Auswertung der öffentlichen Kampagne gegen den „Nationalen Veteranentag“ – Nachlese zu den antimilitaristischen Protesten am 15. Juni 2025

Als wir im November 2024 entschieden, den ersten „nationalen Veteranentag“ am 15. Juni 2025 politisch anzugehen, war eine der Fragen: „Veteranentag? Was ist denn das?!“. Wir fingen bei Null an.
Jetzt kommen wir zu einem ersten Fazit, zu dem es Fakten und Erfahrungen zu berichten gibt. Darunter, welche Funktion wohlwollende Veteranen für die politisch geforderte Kriegstüchtigkeit und die Thematisierung der Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) für die Gewinnung dieser für ihren Feiertag erfüllt hat; welches Verhältnis orthodox kommunistische und ihnen nahestehende Gruppen zu Krieg haben; auch darüber, was möglich war. Interessant vielleicht auch, wie wir selbst den Effekt unserer Mobilisierung auf den Veteranentag einschätzen.
Da die kommenden Kriege einen kontinuierlich organisierten Widerstand erfordern, sehen wir das Teilen dieser aktuellen Erfahrungen, samt der von uns erlebten Widersprüche, als wesentliche Voraussetzung dafür an. Diese offene Auswertung bietet eine Chance, Anknüpfungspunkte zu schaffen für mögliche Bündnispartner*innen für die Zukunft, um von diesen aus gemeinsam in nächste Aktionen zu gehen.
Eine anfängliche Schwierigkeit war sicherlich herauszufinden, was es mit diesem Veteranentag auf sich hat und welche Bedeutung ihm im Rahmen der gesellschaftlichen Kriegsertüchtigung zukommt, um nicht in Allgemeinplätzen stecken zu bleiben, wie: „Das ist ein militaristisches Event, und deshalb muss man dagegen vorgehen“.
Manche Gruppen mit großer Reichweite sind für uns inhaltlich in eine politisch ungenaue Richtung abgebogen, wie das „Antimilitaristische Aktionsnetzwerk in der DFG-VK“, das mit bundesweiten Adbusting-Aktionen von sich reden gemacht hat. Deren Schwerpunktsetzung war es, in verkürzter Weise, Veteranenverbände zu einem Sammelbecken für Nazis und Prepper zu brandmarken. Das ist nicht ganz falsch, vor allem, wenn wir die innerhalb der Bundeswehr aufgeflogenen rechtsradikalen Gruppen der letzten Jahre betrachten. Sie ging unserer Meinung nach trotzdem am Kern und der gesellschaftlichen Funktion der Einführung des Veteranentags vorbei. Das bestätigten auch Rückmeldungen von aktiven Offizieren, die gerade dazu angehalten sind, Nazis und Prepper nach oben zu melden, weil die Bundeswehr keinen gesteigerten Wert auf deren Anwesenheit legt. Die Bundeswehr braucht keine Armee, die sich in verschiedene Fraktionen aufspaltet, die ein Eigenleben entwickeln. Wenn es politische Befehle gibt, die polarisieren, muss das Militär diese geschlossen ausführen können. Die Veteranenverbände, so reaktionär sie auch sein sollten, müssen an die Bundeswehr und damit den deutschen Staat gebunden bleiben.
VETERANEN IM DIENST DER BUNDESWEHR
Um diese Bindung herzustellen, ging es aktuell vor allem darum, den Soldaten mit PTBS ein olivfarbenes Netz zu bieten. Erstaunlich und neuartig war, dass selbst das Veteranenbüro, als Schnittstelle zwischen aktivem Militär und Veteranen, auf die Bedeutung der PTBS und ihrer notwendigen Anerkennung hinwies. Die Lobbyverbände der Veteranen haben bereits seit Jahren Druck gegenüber der Politik aufgebaut, die auf eine Anerkennung ihrer Existenz pochten. Mit dem allgemeinen Ausrufen einer Kriegstüchtigkeit gelang der Durchbruch: die Verbände bekamen mit dem Türöffner PTBS eine stärkere Position zugebilligt. Politik und Veteranenverbände profitierten nun gleichermaßen voneinander. Im Gegenteil muss nun ein Raum geöffnet werden, der diese Menschen wieder an das Militär anbindet: die Thematisierung und Behandlungen von PTBS innerhalb der Bundeswehr dienen der Wiedermobilmachung sowie Wiederherstellung der Kampfkraft oder zumindest der Loyalität dem „Arbeitgeber Bundeswehr“ gegenüber. Die Funktion des Veteranentages ließ sich so gut eingrenzen und auf die Sinnstiftung für Militär reduzieren, das für die Folgen wie PTBS auch Antworten parat hat: Nimm die staatlichen Hilfsangebote an und hilf der Bundeswehr, diese zu verbessern. Denn wir sind Kameraden und helfen einander. Und: Such Dir den passenden Veteranenverband für Dein Anliegen. Vor allem: Stell niemals das Militär grundsätzlich in Frage. Denn über allem liegt auch für die Politik und das Militär die Frage, wie eine Gesellschaft kriegstüchtig gemacht und die Bereitschaft zu Zwangsdiensten, wie der Wehrpflicht, der Weg bereitet werden kann.
Insofern war es weniger verwunderlich, dass in dem abgesperrten Sicherheitsbereich am Reichstag auch psychologische und ärztliche Dienste bereit standen, falls einzelne Soldaten getriggert würden. Man verzichtete sogar auf jede Zurschaustellung von Waffen und versuchte das Erscheinungsbild nicht militaristisch aufzuladen. Ein olivfarbener Witz, denn wo Militär ist, sind Uniformen, Hierarchien und Befehlsstrukturen nicht weit. Zu erleben waren ein Überangebot an toxischer Männlichkeit und Nazis, aufgehübscht durch einen schwarzen Sanitätsarzt oder eine adrette Kampfsanitäterin. Journalist*innen fanden dann auch innerhalb des Geländes keine Zivilist*innen abseits der Angehörigen, die man interviewen konnte. Nur die Leitmedien konnten in Form eines manipulativen Zusammenschnitts ein Familienfest suggerieren, das es nicht war. Die Beteiligung aus der Bevölkerung ist weit hinter den Erwartungen der Veranstalter geblieben.
Die Zusammenkunft der Veteranen war vor allem ein widerliches Startsignal, sich öffentlich als ein „Wir“ zu konstituieren, dem jetzt noch verordnete Wertschätzung zuteil wird, um die jahrelang gebettelt wurde. Der Sprung zur Heldenverehrung in den kommenden Jahren liegt schon in der Luft. Allerdings ist man hierzulande noch weit entfernt von dem Vorbild der Niederlande, das die Vorlage für den Veteranentag, der dort ohne sichtbare gesellschaftliche Widerstände durchgeführt wird, liefert.
Zum Glück haben wir als provisorischer anarchistischer Antikriegsrat früh geschaltet und bereits zu den Anfängen der „Danksagung“ für die zehn Millionen Veteranen – bestehend aus NS-Kriegsverbrechern, teilweise widerborstigen ehemaligen Wehrpflichtigen und aktiven Soldaten – ein antimilitaristisches Zeichen mit klaren Positionen gesetzt. Es gab erstaunlich viele Aktionen bundesweit gegen den Veteranentag, die wir uns aufgrund unserer offensiven Thematisierung und Mobilisierung auch ein bisschen auf unsere Fahne schreiben.
GEGEN JEDEN KRIEG? GEGEN JEDES MILITÄR?
Kritikwürdig war ein Bündnis rund um die Berliner Ortsgruppe von „Rheinmetall entwaffnen“, das die Parole ausgab „Wir feiern Eure Kriege nicht“. Zuvor, und das frühzeitig, haben wir die Ortsgruppe in unsere Arbeit einbezogen und versucht herauszufinden, wie wir zusammen gegen den Veteranentag vorgehen könnten. Aber schon bei der inhaltlichen Setzung „Gegen jeden Krieg – gegen jedes Militär“ war ein Zusammenkommen nicht mehr gewünscht und man baute ein eigenes Bündnis auf, das in Konkurrenz zu uns stand, ohne dass es für alle beteiligten Gruppen erkennbar war. Darum führte die Parole auch nicht zu Fragezeichen.
Wenn wir „Eure Kriege nicht feiern“, drängt sich die Frage auf, ob es auch Kriege gäbe die „wir feiern“ würden? Wer also ist das wir? Und welche Kriege wären das?
Weil man aus ideologischen Gründen einen Hinterausgang braucht, entzog man sich einer Position, die sich gegen jedes Militär und gegen jeden Krieg richtete. Die Hintertür kurzum: für den „gerechten Krieg“, für den antiimperalistischen Krieg, für die antikolonialen Kriege, für den Krieg, den die Kommunisten anführen, für den Krieg, wo „wir“ uns mit dem kleineren Übel verbinden.
Um sich von unserer Position abzugrenzen, gibt es mehrerlei Muster. Man denunziert und diskreditiert den Anarchismus. Man spricht, diffamierend gemeint, von uns als „Gewaltfreie“, als die von der „Graswurzelrevolution“. Eins so lächerlich wie das andere. Oder man stellt uns in die Ecke antideutscher Spinner und Militarist*innen. Das können wir gar nicht ernst nehmen.
Auf einem Treffen „Gegen Rheinmetall im Wedding“, Wochen zuvor, wurde in unserer Abwesenheit behauptet, dass „Anarchisten“ eine Gegenkundgebung gegen ihre Demo von kommunistischen Gruppen planen würden. Es stellte sich am Tag der Demo heraus, dass damit eine Versammlung rechter Antideutscher gemeint war, mit der wir natürlich nichts am Hut hatten. In der polarisierten Denkweise, die auch der Kriegslogik auf allen Seiten entspricht, kann eine politische Differenzierung von keiner der beiden Seiten zugelassen werden, weil sie in der Logik des Krieges die dafür nötigen klaren Feindbilder außer Kraft setzt. Wir verurteilen die Hamas und die IDF und machen uns mit keiner dieser in militaristischer menschenfeindlicher Logik handelnden Kräfte gemein. Wozu auch? Wir sind Anarchist*innen und dazu gehört es, gegen jede Herrschaft und seine Instrumente zu sein. Wir können den Genozid an den Menschen in Gaza benennen, ohne dies mit einer Palästinafahne unterstreichen zu müssen. Und wir können uns gegen den Antisemitismus verhalten, ohne dazu eine Israelfahne hochzuhalten. Das ist doch ganz einfach zu verstehen, oder?
Diese Doppelbödigkeit entlarvt dankenswerterweise jene Gruppen, die ein instrumentales Verhältnis zu Krieg haben und den Antimilitarismus selektiv einsetzen. Aus dieser oben erwähnten Hintertür können gleichermaßen ehemalige Anarchisten entschlüpfen und den Kampf in ukrainischen Schützengräben (mit Faschos im Nachbargraben) das Wort reden und unsereins als Pazifist*innen diffamieren; oder die Kommunist*innen, die in der NATO den permanenten Hauptfeind sehen und sich auf die Seite Russlands (und Chinas) stellen und/oder „ihren Hauptfeind“ nur hier sehen wollen. Die triviale Parole „gegen jeden Krieg, gegen jedes Militär“, so unscheinbar sie daher kommt, so schwer verdaulich ist sie für alle, die Militär als politische Option betrachten, wenn es denn das „richtige“ täte. Nicht nur die inhaltliche Bestimmung des Bündnisses zur Demo war streckenweise eine politische Katastrophe. Während wir von Anbeginn des Veteranentages eine Störkulisse bilden wollten, startete deren Demo an einem anderen Ort und hätte die Nähe nach drei oder mehr Stunden den Reichstag erreicht. Was früher reformistischen Gruppen vorbehalten war, die von der Konfrontation weg mobilisierten, wurde hier ein freiwilliges Konzept, weil man politisch außer Selbstdarstellung der eigenen Gruppen nichts anderes vorhatte. Grotesk wurde es, als auf einem Bündnistreffen auch wir als Anarchist*innen saßen und uns über Kundgebungsüberschneidungen an einem gleichen Ort zu verständigen hatten. Wir erfuhren von einem palästinensischen Block mit eigenem Lautsprecherwagen, der zusätzlich Teil der Demo sein sollte und machten noch einmal deutlich, dass auf unserer Kundgebung weder National- noch Parteifahnen erwünscht seien. Daraufhin verlor der Vertreter eines palästinensischen Nationalkomitees die Fassung, beleidigte uns als rassistisch, dann als Zionisten und am Schluss auch noch als Antideutsche. Wer uns kennt weiß, dass wir „Antideutsche“ für angepasste, zum Teil rechte Menschen der deutschen Staatsräson halten, die den existierenden Antisemitismus gegen eine Kritik am laufenden Genozid in Stellung bringen.
Als sich dann noch wer aus dem Bündnis heraus von uns distanzierte mit: „Die gehören nicht zu uns“, war der politische Bruch offensichtlich geworden. Beschämend, auf welchen Hund ein Teil der Linken gekommen ist, denn auch der Rest schwieg zur Distanzierung. Schwach also, wie viele Gruppen sich diesem Konflikt entzogen und die Demo unterstützten – in Unkenntnis oder in taktischem Verhältnis zu uns. Denn Anarchist*innen als politischen Faktor anzuerkennen hieße möglicherweise, der eigenen Machtpolitik ein Bein zu stellen.
ERFOLGE
Unbeeindruckt von solcherlei Machtspielen, informierten wir beständig öffentlich über den Stand der Mobilisierung und teilten interne Infos aus dem Umfeld von Soldaten. Wir machten bundesweit Veranstaltungen, setzten thematisch Patriarchat und Militär als unmittelbar miteinander verquickt. Wir mobilisierten offensiv zum „Veteranenlauf“ am Schlachtensee, bei dem wir mitlaufen wollten und, verstärkt durch die Clownsarmee, unsere Freude an einem Hindernislauf kundtaten. Die Polizei betätigte sich als Spielverderber für die Veteranen und riet den Kameraden von einem Lauf ab. Damit war ein erster Erfolg gesetzt.
Der zweite Erfolg war auf den ersten Blick nicht zu erkennen, die Polizei versuchte uns von unserem Anmeldeort wegzubekommen. Während das Demobündnis sich ohne Not auf polizeiliche Bedingungen einließ, beharrten wir auf unseren Kundgebungsort an einem neuralgischen Punkt. Gegenüber unserem Anmelder blieben Manipulationsversuche und Drohungen wirkungslos. Es blieb der Polizei, die in enger Absprache mit dem Bundesinnenministerium agierte, nichts anderes übrig als eine bereits verfasste Allgemeinverfügung verhängen zu müssen, die man eigentlich vermeiden wollte. Das war dann auch das politische Eingeständnis, dass unsere Mobilisierung ein Problem ist und mögliche Störungen ein einzurechnender Faktor, dem nur mit juristischen Tricks beizukommen sei. Auch diesen Fakt drehten wir offensiv, verkündeten, dass die Bundeswehr Angst vor der öffentlichen Auseinandersetzung habe und ermunterten weiterhin unsere Kundgebung als Sprungbrett für Störaktionen zu nutzen. Letztlich verhinderte die Verbotsverfügung für den neuralgischen Ort keine der lustigen Störaktionen.
Während Bundestagspräsidentin Klöckner in dem abgesperrten Bereich ihre inhaltsleere Rede verbreitete, „starben“ vor ihr ungefähr fünfzehn Menschen, die kunstblutverschmiert von der Polizei abgeführt werden mussten. Ein weiteres Banner mit dem Spruch „Traue niemand der von Frieden redet mit einem Gewehr in der Hand“ wurde bei einem weiteren Anlass vor der Hauptbühne entrollt.
Innerhalb der Veteranenverbände sorgte der bundesweite Widerspruch für Gesprächsstoff. Für uns war die Mobilisierung gegen den Veteranentag eine Schärfung unserer Position und Argumentation, bis hin zu praktischen Erfolgen. Leider konnten wir die Messlatte, den Veteranentag zum politischen Desaster zu machen, noch nicht in der gewünschten Weise einlösen – zu stark war das staatliche Interesse an einer kriegstauglichen Mobilmachnung von Gesellschaft, zu stark die Kraft, die Bilder des Widerspruchs wegdrückte. Und noch zu schwach ausgeprägt ist derzeit eine Mobilisierungskraft gegen jedes Militär und jeden Krieg. Aber es war mehr möglich. Unsere Kundgebung war Sprungbrett für Aktionen und militante Untersuchungen innerhalb des abgeschirmten Geländes, die zurück getragen wurden.
Unterm Strich war unsere monatelange Mobilisierung bis zum Tag selbst schon ein Erfolg für sich. Wir setzten Inhalte und schufen eine thematische Aufmerksamkeit für den Veteranentag, der ohne uns vielleicht keine nennenswerte Beachtung und Gegenmobilisierungen gefunden hätte. Für uns ist ein erster Schritt aus der Unsichtbarkeit heraus getan, die wir seit einigen Jahren staunend die kriegspolarisierten Positionen in der Linken beobachten. Mit dieser Erfahrung können wir aber zu Bündnissen ermuntern, die sich nicht mehr auf faule Kompromisse einlassen, sondern den Aufbau einer antimilitaristischen Bewegung in jeder größeren Stadt ins Auge fassen. Wir denken, es braucht eine bewusste Organisierung eines radikalen Antimilitarismus, der sich international denkt. Der in seinen Wesenszügen anarchistisch, antikolonial und antipatriarchal ist, dieses Zaudern ablegt und selbstbewusst Initiativen ergreift.
Keine Nation vereint uns – keine Grenze trennt uns!
Wollen wir einen strömungsübergreifenden anarchistischen Kongress, und kann sich wer vorstellen, so etwas zu organisieren? Brauchen wir eine Vernetzung und bundesweite Koordinierung?
Sollte dieser die Bildung von handlungsfähigen regionalen Gruppe vorangehen oder gibt es sie schon? Können wir, die an unterschiedlichen Themen Aktiven, weiter unsere politischen Schwerpunkt beibehalten und einen radikalen Antimilitarismus integrieren?
Wo wollen wir als radikale Antimilitarist*innen den nächsten Schritt setzen?
Wir rufen auf zur Diskussion.