Das Versammlungsfreiheitsgesetz in Berlin: Was ändert sich?
Berlin hat ein neues Versammlungsgesetz?
Das ändert sich ab dem 28. Februar für uns!
[Ausführliche Broschüre (24 Seiten, A5) unter https://archive.org/download/versg_be_broschuere/versg_be_broschuere.pdf / kopie bei kontrapolis]
In Berlin ändern sich dieses Jahr die Sicherheitsgesetze. Dies erfuhr leider sowohl in den Medien als auch „szeneintern“ wenig Aufmerksamkeit. Ab dem 28.2.21 gilt in Berlin ein neues Versammlungsgesetz (abrufbar unter: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-VersammlFrhGBErahmen). Ein neues Polizeigesetz (ASOG) wird in den nächsten Wochen verabschiedet.
Das Versammlungs“freiheits“gesetz ist ein komplett neues Gesetz. Es ist daher unklar, wie die Polizei und die Gerichte die neuen Vorschriften interpretieren werden. Umso wichtiger, dass Berliner Aktivist*innen das Wichtigste kennen und wir uns gerade jetzt bezüglich neuer Polizeitaktiken im Umgang mit dem Gesetz vernetzen.
Unsere Interpretation des Gesetzes und das ist das Wichtigste in Kürze:
1. Die *Mitnahme* von Vermummungs- und Schutzausrüstung ist erlaubt! Ihr dürft euren Schlauchi und Motorradhelm mit auf die Demo bringen!
2. Die *Verwendung* von einzelnen Vermummungs- und Schutzausrüstungsgegenständen ist erst durch polizeiliche Anordnung strafbar und verboten! Sofern die Polizei während oder im Vorhinein einer Versammlung nicht Gegenstände zu Vermummungs- und Schutzzwecken benennt, deren Verwendung strafbar und verboten ist, sind diese erlaubt! Wie genau diese Anordnungen aussehen, lässt das Gesetz allerdings offen. Erkenntnisse über aktuelle polizeiliche Praxis dürfen gerne geteilt werden.
3. Spontanversammlungen benötigen keine Versammlungsleiter*innen mehr! Bei spontanen nicht-angemeldeten Demonstrationen, kann die Polizei nicht mehr auflösen oder nach einer Anmelder*in/Leiter*in verlangen. Sie hat vielmehr die Pflicht den ungehinderten Ablauf der Versammlung zu ermöglichen!
4. Rechte Demonstrationen können einfacher verboten werden. Es finden sich sechs neue Verbotsgründe, die im Zusammenhang mit rechten Demos stehen. Die Strafbarkeit der Störung von Versammlungen wurde gestrichen. Nur noch die gewalttätige Störung ist strafbar. Störungen, die die Versammlung nicht verhindern, sind grundsätzlich erlaubt und als Teil einer kommunikativen Praxis hinzunehmen! Crime-Classics aus dem StGB, wie Nötigung, Landfriedensbruch und Beleidigung, gelten leider weiterhin.
5. Versammlungen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus sind grundsätzlich frei möglich. Im Bereich der Niederkirchnerstraße können Versammlungen jedoch im Einzelfall verboten werden.
6. Das Deeskalationsgebot für die Polizei steht jetzt explizit im Gesetz. Dabei kann die Polizei auf ihre jahrelange Erfahrung im Bereich Deeskalation mit Pfefferspray und Quarzhandschuhen zurückgreifen.
Das waren die positiveren Neuerungen. Leider gibt es auch Dinge, die uneindeutig sind oder sich verschlechtern.
1. Es gibt erweiterte Durchsuchungs- und Identitätsfeststellungsbefugnisse im Vorhinein von Versammlungen. Insbesondere bei einem konkreten Verdacht auf den Einsatz von durch Anordnung verbotener (!) Vermummungs- und Schutzausrüstunggegenständen zur Begehung von Straftaten. Dies ist widersprüchlich, denn die Mitnahme der Gegenstände ist ausdrücklich erlaubt! Unser Tipp gegen diesen Sieg der Polizeilobby: Umgeht die Einlasskontrollen der Polizei!
2. Versammlungen können verboten werden, sofern sie geeignet oder dazu bestimmt sind Gewaltbereitschaft zu vermitteln und dabei einschüchternd wirken bzw. gegen das sittliche Empfinden von Bürger*innen verstoßen. Was die R2G mit schwammigen Formulierungen und Sittlichkeitsvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft bezwecken möchte, wissen wir nicht. Wie die Berliner Polizei es verstehen wird, bleibt zu befürchten.
3. Die Polizei kann auch im Vorhinein von Versammlungen Teilnehmer*innen ausschließen, wenn sie davon ausgeht, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit Straftaten (insbesondere versammlungstypische wie die Verwendung (!) von Vermummungsgegenständen) begehen wird. Bildet Reihen und passt auf euch auf! Wir lassen uns die Straße nicht nehmen!
Viel Spaß auf der Straße!
***Wir wollen insbesondere Personen, die regelmäßig Versammlungen anmelden, unsere ausführliche Broschüre (download unter https://archive.org/download/versg_be_broschuere/versg_be_broschuere.pdf / kopie bei kontrapolis) zu den Neuerungen empfehlen und ermutigen sich bezüglich der neuen rechtlichen Situation zu vernetzen. Auch Teilnehmer*innen mit Antifa-Gold-Karte ist die Lektüre ans Herz gelegt***