Versöhnlich zum nächsten Riot

Der Text ist eine etwas verspätete Antwort auf „Zu Spontis, Schreiberlingen und Bilderaktivismus“. Leider war die letzte Zeit mit Aktionen und Repressionen so vollgepackt, dass zu der schönsten Nebensache der Welt, dem Texte schreiben, wenig Zeit blieb. Der Text soll daher auch an die Erfahrungen der letzten Zeit anschließen; an die Repression, an die Lähmung und an die oftmals fehlende Zusammenkunft auf der Straße. Der Text tritt daher für ein wenig Versöhnlichkeit und Besinnlichkeit ein, damit es bald wieder wärmer auf der Straße wird.
Es war leider erwartbar auf welche Argumente in dem Text eingegangen wird und auf welche nicht. Es wurde sich ewig über den Nutzen von Riotbildern zur Propaganda ausgelassen. Ob Autonome, Insurrektionalisten oder Menschen die brennenden Barrikaden als „Zeichen der Lebendigkeit“ empfinden, nun wirklich Gewalt nur als Mittel zu Erreichung von praktischen Zielen sehen, lassen wir mal dahingestellt. Dass daraufhin die Moralkeule ausgepackt und wild drauf los geknüppelt wurde ist traurig. Unterstellungen wie „fehlende Wertschätzung von Aufgaben“, „Gewalt-Fetischismus“ und „Mackertum“ ohne jegliche Beweise, sagen mehr über das eigene Schubladendenken und Diskussionskultur aus als über das Gegenüber. Aber sei´s drum, der Text soll nun doch mal ein paar versöhnliche Töne anschlagen. 😊

Der Text dient nicht dazu sich in Szeneblättern im Kreis zu drehen, nur weil mensch das letzte Wort haben will. Es ist klar, dass wir zu Einladung von linken Journalist*innen mit gewissen Sicherheitsstandards (wie der LIZ), zu der Macht der Bilder und dem Sinn von Spontis andere Wahrnehmungen haben. Der Text „Zu Spontis, Schreiberlingen und Bilderaktivismus“ hat aber wichtige Punkte, wie die immer stärkere Produktion von Bildern (und zwar nicht nur auf Spontis) angesprochen, auf die ein kollektiver Umgang gefunden werden muss. Es müssen auch Aussagen korrigiert und eingeräumt werden, dass es auch möglich ist, Journalismus ohne Fotos zu betrieben und wir besser eigene Strukturen aufbauen sollten, die sicherere Fotos machen. Es müssten also nicht wirklich Journalist*innen zu Spontis eingeladen werden. Die Intention für eine Kritik an dem Text war somit eher unsere Erfahrungen mit der ausufernden Gewalt gegen Pressevertreter*innen, welche auch in dem kritisierten Text als Selbstverständlichkeit mitschwang.

Wir haben unvermittelte Faustschläge in Gesichter von filmenden Passant*innen bei G20 oder Angriffe auf Journalist*innen bei der Indymedia Demo huatnah miterlebt. Es wurde oftmals eine Gewalttätigkeit und Feindschaft gegen die Presse und normale Menschen an den Tag gelegt, die kaum mehr nachvollziehbar, geschweige denn vermittelbar war und unsere eigenen emanzipatorischen Ansprüche unterlief. Aber sowohl bei der Demo am Tag der Urteilsverkündung, beim Massencornern in Connewitz oder am Tag X haben Journalist*innen völlig unverfroren draufgehalten, wenn es zu Aktionen kam oder vorher direkt Menschen ins Gesicht gefilmt. (Das ist eine Straftat lol). Leider gab es darauf fast keine solidarischen Reaktionen. Auch hat sich eine ungute Kultur der Handymitnahme bei Riots entwickelt, wie zuletzt bei den Feuern nach der Helium-Besetzung. Eigentlich bestand die Hoffnung, dass nach dem Einsacken von über hundert Handys am Tag X wenigstens aus Sorge um das eigene Handy ein Lerneffekt besteht, dem ist leider nicht so.

Prinzipiell hat der Text „Zu Spontis, Schreiberlingen und Bilderaktivismus“ Recht. Es ist wichtig, dass Aktionen, egal ob angemeldet oder nicht, so repressionsarm wie möglich ablaufen. Menschen müssen begreifen, dass ihre Bilder für die Abgebildeten Gewalt im Sinne von Knast und Strafverfahren bedeuten. Trotzdem müssen wir uns auch klar machen, dass wir nicht besser als autokratische Diktatoren und Faschos sind, wenn wir jede (kritischen) Presse verbieten oder ihnen gleich aufs Maul hauen wollen. Hier sind monoperspektivischen Artikel wie „Journalistenpack“ erschreckend, aber leider ein Indiz für einen jahrelangen Trend. Einen Trend der Unterteilung der Bevölkerung in Erleuchtete und Systemlinge, in Freunde und Feinde. Es muss auch bedacht werden, dass Gewalt gegen Filmende sowohl Betroffene, Umstehende, als auch die Umfelder all dieser Personen abschreckt. Wenn unser Ziel immer noch eine Revolution ist, dann sollten wir stattdessen versuchen so viele Menschen wie möglich einzubinden und Gewalt immer nur als letzte Möglichkeit ansehen. Ein Mittelweg wäre also angebracht.

Um diesen Text nicht zu versöhnlich werden zu lassen: Ja, dieser Text spricht sich für eine Wertschätzung von emanzipatorischen Errungenschaften wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit aus, auch wenn einigen Autonomen jetzt vor Wut aus dem Mund schäumen. Es geht dabei nicht um irgendeinen Staat, der das garantieren soll, sondern, dass alle die gleichen Freiheiten und Rechte haben in unserer Vorstellung. Jede*r sollte denken, sagen, berichten und filmen können was sie wollen. Es geht hierbei auch darum, die eigene Fehlbarkeit anzuerkennen und daher nicht Gewalt gegen jede Person auszuüben, deren Meinung wir nicht teilen. Zu oft lagen wir auch schon falsch, Stichworte Israel-Palästina, Sex-Arbeit, Drogen usw. Die Presse ist eine extrem sinnvolle Sache, um auf Missstände hinzuweisen und die Berichterstattung nicht dem Staat zu überlassen. Eine pluralistische Berichterstattung mitsamt politisch-gefärbter Kommentare, ermöglichen eine realitätsnahe Einordnung und zeigt verschiedene Lösungsansätze und Perspektiven auf. (Daher schreiben wir ja auch im Autonomem Blättchen, auf Indymedia. Weil wir wissen, dass wir nicht unfehlbar sind und sowohl Feedback, Inspirationen, als auch Widerworte brauchen). Nur weil ein bürgerlicher Staat das Presserecht und die Meinungsfreiheit verteidigt, sind diese somit nicht automatisch schlecht, genauso wenig wie generell Menschenrechte oder die (angebliche) Gleichstellung der Frau, nur weil sie im Grundgesetz stehen. Wir sollten hier nicht in autonome Beliebigkeit verfallen und uns stattdessen auf unser revolutionäres Erbe berufen. Ein Gruß geht hier an die anarchistischen Matros*innen in Kronstadt vor über 100 Jahren, die als erste Amtshandlung jegliche Presse wieder erlaubten!

Zur Praxis
Wir müssen uns klar machen, dass wir kaum mehr das Filmen von angemeldeten Demos verhindert können. Fast automatisch ziehen alle Menschen ihre Handys bei Antifa Demos oder bei revolutionären Spektakeln wie am 1. Mai in Berlin. Lautsprecherdurchsagen, Flugblätter oder andere Kommunikationsformen können hier sinnvoll sein, da bei persönlicher Ansprache oft eine Trotzhaltung eingenommen wird und nicht jedes Handy 2 Stunden durch ein Transpi abgeschirmt werden kann. Gewalttätiges Verhalten gegen jede filmende Person ist auch keine Option, da meistens eine riesige Menge von Cops in der Nähe ist oder Solidarisierung durch andere Passant*innen oft passieren. Eine gute Kommunikation mit filmenden Personen und gute Tarnungen (wie Perücken, bunte Kleidung, usw.) für Menschen, die nicht erkannt werden wollen, sind hier also neue Mittelwege.

Ein anderes Szenario ist es, wenn Journalist*innen mit ihren Kameras an der Seite der Demo stehen und direkt in die Gesichter filmen. Das ist völlig respektlos und unverantwortlich. Wir sollten sie in solchen Situationen zur anderen Straßenseite wegdrängen, um Nahaufnahmen zu verhindern. Wir sollten ihnen dabei die Situation ruhig erklären. Es ist dabei nicht notwendig ihnen zu drohen, sie zu schlagen oder ihre Sachen zu beschädigen. Wenn Journalist*innen beim Riot draufhalten, sieht es aber ganz anders aus. Besonders wenn es sehr hektisch ist und Nahaufnahmen gemacht werden, können ein paar gezielte Schläge auf Kameras viele Menschen vor Strafverfolgung schützen.

Das Gleiche gilt, wenn Menschen mit ihren Handys Riots filmen. Hier geht es nicht mehr um Berichterstattung oder um Meinungsäußerung. Es ist stumpfe Selbstdarstellung oder gar ein Interesse an der Verfolgung von Linken. Es muss aber auch abgewogen werden, dass die Zerstörung der Handys von Privatpersonen ohne vorherige Kommunikation viele Menschen abschreckt. Wenn zu den nächsten Riots niemand mehr kommt, was aktuell gerade ein riesiges Problem ist, oder eventuell die Personen die nächsten Riots angreifen, ist auch nichts gewonnen. (Ein Umstand, der mindestens im Leipziger Osten leider schon vorkam.) Wünschenswert wäre also insgesamt ein offensiverer Umgang mit filmenden Szenekids durch Ansagen, Wegschicken oder schlichtem Anpöbeln und ein anfangs erklärender, aber auch konsequenter Umgang mit filmenden Passant*innen.

Zusammengefasst sollten wir bei Filmenden mehr unterscheiden: Wir sollten mehr Gelassenheit bei filmenden Passant*innen von angemeldeten Demos haben, Journalist*innen in friedlichen Situationen wegdrängen und Kameras und Handys bei Riots zerstören wenn Kommunikation fehlschlägt. Wir sollten aber niemals körperliche Gewalt ausüben außer zur Selbstverteidigung. Wichtig ist: Das sind nur Vorschläge. Wer bessere Gedanken dazu hat, ohne emanzipatorische Standards zu unterlaufen, soll sie gerne raushauen. Denn unser aktueller Umgang bringt gerade gar nicht. Einerseits werden zu viele Bilder produziert und andererseits wird übertriebene Gewalt gegen Einzelpersonen ausgeübt.

PS: Und ja der Text nimmt es sich heraus Empfehlungen und rote Linien aufzuzeigen. Es ist immer wieder amüsant wie viele Autonome Verbote bei Rassismus, Sexismus, Sprachhandlung, Kleidungen usw. aussprechen oder „Konsequenzen“ androhen, aber bei Fragen nach körperlicher Gewalt oftmals niemanden etwas vorschreiben wollen.

PPS: Wenn dieser Text und andere wirklich die Szenekids erreichen sollen, die ständig ihre Handys dabeihaben, dann sollte er gerade nicht nur auf unseren Szeneplattformen bleiben, sondern muss auf Instagramm und Twitter gespiegelt werden. Genauso kann das Beibringen von Sicherheitsstandarts nur auf Augenhöhe und in einer gemeinsamen Organisierung erfolgen und nicht durch gönnerhaft eingerichtete 1 mal monatlich stattfindende Offene Antifa Treffen, auf denen eh nichts geplant wird. Wir brauchen mehr generationsübergreifende offene Organisierungen, die legale Aktivitäten wie Anti-Repressions-Konzerte, friedliche Demos, Worskhops usw. planen. Nur durch gemeinsame Organisierungen werden auch Sicherheitsstandards von Jüngeren übernommen und unsere Ratschläge ernst genommen.