Feminismus: »Es gibt keinen Frieden im Patriarchat«

Von NATO-Doppelbeschluss bis »Kriegstüchtigkeit«: Feministisch-antimilitaristischer Widerstand in der BRD gestern und heute. Ein Gespräch mit Alexandra, Ria und Lore. Sie sind aktiv in der ­FrauenLesbengruppe Frankfurt am Main und im Bündnis »Rheinmetall Entwaffnen«

Frage: Ihr seid seit langem feministisch antimilitaristisch organisiert. Aus welchen konkreten Kämpfen kommt ihr?

Alexandra: Für uns ist klar, dass die feministische Perspektive eng mit antimilitaristischer Politik zusammenhängt, weil sie die sozialen und ökologischen Fragen, Geschlechterverhältnisse und Zuschreibungen, Gewalt gegen Frauen und Queers sowie Hierarchisierung von Menschen transparent macht. Für uns als FrauenLesbengruppe ist schon immer klar gewesen, dass diese Themen ganz eng verflochten sind. Und es war eigentlich nie eine Frage von »Wie kommen wir dahin?«, sondern immer integraler Bestandteil unseres politischen Verständnisses.

Ria: Wir sind alle schon älter und kommen alle mehr oder weniger aus der Antiimp- oder der autonomen Bewegung – ich für mich aus einer antifaschistischen, feministischen Bewegung aus den 80ern. Für uns geht es darum, Politik unter einer feministischen Analyse zu machen. Einige von uns haben mitgekämpft in der Gen- und Reprobewegung und gegen Bevölkerungspolitik, einige sind Teil der feministischen Selbstverteidigung. Wir waren lange in der Kurdistan-Solidarität in der Gefangenensolidarität, in internationalistischen und antimilitaristischen Bewegungen … bei Blockupy, bei ­Anti-G8-Gipfeln. Und immer gehört zur feministischen Analyse dazu, unter anderem auch Antimilitarismus tiefer zu betrachten.

Lore: Wir haben uns in unserer Entwicklung immer mit Faschismus und Krieg auseinandergesetzt. Der Schwur von Buchenwald »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!« hat uns alle geprägt –, dass Antifaschismus und gegen Krieg zu sein ein ganz zentraler Teil ist, und dass diese verschiedenen Bewegungen alle miteinander zusammenhängen und dass wir so auch unsere Kämpfe begreifen müssen.

Ria: Auch wichtig ist, dass wir alle die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses mitbekommen haben. Wir haben uns politisiert in Zeiten, als es die DDR, als es den Kalten Krieg noch gab, und haben unter diesen Bedingungen Friedensbewegung und Antimilitarismus schon mal diskutiert. Was ja heute auch wieder Thema ist. Ist das eigentlich dasselbe oder nicht? Diese Debatte haben wir schon mal geführt …

Alexandra: … vor dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt Überlebende des Naziregimes sehr aktiv und präsent waren. Bei der Demo in Bonn 1982 (mit 500.000 Teilnehmenden eine der größten Friedensdemonstrationen, jW) hat auch Ettie Gingold, eine antifaschistische Widerstandskämpferin aus Frankfurt, gesprochen. Sie hat deutlich gemacht, »wiederholt unsere Fehler nicht, macht es besser als wir, steht zusammen«. Also die Geschichte des Widerstandes vor dem massiven Explodieren des Faschismus. »Erhaltet die Gemeinschaft eurer Friedensbewegung, damit ihr nicht wie wir zu einer Gemeinschaft von Toten werdet.« Das war sehr prägend. Auch Esther Bejarano war für uns sehr wichtig, und ihr Bezug zum Thema Antimilitarismus. Bei ihrer Rede 2019 beim »Rheinmetall Entwaffnen«-Camp in Unterlüß hat sie uns als antimilitaristischen Widerstand als Ganzes sehr solidarisch unterstützt und gestärkt.

Ria: Und mir fallen natürlich noch die Frauenwiderstandscamps im Hunsrück ein, die es ab 1983 jährlich gab. Wir aus Frankfurt waren dort auch Mitte der 80er präsent. Das waren Kämpfe, die sich gegen die Atomwaffenstationierung in der BRD gerichtet haben.

Alexandra: In den Anfangsjahren, wo wir auch dabei waren, gab es klandestine Aktionen, Zäune wurden durchschnitten und auf das Gelände der US-Armee, die dort stationiert ist, gegangen. Es ging darum, feministischen Widerstand zu organisieren.

Ria: Als FrauenLesbengruppe war uns auch der Bezug auf den bewaffneten Kampf oder feministische Kämpferinnen wie die Rote Zora wichtig, die auch antimilitaristische Aktionen gemacht haben – 82 der Brandanschlag auf den Bundeswehrverband in Bonn und 1995 ein Sprengstoffanschlag auf die Lürssen-Werft wegen der Rüstungslieferungen an die Türkei in Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf.

Vor allem im Zuge der Kriege in der Ukraine und in Palästina wird zunehmend von linksliberaler Seite versucht, Militarisierung feministisch einzufärben, Stichwort gleichberechtigt tötende Soldatinnen – während faktisch Stereotype und Binaritäten verstärkt werden. Wie bewertet Ihr diese Entwicklung?

Alexandra: Ich habe letztes Jahr Samah Salaime bei einer Veranstaltung von Medico in Frankfurt erlebt, die in Wahat Al-Salam/Neve Schalom lebt und aktiv ist, wo israelische und palästinensische Familien miteinander leben und auch die Kinder gemeinsam beschult werden. Sie ist eine feministische Friedensaktivistin, die deutlich macht, dass diese patriarchale binäre Logik zu durchbrechen ist, und dass es um Dialog geht. In Abgrenzung von einer sogenannt feministischen Kriegslogik, die es natürlich aus unserer Sicht nicht geben darf und kann. Es geht um Erziehung zur Friedensfähigkeit, eine Gleichwertigkeit, gleiche Menschenrechte für alle, das ist für uns eine feministische Perspektive.

Ria: Was die Schwierigkeit ausmacht, ist, dass es unterschiedliche Feminismen gibt bzw. was als feministisch bezeichnet wird. Als ich in Südamerika war und mich als Feministin vorgestellt habe, waren alle ein wenig zurückhaltend und ich habe es nicht ganz verstanden. Bis mein Spanisch ein bisschen besser wurde und mir klar wurde, dass sich dort auch Frauen mit einem anderen Politikverständnis so vorgestellt hatten. Für mich war eine Feministin immer daran gebunden, links, antifaschistisch und antimilitaristisch zu sein. Es gab aber natürlich schon immer eine bürgerliche feministische Strömung, und da gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch immer Auseinandersetzungen.

Alexandra: Zum »Rheinmetall Entwaffnen«-Camp in Kassel haben wir mit dem Slogan »Die feministische Antwort auf Krieg ist Aufwiegelung und Verrat« mobilisiert. Das ist ein Satz, den wir sozusagen von Mona Eltahawy geklaut haben, eine ägyptisch-US-amerikanische Journalistin und feministische Aktivistin. Von ihr ist die Aufforderung, mit der lautesten Stimme, die möglich ist, Meuterei zu fordern gegen das Patriarchat, das heißt also dem Patriarchat den Krieg zu erklären, anstatt Kriege zwischen Patriarchaten zu unterstützen. Wir als antimilitaristische Feministinnen sagen, das Ziel muss sein, das Patriarchat zu zerstören und nicht andere Menschen zu töten oder zu zerstören im Namen der Kriege des Patriarchats. Also eine Grundlogik eben nicht à la Baerbock oder anderen reformistisch Orientierten.

Ria: Wir müssen grundsätzlich das Patriarchat infrage stellen. Wir müssen grundsätzlich eine Friedenslogik gegen eine Kriegslogik stellen. Das heißt aber auch, grundsätzlich gegen Nationalismus zu sein, in jeder Ausprägung. Unterstützen wir als Feministinnen Waffenlieferungen in die Ukraine? Nein, es ist ein nationalistischer Kampf. Da fällt mir ein Zitat von Bertha Suttner ein: Keinem vernünftigen Menschen würde es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut soll immer wieder mit Blut abgewaschen werden.

Alexandra: Und gerade diese Bilder, die transportiert wurden, die ukrai­nische Armee als die fortschrittlichste Armee zu deklarieren, weil da eben Lesben oder trans Personen in schicken, maßgeschneiderten Uniformen Krieg führen. Israel ist auch so ein Beispiel dafür. Wir haben das von einer Aktivistin, die dort ihren Kriegsdienst verweigert hat, beim »Rheinmetall Entwaffnen«-Camp in Kiel auch gehört – diese Hintergründe sind überhaupt kein Problem, aber der Genozid findet ja trotzdem genauso statt. Das hat nichts von einer progressiven feministischen Perspektive.

Lore: Das ist ja tatsächlich auch eine innerlinke Auseinandersetzung und da stark bestimmend und uns auch beeinflussend. Lässt man sich doch darauf ein, zu sagen, aber die Ukraine ist angegriffen worden, die haben doch das Recht, sich zu verteidigen. Wo wir sagen, darauf dürfen wir uns überhaupt nicht einlassen. Wir müssen vorher anfangen zu denken. Es gibt viel Interesse an feministischen Positionen, aber es gibt tatsächlich sehr wenig Umsetzung davon.

Es ist eben schon angeklungen: Letztlich geht es um den Kampf gegen das patriarchale System, denn das endet ja nicht, wenn der nächste Krieg beendet ist oder wenn ein sogenannter Frieden herrscht …

Ria: Ja, das ist unter anderem auch unsere Kritik an einer gemischten antimilitaristischen Bewegung – dass sie nicht verstanden hat, was Kampf dem Patriarchat wirklich bedeutet. Dass es eine Auseinandersetzung ist mit einem Denken, das das Freund-Feind-Schema so tief verinnerlicht hat, dass bestimmtes Mackertum oder bestimmte militaristische Denkweisen völlig in unserem Alltag drin sind. Für mich heißt Kampf dem Patriarchat, tatsächlich an die Wurzel des Problems zu gehen für eine grundsätzlich andere Form des Lebens: Alle haben was zu essen, alle haben Bildung, alle können sich frei entfalten – und das überall.

Lore: Es geht nicht um das eine oder das andere, sondern es geht um den Kampf für das Leben, nicht nur als biologischer Begriff. Wir fanden immer, dass die Kämpfe zusammengehören – dass es um Geschlechtergerechtigkeit, gegen Femizide, gegen jegliche Gewaltverhältnisse in der Gesellschaft, im privaten wie im staatlichen Rahmen, wie im Krieg geht. Antirassismus, Antimilitarismus, das Recht auf Wohnen, Klimagerechtigkeit. Und das ist auch Aufgabe einer feministischen Bewegung, diese Kämpfe zusammenzudenken und zu leben.

Alexandra: Gewalt existiert nicht nur in militärischen Interventionen, sondern ist Normalzustand in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Es gibt keinen Frieden im Patriarchat. Der sogenannte Frieden ist faktisch Krieg gegen Frauen und Queers, weil er Vergewaltigungen und Femizide bedeutet. Und was du eben sagtest, Lore, Krieg gegen Geflüchtete ist Nationalismus, ist Kolonialismus, ist Rassismus, ist kapitalistische Ausbeutung. Und diese Kriegstüchtigkeit, die hier gerade sehr stark forciert wird, wird umgemünzt auf gesellschaftliche Prozesse, also die Verlagerung von diesem Kriegsdenken in Beziehungen. Darum bedeutet Antimilitarismus für uns immer auch antipatriarchaler Kampf.

Ria: Deswegen ist es auch so schwierig, von Frieden zu reden. Wer definiert eigentlich, was Gewalt ist? Wenn die Waffen schweigen, heißt das nicht unbedingt, dass Frieden ist, sondern in der Regel, dass andere Ausbeutungsstrukturen stattfinden. Und wie gewalttätig sind die? Und warum wird das eine Krieg genannt und das andere nicht? Für viele Menschen ist Überleben im Alltag tatsächlich auch ein Kriegszustand oder zumindest ein sehr gewalttätiger Zustand.

Und international betrachtet, leben wir im Frieden? Aber was bedeutet eine ökonomische Ausbeutung des Trikonts? Das ist auch ein Kriegszustand, der sehr viele Tote produziert – ganz ohne Waffen. Bevölkerungspolitik als Aufstandsbekämpfung ist zum Beispiel etwas, das Älteren sofort in den Sinn kommt. Es ist einfacher, den Revolutionär im Mutterleib zu töten, als ihn später in den Bergen zu jagen – so die zynische Ansage. Und damit wurden Programme in Süd- und Mittelamerika zur Sterilisierung von Frauen durchgesetzt, um bestimmte Kinder zu verhindern – die armen, oft indigenen, die potentiellen »Revolutionäre« – und andere Kinder zu fördern, nämlich die weißen. In El Salvador und Peru zum Beispiel. Das war ein Krieg, der auch über Frauenkörper geführt wurde, und auch heute wird sehr viel Krieg über Frauenkörper geführt.

Die in die Gesellschaft hinein forcierte Militarisierung ist schon angesprochen worden, welche Formen des Widerstands braucht es dagegen?

Ria: Antifaschismus ist ein Langstreckenlauf. Ich glaube, darauf müssen wir uns einrichten. Es braucht eine gemeinsame Organisierung, die nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern tatsächlich analysiert, was die Zustände gerade sind – zusammenzubleiben, Widerstand zu leisten in jeglicher Form und nicht irre zu werden, ist angesichts dessen, was gerade passiert, schon eine ganz schöne Leistung.

Alexandra: Der Frankfurter Antifaschist Peter Gingold hat uns mit auf den Weg gegeben: Nie resignieren. Und wenn welche resignieren, dann mach ihnen Mut. Das ist so wichtig und gerade wirklich eine Überlebensstrategie, aber sich auch mit Spaß und Freude sehen und trotzdem zu schauen, wo können wir wirksam sein, wo können wir unseren Mut und unsere Empörung deutlich machen?

Ria: Auch weiterhin Gewalt im Alltag zu thematisieren und zu sagen, was auf uns zukommen wird. Uta Ruppert, die an der Frankfurter Uni unter anderem auch zu dem Thema forscht, hat vor kurzem auf einer Veranstaltung gesagt, dass nicht Queerness und Frauenrechte in Europa als erstes von der zunehmenden Militarisierung verdrängt worden sind, sondern tatsächlich Rassismus und Gewalt gegen Geflüchtete und Migrierte in einem unfassbaren Maß angewachsen sind. Militarisierung führt dazu, dass uniformer gedacht werden wird, binärer, in einem Entweder-oder, einem »wir und die anderen«. Es wird dazu führen, dass wir in vielen gesellschaftlichen Bereichen erleben, was wir beim Rassismus gerade sehen. Die Durchsetzung von Gewalttätigkeit und Inhumanität.

Als Feministinnen müssen wir immer genau dahin gucken: Was bedeutet Militarisierung im Alltag? Kriegstauglichkeit und so was. Was da gerade gefordert wird, ist eigentlich, dass wir aufhören menschlich zu denken, sondern wieder viel mehr in Freund-Feind-Kategorien, Mann und Frau. Und auch nach zehn Generationen gehörst du noch nicht dazu. Und dem muss an jeder Stelle etwas entgegengesetzt und solidarisch gegen angegangen werden.

Alexandra: Gut, dass du Ruppert erwähnt hast und auch genau diesen Fokus darauf, dass sich nicht eine Antiqueerness als erstes durchsetzt, sondern wirklich Rassismus. Feminismus ist die Bewegung, die alle Themen miteinander verknüpfen kann in der progressiven Form. Da gehört Antirassismus elementar dazu. Wir müssen uns da viel mehr miteinander organisieren und Kämpfe verschränken.

Lore: Klar ist, dass es Organisierung hier braucht. Und trotzdem ist es immer wieder wichtig, in andere Länder, in andere Regionen und auf die Kämpfe anderer Frauen zu schauen. Also überhaupt etwas davon mitzubekommen, Wissen darüber zu haben und sich auszutauschen. Natürlich sind die Situationen unterschiedlich und auch die Organisierungsformen, aber das als etwas Zusammenhängendes zu begreifen, ist wichtig. Es gibt überall auf der Welt kämpfende, widerständige Frauen und queere Personen. Und da dürfen wir eben nicht nur nach Westeuropa oder Deutschland schauen.

Alexandra: Genau, das ist ein wichtiger Punkt und was in der konkreten Aufzählung vielleicht ein bisschen gefehlt hat, ist die Orientierung auf die Frauenkämpfe, die beispielsweise in Rojava geleistet wurden. Der Bezug auf die Kämpfe dort war und ist ein zentrales Thema unserer FrauenLesbengruppe. Die kurdische Parole »Jin, Jyan, Azadî« schlägt in unseren Herzen!

Aber es fehlen natürlich noch viele Aspekte, wir konnten hier nur ein paar Punkte anreißen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, feministischen Kampf zu konkretisieren und auch praktisch werden zu lassen!

passiert am 08.03.2025