Maßnahmen angemessen seien und sich die Gefahrenlage aus der Anklage ergäbe, die den Angeklagten als Linksextremisten ausweise, die Öffentlichkeit des Prozesses sei nicht eingeschränkt, die Begrenzung der zugelassenen Zuhörenden pandemiebedingt und die Anwälte in ihrer Arbeit nicht betroffen. Was die Kopien der Ausweise betrifft, sei eine andere Art der Identifikation etwaiger Störer zu langwierig. Drei Wachtmeister seien beim Kopieren anwesend und nur ein Satz Kopien würden der Protokollführerin übergeben. Daraufhin beantragten die Rechtsanwälte eine Pause von einer Stunde und 15 Minuten, um sich mit ihrem Mandanten beraten und einen unaufschiebbaren Antrag stellen zu können sowie der Richterschaft Zeit zu geben den Beschluss in schriftlicher Form anzufertigen, damit dieser den Anwälten übergeben werden kann. Der vorsitzende Richter gab der Unterbrechung der Sitzung statt und die Zuhörenden wurden um 14:10 Uhr aus dem Gerichtssaal entlassen.

Um 15:45 Uhr wurde die Sitzung dann fortgesetzt und die Rechtsanwälte stellten einen Antrag, in welchem sie erklärten, dass sie die Richterschaft wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnen. Diese Befangenheitsbesorgnis ergäbe sich aus den angeordneten Sicherheitsverfügungen. Konkret gehe es um die angeordnete Untersuchung des Angeklagten auf gefährliche Gegenstände, die zweimal erfolge, einmal beim Betreten des Gerichtsgebäudes ein weiteres mal beim Betreten des Sitzungssaales. Die Richter haben den ersten Antrag bezüglich der sitzungspolizeilichen Maßnahmen abgelehnt, obwohl sich selbst in der Anklageschrift keine Anhaltspunkte dafür finden lassen, dass von dem Angeklagten eine Gefahr für Leib und Leben anderer Menschen ausgehe. Auch bei den Gruppierungen, deren vermutliche Mitgliedschaft ihm die Anklage unterstellt, wobei eine tatsächliche Existenz eben dieser Gruppen auch in Zweifel gezogen werden könne, sei nicht von einer solchen Gefahr auszugehen. Des Weiteren lägen die Anklagepunkte bereits zehn Jahre zurück, der Angeklagte ist in diesem Zeitraum nicht auffällig geworden und auch nicht vorbelastet. Die Richter würden durch die Anordnungen folglich die Richtigkeit der Anklagepunkte unterstellen und die Gefahrenprognose unterstreiche diese Befangenheit. Nachdem der vorsitzende Richter erklärte, dass eine Stellungnahme zu diesem Befangenheitsantrag zu einem späteren Zeitpunkt erfolge, wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt. Die Anwälte erkundigten sich, ob der Richter vorsehe, dass geladene Zeugen während ihrer Aussagen die ganze Zeit ein Maske tragen müssten. Dies wurde bejaht, worauf die Anwälte darauf hinwiesen, dass dies dazu führe, dass die Mimik der Zeugen während der Aussagen nicht ausreichend erkennbar sei. Der vorsitzende Richter erklärte, er werde darüber nachdenken, inwieweit es unter den Bedingungen der Pandemie möglich sei, die Zeugen unmaskiert aussagen zu lassen. Dann wiesen die Anwälte darauf hin, dass ihnen zu Ohren gekommen sei, dass es keine Toiletten für die Zuhörenden gäbe und ob dies den Tatsachen entspreche. Auf Nachfrage des vorsitzenden Richters erklärte ein Justizbulle, dass die Toiletten aus ihm unbekannten Gründen nicht benutzbar seien und die Besucher, wenn sie die Toilette aufsuchen wollen, das Gebäude zunächst verlassen über einen anderen Eingang wieder betreten müssten, wobei dort wieder eine Durchsuchung stattfindet (was er nicht erwähnte), die dortigen Toiletten benutzen, das Gebäude verlassen und über den gewohnten Eingang wieder betreten (erneute Durchsuchung) könnten. Nun stellten die Rechtsanwälte einen Antrag wegen eines unaufhebbaren Verfahrenshindernisses. Hierbei ging es um Zeugen, die im Verlaufe des Prozesses vorgeladen werden sollen, welche bereits im mg-Verfahren ausgesagt haben. Bei diesem Prozess wurden Akten durch das BKA zurückgehalten und zwar ging es dabei um einen in der Zeitschrift Interim veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Quo vadis mg“ verfasst von den „Zwei aus der Muppetshow“. Hierzu gab es einen Sachstandsbericht des BKA mit dem Vermerk nur für die Handakte aus dem hervorging, dass dieser Artikel vom BKA verfasst wurde und einer der nun ebenfalls geladenen Zeugen als Verfasser bekannt ist. Dieser Zeuge log beim mg-Prozess als er aussagte, dass ihm einzelne Autoren nicht bekannt und auch konkret die „Zwei aus der Muppetshow“ unbekannt seien. Das BKA führte also beim mg-Prozess zwei Akten und es ist unbekannt, ob es nicht noch weitere Undercoveraktionen des BKA gab. Somit stelle sich die Frage, ob diese Praxis auch jetzt in diesem Verfahren umgesetzt wird, ob die Akten vollständig sind oder ob es noch weitere BKA-interne Papiere gibt. Deshalb fordere die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens. Der Staatsanwalt erklärte er werde dazu jetzt keine Stellungnahme abgeben, diese erfolge später. Der vorsitzende Richter versprach eine zeitnahe Entscheidung über diesen Antrag.

Nun stellten die Rechtsanwälte erneut einen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen, da die Akten, die den Anwälten zur Verfügung gestellt wurden, offensichtlich unvollständig seien. Ein Vermerk der Anklage, weist darauf hin, dass die insgesamt 149 Bände bzw. Akten zum Verfahren nicht neu geordnet oder strukturiert worden seien, allerdings wurden der Verteidigung nur 139 digitale Ordner übergeben, da keine Umstrukturierung stattgefunden hat, fehlen den Anwälten sechs Ordner und vier Sonderhefte. Somit habe die Verteidigung keine vollständige Akteneinsicht erhalten. Der Staatsanwalt äußerte sich dahingehend, dass er nicht wisse, welche Akten zur Verfügung gestellt wurden, er habe sich noch nicht damit befasst. Eine Pause von 15 Minuten wurde anberaumt.

Um ca. 16:25 Uhr wurde die Verhandlung fortgesetzt, der vorsitzende Richter erklärte er wisse im Moment nicht genau wie viele Akten es gäbe, vielleicht habe sich ja auch jemand verzählt, er werde sie auf jeden Fall zählen eventuell direkt im Anschluss an die Sitzung. Weiters sei der Inhalt der möglicherweise fehlenden Akten unklar, sollten der Verteidigung tatsächlich Akten fehlen und diese für den Prozess von Wichtigkeit sein, könnten bereits geladene Zeugen ja auch erneut geladen und befragt werden, nachdem die Verteidigung Einsicht in die fehlenden Akten erhalten habe. Aus diesen Gründen wird der Antrag vom Gericht zurückgestellt. Daraufhin brachte die Verteidigung einen Antrag ein, dass die drei in der Anklageschrift genannten Schadenssummen nicht verlesen werden sollen. Hierbei handele es sich um falsche Fakten, bezüglich des Anschlags auf das Haus der Wirtschaft werde die Bruttosumme anstatt der Nettosumme genannt, ebenso beim Anschlag auf das Gebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, wobei hier noch hinzukomme, dass die Berechnung der Schadenssumme den Unterschied zwischen Neu- und Zeitwert außer Acht lasse, und im dritten Falle, beim Anschlag auf das Amtsgericht, sei die Grundlage nur ein Telefongespräch mit einem Mitarbeiter, so dass auch in diesem Fall mindestens von einer Verwechslung von Brutto -und Nettowert auszugehen sei. Als Erwiderung fordert der Staatsanwalt nuschelnd und für die Zuhörenden kaum verständlich die Fortführung der Hauptverhandlung und die Verlesung der Anklageschrift ohne Korrektur. Erneut zehn Minuten Pause.

Um 16:40 wurde die Verhandlung fortgesetzt mit dem richterlichen Beschluss, dass der Antrag zurückgewiesen werde, die Feststellung der konkreten Schadenssummen obliege der Beweisaufnahme. Die Rechtsanwälte wiesen nochmal daraufhin, dass die Nennung von unzutreffenden Fakten in der Anklage, ein Fehler sei, der bei der Staatsanwaltschaft liege, dann verlas der Staatsanwalt die Anklageschrift. Im Anschluss wurde vom vorsitzenden Richter gefragt, ob es Verständigungsversuche gegeben habe, was der Staatsanwalt verneinte und der Angeklagte wurde darüber belehrt, dass es ihm frei stehe sich zur Anklage zu äußern oder nicht, woraufhin die Verteidiger erklärten, dass sie sich dazu nicht äußern können, solange nicht die Frage nach der Vollständigkeit der Akteneinsicht geklärt sei. Damit endete der erste Sitzungstag.

Der nächste Prozesstermin ist am 17.06.21 am Landgericht Berlin, Turmstraße 91, Eingang Wilsnacker Str.

passiert am 09.06.21