1. Mai, war da was?

1. Mai, war da was?

Der 1. Mai dieses Jahr war warm wie immer und ließ sich aufgrund der Tourimassen (ebenso wie immer) am bestem im Grünen aushalten. Warum also, um es mit den Worten des ewigen armchair-Aufständischen Sebastian Lotzer, zu beschreiben, hierfür ein paar Zeilen verschwenden?

Vielleicht um diesen geschichtlich aufgeladenen Tag wenigstens ein bisschen zu ehren? Vielleicht um manchen ein Innehalten abzuringen? Vielleicht um die fortschreitende Selbstverblödung der Linken zu dokumentieren? Oder vielleicht auch nur um einfach das letzte Wort zu behalten? Sucht es euch aus.

Der Tag startete wie üblich mit der DGB-Demo, welche dieses Jahr spürbar größer war als in der jüngeren Vergangenheit, offenkundig treibt die Zuspitzung der Verhältnisse wieder vermehrt die sonst so behäbigen deutsche Gewerkschaftler auf die Straße. Auch SyndikalistInnen und undogmatische Kommunisten schlossen sich hier an. Wegner hielt eine heuchlerische Rede und es kam zu kurzen Auseinandersetzungen zwischen DGB-Ordnerdienst, Bullen und der „Pro-Palästina Fraktion“ (1).

Am Nachmittag dann in Grunewald die hedonistisch-ironische „Razzia im Villenviertel“ mit Beteiligung im üblichen Rahmen. Ob den wirklich ausgebeuteten angesichts krasser Reallohnverluste nicht wohl eher das Lachen im Halse stecken bleibt? Es bleibt der Verdacht hier aktioniert eher das hedonistische Bürgertum mit moralischem Kompass.

Am Abend kam dann das was nur als Trauerspiel bezeichnet werden kann, eigentlich „keine Zeile Wert“, jedoch Ausnahmsweise und zum letzten mal hier etwas ausführlicher reflektiert werden soll. Zum ersten mal seit langer Zeit weniger Leute als bei der DGB-Demo, keine organisierte Autonome Beteiligung mehr. Dies ist der Endpunkt langjähriger Entwicklungen welche teils unabhängig voneinander sind, sich jedoch größtenteils überlagern. Da wäre einerseits die gezielte Entpolitisierung durch das Myfest, ein Musterbeispiel der Brot&Spiele Aufstandsbekämpfung. Die dadurch angelockten besoffenen Horden sind inzwischen sogar dem organisierenden Bezirk zu viel, kleben jedoch nach wie vor wie Fliegen an der Scheiße und dürften angesichts des Fernbleibens vieler politischer Leute dieses Jahr einen noch größeren prozentualen Anteil an der Demo gehabt haben als die letzten Jahre. Ein herauskommen hieraus wäre nur durch eine komplette Verlagerung der Demo in andere Gegenden der Stadt zu begegnen, etwas was das Demo-Bündnis schon länger blockiert. Überhaupt das Demo-Bündnis. Dieses Jahr wurde es ausschließlich geprägt durch leninistische Kleinstgruppen welche anderntags höchstens eine mittlere dreistellige Zahl auf die Straße bringen würden. Dies ist eine Entwicklung welche ebenfalls vor einigen Jahren begann (2) (z.B. 2016 (3)) und dieses Jahr nicht zufällig ihren Abschluss gefunden hat. Denn eine Verständigung mit diesen Gruppen ist eigentlich unmöglich, wer z.B. die Frage der Palästina-Solidarität diskutieren will wird reflexhaft als Rassist, Antideutscher und Regierungsfreund bezeichnet wodurch jede Diskussion verunmöglicht wird. Das Verständnis von Palästina-Solidarität dem das Demo-Bündnis folgt, welches irgendwo zwischen peinlich und widerlich rangiert, hat nun dieses Jahr jedes Maß des erträglichen gebrochen. Schon in den letzten Jahren gab es kein gemeinsames Plenum zwischen antiautoritären und Leninisten mehr, es wurde sich lediglich über organisatorische Fragen verständigt. Und kann man nicht mehr diskutieren, stimmt man eben mit den Füßen ab, raus aus dem Demo-Bündnis und weg von der Demo. Als Folge hiervon, geriet der diesjährige „revolutionäre“ 1. Mai doch sehr monothematisch. Wie die Hauptstadtpresse mehr trauernd als triumphierend feststellte gab es auch keinen schwarzen Block. Aber warum sollten autonome Antifaschist*Innen auch gemeinsame Sache machen mit Nationalist*Innen, Holocaustrelativierern und Klerikalfaschisten?

Die Dominanz autoritärer Gruppen im 1. Mai Bündnis ist aber nicht zuletzt auch der strukturellen Schwäche des autonomen Spektrums geschuldet. Schon seit Jahren gibt es in Berlin keine autonome Gruppe mehr wie z.B. einst ALB, RLB etc. welche Themenübergreifend arbeiten. Diskussionen werden kaum noch geführt, und Ergebnisse aus diesen Diskussionen schon gar nicht in die Praxis überführt.

So bleibt die Frage nach der Zukunft des 1. Mai offen. Eine Wiederbelebung des autonomen 1. Mai bräuchte eine komplette Reorganisation. Eine offene Debatte um die Ziele eines 1. Mai und unter welchen Bedingungen er Sinn macht und unter welchen nicht. Wo sollte er stattfinden (Spoiler: möglichst weit weg von Party und „Szenevierteln“)? Wie sollte er stattfinden? Wie umgehen mit übernahmeversuchen autoritärer Gruppen? Unter welchen Bedingungen macht Militanz Sinn oder nicht?

Die Frage ist: Hat die Szene in Berlin überhaupt noch die Kraft solche Diskussionen zu führen?

(1) Ist hier bewusst in Anführungszeichen geschrieben, denn der Palästinaaktivismus der hier genannte Spektren ist auffällig selektiv und macht sich z.B. nicht gerade wenn Assad, Hizbollah, PFLP und Co. PalästinenserInnen in Syrien oder Libanon unterdrücken. Bei solchen Freunden brauchen die Palästinenser wohl keine Feinde mehr.
(2) Und übrigens auch nicht das erste mal passiert. Schon in den 90ern versuchten Kommisekten den 1. Mai zu kapern, in Abgrenzung zu diesen wurde die Demo von 13:00 auf 18:00 Uhr verlegt. Die 13:00 Uhr Kommidemo verlief sich dann schnell, sodass sich die Kommis wieder an die 18:00 Uhr Demo heranwanzten um sich ihre „Massenwirkung“ einzubilden.
(3) https://linksunten.indymedia.org/es/node/176413/index.html

passiert am 01.05.2024