Der Jargon der Zeitenwende // Beklemmende Aussichten: Selbst im „Kampf gegen rechts“ etabliert sich jetzt vaterländisches Vokabular

Ein grober Klotz braucht einen groben Keil? Wer derzeit den liberalen Anti-AfD-Diskurs verfolgt, möchte dem Sprichwort von der Fahne gehen. Womit wir schon drin sind in dem Vokabular à la „Landesverrat“ und „Alternative gegen Deutschland“ – Spiegel –, mit dem der Rechtspartei jüngst begegnet wird. Und es steht zu fürchten, dass man das auch noch pfiffig findet: Spricht die AfD nicht dauernd vom nationalen Interesse? Lasst sie uns mit ihren eigenen Mitteln schlagen!

Wer das heute clever findet, wird sich morgen fragen, wie sich allüberall eine illiberale Rhetorik etablieren konnte. Die wird sich gegen Linke und Linksliberale wenden. Bald dürften alle in ihrem Bannstrahl stehen, die über Aufrüstung, Atomwaffen oder Kriegsschiffe im Südchinesischen Meer auch nur diskutieren wollen, weil dann „Flagge zeigen“ normal ist.

Die „Zeitenwende“ nimmt Kurs auf eine düstere Vergangenheit. Auf Soldatendenkmäler und „Pflichtjahre“. Das Militärische drängt zurück in Schulen und Unis, in Lehre und Forschung. Abermals unterscheidet man westliche „Zivilisation“ von östlicher „Barbarei“. „White Man’s Burden“ lässt wieder grüßen, „Erbfeinde“ lauern überall. Ostentativ die Weigerung, Feindesperspektiven einzunehmen, Ächtung und bald Strafe drohen schon dem Versuch. „Vaterlandslose Gesellen“ und „fünfte Kolonnen“: Wer im Verdacht steht, sich der „Staatsräson“ zu entziehen, wird per Gesinnungsprüfung vom öffentlichen Dienst ferngehalten – in Brandenburg ist das schon so. Sozialdemokraten warnen zwar vor der „Remigration“, wollen aber Menschen mit zwei Pässen den deutschen wegnehmen, wenn sie zur Kriegsführung der israelischen Regierung die falsche Meinung haben. Ja: Sozialdemokraten.

Volkserzieherische Militärpropaganda in staatlichen wie privaten Medien, nationale Identität und „Leitkultur“, emotionale Verhärtung in Staat und Gesellschaft: Geht es so weiter, erlebt bald der Sedan-Tag einen Reload an neuer Front. Wie gerne würden so manche einen – immer unwahrscheinlicheren – Sieg über Russland im kollektiven Gedächtnis verankern. Vergesst nicht: Diesmal sind wir die Guten! Diese „innere Zeitenwende“ rehabilitiert die Sprache der national-autoritären Rechten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. „Nationale Sicherheit“ geht über internationales (Wirtschafts-)Recht; „Autarkie“ heißt heute „De-Risking“. „Kriegstüchtigkeit“ versus „Kriegsmüdigkeit“, „Verrat“, „innere Feinde“, „Veteranentag“, „Soldatendenkmäler“ – ein neuer Gewaltkult zieht herauf. Tobias Haberl fordert im Spiegel unverweichlichte „Männlichkeit“. Alles diesseits der Rechtsradikalen, die das liberale Bürgertum dazu nicht braucht.

Mehr noch: Zumal der „linke“ Flügel des Bürgertums schreitet voran bei der „inneren Zeitenwende“. Die „Kriegstüchtigkeit“ fordert ein „Verteidigungsminister“ von der SPD, vor der „Kriegsmüdigkeit“ warnt eine grüne Außenministerin, deren Parteifreund Anton Hofreiter nur noch an „Waffen, Waffen und nochmals Waffen“ denken kann und eine Außenpolitik „mit dem Colt auf dem Tisch“ fordert: „Wenn uns ein Land Seltene Erden vorenthalten würde, könnten wir entgegnen: Was wollt ihr eigentlich essen?“ Linksliberale schwören ab und geloben neu: Loyalität zur Nation. Wer würde heute den Kriegsdienst verweigern? Niemand – so Politiker von Olaf Scholz bis Robert Habeck, gealterte Intellektuelle, Journalisten und Schriftsteller wie Ralf Bönt oder Thomas Krause vom Stern. Bischöfe, Komiker und der unvermeidliche Campino knallen im Nachhinein mit den Hacken. Spiegel-Mann Tobias Rapp, der einst beim „ideologiekritischen“ Wochenblatt Jungle World war, begrüßt jetzt den „Veteranentag“. Rund 80 Jahre nach Dolf Sternbergers beklemmender Analyse kann man ein neues Wörterbuch des Unmenschen schreiben.

Theodor W. Adorno sagte einmal, mehr als die extreme Rechte fürchte er eine Radikalisierung der Mitte, die Rückkehr des Nationalistischen, Autoritären und Faschistischen in die Sprache der Demokratie. Wer hofft, die Rechte mit deren eigenem Vokabular zu schlagen, mit ihrer Migrationspolitik, ihrem Kulturkampf, ihren Begriffen, der betreibt ihr Geschäft. Kurzfristig mögen die AfD-Werte vielleicht sinken. Aber langfristig kann sie sich zurücklehnen. Weil sie weiß: Rechts geht auch ohne sie. Das liberale Bürgertum aber könnte bald merken, wer der Klotz ist und wer der Keil.

passiert am 17.05.2024