Polizeipräsidentin Skowik: Die Letzte Generation „kostet uns unglaublich viel Kraft“
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik spricht im Interview über den 1. Mai, die „Letzte Generation“ und Polizeigewalt.
Berlin. Dutzende Veranstaltungen im gesamten Stadtgebiet, einige davon kritischer als andere: Die Berliner Polizei steht in diesem Jahr am 1. Mai wieder vor einer Mammutaufgabe. Weil dieses Mal auch die „Letzte Generation“ Aktionen angekündigt hat, sind mit 6300 Beamtinnen und Beamten deutlich mehr im Einsatz als noch 2022. Die Vorbereitung laufe schon lange, sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Interview.
Berliner Morgenpost: Bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik sprachen Sie vor Kurzem von einer „Rückkehr zur Normalität“. Ist das in diesem Jahr auch vom 1. Mai zu erwarten?
Barbara Slowik: Natürlich würden wir gern an 2022 anknüpfen – dem bislang friedlichsten 1. Mai der letzten Jahre. Und klar ist, dass ein Großteil der Berlinerinnen und Berliner auch diesen Tag der Arbeit friedlich entweder an gewerkschaftlichen Versammlungen teilnimmt, Feste feiert oder einfach den freien Tag im Park oder bei Konzerten genießt. Aber wie in jedem Jahr wird es auch wieder diejenigen geben, die gewaltbereit sind, Pyrotechnik zünden oder vielleicht Flaschen und Steine werfen. Das sind aber wenige. Das Hauptaugenmerk der Polizei Berlin liegt auf der großen Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbunds und der Versammlung im Grunewald, die dieses Mal als Fußgängeraufzug und nicht wie in den vergangenen Jahren als Fahrradkorso stattfindet. Und abends steht natürlich die 18 Uhr-Demo durch Neukölln und Kreuzberg an.
Wie viele Kräfte werden im Einsatz sein?
Insgesamt werden wir am 30. April mit rund 3400 und am 1. Mai mit rund 6300 Kräften im Einsatz sein, wobei wir wieder durch Einsatzeinheiten aus anderen Ländern und von der Bundespolizei Unterstützung erfahren. Das sind mehr als im vergangenen Jahr, weil wir erstmals auch den Aktivitäten der „Letzten Generation“ Rechnung tragen müssen, die sowohl für den 30. April als auch den 1. Mai Aktionen angekündigt hat.
Was erwarten Sie von den Klimaaktivisten?
Mit Straßenblockaden rechnen wir nicht zwingend, sind aber auf unterschiedlichste Aktionsformen vorbereitet. Wir überlegen uns dafür keine verschiedenen Szenarien, sondern reagieren lageangepasst, wenn Straftaten drohen oder begangen werden. Diese werden wir konsequent beenden oder, wo möglich, auch verhindern. Ansonsten werden wir auch vorher nicht angezeigte Versammlungen begleiten, sofern es unter den entsprechenden Gegebenheiten und am jeweiligen Ort möglich ist. In einem Gespräch mit Vertretern der „Letzten Generation“ habe ich zuletzt an sie appelliert, sich im Rahmen der Legalität zu bewegen. Ansonsten werden wir unmittelbar einschreiten – natürlich verhältnismäßig.
Die sogenannte „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ beginnt auch in diesem Jahr wieder in Neukölln, wo es in der Silvesternacht mit die massivsten Ausschreitungen gab. Könnte sich das am 1. Mai wiederholen?
Wir arbeiten mit unterschiedlichsten gefahrenabschöpfenden Maßnahmen. Seit Jahresbeginn haben wir beispielsweise rund 500 Maßnahmen zur Gewaltprävention durchgeführt. Im Vorfeld des anstehenden Einsatzes haben wir unter anderem den Tatverdächtigen der Silvesterkrawalle Gefährderansprachen gehalten. Wir gehen zwar nicht davon aus, dass der 1. Mai ein zweites Silvester wird. Allerdings plakatierte die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration auch mit dem Slogan „Silvester 2.0“. Das werten wir als Versuch, die Jugend in den entsprechenden Kiezen mitzuziehen und zu aktivieren. Deshalb werden auch Kräfte der Operativen Gruppe „Jugendgewalt“ im Einsatz sein, um entsprechendes Klientel zu identifizieren. Zum Maßnahmenkanon des Einsatzes gehören selbstverständlich auch Raum- und Objektschutzmaßnahmen, wobei wir unter Berücksichtigung der Angriffe in der Silvesternacht den Schutz der Kolleginnen und Kollegen der Berliner Feuerwehr besonders im Blick haben. Wir stehen während des Einsatzes im engen Austausch mit der Feuerwehr. Diese entsendet Verbindungskräfte zu uns, damit wir schnell reagieren können, sollten wieder Rettungswagen angegriffen werden.
Berlins Polizei rüstet sich mit Tausenden Kräften für die „Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ mit Start in Neukölln.
Im vergangenen Jahr wurden einigen Personen im Vorfeld auch Versammlungsausschlüsse ausgesprochen. Ist das auch in diesem Jahr geschehen?
Nein.
Welche Auflagen wurden für die 18 Uhr-Demonstration erlassen?
Wir haben Gegenstände, die zur Identitätsverschleierung geeignet sind, wie zum Beispiel Sturmhauben sowie Gegenstände, die als Schutzausrüstung dienen, wie zum Beispiel Körperprotektoren verboten. Zudem wurden Beschränkungen erteilt. Dazu gehören unter anderem die Untersagung der Verherrlichung von Gewalttaten in jeglicher Form oder das Skandieren ehrverletzender Parolen gegenüber ethnischen oder religiösen Gruppen. Pyrotechnik ist allerdings nicht verboten, weil das schlicht bei so vielen Menschen nicht zu kontrollieren wäre.
Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie?
Im Hinblick auf die bundes- und landespolitischen sozialen Themen, wie der steigenden Inflation und steigenden Miet- und Heizkosten rechnen wir in diesem Jahr mit mehr Teilnehmenden als zuletzt – zwischen 10.000 und 15.000. Was die 18 Uhr-Demonstration außerdem seit Jahren mitprägt, ist der Nahost-Konflikt. Über die Migrantifa, die wohl die Spitze des Aufzugs bilden soll, sind die Themen der Palästinenser präsent. Insofern umfassen die Beschränkungen explizit auch die Untersagung antisemitischer Äußerungen sowie von Hass und Hetze gegen Israel. Darüber hinaus sind Werbung und die Verwendung von Symbolen der HAMAS, PFLP und HuT verboten.
Die Demonstranten wollen auch über die Adalbertstraße an der jüngst eröffneten Kotti-Wache entlangziehen – einem Hassobjekt der linken Szene. Werden Schutzmaßnahmen ergriffen?
Nein, wir werden die Wache nicht verbarrikadieren oder ähnliches. Wir sind natürlich wachsam, aber die Kotti-Wache ist wie die meisten Wachen an Brennpunkten entsprechend geschützt – etwa durch Panzerglas.
Das Myfest in Kreuzberg galt lange als deeskalierend, wird aber nach drei Jahren coronabedingtem Ausfall auch dieses Jahr nicht stattfinden. Bedauern Sie das?
Polizeitaktisch war das Myfest anfangs schon sinnvoll. Allerdings hat sich der 18 Uhr-Aufzug zuletzt dort zwischen tausenden von Menschen formiert. Das machte die Lage für uns dann eher schwierig und unübersichtlich. Mittlerweile führt die 18 Uhr-Demo durch Neukölln.
Die „Letzte Generation“ sah sich zuletzt auch dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung ausgesetzt. Sie sagten vor Kurzem, dass es die Polizei mit einer entsprechenden Einstufung leichter hätte. Inwiefern?
Es würde uns ermöglichen, andere polizeiliche, etwa verdeckte Maßnahmen zu ergreifen. Aber diese Einstufung ist der Staatsanwaltschaft überlassen. Wir als Polizei haben unter Beweis gestellt, dass wir konsequent und verhältnismäßig vorgehen, um die massiven Störungen des Alltags in Berlin relativ schnell zu beenden. Aber das kostet uns unglaublich viel Kraft und führt viele Einsatzkräfte an die Belastungsgrenze. Ich denke und hoffe, dass die Wirkung dieser Proteste in Berlin langsam verpufft, und würde mir wünschen, dass die mediale Aufmerksamkeit etwas herunterfährt. Das würde zum Verpuffen beitragen.
Blockaden der „Letzten Generation“ beschäftigen die Berliner Polizei womöglich auch am 1. Mai.
Im Zusammenhang mit einem Einsatz gegen einen Aktivisten der „Letzen Generation“ aus der vergangenen Woche, von dem im Internet ein Video kursiert, wurde nun der Vorwurf der „Polizeigewalt“ laut. Wie viel Gewalt durch die Polizei ist gerechtfertigt?
Grundsätzlich kommunizieren wir als erstes. Werden aber Straftaten angekündigt, die wir durch Kommunikation nicht abwenden können, reduzieren wir diese auf das erforderliche Maß. Kommt eine Person unseren Aufforderungen, eine Straße zu verlassen, nicht nach, wenden wir gegen sie Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs an. Dafür gibt es eine gesetzliche Grundlage, auf der die Polizei, die in diesem Staat das Gewaltmonopol hat, Gewalt anwenden darf. Voraussetzung ist zum einen, dass die Maßnahme angekündigt wird. Das hat der Kollege im Video getan. Der oberste Grundsatz ist, dass bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges verhältnismäßig gehandelt wird. Was genau verhältnismäßig ist, ordnet im Einsatz entweder der Polizeiführer an oder entscheiden die Kollegen im Einzelfall. Wenn sich jemand windet, fallenlässt oder schwer macht, werden bestimmte Griff- und Hebeltechniken angewandt, die vor allem das Verletzungsrisiko der von der Maßnahme Betroffenen, aber auch der Kollegen minimieren sollen. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang eine Aussage der Berliner Polizeistudie der Technischen Universität, die im Auftrag der Senatsverwaltung für Inneres im Jahr 2022 durchgeführt wurde. Darin heißt es, dass in weiten Teilen der Zivilgesellschaft, in NGO’s oder polizeikritischen Kreisen nicht bekannt ist, was die Polizei soll, darf und kann. Und das ist ein großes Problem. Denn es führt dazu, dass legitime Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs, die zugegebenermaßen nicht schön aussehen, als Polizeigewalt in einem illegitimen Sinn aufgefasst werden. Natürlich können Maßnahmen in Einzelfällen nicht verhältnismäßig sein, was dann zu Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt führt.
In dem Video ist zumindest zu sehen, wie der Beamte den am Boden sitzenden Aktivsten am Hals packt und praktisch hochreißt. Ist das verhältnismäßig?
Ich kann und werde diesen Einzelfall nicht beurteilen. Offen ist beispielsweise die Frage, ob der Kollege vielleicht bereits vor Beginn der Aufzeichnung Widerstand durch den Aktivisten erlebt hat und auf dieser Grundlage den Griff als verhältnismäßig und im Sinne der Fremd- und Eigensicherung als am sichersten bewertet hat. Das ist aktuell Gegenstand laufender Ermittlungen.
Ist es denn, wie im vorliegenden Fall, vor Maßnahmen üblich, dass Schmerzen angekündigt werden?
Es ist sogar rechtsstaatlich geboten, deutlich zu machen, dass die angekündigten Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs zu Schmerzen führen können. Die Polizei wendet jedoch keine sogenannten „Schmerzgriffe“ an, die explizit Schmerz auslösen sollen. Aber es gibt Griffe, die, wenn sich jemand etwa schwer macht oder fallen lässt beziehungsweise dem vorgegebenen Bewegungs- und Richtungsimpuls nicht folgt, zu Schmerzen führen können. Darüber sollen die Kollegen schon aufklären. Manchmal werden dabei Formulierungen genutzt, die weniger glücklich gewählt sind. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang zu sagen, dass, bevor die Kollegen an die Personen herantreten, auch über Lautsprecher der unmittelbare Zwang angedroht wird.
Am 8. und 9. Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs. Im vergangenen Jahr gab dabei vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine zahlreiche Auflagen. So waren etwa an 15 Orten russische und ukrainische Flaggen untersagt. Ist in diesem Jahr ähnliches geplant?
Die Einsatzplanung läuft noch und wir haben auch noch kein abschließendes Bild über Versammlungsanzeigen. Bis auf einige Ausnahmen ist unklar, wer am 8. oder 9. Mai wo einen Kranz niederlegen will oder wie im vergangenen Jahr einen Autokorso plant. Mit einer Gedenkfahrt der Nachtwölfe rechnen wir auch in diesem Jahr wieder. Diese verlief 2022 störungsfrei. Unser Einsatzkonzept wird in jedem Fall darauf ausgerichtet sein, ein würdevolles Gedenken an den Sowjetischen Ehrenmälern zu ermöglichen und Auseinandersetzungen zu verhindern. Denn dort sind auch gefallene Soldaten beigesetzt. Das Gesetz über die Kriegsgräberfürsorge schreibt uns vor, diese Orte und die Würde der Toten vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung Deutschlands zu schützen.
Hat sich das Flaggenverbot im vergangenen Jahr aus Ihrer Sicht bewährt?
Definitiv ja. Denn wir haben so Auseinandersetzung an diesen Kriegsgräbern verhindert und trotzdem Versammlungen nicht beeinträchtigt. Insgesamt verlief der Einsatz weitestgehend störungsfrei.
passiert am 29.04.2023