Generation Z [Opus 1] + [3I/ATLAS]

Opus 1

Boy, don’t you worry, you’ll find yourself
Follow your heart and nothing else
And you can do this, oh, baby, if you try
All that I want for you, my son, is to be satisfied

Lynyrd Skynyrd

Ein Jahr warten, ausharren, den Atem anhalten bis die Lungen fast bersten. Ein Jahr – nur ein einziger Herzschlag im Rhythmus des ewigen Ansturms der historischen Partei. Aber all die Nächte, in denen der Schlaf nicht kommen wollte, all die grauen, sinnlosen Tage, das mürbe Tagwerk, die falschen und verlogenen Träume und Versprechen. Und diese Ungeduld, die Anspannung, die Nervosität, die keine Entladung finden. Der Zweifel, der sich bis tief in das Mark der Zuversichtlichsten gräbt. Unsere Sache verraten und verloren, für immer? All die Opfer der letzten 15 Jahre umsonst, alle Hoffnungen genarrt? Und kein theoretischer Begriff der Agonie des aufständischen Prozesses, von einer praktischen Antwort ganz zu schweigen. Nur das Grauen des Infernos der kapitalistischen Todesmaschinerie, die alles verschlingt, Wertschöpfung bis in den suizidalen Weltkrieg um die Hegemonie… Was, wenn dieser einzige Herzschlag, dieses dumpfe, kurze Pochen bis in die Schläfen, doch der letzte gewesen – nur noch verzweifelte Hungersnöte und riesige Flüchtlingskarawanen, wie sich die Bilder aus Yarmouk und Gaza gleichen – erschöpfte, ausgemergelte Gestalten, die mit ihren letzten Habseligkeiten in der Hand durch die zerbombten Häuserschluchten ziehen, und doch nur Ouvertüre für die kommenden Flüchtlingstrecks der Abermillionen, wenn die Seen einfach verdampfen, die Felder vergiftet, und das Dauerfeuer aus den schwarzen SUVs alle niedermäht, die bis zuletzt ausgeharrt haben. Über all dem die schwarzen Drohnen, überall diese scheiß Drohnen, wie Aasgeier am Himmel kreisend. Doch in den dunkelsten Stunden des Zweifels und der Verzweiflung finden Jene, denen zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte keine Zukunft, und sei sie nur so vage umrissen, vergönnt schien, zu sich selbst und ihrer Macht.

So wie der Tod von Mohammed Bouazizi im Dezember 2010 den gesamten Nahen Osten und große Teile Afrikas in Brand setzte, entfachte der Tod von Affan Kurniawan, der im August dieses Jahres in Jakarta von einem gepanzerten Sondereinsatzwagen der Bullen bei Protesten in Jakarta überrollt und getötet wurde, ein Feuer, dass sich von Indonesien aus über Nepal, die Philippinen, Madagaskar, Marokko bis in die Slums und indigenen Siedlungsgebiete von Peru und Ecuador frisst. Wo die Wut und organisierte Militanz der primera línea vor ein paar Jahren noch an ihre Grenzen stieß, jagt die Gen Z jetzt die korrupten Politikergestalten durch die Straßen Kathmandus, brennt die Villen der Politikerklasse in Indonesien mit der gleichen Beiläufigkeit nieder, wie HQs der Bullen und den Präsidentenpalast Nepals.

“Das erste davon, die historische Partei, ist auch das umfangreichste und umfasst die Summe der scheinbar spontanen Formen massenhafter Unruhen, die immer wieder aus Kämpfen um die Lebensbedingungen hervorgehen. Es wird im Singular gesprochen: Es gibt eine einzige historische Partei, die unter der kapitalistischen Gesellschaft in allen Regionen und Epochen brodelt, obwohl sie nur in ihrem Aufschwung sichtbar wird. Marx bezeichnet sie auch als „Partei der Anarchie”, da sie von der „Partei der Ordnung”, die sie zu unterdrücken versucht, und von der „Anti-Partei”, die sie vollständig ausschließen will, als solche behandelt wird.”

Phil A. Neel – Theorie der Partei (1)

Das unzweifelhaft Bemerkenswerteste der Erhebungen der Gen Z ist dass dieses Bewegungen scheinbar aus dem Nichts auftauchen, sich innerhalb von nur wenigen Tagen, manchmal nur Stunden, von Protesten und Demonstrationen in Riots und teilweise sogar in einen regelrechten Aufstand verwandeln, sich ineinander sofort und unmittelbar wiedererkennen, spontan unter der gleichen Flagge segeln, da wo die historische Linke komplett versagt hat. Am Ende also beerbt ein Bund der Piraten den Bund der Kommunarden. Und keine Repression, kein Blutbad, und davon gab es in den letzten Wochen einige, sind in der Lage, diese Erhebung zu stoppen. Pure Antipolitik in Ektase.

Wie immer hinkt der ‘Maschinenraum der Revolution’ mit seinen Begrifflichkeiten und theoretischen Versatzstücken der realen Entwicklung um Meilen hinterher. Monatelanges Schweigen, die Weigerung, die Krise, die mit dem Ende der Erhebung in Frankreich im Sommer letzten Jahres ihren Anfang nahm, überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn sie zu theoretisieren, fand man sich dann doch in den Milieus wieder, denen doch um jeden Preis zu fliehen sei – und von dem vor allem zu vermeiden sei, selbst zu einem zu werden, wie die Gefährten aus Frankreich schon vor vielen Jahren schrieben. In Ermangelung zutreffender Begrifflichkeit von der Gegenwärtigkeit der Epoche schaltete der ‘Maschinenraum’ einfach drei Gänge runter, und anstatt die Frage des revolutionären Horizonts endlich konsequent in Angriff zu nehmen, die Atempause der Aufstände dankbar annehmend als willkommene Gelegenheit, gemeinsam die überfällige theoretische Unterfütterung der weltweiten aufständischen Suchbewegungen zu betreiben, folgte der Rückfall in alte identitäre Muster. Die Palästina – Solidaritätsbewegung wurde zum Fluchtpunkt aller Überlegungenen und Anstrengungen, sie musste die schmerzhafte Lücke füllen, es scheint, als habe es die Debatten der letzten 4 Dekaden über die Fehler der Unterstützung der antikolonialen und antiimperialistischen Befreiungsbewegungen nie gegeben. Und wenn man diesen Bewegungen zumindestens ansatzweise programmatisch ‘sozialistisches Gedankengut’ (die Tendenz zur ‘Aufhebung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verächtliches Wesen ist’) zubilligen konnte, verklärte man jetzt den Todeskult eines religiösfaschistischen Bündnisses, applaudierte dem Projekt einer ‘nationalen Befreiung’ völlig losgelöst von nur dem geringsten Anspruch, eine materialistische Analyse des Konfliktes in Nahost zu leisten. Am Ende blieb dann nur die nackte Moral und der Wettbewerb darum, wer die moralischste Partei repräsentiere.

Spätestens die Beobachtung, dass sich diese Solidaritätsbewegung fast ausschließlich in den Ländern des reichen Westens abspielte, hätte dazu dienen können, einen Schritt zurück zu treten, und jenseits des Ekels über das massenhafte Abschlachten von unschuldigen Menschen die Frage aufwerfen, was denn die reale revolutionäre Perspektive für die Menschen in der Region sein könnte, anstatt sich den Vertretern eines kleinbürgerlichen Postkolonialismus an den Hals zu werfen, die völlig losgelöst von dem realen Klassenantagonismus pure ahistorische Identitätspolitik propagieren. Aber wie Emilio Quadrelli zutreffend schrieb, wird die formale Partei nur mitten im Herzen der historischen Partei und aus ihrer Mitte geboren, alles andere sind nur intellektuelle Fantasmen.

Nun aber ist die ‘letzte Generation’ in die Arena der Geschichte getreten, nicht mit Appellen, Puddingbechern und Sekundenkleber, sondern mit entfesselter Wucht und Militanz. In der Lage, Regierungen innerhalb weniger Tage zu stürzen, Rache an den Verantwortlichen für die Massaker zu nehmen. Wie italienische Gefährten schon anlässlich der Riots in der französischen Vorstädten schrieben, “noch sind die Aufstände ohne Programm, aber wenn, dann ist dies das Programm der zukünftigen revolutionären Partei”.

3I/ATLAS

Der Ausgangspunkt folgender Überlegungen ist der Quantenphysik entliehen und wie folgt kurz zusammengefasst: Es gibt kleine Teilchen, die sich an mehreren Orten gleichzeitig befinden oder trotz weiter Entfernungen und bewiesener Unmöglichkeit Signale auszutauschen, miteinander agieren, wobei z.B. ihre Entfernung voneinander Lichtjahre betragen kann und sie trotzdem zeitgleich reagieren und sie somit gegen einige von Einsteins Gesetzmäßigkeiten verstoßen (z.B. die maximal denkbare Geschwindigkeit), weshalb er noch spöttisch von „spukhafter Fernwirkung“ sprach. Diese ‘Nichtlokalität’ oder ‘Verschränkung’, die Tatsache, dass diese real getrennten Teilchen (in diversen Versuchsanordnungen nachgewiesen) messbar interagieren, bzw. gleichzeitig verschiedene Koordinaten im Raum besetzen, beschäftigt die Quantenphysik seit langem wie kaum ein anderes Phänomen.

Wir können uns diese Beobachtungen zunutze machen, wenn wir über die derzeitigen Fragestellungen der revolutionären Galaxie nachdenken. Fast alle bisherigen Theorien oder analytischen Beschreibungen der weltweiten Aufstände und revolutionären Bewegungen der letzten 60 Jahre haben in Fronten, Erweiterungen von Raumgewinnen, in staatlicher oder regionaler, auf jeden Fall territorialer Begrenzung gedacht. Die “linke” Dominotheorie, die z.B. benutzt wurde, um die Kämpfe in Mittelamerika Ende der 70er, Anfang der 80er zu beschreiben: nach Nicaragua fällt El Salvador, Guatemala und so weiter, machte sich die gleiche Vorstellungswelt von Machteroberung zu eigen, wie die “rechte” Dominotheorie: Erst fällt Kuba, dann… Die einen finanzierten die Schweinebucht und die Kontra in Nicaragua, die anderen sammelten Geld für “Waffen für El Salvador”. Im Grunde wiederholte sich im Niedergang des Ansturms von 68, der der erste aussichtsreiche Ansturm seit 1917 war, immer wieder die gleiche Erzählung. Der globale Süden befreit sich sukzessive und kreist die Metropolen ein, hier gilt es “im Herzen der Bestie” die revolutionäre Fackel trotz aller Begrenzungen zu tragen, in der Zuspitzung auch als militante, bewaffnete Intervention. Je nach politischer-ideologischer Präferenz waren dabei die staatskapitalistischen Staaten Verbündete, Feind des Feindes, Transitland oder logistischer Partner bis hinein in die Zusammenarbeit mit dem MfS hierzulande.

Auch nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes änderte sich zunächst wenig, die Anti-Globalisierungsbewegung war auch nur alter Wein in neuen Schläuchen, lediglich Negris schräge Vorstellungen einer Multitude sprengte die üblichen Konzepte, wobei dieser Raumgewinn wahrlich nicht als revolutionärer Expansionismus interpretiert werden konnte und dabei ist nicht nur die taktische Niedertracht der Tute Bianche gemeint. Selbst die jüngste Theoriebildung um die “Non-Bewegungen” und Clovers Riot.Strike.Riot bleibt bei aller lobenswerter Aktualisierung revolutionärer Vorstellungswelten verhaftet im territorialen Denken. Selbst die “Nicht-Orte” bleiben Orte, der Kreisverkehr der Gilets Jaunes ist ebenso eine territoriale Kategorie wie die “Nicht-Orte” der urbanen Peripherie, die Banlieues ebenso wie die Slums von Medellin oder Johannesburg. Der “revolutionäre Kipppunkt”, der revolutionäre Horizont, bleiben ebenso unsichtbar wie unerreichbar, weil sie gar nicht erst vorstellbar sind, wenn am Ende alles nur auf die Addition von “Geländegewinnen” hinausläuft. Die Gilets Jaunes konnten in einem Überraschungsangriff in die noblen Innenstadtviertel von Paris eindringen und dort einen hohen Sachschaden in Millionenhöhe und eine “traumatisierte” Bourgeoisie hinterlassen, die Rächer von Nahel Marzouk konnten den Sachschaden des Mai 68 und der Gilets Jaunes um ein vielfaches potenzieren (der französische Arbeitgeberverband sprach von über 1 Milliarde ! Schäden und Verlusten), am Ende bleibt immer nur der finale taktische Rückzug, weil auf dem Terrain der Territorialität dem Gegner nicht wirklich Paroli geboten werden kann. Die Riots gegen die Totalität des Corona Ausnahmezustandes blieben ebenso Strohfeuer wie die Erhebungen der letzten 3 Jahre, die sich über den halben lateinamerikanischen Kontinent, größere Teile Afrikas bis in asiatischen Raum ausweiteten, weil sie nicht in der Lage waren, sich sich selbst in anderen Kategorien als den Begrenzungen der territorialen Auseinandersetzung vorzustellen.

Vielleicht geht es aber gar nicht darum, sich den revolutionären Horizont, den “revolutionären Kipppunkt” als eine strategischen “Zugewinn” vorzustellen, als ein Machtverhältnis, das in den bekannten Kategorien des sozialen Antagonismus beschrieben wird. Vielleicht ist die Unbestimmtheit der “Orte des Konfliktes”, dieses ständige “Flippern”, der schnelle, atemlose Wechsel der Schauplätze, die unerklärbare Zeitgleichheit von Geschehnissen, die eigentliche Dynamik, vielleicht spielt sich vor unser aller Augen eine grundlegende Unterminierung dessen ab, was diesen Todeskolloss noch auf den Beinen hält. “Die größte List des Teufels besteht bekanntlich darin, den Menschen glauben zu machen, dass es ihn nicht gäbe”. Man könnte die allgemeine “Tendenz zum Krieg” nicht als omnipotente Geste des Kapitalismus interpretieren, sondern als verzweifelte Fluchtbewegung angesichts fallender Profitraten und multipler Verwertungskrisen. Schon jetzt sind die “Superreichen” dieser Welt im Dauerkrisenmodus: Nur noch ein Drittel des Vermögens wird reinvestiert, der Rest fließt in Exit-Strategien und dauerhafte, vermeintlich krisensichere Geldanlagen. Das System will uns glauben machen, es sei unantastbarer als jemals zuvor und wir niemals so ohnmächtig gewesen seit den Zeiten der französischen Revolution. Unaufhörlich prasseln im medialen Dauerfeuer “die Krisen” auf die Menschen ein, die Linke und die Umweltbewegung feuern aus allen Rohren mit – Endzeitstimmung soll Handlungsunfähigkeit, innere Immigration, Ohnmachtsgefühle, Hoffnungslosigkeit, Depression und Rückzug auslösen, vor den Faschisten rettet uns nur die “demokratische Erzählung”, die es zu verteidigen gäbe, in Wirklichkeit stehen aber sie und ihr System mit dem Rücken zur Wand. Die größte List des Kapitalismus besteht darin, den Menschen glauben zu machen, dass er sich auf dem Höhepunkt seiner Macht befände.

In Wirklichkeit steckt er in seiner größten Krise, all seine Erzählungen von Wohlstand und ehrlicher Arbeit, von Wachstum und Sicherheit sind auserzählt, die Superrechner, die das große technologische Wunder vollbringen sollen, um das Ruder noch rumzureißen, werden einen Strombedarf haben, dass in manchen Regionen der Welt Atomkraftwerke in einer Dichte entstehen müssten wie heutzutage die Windräder in den ländlichen Regionen Brandenburgs.

Wir aber sollten uns auf uns besinnen. Wir sollten verstehen, dass die eigentliche revolutionäre Aufgabe der Epoche ist, jeden entstehenden Konflikt sofort zu generalisieren und zu eskalieren. Die jüngsten Gen Z Aufstände haben es uns vorgemacht. Die Proteste und Demonstrationen gelten nur der Sammlung, auf die unvermeidliche Repression folgt der sofortige Rachefeldzug, schnell und unmittelbar wird zurückgeschlagen, Parteizentralen, Polizeizentralen, die Villen der Verantwortlichen, ihre Banken und Unternehmen gehen in Flammen auf. Es geht nur darum als Teilchen überall unvermittelt aufzutauchen, nicht vorhersehbar, immer in Gleichklang mit den anderen Teilchen, jede Bewegung eines Teilchens führt zur sofortigen Mobilisierung eines anderen Teilchens an einem ganz anderen Ort der Welt. Was hat Osttimor mit Marokko zu tun, wieso brennt es auf einmal zeitgleich in Ecuador? Die ‘Verschränkung’ der Teilchen beruht nicht auf dem Austausch von Signalen, von Informationen, sie agieren aber synchron und tauchen an unvorhersehbaren Orten auf. Diese ‘Verschränkung’ kann nicht wirklich “künstlich” reproduziert werden, nur Annäherungen sind möglich, gehen aber mit massiven Verzerrungen und “Leistungsverlusten” einher. Die neue Generation der Aufstände entziehen sich jeglicher Aufstandskontrolle. Sie gehorchen nur ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten und niemand kann ihren Quellcode entschlüsseln. Sie gehören nur sich selbst. Sie schreiben Geschichte, auf ihre eigene Art und Weise. Deshalb können sie weder von Avantgarden kontrolliert noch von Geheimdiensten unterwandert werden. Sie täuschen mit ihrem Anime Habitus sowohl das System wie auch die dumme Linke. Sie sind die neuen Sternschnuppen an unserem Horizont. Und vielleicht vollziehen sie gerade eine Kurskorrektur im Sonnenschatten, unsichtbar für alle Satelliten und Teleskope der Macht.

Theorie der Partei (1) – auf deutsch auf Bonustracks unter:
https://bonustracks2.noblogs.org/post/2025/09/07/theorie-der-partei/

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