Axt am Versammlungsrecht
Nach Haussuchungen in mehreren Bundesländern: Kritik an Staatsanwaltschaften in Hamburg und Gera
Von Detlef Georgia Schulze
In der vergangenen Woche fanden Haussuchungen in mehreren Bundesländern wegen einer antifaschistischen Demonstration am 1. Mai in Gera statt. Die Rote Hilfe kritisierte die Durchsuchungen: Den meisten Betroffenen werde »ausschließlich zur Last gelegt, an der Versammlung teilgenommen zu haben«. Der einigen vorgeworfene Verstoß gegen das Uniformverbot solle »darin bestehen, dass die Demonstrant*innen dunkle Kleidung getragen haben sollen, woraus die Repressionsbehörden nun eine ›Uniform‹ des ›schwarzen Blocks‹ konstruieren wollen«.
Die linke Rechtshilfeorganisation vermutet zudem, die Behörden wollten »systematisch das Versammlungsrecht noch weiter aushöhlen«. Es sei ein ähnlicher Vorstoß wie bei den immer noch andauernden Rondenbarg-Prozessen nach den Anti-G20-Protesten 2017 in Hamburg, bei denen Demonstrationsteilnehmer »wegen ›ostentativen Mitmarschierens‹ und ›psychologischer Beihilfe‹ kriminalisiert werden«. Gehe es nach dem Willen von Polizei und Staatsanwaltschaft, müsse den Betroffenen »künftig keine individuelle Straftat mehr nachgewiesen werden«. Was die Rondenbarg-Prozesse anbelangt, so äußerte die Rote Hilfe an anderer Stelle, die Staatsanwaltschaft stütze sich auf ein Konstrukt, »das in der Rechtsprechung bislang nur für Fußballhooligans, nicht aber für politische Versammlungen genutzt wurde«. Die junge Welt hat sich sowohl die einschlägige BGH-Entscheidung zu Fußballfans angesehen als auch bei den Staatsanwaltschaften in Hamburg und Gera sowie bei den zuständigen Gerichtspressestellen nachgefragt.
In der Tat hatte der Bundesgerichtshof seinem Urteil vom 24. Mai 2017 zwar vorangestellt, dass »Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs« weder »Täterschaft bei der Begehung von Gewalttätigkeiten noch die Zugehörigkeit des Beteiligten zur Menschenmenge zur Zeit der Gewalttätigkeiten« voraussetze. Eine räumliche Distanzierung von der Menschenmenge hebe die Strafbarkeit nicht auf. Allerdings hielt der BGH auch fest, dass sich nach dem Willen des Gesetzgebers nur derjenige strafbar mache, »der sich aktiv an Gewalttätigkeiten beteiligt«. Deshalb genüge es nicht, bloß ein Teil der Menge zu sein, »aus der heraus Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder Bedrohungen von Menschen mit Gewalttätigkeiten begangen werden«. Es gibt also einenn Unterschied zwischen »Täterschaft« und »Beteiligung«.
Das Entscheidende an dem damaligen Sachverhalt war nicht die bloße Anwesenheit am Tatort, sondern die gemeinsame vorherige Verabredung der Gewalttätigkeiten und das Mitlaufen in Kenntnis und Billigung dieser Verabredung. Unter solchen besonderen Umständen ist es nach der Hooligan-Entscheidung des BGH für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs nicht nötig, dass die einzelnen selbst Gewalttätigkeiten begehen.
Diese Gesetzeslage kann und sollte politisch kritisiert werden – aber es ist die geltende Gesetzeslage, beschlossen im Rahmen der Liberalisierung des Demonstrationsstrafrechts nach 1968, und nicht erst im Rahmen einer der späteren erneuten Verschärfungen.
jW fragte die Staatsanwaltschaften in Hamburg und Gera, wie sie den Betroffenen der beiden aktuellen Strafverfahren das »Ziel, geschlossen Gewalttätigkeiten zu begehen«, nachweisen möchten. Außerdem fragten wir die Staatsanwaltschaft Gera (und mit ähnlichem Wortlaut die Staatsanwaltschaft Hamburg), ob sie meine, Absprachen »zwischen den des Landfriedensbruchs Beschuldigten des von Ihnen geführten Ermittlungsverfahrens beweisen zu können«.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg verwies an die Gerichtspressestelle, die für den fraglichen Strafprozess zuständig ist – und diese antwortete unter anderem: »Die Staatsanwaltschaft verweist hinsichtlich der rechtlichen Bewertung auch auf die sog. Hooligan-Entscheidung, derzufolge im Rahmen des Landfriedensbruchs bereits psychische Beihilfe als täterschaftliche Begehungsform des Landfriedensbruchs ausreichen kann, sofern sie über eine bloße Anwesenheit am Ort der Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen hinausgeht.«
Dieses »über die bloße Anwesenheit hinaus« soll sich wie folgt darstellen: Jeder Beteiligte habe »von der mitgeführten Bewaffnung« gewusst, deren Einsatz gegen Polizeibeamte sowie Sachen gebilligt und einen eigenen Tatbeitrag durch das Mitmarschieren in geschlossener Formation geleistet. Durch das gemeinsame und zum Teil einheitliche Auftreten sei »den einzelnen Gewalttätern innerhalb des Aufzugs eine Deckung vor einer Identifizierung und dem Einschreiten Dritter verschafft worden«.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg meint also, all das, was zu einer Verurteilung nötig ist, beweisen zu können. Die Geraer Staatsanwaltschaft scheint dagegen ganz nackt dazustehen. Aus der Antwort: »Gegenstand der gegen die Beschuldigten geführten Ermittlungen ist der Vorwurf, sich als Teilnehmer einer Demonstration am 1. Mai im Stadtzentrum von Gera an dem gewaltsamen Versuch, eine Polizeisperre zu durchbrechen, beteiligt zu haben. Welche Beschuldigte im einzelnen welche Delikte begangen haben, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen.«
Die »zu anderen Sachverhalten ergangenen gerichtlichen Entscheidungen« will die Staatsanwaltschaft Gera »nicht kommentieren«. Die Fragen, woher sie zu wissen meine, dass »die einzelnen Beschuldigten überhaupt auch nur am Ort des Geschehens waren«, und ob sie tatsächlich der Ansicht sei, »das Tragen dunkler Kleidung stellte das Tragen einer Uniform dar«, mochte sie ebenfalls nicht beantworten.
https://www.jungewelt.de/artikel/463262.repression-axt-am-versammlungsrecht.html
passiert am 17.11.2023