Gefahrengebiet Nachrichten aus dem Friedrichshain-Nordkiez
„Tina wollte nur Schrippen holen, da hat man ihr plötzlich die Zeit gestohlen“
(aus dem Song Gefahrengebiet von
Paul Geigerzähler)
Der dunkel gekleidete Mann mit grauen Haaren wurde von hinten gegriffen, mit Gewalt gegen eine Häuserwand gedrückt und gegen das Bein getreten. Danach wurden ihm Handfesseln angelegt. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde dem Mann klar, dass sein Angreifer Mitglied der Polizei war. Einkaufstasche und Gürteltasche wurden dem Mann weggerissen und dem zweiten Polizisten übergeben. Im Auto der beiden befand sich eine ebenfalls
zur Polizei gehörende Frau in Zivil. Der festgenommene Mann wurde schließlich zum Landeskriminalamt nach Tempelhof gebracht. Dort musste er zwei Stunden mit
Handfesseln in einer Zelle warten, wurde dann erkennungsdienstlich behandelt und
nach fast drei Stunden entlassen. Der Mann habe einen Aufkleber an einen Laternenpfahl geklebt, lautete die offizielle Begründung für die fast dreistündige Maßnahme. Die beschriebene Szene spielte sich am 12. Dezember 2023 gegen 11.20 Uhr an der Rigaer Straße/Ecke Voigtstraße im Friedrichshainer Nordkiez ab. Der Polizist A, der federführend an der Aktion beteiligt war, erklärte nur kurz, der Mann hätte irgendwo einen Sticker geklebt und auf seine Aufforderung, ihn abzumachen, nicht reagiert. Nun kleben allein in der Rigaer Straße tausende Sticker und die Polizisten interessierten sich auch nicht für den, der angeblich geklebt worden war. Sie kannten weder den Inhalt, noch stellten sie ihn sicher. Nur zur Information: Es handelt sich um einen chwarzweißen
kreisrunden Aufkleber mit einer Schachfigur in der Mitte und dem Slogan: „Wem
gehört der Laskerkiez?“. Dabei handelt es sich um eine Stadtteilinitiative, die im
Süden Friedrichshains aktiv gegen den Bau von Luxusneubauten streitet. Wenige Tage nach dem beschriebenen Polizeiüberfall hatte die Initiative eine Stadtteildemonstration gegen Verdrängung im Laskerkiez organisiert.
Polizei-Repression für Gröner und Co.
Es ist durchaus möglich, dass hier ein Zusammenhang besteht. Was vielleicht Demokratieidealist*innen überraschen mag, ist für die Menschen, die im Friedrichshainer Nordkiez leben und dort auch seit mehreren Jahren gegen Gentrifizierung und Verdrängung von einkommensarmen Menschen kämpfen, nicht so ungewöhnlich. Sie haben in den letzten
Jahren erlebt, dass linke Hausprojekte über Wochen besetzt und belagert wurden und die ganze Maßnahme später von Gerichten für rechtswidrig erklärt wurde. Auch danach wurden Besucher*innen der „Küche für Alle“-Veranstaltungen (Küfas) dieser linken Hausprojekte von der Polizei angehalten und ihre Personalien verlangt. Hier handelt es sich um ein Gefahrengebiet, hieß es zur Begründung, wenn überhaupt eine gegeben wurde. Die am
Beginn des Textes aufgeführte Zeile eines Songs, des ebenfalls im Friedrichshainer
Nordkiez lebenden Liedermachers Paul Geigerzähler ist ein Zeugnis davon. Die
Stadtteilgruppe „Wir bleiben alle Friedrichshain“ ist nicht zum ersten Mal mit
staatlicher Repression bedroht. So wurde ein Mitglied nach einen Kiezspaziergang 2019, der zu mehreren Orten von Verdrängung und Widerstand dagegen führte, wegen Leitung einer nichtangemeldeten Demonstration mit einer hohen Geldstrafe bedacht. Der Betroffene legte Widerspruch gegen den Strafbefehl ein und es kam zu einer Gerichtsverhandlung. Der
als Zeuge geladene Polizist sagte aus, er habe Plakate, die zu dem Kiezspaziergang aufriefen, an Häuserwänden im Friedrichshainer Nordkiez entdeckt. Das war für ihn Anlass genug, schon am Beginn des Kiezspaziergangs mit einem großen Polizeiaufgebot vor Ort zu sein, das diesen auch auf den verschiedenen Stationen, also den Orten von Verdrängung
und Widerstand, engmaschig begleitete. Gegen Ende des Spaziergangs, der ein Akt der nachbarschaftlichen Solidarität ist, nahm die Polizei die Personalien von Menschen auf, die sich dort auch mit kurzen Beiträgen zu Wort meldeten. Auf dieser Grundlage wurde dann der Strafbefehl ausgestellt. Bei der Verhandlung wurde der Betroffene freigesprochen, weil das Gericht der Argumentation der Verteidigung folgte, dass ein Kiezspaziergang nicht angemeldet werden muss. So haben die Bewohner*innen schon öfter
erfahren, dass auch außerhalb der linken Hausprojekte die Polizei massiv gegen aktive Bewohner*innen vorging. Das haben sie beim Widerstand gegen die CG-Gruppe
(Immobilienentwicklungsgesellschaft) in der Rigaer Straße 71 – 73 mehrmals erfahren. Das spontane tägliche Scheppern, mit dem Anwohner*innen in den Jahren 2016 – 17 gegen die CG-Baustelle protestierten, wurde vom Landeskriminalamt als politisches Delikt eingestuft. Als es dann an der CG-Baustelle zu der in dem Prozedere vorgesehen Informationsveranstaltung mit den Anwohner*innen kommen sollte, verhinderte ein massives Polizeiaufgebot unter Einschluss von Hubschraubern, dass kritische Nachbar*innen
daran teilnehmen konnten. Da haben sie erkannt, was Gefahrengebiet Rigaer Straße heißt. Für die repressiven Staatsapparate sind die kritischen Anwohner*innen, die sich gegen Gentrifizierung und Verdrängung wehren, eine Gefahr. Da ist es ganz egal, ob sie in linken Hausprojekten oder in einer Mietwohnung leben. Die Gefahr sind alle Menschen, die der Durchsetzung der Interessen der Immobilienwirtschaft entgegenstehen. Der Gründer
der CG-Gruppe Christoph Gröner, dem damals mit aller Polizeigewalt von sämtlichen politischen Parteien auch in Berlin der rote Teppich ausgerollt wurde, ist mittlerweile wegen Insolvenz und einer umstrittenen hohen Parteispende an die CDU auch bundesweit in der Diskussion.
Polizieren in historischer Tradition
In diesen Zusammenhang stellen wir auch den Polizei-Angriff vom 12. Dezember. Verantwortlich sind besondere Polizei-Einheiten, die sich freiwillig dafür melden, im rebellischen Kiezen Law-and-Order durchzusetzen. Das bedeutet konkret Überwachung und Belagerung von linken Hausprojekten, Personalienkontrollen bei Bewohner*innen, aber auch direkte Angriffe wie am 12. Dezember. Dabei stehen diese Law-and-Order-Schwadrone in einer langen Tradition der Repression gegen rebellische Bewohner*innen. Polizieren
heißt die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. In diesem Zusammenhang trat die Polizei historisch vor allem in proletarischen Kiezen als Disziplinierungs- und Unterdrückungsinstanz auf. Genau so erfahren aktive Bewohner*innen im Nordkiez die Polizeischwadronen. Die Stadtteilinitiative hat den Polizeiangriff auf ein Mitglied von uns am 12. Dezember zeitnah öffentlich gemacht. Sie hat dort auch eine eigene Positionierung vorgenommen: „Wir sind keine Politikberater*innen und werden daher
nicht für eine kiezfreundliche Polizei plädieren. Wir wollen aber alle diese Übergriffe
offen machen. Von Polizeigewalt Betroffene rufen wir auf, laut und unmissverständlich deutlich zu machen, was gerade passiert und auch Passant*innen fordern wir
auf, genau hinzuschauen. Bewohner*innen rufen wir auf, nicht wegzusehen, wenn sie
Polizeigewalt im Kiez sehen. Bleibt stehen und beobachtet das Handeln der Polizei,
wenn die von den Maßnahmen Betroffenen es wünschen. Lasst Euch von der Polizei
nicht wegschicken, denn es ist Euer Recht, der Staatsgewalt beim Polizieren zuzugucken.“ Der letzte Satz bezog sich auf einen Nachbarn, der der Stadtteilinitiative
bekannt ist. Er wurde teilweise Zeuge des Polizeiüberfalls und wollte sie beobachten.
Das verhinderten die beiden Polizisten und schickten den Nachbarn mit barschen Worten fort. Er war dadurch eingeschüchtert, was auch das Ziel solcher Polizeimaßnahmen ist. Die Nachbarschaftsinitiative will diesen Effekt verhindern, indem sie jetzt
auch diese Erklärung zum juristischen Abschluss der Folgen des Polizeiangriffs öffentlich macht. Es passierte auch hier, was so oft in solchen Situationen passiert: Der Mann, der von der Polizei angegriffen wurde, bekam einen hohen Strafbefehl wegen
Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beleidigung. Dagegen wehrte er sich auch
mit Unterstützung der Roten Hilfe e.V., für die noch mal ausdrücklich gedankt wird.
Rechtsanwalt Lukas Theune konnte eine Einstellung des Verfahrens erreichen. Sehr zum Unwillen der beiden Polizisten, die als Zeugen der Anklage geladen waren. Für die
Stadtteilinitiative geht der Kampf gegen Gentrifizierung im Stadtteil und anderswo
weiter und die Thematisierung von Polizeigewalt wie die am 12. Dezember 2023
bleibt ein Teil davon.
Stadtteilinitative Wir bleiben alle Friedrichshain
passiert am 06.09.2015