Die Selbstgerechte

Sahra Wagenknecht macht Politik für Menschen, die sich dümmer stellen, als sie sein müssten. In staatsnahen Presse hören wir häufig vom „Populismus“ der Wagenknecht’schen Partei und ihrer Strategie. Abgestritten wird dabei, dass der viel gescholtene Populismus ein Wesensmerkmal von Politik überhaupt ist, wie der kluge politische Denker Ernesto Laclau herausgearbeitet hat. Sagt man Politik arbeitet man auch mit Populismus – die Wahlwerbungen aller etablierten Parteien sprechen dahingehend für sich selbst. Entgegen der Traumvorstellung überzeugter Demokrat*innen wählt die Mehrheit letztendlich aus dem Bauch heraus jene Partei, welche ihnen gleichermaßen Erneuerung wie Beständigkeit, Wandel und Kontinuität verspricht.

Dazu bedient man sich der Konstruktion von sozialen Gruppen von Anderen, in Abgrenzung zur unterstellten Normalität der Durchschnittsbevölkerung, welche das Wahlvieh abgibt. BSW richtet sich dementsprechend rhetorisch gleichermaßen gegen für „faul“ (Arbeitslose), kulturell bis ethnisch „anders“ (Migrant*innen), „dekadent“ (Anhänger*innen der Grünen), „selbstbezogen“ (Linkspartei) und „raffgierig“ (Superreiche) gebrandmarkte Menschen, um Mehrheiten zu gewinnen und dabei noch verschiedene Gruppen gegeneinander aufzubringen. Der so reduzierte politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess wird dann auf eine wesentlich autoritäre Führungsspitze zugeschnitten. Diese gibt den Ton an, weil sie vorgibt, dem Volk aufs Maul zu schauen, das in seinem Begehren nach Autorität danach schmachtet, verführt zu werden – anstatt den Bonzen aufs Maul zu geben.

Man mag diese Strategie als widerwärtig, schamlos, ekelhaft-taktierend, würdelos und möglicherweise auch als menschenverachtend empfinden – und hätte damit „recht“. Das Problem ist leider, dass solche Rechthaberei nicht weiterbringt, wenn man nicht einfach Zuschauer*in bleiben, sondern in das Zeitgeschehen eingreifen will. Je nach Standpunkt mag man sich über die Wagenknechtschaft von Idioten aufregen, während man die weitere Zerbröselung der gesellschaftlichen Linken bedauert. Wahr ist, dass es Wagenknecht, ihren Kompagnons und Lakaien darum geht, ohne viel Rumgemähre und nervige demokratische Aushandlungsprozesse an die Regierung zu kommen, wobei sie – darauf deutete Alice Weidel zutreffend hin – letztendlich zur Königmacherin der CDU wird. Für die Konservativen ist die nervige Selbstdarstellerin und Ex-Kommunistin sicherlich keine angenehme Gesellschaft, aber solange man sich noch von der AfD fernhalten will, zumindest das notwendige Übel, dessen man sich bedienen muss. Denn im Kern wissen auch die Christdemokrat*innen, dass die Forderungen von BSW eigentlich nicht „unvernünftiger“ sind, als ihr eigenes Programm, auch wenn man in Hinblick auf die Russland-Nähe sicherlich noch einen großen Konfliktpunkt bearbeiten muss.

Man kann den Zuspruch, den das „links-konservative“, „nationalistisch-sozialstaatliche“ Projekt erfährt, bescheuert oder schlimm finden und das ist er auch. Insbesondere, weil sozial schwache und gesellschaftlich diskriminierte Gruppen (Arme, Migrant*innen, Queers) darunter leiden müssen, denn der große Kapitalbesitz wird in dieser Konstellation wohl allen ppopulistischen Reden zum Trotz kaum angegriffen und vergesellschaftet. Wirklich überraschend ist dies aber alles nicht. Wagenknecht, welche sich als kommunistische Hardlinerin gab, war immer schon Opportunistin, wenn es darum ging, langfristig ihre Macht auszubauen.

Aus diesem Grund gilt es nicht auf die Oberflächenerscheinung zu schauen, welche BSW darstellt. Sie zu betrachten kann uns vielmehr Aufschluss über das Wesen von Politik im 21. Jahrhundert und darüber hinaus geben. Politik ist keine „ehrliche“, „rechtschaffene“ Verhandlung divergierender Interessen, die gleichermaßen respektiert werden würden. Die Arendt’sche und Habermas’sche Konzeption von Politik als „herrschaftsfreier und vernünftiger Diskurs“ ist nichts weiter als ein idealistisches Trugbild, dessen „Schleier des Nichtwissens“ (John Rawls) es endlich zu durchbrechen gilt.

Selbstverständlich kann es große Unterschiede geben, wie politische Prozesse konkret gestaltet werden, wer an ihnen partizipieren kann, wie Konkurrent*innen behandelt werden, ob autoritativ Beschlüsse gefasst und durchgesetzt werden oder ob sie Spielräume lassen etc.. Weil ein großer Teil der Leute von der Verlogenheit, Exklusivität und bürokratischen Langweiligkeit des politischen Betriebs durchaus weiß, wollen sie sich gerade vom Märchen einlullen lassen, dass Politik anders stattfinden und durchgeführt werden könnte – ohne aber, dass sie sich selbst wirklich bewegen und die eigene Haltung und Lebensweise hinterfragen, geschweige denn verändern müssten.

BSW ist Ausdruck der Entdemokratisierung einer Herrschaftsordnung, in welcher Demokratie stets nur ein Bestandteil war. Zwar bildete sie ihre erklärte und geheiligte Grundlage, war gerade dadurch häufig mehr Schein als Wirklichkeit – wenn man sie denn ernst nimmt. Glücklich kann sich schätzen, wer auf eine demokratische Schule gegangen, in einem demokratischen Betrieb gearbeitet hat oder in einer demokratisch organisierten Nachbarschaft lebt – wer weiß, vielleicht sind das 7% der Bevölkerung in Analogie zu den Umfragewerten, die die Wagenknechtpartei aktuell auf Bundesebene erzielt und bei denen sie sich einpendeln mag. Da BSW von der Entdemokratisierung zehrt, katalysiert sie diese zudem. Dies ist nicht zu vernachlässigen, denn hierbei geht es zur Abwechslung mal wirklich um Verantwortung. Dennoch lässt sich schließlich feststellen, dass BSW das Wesen der Politik als spektakuläre Inszenierung und populistische Allerwelts-Versprechungs-Maschine („Abstieg oder Aufbruch“, „Krieg oder Frieden“, „Maulkorb oder Meinung“ etc.) in Abgrenzung und Ausgrenzung von stigmatisierten Minderheiten, vortrefflich verstanden hat.

Wer also sich also eine andere Form von Politik wünscht, sollte sich damit auseinandersetzen, was Politik in ihrer Vermittlung des staatlichen Herrschaftsverhältnisses wesentlich ist. Eine demokratische Alternative zu den vorfindlichen Populismen von CDU, SPD, Grünen, FDP, AfD oder BSW müsste das Politische selbst transformieren. Dazu aber braucht es zunächst eine grundlegende Hinterfragung dessen, was wir landläufig unter Politik zu verstehen gelernt haben. Voraussetzung dafür ist die Bezugnahme auf Selbstorganisation, Autonomie und Selbstbestimmung. Dazu an anderer Stelle mehr.

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