#FrauenImWiderstand / Frauen in der illegalen Rote Hilfe Deutschlands(RHD) & Die RHD im antifaschistischen Widerstand
Am 27. Mai 2021 jährt sich der Todestages der Antifaschistin Frieda Seidlitz zum 85. mal. Frieda Seidlitz war in den 30ern eine wichtige Aktivistin der Rote Hilfe aus Berlin-Weißensee. Sie wurde einen Monat lang verhört und gefoltert und verriet keine:n ihrer Genoss:innen.
Anlässlich von Frieda Seidlitz’s Todestag am 27. Mai 2021 organisiert die Kampagne »Frauen im Widerstand« eine Gedenkdemonstration.
(16.30 Uhr, Antonplatz, Weißensee)
Silke Makowski vom Hans-Litten-Archiv der Roten Hilfe hat als Beitrag zum aktiven Gedenken an Frieda zwei Texten zur Geschichte der Roten Hilfe Deutschland verfasst. In ihrem Text »Frauen in der illegalen Roten Hilfe Deutschlands (RHD)« beschreibt sie die wichtige Rolle, die den Frauen innerhalb der Roten Hilfe inne hatten, gerade nach dem ein Großteil der linken Organisationen von den Nazis zerschlagen wurden oder deren Mitglieder abgetaucht waren. Sie beschreibt, wie auch ihr Text »Die Rote Hilfe Deutschlands im antifaschistischen Widerstand«, die politische Arbeit der RHD in der Illegalität. Zugleich würdigt ihr Beitrag die antifaschistische Widerstandstätigkeit von Frauen – allein schon durch deren Sichtbarmachung.
So teilt auch Frieda Seidlitz das Schicksal vieler Antifaschist:innen, denen nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus im Gegensatz zu (cis-) männlichen Widerstandskämpfern, nicht die selbe Würdigung und Bekanntheit zu Teil wurde. Frieda Seidlitz politische Arbeit ist eines von vielen Beispielen für die zahlreichen Rote Helferinnen, die ihren Beitrag zum Kampf gegen den Faschismus leisteten. Ihr Andenken zu ehren ist praktizierter Feminismus und gelebter Antifaschismus.
Die Texte von Silke Makowski
– »Frauen in der illegalen Roten Hilfe Deutschlands (RHD)«
– »Die Rote Hilfe Deutschlands im antifaschistischen Widerstand«
Frauen in der illegalen Roten Hilfe Deutschlands (RHD)
»Das Rote Frauenaktiv Nordost sammelte in der Märzkampagne 50.- Mark«
von Silke Makowski (Hans-Litten-Archiv)
Schon immer hatten sich viele Frauen in der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) engagiert, einer KPD-nahen Solidaritätsorganisation, die 1924 gegründet worden war. Den wohl wichtigsten Schwerpunkt bildete die materielle Unterstützung der politischen Gefangenen und ihrer oftmals verarmten Familien, doch mit der wachsenden staatlichen Repression wurden die juristische Beratung für Angeklagte und die Finanzierung von AnwältInnen immer wichtiger. Daneben setzte sich die RHD mit Kampagnen für Amnestien und gegen Gesetzesverschärfungen ein und informierte in ihren zahllosen Zeitungen und Broschüren über die Verfolgung von GenossInnen im In- und Ausland. Vor allem innerhalb der ArbeiterInnenbewegung erfreute sich die RHD großer Beliebtheit, aber auch Prominente wie Albert Einstein, Käthe Kollwitz oder Thomas Mann unterstützten die Aktivitäten der Roten Hilfe, die Ende 1932 fast eine Million Mitglieder umfasste.
Die Solidaritätsorganisation bemühte sich erfolgreich um das weibliche Umfeld: Mit geschlechtsspezifischen Publikationen, Frauenkundgebungen und dauerhaften Arbeitsfeldern wie dem Kampf gegen den § 218 erreichte die RHD viele Beitritte. Lag der Anteil weiblicher Mitglieder 1926 bei rund 19 Prozent, stieg er bis 1932 auf immerhin knapp 27 Prozent – weit mehr als in den Parteien und anderen Massenorganisationen –, und mit über 33 Prozent lag der Bezirk Berlin-Brandenburg deutlich über dem Durchschnitt. In allen Leitungen gab es Zuständige für die Frauenarbeit, und teilweise wurden eigenständige Rote-Hilfe-Frauengruppen gegründet.
Tatsächlich war die Mitwirkung in der RHD für politisch interessierte Proletarierinnen weit einfacher als in den Parteien, die im patriarchalen Umfeld weitgehend als Männerdomäne galten. In der Solidaritätsarbeit gab es zahlreiche Abläufe, die sich auch in den von Mehrfachbelastungen geprägten Alltag der Arbeiterinnen integrieren ließen: Die Sammlung von Sachspenden in benachbarten Geschäften, die Kassierung der Mitglieder im Wohnumfeld oder das Zusammenstellen von Päckchen für Gefangene waren leichter mit den vielfältigen Aufgaben von Haushalt, Kinderbetreuung und Lohnarbeit zu vereinbaren als abendliche Gremiensitzungen.
Obwohl also ihr Anteil und ihre Wahrnehmbarkeit in den RHD-Alltagsaktionen stetig stiegen und prominente Aktivistinnen wie Jelena Stassowa und Clara Zetkin an der Spitze der Organisation standen, waren Frauen in den Bezirksleitungen und im Zentralvorstand deutlich unterrepräsentiert. Meist hatten sie höchstens Basisfunktionen inne, etwa als Stadtteilkassiererin oder Ortsgruppenleiterin in kleineren Städten.
Dass die Roten Helferinnen in der Regel in der zweiten Reihe gestanden hatten, bekam im Frühjahr 1933 eine große Bedeutung. Nach der Machtübertragung an die Nazis setzten die Massenverhaftungen auch gegen die SolidaritätsaktivistInnen ein, und bereits im März wurde die RHD verboten. Da die Unterlagen der Politischen Polizei vor allem Angaben zu den bekannteren männlichen Mitgliedern enthielten und das Engagement von Frauen ohnehin unterschätzt wurde, wurden die meisten Genossinnen nur kurz oder überhaupt nicht in die KZs verschleppt. Nun war es an ihnen, die Unterstützung für die Verhafteten und ihre Familien zu organisieren und die Rote Hilfe in die Illegalität zu überführen. Denn gerade in dieser Situation war diese Arbeit nötiger denn je: Das Wissen um solidarische Strukturen im Hintergrund, die im schlimmsten Fall den Angehörigen zur Seite stehen würden, war für viele WiderstandskämpferInnen ausschlaggebend bei ihrer Entscheidung, die Gefahren des antifaschistischen Kampfes auf sich zu nehmen.
Allerdings musste die illegale RHD große Hürden meistern und wurde immer wieder durch massive Verhaftungswellen zurückgeworfen, die teils eingeschleusten Gestapospitzeln, teils der Unerfahrenheit der an die Legalität gewohnten AnhängerInnen geschuldet waren. Trotzdem gelang es, die Organisation im Untergrund wieder aufzubauen, und in vielen Regionen war noch eine größere Zahl an Ortsgruppen tätig, deren Arbeit von Bezirksleitungen koordiniert wurde. Die klandestine Kommunikation wurde durch KurierInnen und InstrukteurInnen sowie über Postdeckadressen aufrechterhalten.
Schon im Frühjahr 1933 stieg nicht nur der Anteil der Frauen in den verbliebenen Basisgruppen deutlich an, sondern auch in höheren Posten. Häufig übernahmen weibliche Angehörige umgehend die Leitungsaufgaben ihrer verhafteten Ehemänner, Brüder oder Väter, deren Tätigkeit sie zuvor durch unsichtbare Zuarbeit ermöglicht hatten und bestens kannten. Der RHD-Zentralvorstand machte bereits im April 1933 in einem Rundschreiben auf diese Tatsache aufmerksam: » Ganz besonders eignen sich (…) die Frauen für die Durchführung der Solidaritätsarbeit. In breitester Weise, entschlossen und unter rücksichtsloser Beseitigung aller auch noch in unseren Reihen vorhandenen Vorurteile müssen die Frauen zu den Funktionen für unsere gesamte Arbeit mit herangezogen werden. Viele Beweise liegen vor, dass die Frauen der verhafteten Antifaschisten sich demonstrativ bereit erklärten, die Funktionen ihrer Männer zu übernehmen« (SAPMO RY1/I4/4/29 Blatt 7).
Um die durch den NS-Terror entstandenen Lücken zu füllen, wurden sogar recht unerfahrene Aktivistinnen mit zentralen Aufgaben betraut: Die Leiterin der kleinen RHD-Ortsgruppe Viernheim, Maria Mandel, wurde mit dem Wiederaufbau des Bezirks Baden-Pfalz beauftragt, und Lore Wolf rückte Ende 1933 in die Bezirksleitung Hessen-Frankfurt auf, obwohl sie der Roten Hilfe erst im Frühsommer 1933 beigetreten war. Im direkten Umfeld des Berliner Zentralvorstands arbeitete 1933/34 Eva Lippold als Reichskurierin, obwohl sie vor dem Verbot nur passive Beitragszahlerin gewesen war, und ähnliche Beispiele finden sich fast überall.
Auch in den Exilstrukturen der Roten Hilfe spielten Frauen eine prominente Rolle, indem beispielsweise die geflüchteten Partnerinnen inhaftierter oder ermordeter Antifaschisten bei Versammlungen sprachen. Bekannt ist Cläre Muth, deren Mann Willi die Gestapo bei der Zerschlagung der illegalen Gewerkschaften in Wuppertal zu Tode gefoltert hatte und die in den Niederlanden die Proteste und Hilfsaktionen koordinierte. Ebenfalls als Rednerin, aber auch als Autorin engagierte sich Martha Berg-André, die nach dem Justizmord an ihrem Lebensgefährten 1936 die RHD-Broschüre »Etkar André, mein Mann und Kampfgefährte« verfasste.
Die früher prägenden Massenkampagnen waren in der Illegalität hingegen kaum noch möglich, und nur vereinzelt traten die Rote-Hilfe-Gruppen mit frauenspezifischen Flugblättern an potenzielle Unterstützerinnen heran. Allerdings produzierte der Zentralvorstand entsprechende Publikationen wie die beiden 1934 erschienenen Broschüren » Frauen unter faschistischem Terror! Frauen an der Solidaritäts- und Kampffront!« und » Mütter, kämpft für eure Kinder!«, die sich mit dem NS-Terror gegen Antifaschistinnen befassten und die Leserinnen zur Mitarbeit aufriefen.
War die RHD Berlin schon in der Weimarer Republik vorbildlich in der Werbung weiblicher Mitglieder gewesen, setzte sie diese Arbeit auch in der Illegalität fort. Als sich im September 1933 eine neue Bezirksleitung um Hans Seigewasser formierte, wurde mit Maria Lehmann aus Weißensee umgehend eine eigene Frauenleiterin eingesetzt, die zusammen mit Hilde Seigewasser und Erna Bartz große Erfolge verbuchen konnte. In einem Bericht über das erste Halbjahr 1934 beklagte der Zentralvorstand die mangelhafte Frauenarbeit in den meisten RHD-Bezirken und führte die Hauptstadt als positive Ausnahme an: » Berlin hat eine besondere Frauenzeitung herausgegeben, hat zwei Frauenaktivs geschaffen, von denen das eine ein sehr gutes Begrüssungsschreiben an den Mopr-Kongress absandte (…). Das Rote Frauenaktiv Nordost sammelte in der Märzkampagne 50.- Mk. in bar und 1 Zentner Lebensmittel bei kleinen Geschäftsleuten und Angestellten« (SAPMO RY1/I4/4/27 Bl. 86f). Laut diesem Schreiben wurde die Zeitung vom RHD-Frauenaktiv Luxemburg in einer Auflage von rund 800 Stück hergestellt.
Innerhalb der Gesamtorganisation übernahmen weibliche Mitglieder häufig zentrale Aufgaben bei der Verwaltung und Druckschriftenproduktion, weil sie Erfahrungen im Schreibmaschineschreiben hatten. Zum Beispiel bildete Charlotte Gerbeit zusammen mit Max Treder den Kern des Technischen Apparats der RHD Berlin, der unter anderem die Zeitung » Informationsdienst« produzierte. Käte Kaufmann, die führend in der RHD Weißensee aktiv war, stellte die Matrizen für das Stadtteilblatt » Bruderhand« her.
Ein weiteres Aufgabenfeld bot sich für Rote Helferinnen in der Familienhilfe – sei es in der Betreuung der Frauen der politischen Gefangenen, mit denen sie die anfallenden Alltagsprobleme diskutierten und die sie moralisch stärkten, sei es in der praktischen Unterstützung für Männer, die nach der Verhaftung ihrer Ehefrauen mit Kinderbetreuung und Haushalt überfordert waren.
Gerade im sympathisierenden Umfeld erprobten Frauen spezielle Spendenaktionen, darunter sogar private Solidaritätsfeiern. Maria Lehmann erinnerte sich später an regelmäßige Einnahmen aus » Moabit, wo eine alte Genossin Kaffeenachmittage mit musikalischer Begleitung für Gäste organisierte und die dabei gesammelten Gelder an die Rote Hilfe abführte« (zit. n. Sandvoß, Widerstand in Prenzlauer Berg und Weißensee, Berlin 2000, S. 121).
Im Sommer 1934 erreichte die koordinierte Tätigkeit der Berliner RHD-Frauengruppen, die auch nichtkommunistische Aktivistinnen ansprachen, ihren Höhepunkt, und ein Brief des Zentralvorstands vermerkte im Herbst: »Interessant ist, dass die Frauenarbeit (…) Einheits- und Massencharakter hatte. Eine Reihe von SPD-Frauengruppen hatte sich der RH angeschlossen. Es wurde mit der Organisierung einer Delegation zum Frauen-Kongress begonnen« (SAPMO RY1/I4/4/27 Bl. 109), der vom 4. bis 6. August 1934 in Paris stattfand.
Jedoch setzte im September eine NS-Terrorwelle ein, die fast die gesamte Bezirksleitung traf und die RHD-Arbeit in Berlin weit zurückwarf. Auch Maria Lehmann wurde im Prozess gegen Max Lenk u. a. am 16. Februar 1935 angeklagt und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach ihrer Entlassung wurde sie als Jüdin immer offener angefeindet und floh im Mai 1939 nach England. Ihre Genossin Hilde Seigewasser blieb weiter im Widerstand tätig, bis sie im September 1943 verhaftet wurde; im Februar 1945 starb sie bei der Bombardierung des Zuchthauses Cottbus.
Dennoch arbeiteten viele Rote-Hilfe-Gruppen weiter, wobei den Frauen besondere Möglichkeiten offenstanden: Bei ihren Widerstandsaktionen konnten sie geschlechtsspezifische Handlungsmuster nutzen, die den faschistischen Repressionsorganen und denunziationswilligen NachbarInnen unverdächtig erschienen. Sie tarnten klandestine Treffen als Kaffeekränzchen oder als Tratsch auf dem Friedhof, und der Flugblatttransport im Kinderwagen oder Einkaufskorb war weit geringeren Risiken ausgesetzt als in den Koffern, die die männlichen Mitglieder benutzten. Viele Frauen waren deshalb als Kurierinnen oder in der Vernetzung tätig, weil sie die patriarchalen Geschlechterstereotype zu ihren Gunsten nutzen konnten und weit seltener in Kontrollen kamen.
Selbst wenn sie in die Fänge der Gestapo gerieten, stuften die Nazis sie oftmals als harmlose Mitläuferinnen ein, die unwissentlich instrumentalisiert worden waren, und setzten sie wieder auf freien Fuß. Entsprechend selten wurden die Ermittlungsverfahren gegen Rote Helferinnen zur Anklage gebracht, und bei Verurteilungen erhielten sie weit geringere Strafen als ihre Mitstreiter. Nicht selten wurde ihnen jegliches politisches Bewusstsein abgesprochen oder die Schuld ihren Ehemännern angelastet, vor allem wenn sie sich nur als Beitragszahlerinnen beteiligt hatten. Ein Beispiel dafür bilden die Prozesse gegen die RHD Prenzlauer Berg: Am 2. April 1937 befand der 4. Strafsenat des Berliner Kammergerichts im Verfahren gegen Gustav Schulze u. a. die zuständige RHD-Zellenkassiererin Frieda Hindemith für schuldig, von 1933 bis Januar 1936 fast durchgehend Beiträge unter anderem bei den Eheleuten Goldau kassiert zu haben. Hindemiths Beteuerung, von der Strafbarkeit ihrer Aktivitäten nichts gewusst zu haben, wurde jedoch angesichts ihrer jahrelangen RHD-Funktionärinnentätigkeit seit der Weimarer Republik kein Glaube geschenkt. Nur vier Tage später sprach das gleiche Gericht hingegen die von Hindemith kassierte Rote Helferin Marie Goldau im Prozess gegen Max Schlichting u. a. vom Vorwurf der Beitragszahlung frei, weil das Gericht ihrer Schilderung folgte, dass sie das Geld nur auf Befehl ihres Ehemanns hin aus der von ihm finanzierten Haushaltskasse ausgezahlt und somit keine eigenständige strafbare Handlung begangen habe. Indem bei Frauen die Prozesse oft mit Einstellungen oder sogar Freisprüchen endeten oder sie nach relativ kurzer Haftzeit freikamen, konnten sie auch nach Repressionswellen die Solidaritätsgruppen neu aufbauen.
Allerdings fielen auch viele weibliche RHD-Mitglieder dem brutalen NS-Terror zum Opfer, insbesondere Aktivistinnen, die durch ihre führende Beteiligung allzu offensichtlich gegen das Bild der » unpolitischen Frau« verstoßen hatten: So verhängte der berüchtigte Volksgerichtshof am 25. Juli 1935 neun Jahren Zuchthaus gegen die Reichskurierin Eva Lippold, und am 18. Juni 1941 verurteilte er Lore Wolf, die nach ihrer Mitarbeit in der Bezirksleitung Hessen-Frankfurt jahrelang im Exil für die RHD tätig gewesen war, sogar zu zwölf Jahren Zuchthaus.
In den Gestapoverhören wurden nicht wenige Rote Helferinnen brutal gefoltert, darunter Hilde Didzuhn, in deren Wohnung in Unter den Linden 16 im Frühjahr 1933 das illegale Büro des Zentralvorstands untergebracht war; sie starb 1937 an den Folgen der schweren Misshandlungen. Noch bekannter ist der Fall der RHD-Funktionärin Frieda Seidlitz aus Weißensee, der engsten Mitarbeiterin des Bezirksleiters Fritz Hödel, von der sich die Gestapo besondere Einblicke in den gesamten illegalen Apparat erhoffte. Als Verbindungsfrau zur Exilleitung der Roten Hilfe in Prag und in alle Berliner Stadtteile kannte sie zahllose Anlaufstellen und Kontaktpersonen; unter anderem verteilte sie die aus dem Ausland eingeschmuggelten RHD-Zeitungen und den » Informationsdienst« des Bezirksvorstands in sämtliche Viertel. Einen ganzen Monat lang hielt Seidlitz den bestialischen Torturen in den Verhören stand, bis sie schließlich am 27. Mai 1936 Selbstmord beging, um keine GenossInnen zu belasten. Über den Hergang resümierte die Gestapo am 10. Juni 1936: » Sie selbst verweigerte bald vier Wochen lang jede Aussage, leugnete selbst bei Gegenüberstellung mit Hödel jede Bekanntschaft und Arbeit mit ihm und machte auch keine Aussage über ihren letzten Aufenthalt. Nach dieser Zeit gelang es jedoch durch eine Überrumpelung, von der S. endlich ihr letztes Quartier zu erfahren. Dieses einzige Geständnis muss sie so niedergedrückt haben, dass sie 2 Tage später Selbstmord beging« (SAPMO R 58 2169 Bl. 220).
Der faschistische Terror hatte Mitte der 1930er Jahre die illegalen RHD-Strukturen im gesamten Reichsgebiet geschwächt, und viele Solidaritätsgruppen waren isoliert und beschränkten sich auf Spendensammlungen. Dennoch initiierte der Zentralvorstand 1937 eine letzte große Kampagne, die die Begnadigung der Stuttgarter Kommunistin Liselotte Herrmann forderte. Anlass war die Tatsache, dass sie als erstes weibliches Mitglied des antifaschistischen Widerstands zum Tod verurteilt worden und zudem alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes war. Mit internationalen Protesten, bei denen besonders Frauenorganisationen angesprochen wurden, sowie illegalen Flugblattverteilungen erzeugte die Rote Hilfe monatelang große Aufmerksamkeit, doch konnten die Aktionen nicht verhindern, dass Lilo Herrmann am 20. Juni 1938 in Plötzensee hingerichtet wurde.
Wenig später wurde die RHD offiziell aufgelöst, aber auch danach blieben viele Gruppen tätig, und bis zur Befreiung engagierten sich Frauen in der Solidaritätsarbeit. Zu den kontinuierlichsten Strukturen zählte der Moabiter RHD-Kreis um Ottilie Pohl und Rosa Lindemann, die bis in die 1940er Jahre Spenden sammelten und illegale Quartiere für Untergetauchte organisierten. Pohl blieb trotz einer Haftstrafe wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« weiter aktiv, bis sie Ende 1942 als Jüdin deportiert und ermordet wurde. Rosa Lindemann hingegen konnte einer Verhaftung entkommen und gemeinsam mit einigen GenossInnen die Hilfe für die Verfolgten weiterführen.
Die Rote Hilfe Deutschlands im antifaschistischen Widerstand
»Nach vorsichtiger Schätzung dürften in Berlin etwa 3000 Mitglieder erfasst sein«
von: Silke Makowski (Hans-Litten-Archiv)
Die KPD-nahe Rote Hilfe Deutschlands (RHD) war 1924 als reichsweite Solidaritätsorganisation gegründet worden und entwickelte sich bald zu einer der bedeutendsten Massenorganisationen. Vor allem die ArbeiterInnenbewegung sympathisierte mit den zentralen Arbeitsfeldern der RHD – der materiellen Unterstützung der politischen Gefangenen und ihrer Familien, dem Rechtsschutz für angeklagte AktivistInnen und dem Kampf gegen die zunehmende Repression. Der schnell wachsende Bezirk Berlin-Brandenburg stand im Sommer 1932 mit 95.021 Individualmitgliedern in 477 Ortsgruppen und hunderttausenden in Kollektivmitgliedschaften erfassten BeitragszahlerInnen unangefochten an der Spitze. Hier war es vorbildlich gelungen, nicht nur eine große Zahl von Frauen für die Solidaritätsarbeit zu gewinnen – ihr Anteil lag mit einem Drittel deutlich über dem reichsweiten Durchschnitt –, sondern auch die parteilosen Roten HelferInnen dauerhaft einzubinden: Im Frühjahr 1932 gehörten 62 Prozent der RHD-FunktionärInnen in Berlin-Brandenburg keiner Partei an, während in den meisten Regionen die KPD-AnhängerInnen die Posten dominierten.
Zu dieser Zeit traf die Rote Hilfe erste Vorkehrungen für ein mögliches Verbot, denn zu Beginn der 1930er Jahre verschärfte sich die Repression gegen die ArbeiterInnenbewegung extrem. Allerdings blieben die Vorbereitungen oberflächlich und unvollständig, weil die AktivistInnen mit der großen Zahl an Prozessen und Gefangenen sowie der Beschaffung der notwendigen Spendengelder ständig überlastet waren.
Auch die Machtübertragung an die Nazis wurde von der RHD zunächst noch deutlich unterschätzt, und der in Berlin ansässige Zentralvorstand empfahl verstärkte Massenarbeit und öffentliche Proteste gegen den NS-Terror, statt die Umstellung auf die Illegalität voranzutreiben. Im Rundschreiben vom 4. Februar 1933 rief die Reichsleitung ein »Antifaschistisches Werbeaufgebot der Roten Hilfe« aus und beurteilte die bisherigen Schritte allzu optimistisch: »Wir glauben, daß damit die erforderliche Schlagkraft der Organisation geschaffen wurde, die dem Ansturm des Faschismus gewachsen ist und die ihre Aufgabe in den kommenden Kämpfen zu erfüllen vermag« (GLA KA 234/10129, S. 14).
Bereits am 14. Februar 1933 wurde das RHD-Bürogebäude in der Dorotheenstraße 77/78 von einem Polizeigroßaufgebot durchsucht und am 2. März samt Inventar beschlagnahmt; wenige Tage später wurde die RHD im gesamten Reichsgebiet verboten. Die Massenverhaftungen nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 trafen auch die Solidaritätsorganisation hart, und in Berlin wurden neben führenden FunktionärInnen zahllose Basismitglieder in die Konzentrationslager verschleppt. In den meisten Stadtteilen waren die Strukturen weitgehend zerschlagen, und nur einzelne Häuserblockzellen organisierten wenigstens Direkthilfe für die Verfolgten im unmittelbaren Wohnumfeld. Es dauerte Monate, um die Bezirks- und Stadtteilleitungen wieder aufzubauen und die abgerissenen Verbindungen mit den verbliebenen Gruppen neu zu knüpfen, und erst im September 1933 notierte der Zentralvorstand eine merkliche Besserung, als eine neue Leitung gebildet werden konnte. Doch die Lage blieb schwierig, und im Organisationsbericht von Mitte November 1933 heißt es : »Nach vorsichtiger Schätzung dürften in Berlin etwa 3000 Mitglieder kassentechnisch erfasst sein. Jedoch (…) hat die Tendenz der Kassierung bis zu diesem Monat einen rückläufigen Charakter« (SAPMO RY1/I4/4/27 Bl. 27), und nur zwei Bezirksgruppen rechneten mit dem Vorstand ab. Sammlungen wurden demnach kaum durchgeführt, statt der vorgesehenen zwölf InstrukteurInnen waren bloß sechs tätig, und nur zwei Unterbezirke brachten selbstständig Zeitungen heraus. Dass die Auflage des an RHD-FunktionärInnen adressierten »Informationsdienstes« der Bezirksleitung gerade einmal 300 Exemplare betrug, belegt die noch spärliche Vernetzung.
Nachdem sich im Herbst 1933 eine arbeitsfähige Bezirksleitung für Berlin-Brandenburg um den Sozialisten Hans Seigewasser gegründet hatte, erlebte die illegale RHD-Arbeit in vielen Stadtteilen einen Aufschwung. Außer den eigenen Spendensammlungen und Mitgliedsbeiträgen konnten die Basisgruppen hohe Zuschüsse vom Zentralvorstand verteilen, der über KurierInnen Unterstützung von den befreundeten Rote-Hilfe-Organisationen anderer Staaten bekam. Neben der materiellen Versorgung der Familien der inhaftierten GenossInnen führte die Rote Hilfe die Öffentlichkeitsarbeit gegen den NS-Terror fort, indem sie die im Ausland gedruckten und eingeschmuggelten RHD-Publikationen, darunter die zentrale Zeitung »Tribunal«, vertrieb oder mit Flugblättern gegen lokale Verfolgungsmaßnahmen protestierte. In mehreren Unterbezirken brachten die Solidaritätsgruppen sogar regelmäßig lokale Untergrundzeitungen heraus, darunter das »Kleine Tribunal« im Wedding und das »Tribunal Prenzlauer Berg«. Im Juli 1934 hielt der Halbjahresbericht des Zentralvorstands fest: »An der Spitze der Bezirke marschiert Berlin mit 9 Unterbezirkszeitungen, die teilweise politisch und technisch glänzend aufgemacht sind« (SAPMO RY 1 I 4/4/27 Bl. 88), und verwies auf Belegexemplare unter anderem aus Nord, Nordost und Weißensee.
Neben den üblichen Leitungsfunktionen waren im Bezirksvorstand Berlin-Brandenburg auch noch eigene Ressorts für Presse und für die Werbung unter den Frauen geschaffen worden, was zusätzliche Aktivitäten ermöglichte, und InstrukteurInnen gewährleisteten die Kommunikation zwischen den Stadtvierteln. Dass der engagierte Organisationsleiter Hans Seigewasser anfangs Sozialdemokrat und danach in der Sozialistischen Arbeiterpartei tätig gewesen war, erleichterte es, SympathisantInnen außerhalb des KPD-nahen Spektrums zu finden und wenigstens in der Solidaritätsarbeit die Einheit der verfeindeten ArbeiterInnenparteien herzustellen. Mit 2700 über die zentrale Kassierung erfassten Mitgliedern im Sommer 1934 und zahllosen UnterstützerInnen in Spendenkreisen stellte die Rote Hilfe eine der bedeutendsten Widerstandsorganisationen der Stadt dar.
Einen schweren Schlag bedeutete die Verhaftung fast der gesamten RHD-Leitung von Berlin-Brandenburg im Herbst 1934, und auch Seigewassers Nachfolger Curt Bartz fiel der Gestapo nach wenigen Wochen in die Hände. Am Jahresende hatte der Zentralvorstand keine Verbindung zum Bezirksvorstand, obwohl bereits ein neues Gremium in Gründung war, dem unter anderem Fritz Hödel aus Weißensee angehörte. Er sammelte die schwer getroffenen RHD-Stadtteilgruppen und setzte die bereits unter Seigewasser vorangetriebene Annäherung an sozialdemokratische Kreise fort. Einer der größten Erfolge war das Einheitsabkommen mit der SPD-Bezirksleitung im Juni 1935, in dem die gemeinsame Solidaritätsarbeit festgelegt wurde und dessen Text auf zehntausenden Flugblättern verbreitet wurde. Abgesehen von vierstelligen Unterstützungszahlungen für die sozialdemokratischen Gefangenen und einigen Aufrufen konnte das Bündnis aber nicht wirksam umgesetzt werden, weil der Prager SPD-Exilvorstand intervenierte und die Zusammenarbeit unterband.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Kontakte zu vielen RHD-Unterbezirken unterbrochen, und laut einem Bericht des Zentralvorstands für die Monate Januar bis Juli 1935 lagen nur aus acht Stadtteilen Angaben zu den teils spärlichen Mitgliederzahlen vor, wobei Steglitz-Zehlendorf mit 90 regelmäßig kassierten Roten HelferInnen an der Spitze stand. Zum gesamten Südosten war die Verbindung abgerissen, so dass insgesamt nur etwa 500 BeitragszahlerInnen zentral erfasst waren – ein enormer Einbruch gegenüber den Zahlen vom Vorjahr. Allerdings wurde das System der lockeren Spendenkreise vorangetrieben; durch diese unverbindlichere Organisierung konnte sich die RHD auf breitere antifaschistische Kreise ausdehnen. Außerdem gelang es dem Bezirksvorstand um Hödel, die verbliebenen RHD-Gruppen in einigen Unterbezirken zu stärken, und dank der Betreuung durch InstrukteurInnen und der Belieferung mit RHD-Publikationen behielt die Arbeit zumindest eine gewisse Kontinuität. Mit dem 14-tägig erscheinenden »Informationsdienst« brachte die Berliner Leitung weiterhin ein eigenes Blatt für FunktionärInnen heraus, und weil die Lieferungen des im Ausland gedruckten »Tribunal« teilweise ausblieben oder nicht ausreichten, wurde eine Zeitung mit diesem Titel im Abzugsverfahren hergestellt.
Auch im Nordosten leisteten gut organisierte illegale RHD-Strukturen dauerhaft und in großem Maßstab Unterstützungs- und Öffentlichkeitsarbeit. In der besonders leistungsstarken Roten Hilfe Weißensee war der spätere Bezirksleiter Fritz Hödel prägend, der im September 1933 die Stadtteilleitung von Erich Vogt übernommen hatte. »Gemeinsam mit der Genossin Anna Gerichow gelang es, die Rote Hilfe wieder illegal stark vorwärts zu treiben, einzelne Organisationen wie den ASW (Arbeiter-Sportverein Weißensee) als Kollektiv-Mitglieder und Beitragszahlende anzuschließen (…), eine illegale Rote-Hilfe-Zeitung ‚Hand in Hand‘ herauszugeben« (zit. n. Sandvoß, Widerstand in Prenzlauer Berg und Weißensee, Berlin 2000, S. 153), wie Hödel später berichtete. In dieser Phase waren im Stadtteil fast 400 Rote HelferInnen erfasst, und außer den Familien der Gefangenen konnten Dutzende Untergetauchte auf dem Weg ins Exil finanziell unterstützt und ausgeschleust werden. Auch wenn die Zahl der Mitglieder im Folgejahr sank, wurden von Hödels enger Mitarbeiterin Käte Kaufmann, die unter anderem die Finanzen des Unterbezirks verwaltete, und mehreren UnterkassiererInnen viele Basiszellen erfasst, und von den früher sechs Stadtteilgruppen waren noch das Französische Viertel, Balkan, Seegebiet, Mücken- und Laubenviertel aktiv. Mit den gesammelten Beiträgen und Spenden unterstützte die RHD Weißensee die Familien inhaftierter AntifaschistInnen regelmäßig mit festen Summen und Sachspenden, und bei Finanzknappheit wurden weitere Solidaritätsgelder beim Bezirksvorstand abgerufen. Als Hödel auf Bezirksebene tätig wurde, wurde Friedrich Walter sein Nachfolger als Politischer Leiter für die Rote Hilfe Weißensee, bis Ende 1935 Karl Barth ihn ablöste. In der Wohnung von Walter wurde im Winter 1935/36 auch die letzte Berliner Stadtbezirkszeitung »Bruderhand« produziert, von der drei oder vier Ausgaben mit jeweils bis zu 500 Exemplaren erschienen und die im ganzen Nordosten verbreitet wurde. Die Erstellung der Matrizen einschließlich der Zeichnungen übernahm Käte Kaufmann, die auch schon früher regelmäßig Manuskripte für illegale Schriften abgetippt hatte. Laut dem Urteil gegen Friedrich Walter u. a. vom 11. Februar 1937 beschaffte sie auch mehrere tausend Blatt Papier und die Matrizen – eine sehr gefährliche Aufgabe, da der Verkauf von Druckbedarf streng überwacht wurde. Den benötigten Abzugsapparat bezog die Gruppe über den Sozialdemokraten Leopold Abraham, der als Vertreter für Vervielfältigungsgeräte arbeitete und seit Beginn der Illegalität kommunistische Widerstandsgruppen mit Material versorgte.
Zum Jahresanfang 1936 wurde die Berliner Rote Hilfe umfassend umstrukturiert und die 35 Unterbezirke in vier Stadtbezirke aufgeteilt, denen jeweils eine dreiköpfige Leitung (»Dreierkopf«) vorstand. Zum Abschnitt A gehörten neben Pankow, Nordring, Weißensee und Prenzlauer Berg auch Friedrichshain und Lichtenberg. Fritz Hödel als Politischer Leiter bildete zusammen mit dem Organisationsleiter Gustav Tscharniel aus Weißensee und dem Agitprop-Leiter Max Sellheim, zuvor RHD-Instrukteur für Pankow und Nordring, das verantwortliche Gremium. Das Urteil gegen Hödel u. a. vom 2. November 1937 nahm an, dass in diesem Gebiet allein im November und Dezember 1935 mindestens 2400 RM Unterstützung an die Familien von Gefangenen ausgezahlt wurden.
Die Stadtgebietszeitung »Bruderhand« sowie weitere verbotene Druckschriften, die aus dem Ausland eingeschmuggelt wurden, gingen über geheime Verteiladressen in alle Unterbezirke. Eine Schlüsselrolle bei Beschaffung und Vertrieb dieser Publikationen sowie bei der Kommunikation mit der RHD-Exilstelle in Prag hatte Frieda Seidlitz inne, die als Kurierin Informationen und große Mengen Literatur übermittelte. Im Prozess gegen Hödel nahm das Gericht an, dass allein ein Paket, das sie ihm im März 1936 am Bahnhof Wedding übergab, mehrere tausend Streuzettel mit Amnestieforderungen, je 447 Ausgaben verschiedener »Tribunal«-Nummern, Unterlagen für FunktionärInnen sowie Ausgaben der »Roten Fahne« und der »Inprekorr« enthalten hatte.
Auch in den anderen Unterbezirken standen vor allem bis 1936 aktive Rote-Hilfe-Strukturen den Angehörigen der Gefangenen zur Seite und beteiligten sich am Literaturvertrieb. So arbeitete in Pankow-Vineta eine Solidaritätsgruppe, die 1935 zunächst von Max Sellheim, danach von Max Uecker geleitet wurde; für die Kasse war Wanda Chalaska verantwortlich. In Pankow-Land sorgten Rote HelferInnen um Willi Behr und Edmund Stude dafür, dass zumindest einige Familien im Viertel finanzielle Zuschüsse erhielten. Die illegale RHD in Friedrichshain II hatte mit Paul Balke, Alfred Breiter und Hermann Schubert eine stabile Leitung, die außer einer Reihe KPD-AnhängerInnen acht Kleingruppen von parteilosen RHD-Mitgliedern kassierte, und laut den Gerichtsakten wurden rund 15 Familien regelmäßig unterstützt. Auch in Friedrichshain wurden demnach die RHD-Zeitungen »Informationsdienst« und »Tribunal« verkauft.
Ebenfalls starke Solidaritätsstrukturen existierten in Prenzlauer Berg, wo lange Zeit neben der Roten Hilfe auch noch die befreundete Internationale Arbeiterhilfe (IAH) Spenden für die Verfolgten sammelte, bis sie im Herbst 1935 in die RHD überführt wurde. Ebenso wie die IAH, die im Stadtteil die Zeitung »Solidarität« herausbrachte, unterhielt auch die Rote Hilfe mit dem »Tribunal Prenzlauer Berg« bis Ende 1934 ein regelmäßiges lokales Blatt. Später wurden die Druckschriften des Bezirksvorstands und im Ausland produzierte Materialien an die Mitglieder verkauft. Ab Herbst 1935 hatte Karl Barth den Posten des RHD-Unterbezirksleiters inne, der in seiner Arbeit von der erfahrenen und äußerst engagierten Hauptkassiererin Elisabeth Vopatek unterstützt wurde. Anfang 1936 traf eine massive Repressionswelle das gesamte Stadtgebiet A und erfasste auch die RHD Prenzlauer Berg.
Im Februar 1936 begannen die Verhaftungen, denen neben praktisch der gesamten Stadtgebietsleitung um Hödel und dem Technischen Apparat um Max Treder und Charlotte Gerbeit auch zahllose einfache BeitragszahlerInnen zum Opfer fielen. Unter den wochenlangen unvorstellbar brutalen Folterungen durch die Gestapo brachen viele Rote HelferInnen zusammen und belasteten sich und ihre GenossInnen. Andere beschränkten sich darauf, die bereits unwiderlegbaren Beweise zu bestätigen und stritten alles Darüberhinausgehende ab – eine Strategie, die für solche Notfälle empfohlen worden war. Auf diese Weise konnten die faschistischen Repressionsorgane immerhin nur einen Teil der Widerstandsarbeit entdecken, wie die unvollständigen und widersprüchlichen Prozessakten zeigen, und sicherlich blieben einige RHD-Zellen durch das beharrliche Leugnen unentdeckt. Die Kurierin Frieda Seidlitz, die seit vielen Monaten die Verbindungen innerhalb Berlins und nach Prag gepflegt hatte und zahllose Kontaktpersonen kannte, verweigerte trotz unvorstellbarer Qualen wochenlang die Aussage und beging schließlich Selbstmord, um keine MitstreiterInnen zu verraten.
Von dem vernichtenden Repressionsschlag, der allein in den RHD-Unterbezirken Prenzlauer Berg und Weißensee sieben Prozesse mit 72 Angeklagten nach sich zog, erholten sich die Solidaritätsstrukturen im Stadtgebiet A nie wieder. Auch in anderen Teilen Berlins rissen die Verbindungen durch Verhaftungswellen ab, und im Sommer 1936 waren dem Zentralvorstand nur noch aus dem südöstlichen Stadtgebiet C einige koordiniert arbeitende RHD-Strukturen bekannt, die laut eigenen Angaben rund 300 Familien unterstützten. Trotzdem liefen auch im Nordosten die Unterstützungsaktionen auf kleiner Flamme weiter, indem weitgehend isolierte Spendenkreise und RHD-Gruppen die Verfolgten im direkten Wohnumfeld unterstützten.