Prozessbericht des ersten Prozesstages im Späti-Prozess

Heute fand der erste Prozesstag in dem Berufungsverfahren im Späti-Prozess statt. Neben den üblichen Darsteller:innen wurden nur zwei Besucher:innen zugelassen. Jedoch war es möglich im Hauptgebäude vor dem Raum zu warten. Etwa 25 solidarische Prozessbegleiter:innen sind dem Aufruf gefolgt.
Zu Beginn der Verhandlung bot der Richter allen Beteiligten an, die Masken abzunehmen. Diese Möglichkeit nutzten vor allem die Justizangestellten, die bekanntermaßen mehrfach als verantwortlich für die Corona-Infektionen von Gefangenen sind.

Laut Richter waren heute alle Zeug:innen verhindert und sind nun zum 13.04. erneut geladen. Somit war ausschließlich die Gutachterin vor Ort, welche Vergleichsbilder der Angeklagten erstellen sollte.

Zu Beginn wurde in Ausschnitten das Urteil aus der ersten Instanz verlesen, welches mit zwei Freisprüchen und vier Bewährungsstrafen zwischen 9 und 11 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung bzw. deren Anstiftung endete. Das Verfahren gegen eine Person wurde schon zu Beginn abgetrennt.

Die Zusammenfassung des Urteils:
Am 19.05.18 betrat eine Person den Späti in der Reichenberger Str. 155, um ein Paket dort abzuholen. Der Verkäufer weigerte sich jedoch das Paket ohne Ausweis vorzulegen, wurde laut und es folgte ein kurzer verbaler Schlagabtausch. Beim Gehen warf die Person, die ihr Paket abholen wollte, eine Packung mit 20 Schokoriegeln zu Boden. Hiernach verfolgte der Verkäufer sie nach draussen und hielt sie fest. Das Geschehen findet ausserhalb der Kameraaufnahmen statt und kann so nicht rekonstruiert werden. Etwa zwei Stunden später betraten 6 Personen den Späti, sagten „Hallihallo“ und „Du schlägst hier keine Frauen“ und rissen Sachen aus den Regalen, woraufhin der Verkäufer nach einer Person schlug und dann selbst geschlagen, bzw. getreten wurde. Der Verkäufer erlitt nach eigener Aussage Hautabschürfungen, Hämatome und eine Platzwunde und war zwei Wochen arbeitsunfähig.

Gegen das Urteil legten alle Anwesenden Berufung ein, selbst die Staatsanwaltschaft, die im ersten Prozess Freisprüche gefordert hatte. Der Richter betonte, dass vor der Verhandlung keine Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung stattgefunden haben und fragte, ob jemand die Berufung zurücknehmen möchte. Dies wurde von allen abgelehnt und die Staatsanwaltschaft hätte dem nur unter der Bedingung zugestimmt, dass alle die Berufung zurücknehmen.

Da die Staatsanwaltschaft auch Berufung eingelegt hat, in der zweiten Instanz nun Haftstrafen von über einem Jahr fordert und es zudem ein Gutachten geben wird, beantragten die Anwät:innen die Beiordnung als Pflichtverteidiger:innen. Dem stimmte der Richter zu.

Im Anschluss wurde eine Prozesserklärung verlesen (https://de.indymedia.org/node/71113) und der Anwalt einer Angeklagten gab eine eigene Erklärung ab, in der er betonte, dass der Tathergang nicht aufzuklären sei, es mehrere Möglichkeiten gäbe, was passiert sein könnte, keine davon bewiesen werden kann und somit nicht verurteilt werden könne.

Die geladene Gutachterin schilderte ihre Vorgehensweise und kündigte an, im Anschluss unter Ausschluss der Öffentlichkeit Bilder aus der für den Vergleich notwendigen Perspektive anzufertigen. Sie hat die Akte eingesehen und Standbilder aus den Aufnahmen der Überwachungskamera erstellt. Zum nächsten Termin will sie ihre Vergleichsbilder vorlegen und ihr Gutachten vorstellen.
Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen, um die Fotos zu erstellen.
Die Gutachterin wurde danach entlassen und auf Nachfrage konnte ein:e dritte:r Besucher:in in den Saal.
Das Video der Überwachungskamera wurde gezeigt und Bilder aus der Akte gesichtet.

Währenddessen fragte eine:r der Anwält:innen, warum der Beamte mit der Codiernummer 99100564 erneut geladen wurde, obwohl nun eine Gutachterin da ist. Der Richter meinte, zur Aufklärungspflicht gehört es, möglichst alle zu hören.

Nächster Termin: 13.04.21 – der Saal wird eventuell erst am Morgen bekannt gegeben und es wurde gebeten, am Eingang nachzufragen.

Aufruf zum heutigen Prozesstag und Hintergrundinformationen: hier.

Danke an alle, die sich heute solidarisch gezeigt haben und unterstützend vor Ort waren.
Wir sehen uns nächste Woche Dienstag!

passiert am 08.04.2021