»Der Feind steht auch im eigenen Land«

Die Rheinmetall-Entwaffnen-Aktivistin Hannah und die Friedens- und Konfliktforscherin Laura Kotzur über Alternativen zu Aufrüstung und Kriegspolitik

Seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine durch die russische Invasion arbeiten viele Politiker*innen und Medien in Deutschland auf eine Militarisierung der Gesellschaft hin. Was soziale Bewegungen dagegen tun können und was in der Friedens- und Konfliktforschung diskutiert wird, erläutern Hannah und Laura Kotzur im ak-Gespräch.

Frage: »Kriegstüchtig« soll man laut Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius werden. Wie weit fortgeschritten ist dieser Prozess?

Hannah: Es ist zweischneidig: Einerseits wirkt dieser Prozess der Militarisierung derzeit schon ziemlich erfolgreich. Eine deutsche Kriegsindustrie, die sich früher verstecken musste, zeigt sich nun ganz offen und expandiert, die Bundeswehr macht offensive Werbekampagnen, Gelder werden aus anderen gesellschaftlichen Bereichen zum Militär umverteilt. Der Krieg in der Ukraine wirkt dabei wie ein Beschleuniger. Eine Kontinuität von staatlicher Gewalt und Pläne zur weiteren Militarisierung hat es auch schon vorher gegeben, aber jetzt sind die Bedingungen so, dass sie umgesetzt werden können. Der Widerstand dagegen ist gering. Die Folgen dieser Kriegspolitik reichen in die gesamte Gesellschaft hinein – auch Linke befinden sich noch im Schock oder stimmen mit ein. Andererseits sehen wir auch Brüche. Die Bundeswehr hat noch immer Rekrutierungsprobleme, und auch die Stimmung scheint sich langsam zu ändern. Wir hoffen, dass Skepsis und Kriegsmüdigkeit weiter zunehmen.

Laura Kotzur: Ich sehe eine materielle und auch diskursive Militarisierung. Früher sprach man in Deutschland von »wehrhafter Demokratie« als Ideal, das mehr als Krieg umfasste. Es wurde im Rahmen der – durchaus streitbaren – Einbindung »feministischer Außenpolitik« in den Koalitionsvertrag sogar vielseitig über ein erweitertes Sicherheits- und Friedensverständnis diskutiert. Diese Ideen von der Verbindung von Frieden und Sicherheit mit Aspekten wie sozialer Gerechtigkeit haben ihre Ursprünge in einer radikalen antimilitaristischen und feministischen Friedensbewegung. Seit der sogenannten Zeitenwende werden dagegen nun Aufrüstung als alternativlos und Friedensinitiativen als naiv besprochen. Ich nehme aber auch wahr, dass sich derzeit wieder etwas verändert und das Bedürfnis nach friedenspolitischen Initiativen wächst.
Hannah und Laura Kotzur

Frage: Von Gaza über Syrien und Jemen bis zur Ukraine: Konfliktherde scheinen sich auszuweiten. Wie hoch schätzt ihr die Gefahr ein, dass die weltweite Eskalations- und Aufrüstungsspirale noch weiter zunimmt?

Laura Kotzur: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein tiefer Einschnitt, aber leider auch Teil einer längeren globalen Entwicklung. Die Zahl der bewaffneten Konflikte hat sich in den vergangenen 15 Jahren weltweit etwa verdoppelt. Die Anzahl der direkt und indirekt durch Kriege und bewaffnete Konflikte getöteten Menschen nimmt stetig zu, ebenso die Anzahl der Menschen, die davor fliehen. Teil dieser Eskalation ist auch die zunehmende Internationalisierung von Konflikten, also die Beteiligung mehrerer Staaten. Angesichts dieser Entwicklung erscheint es mir kurzsichtig zu glauben, dass alleinig Aufrüstung zu mehr Sicherheit führt.

Frage: Gleichzeitig heißt es in den medialen Debatten oftmals, dass sich weltweit die »Demokratien gegen die autoritären Regime« wehren müssten. Was denkt ihr dazu?

Hannah: Auch wir finden autoritäre Regime wie etwa die Taliban scheiße, aber das ist nicht der Punkt. Kriege werden schon lange mit der angeblichen Verteidigung von moralischen Werten gerechtfertigt, dabei geht es doch in der Regel um Einflusssphären und Handelswege. Diese Debatte führt letztlich zu einem gefährlichen Freund-Feind-Denken. Die Menschen etwa in China oder in Russland sind aber nicht meine Feinde. Leider gibt es in der Linken große Versäumnisse, diesem Blick eine eigene kritische Perspektive entgegenzuhalten. Das Verhalten der Nato oder das Aufkündigen von internationalen Rüstungskontrollverträgen waren lange nur Nischenthemen.

Frage: Welche Alternativen sehr ihr zur weltweiten Aufrüstung, und wie kommt man einer »globalen Friedensordnung« näher, die derzeit diskutiert wird?

Laura Kotzur: Bisher gab es keinen globalen Frieden, und die liberale Vorstellung einer solchen Ordnung hat auch einen gefährlichen staatlichen Interventionismus begründet. In der Friedensforschung gibt es natürlich trotzdem aktuell viele Ideen, was man der Eskalationsspirale entgegensetzen kann. Beispielsweise wird vorgeschlagen, die Vereinten Nationen zu stärken, auch finanziell. Weitere internationale Dialogräume wie beispielsweise die OSZE sollten aufrechterhalten und neu geschaffen werden – auch zwischen Feinden. Und in Deutschland sollten außenpolitische Initiativen wie Rüstungsexportkontrollen, zivile Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation wieder mitdiskutiert werden. Hinzu kommt noch eine weitere wichtige Komponente: Im Rahmen meiner Forschung beschäftige ich mich viel mit antikolonialen Akteur*innen in Großbritannien. Von diesen wird immer wieder betont, dass der Westen seine historischen Verbrechen – Kolonialismus und Versklavung – anerkennen und neokoloniale Ausbeutungsverhältnisse beenden muss. Erst dann könne man als Regierung oder Zivilgesellschaft eines ehemals kolonisierten Landes überhaupt auf Augenhöhe mit ihm zusammenarbeiten. Es braucht also historische und auch strukturelle Gerechtigkeit, bevor man über so etwas wie eine globale Friedensordnung überhaupt nachdenken kann.

Hannah: Wir schauen eher, welche selbstorganisierten Bewegungen es weltweit von unten gibt, die sich gegen Krieg und Militarisierung richten und eine andere Gesellschaft aufbauen wollen. Die gut organisierte kurdische Bewegung ist dabei für uns sehr relevant. Sie hat es inmitten kriegerischer Gewalt geschafft, gesellschaftspolitische Freiräume zu erkämpfen und Rätestrukturen aufzubauen. Trotz fortlaufender Angriffe der Türkei versucht sie, ein anderes Zusammenleben zu organisieren und etwa patriarchale Machtstrukturen an der Basis zu durchbrechen. Ein anderer wichtiger Bezugspunkt sind für uns Deserteur*innen, sowohl historisch als auch in aktuellen Konflikten. In den Jugoslawienkriegen in den 1990er Jahren beispielsweise gab es ganze Dörfer, die sich der Einberufung verweigert hatten. Auch heute gibt es etwa in Russland oder in Israel Menschen, die sich dem Krieg entziehen.

Frage: Eine antimilitaristische Parole lautet »Der Hauptfeind steht im eigenen Land«. Gleichzeitig gibt es auch von vielen ausländischen Regimen militärische Interventionen und aggressives Auftreten. Wie kann eine antimilitaristische Bewegung darauf reagieren, ohne sich mit staatlicher Kriegslogik gemein zu machen oder im Interesse anderer Imperien zu handeln?

Hannah: Man sollte vielleicht sagen: »Der Feind steht auch im eigenen Land.« Es geht jenseits von moralischer Kritik letztlich um unsere Handlungsmöglichkeiten. Wir leben nun mal in Deutschland und können daher hier aktiv werden – beispielsweise gegen Waffenlieferungen, die in die ganze Welt geschickt werden. Gleichzeitig gibt es dabei natürlich Ambivalenzen: Wir müssen uns darauf verlassen, dass unsere Genoss*innen ebenfalls an der Schwächung von anderen imperialen Regimen arbeiten. Umso wichtiger ist es, dass wir einen praktischen internationalistischen Austausch verschiedener Bewegungen pflegen. Als globale Bewegung sind wir derzeit aber leider schwach, linke Umstürze haben keinen Erfolg. Das darf aber nicht dazu führen, dass man sich mit dem »kleineren Übel« im Staatensystem zufrieden gibt. Emanzipatorische Bewegungen, wie im Iran wurden zurückgeschlagen, aber sie sind noch da – und sie sind unsere Verbündeten.

Laura Kotzur: Es lohnt sich hierbei auch, in die Geschichte zu schauen. Es gab im vergangenen Jahrhundert im Zuge der antikolonialen Kämpfe einflussreiche Austauschräume für Fragen von globaler Gerechtigkeit abseits der Blockkonfrontation, etwa die zahlreichen Pan-Afrikanischen Konferenzen oder 1966 die Tricontinental-Konferenz. Es ist sehr wichtig, an dort entwickelte Ideen für eine gerechte Wirtschaftsordnung, Reparationen und strukturelle Gerechtigkeit anzuknüpfen und eine kontinuierliche Debatte zu ermöglichen.

Frage: Einen nächsten Austauschraum wird es im Herbst in Kiel bei einem Camp von Rheinmetall Entwaffnen geben. Was ist dort geplant?

Hannah: Vom 3. bis 8. September wollen wir als Rheinmetall Entwaffnen für Diskussionen und Aktionen in Kiel in zusammenkommen, auch mit internationalen Gästen. In Kiel können wir dabei nicht nur an aktuelle Kämpfe anknüpfen, sondern auch an historische. Vom Matrosenaufstand ging 1918 eine Revolution aus. Heute ist die Stadt stark mit der Bundeswehr und Kriegsindustrie verwoben, überall vor Ort kann man die Spuren davon sehen. Dagegen wollen wir gemeinsam aktiv werden.

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passiert am 19.03.2024