Böllerwürfe und Proteste bei Wohnungsräumung

Auf dem Gehweg vor der Berliner Habersaathstraße 40–48 liegen gegen 10:30 Uhr noch die Reste gezündeter Böller. Daneben verteilen sich Handzettel von Mietern aus dem Haus. Vor dem Gebäude stehen Einsatzwagen der Polizei. Die massive Haustür der Nummer 46 ist aufgebrochen, das Schloss zerstört, die Tür hängt schief in den Angeln.

Um 7 Uhr betrat ein Gerichtsvollzieher das Haus mit der Nummer 48. Für das Gebäude lag ein Beschluss zur Zwangsräumung vor. Insgesamt elf Wohnungen sollten geräumt werden, zehn davon waren bereits leer, sagte Polizeisprecher Martin Halweg dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). In der elften Wohnung trafen die Einsatzkräfte auf zwei Personen, die das Haus freiwillig verließen.

Mehrere Polizisten werden durch Böller verletzt

Bereits am frühen Morgen kam es dabei jedoch zu einem Zwischenfall: Aus dem benachbarten Haus wurden mehrere Böller auf Polizisten geworfen. Diese seien daraufhin in das Gebäude eingedrungen und seien dort Reizgas ausgesetzt gewesen, so Halweg. Nach seinen Angaben wurden 14 Beamtinnen und Beamte leicht verletzt. Im Gebäude nahm die Polizei kurzfristig zwei Personen fest. Ihnen wird ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz vorgeworfen.

Bewohner gehen von einer Provokation des Eigentümers aus

Auf Flugblättern, die von den Bewohnern der Habersaathstraße 46 verteilt wurden, heißt es: „Wir haben uns intensiv mit möglichen Räumungsszenarien und Strategien befasst, wir sehen diesen absehbaren Provokationen daher vorbereitet entgegen.“

Auf Instagram schrieben sie, sie gingen davon aus, dass der Polizeieinsatz „zur Personalienfeststellung der Bewohnerinnen führen soll, um weitere Räumungsklagen einzuleiten“. Zwei Stunden später erklärten sie, der Gerichtsvollzieher habe nichts von ihnen gewollt.

Der jahrelange Konflikt der Habersaathstraße 40-48 in Berlin

Der Gebäudekomplex Habersaathstraße 40–48 in Berlin-Mitte gehört seit 2017 der Firma Arcadia Estates und steht im Zentrum eines langwierigen Konflikts: Der Eigentümer will abreißen und neu bauen, Behörden und Gerichte sowie Mieter und Aktivisten stellten sich dagegen. Wiederholt gab es Gerichtsprozesse, in denen Kündigungsversuche des Eigentümers scheiterten.

In den letzten Jahren nutzten Initiativen und teils Besetzer das Haus, um wohnungslose Menschen unterzubringen und auf den Leerstand hinzuweisen. Gleichzeitig erteilte der Bezirk Mitte im Jahr 2024 schließlich eine Abrissgenehmigung, was wiederum Proteste auslöste. Der Bezirk erteilte dem Besitzer allerdings die Auflage, Ersatzwohnungen für 15 Euro pro Quadratmeter zu schaffen. In jüngster Zeit kam es zu Räumungen, Polizeieinsätzen und Kundgebungen gegen die Maßnahmen, während Bezirk und Mieter-Vertretungen weiter über Ersatzwohnungen, Wärmeversorgung und mögliche kommunale Eingriffe stritten.
Nazi-Parolen von Unbekannten auf Demonstration

Insgesamt waren am Montag rund 130 Polizeibeamte im Einsatz, etwa 50 davon direkt am Gebäude. Die übrigen sicherten eine Demonstration gegen die Räumung oder regelten den Verkehr. Laut Polizeisprecher Halweg nahmen rund 70 Personen an der Versammlung teil. Aus der Menge heraus habe ein Unbekannter die nationalsozialistische Parole „Sieg Heil“ gerufen, sagte Halweg.

Anwohner zeigen Solidarität – in Maßen

Von der Demonstration selbst hat die 68-jährige Karin B. nicht viel mitbekommen – von den Böllern dagegen schon. Sie wohnt seit 1984 nur wenige Häuser weiter. „Ich habe durch meine Tochter mitbekommen, dass heute geräumt werden soll, und habe mir extra einen Wecker gestellt. Aber den habe ich gar nicht gebraucht“, erzählt sie. Schon gegen 5:30 Uhr habe es einen lauten Knall gegeben. Was genau das war, wisse sie nicht, sie gehe aber von den ersten Böllern aus.

Karin B. wollte sich solidarisch mit den von der Räumung Betroffenen zeigen und ging deshalb vor das Haus. Die Polizei wies sie dort jedoch zurück, weil sie sich im Sicherheitsbereich befand. „Aus all den benachbarten Häusern standen die Leute in den Hauseingängen, aber da wurde ich weggeschickt.“ Ein Polizist habe dann darauf geachtet, dass sie den Bereich nicht erneut betrat. „Ein ganz netter Mann“, sagt sie.

So groß ihre Solidarität auch sei, für gewaltsame Aktionen habe sie kein Verständnis: „Man kann doch keine Böller auf Menschen schießen“, sagt sie sichtlich empört. Ihre 82-jährige Nachbarin, die ihren Namen nicht in der Zeitung sehen will, hat hingegen wenig mitbekommen. „Ich habe gesaugt und es nur im Fernsehen mitbekommen“, erzählt sie. „Aber gegen Menschen schießt man nicht, auch keine Böller.“

Gegen 11 Uhr war der Polizeieinsatz beendet. Die Polizei spricht von einem weitgehend störungsfreien Einsatz und auch die Karin B. erzählt, sie habe ansonsten nichts mitbekommen. Die Spuren des Morgens: Böllerreste und eine beschädigte Tür sind jedoch noch deutlich sichtbar.