Was die Ermittler am Strommast-Anschlag in Berlin erstaunt

Nach dem linksextremistischen Anschlag auf Strommasten in Berlin-Adlershof vermuten Ermittler professionelle Täter mit Spezialwissen. Experten fordern besseren Schutz kritischer Infrastruktur. VON ALEXANDER FRÖHLICH

Nach dem mutmaßlich linksextremistischen Brandanschlag auf zwei Strommasten in Adlershof ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft trotz Hinweisen bislang noch nicht wegen Sabotage- oder Terrorverdachts. Bislang gehe es um Brandstiftung, Sachbeschädigung und Störung öffentlicher Betriebe im besonders schweren Fall.

Die Polizei hält das Bekennerschreiber, in dem von einem Angriff auf den „militärisch-industriellen Komplex“ im Technologiepark Adlershof die Rede ist, nach Tagesspiegel-Informationen für echt. Ob es aber tatsächlich von den Tätern stammt, ist unklar. Der Tagesspiegel hat es mit verschiedenen KI-Detektoren überprüft – mit dem Ergebnis, dass es wohl von Menschen verfasst wurde.

In Ermittlerkreisen wurde das Schreiben wegen der Wortwahl der Unterzeichner – „einige Anarchist:innen“ – jedoch im Vergleich zu Bekenntnissen von Ökoextremisten zu früheren Anschlägen auch als seltsam bezeichnet. Die Täter hätten aber genau gewusst, was sie tun müssen und auch eine Methode gewählt, damit es tatsächlich zum Kurzschluss kommt und das Netz lahmgelegt wird.

Demnach sollen die Täter an zwei Strommasten, an denen die Freikabel in die Erde geführt werden, das Feuer mit Benzin gelegt haben. Außerdem wickelten sie eine Eisenkette um Kabel und Strommast. Die Methode: Wenn der Kabelmantel abgebrannt ist, entsteht durch die mit Kabelkern und Strommast verbundene Metallkette ein Kurzschluss. Zudem müssen die Täter im Internet zugängliches Kartenmaterial benutzt haben, aus dem ersichtlich ist, über welche Leitung der Technologiepark versorgt wird.

In Sicherheitskreisen wird von verschiedenen Szenarien ausgegangen. Die reichen von Ökoextremisten, die bereits mit Brandanschlägen auf Infrastruktur und Baufirmen aufgefallen sind, bis hin zu einer aus Russland gesteuerten Aktion.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat den Brandanschlag am Mittwoch als gezielte und gründlich geplante Tat eingeordnet. Es sei auffällig, „dass gezielt offensichtlich diese Verteilerstationen ausgesucht worden sind und nicht willkürlich“, sagte Dobrindt.
„Das heißt, man hat sich darauf vorbereiten müssen. Man hat Analysen erstellen müssen, an welcher Stelle man das Netz hier attackieren will, um einen möglichst großen Schaden auszuüben.“ Man habe es mit einer Gruppe zu tun, „die die Bereitschaft hat, gegen unsere Gesellschaft auch gewaltsam vorzugehen“.

„Spezialwissen nötig“

Für den Anschlag sei Spezialwissen nötig gewesen, sagte der Innenexperte der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Martin Matz. Irgendwo einen Brand legen könne quasi jeder, sagte er im RBB-Inforadio. Allerdings: „Wenn man sieht, wo diese Strommasten in Johannisthal stehen oder gestanden haben, dass die etwas mit der Stromversorgung in Adlershof zu tun haben, ist nicht so völlig einsichtig.“

Matz sieht bei der Frage rund um den Schutz gegen solche Anschläge in der Hauptstadt noch viele Verbesserungsmöglichkeiten. „Wenn wir uns vergleichen mit vor fünf oder zehn Jahren, dann sind wir deutlich besser geschützt“, sagte er. „Aber das ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist.“ Es brauche auch eine klare Debatte über die Gefährdung der kritischen Infrastruktur. Dazu gehöre auch die Frage, wem solche Anschläge nützten.

Martin Wolff, Unternehmer, Digitalexperte, Dozent und Leiter das Clausewitz Netzwerk für Strategische Studien bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, sieht in dem Anschlag „eine neue Qualität“.

Im Gegensatz zum Anschlag auf die Stromversorgung des Elektroautobauers Tesla im brandenburgischen Grünheide im März 2024 hätten die Täter nicht nur ein Unternehmen ins Visier genommen, sondern einen Technologiepark mit mehr als 1300 Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Darunter sind auch Unternehmen, die sogenannte Dual-Use-Produkte entwickeln, die sowohl zivil, als auch militärisch genutzt werden können.

„Der Anschlag ist sehr professionell, gezielt und präzise durchgeführt worden“, sagte Wolff dem Tagesspiegel. „Das muss jemand gut vorbereitet haben.“ Die Wortwahl, dass sich der Anschlag gegen den militärisch-industriellen Komplex in Adlershof richtet, falle auf. „Das ist ein alter linker Kampfbegriff. Das Vokabular des Bekennerschreibens ist dennoch neu.“

Auffällig sei auch, dass sich das Schreiben nicht gegen militärisch-industriellen Komplex in Russland, dem größten Europas, richte. Zwar ermittle die Polizei noch, dennoch stehe auch die Frage im Raum, ob Russland dahinterstecke. „An Russlands Stelle würde ich es mir nicht verzeihen, die linke Szene zu missachten“, sagte Wolff. „Aus nachrichtendienstlicher Sicht war das eher ein leichtes Ziel.“

Der Wissenschaftler forderte besseren Schutz der kritischen Infrastruktur. „Allein der Erhalt der Regierungsfähigkeit und der Schutz der Bundeshauptstadt sind schon gute Gründe, mehr zu tun.“ Forschung und Industrie, ob als Teil oder Zulieferer für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, kämen hinzu. Deutsche Sicherheitsbehörden warnen seit einiger Zeit vor Sabotageakten auf die Infrastruktur – auch durch von Russland günstig angeheuerte „Wegwerf-Agenten“.

Mehr Verteidigungsindustrie in Adlershof erwartet

Bislang bekennt sich der Senat trotz Russlands Feldzug in der Ukraine und der im Bund ausgerufenen Zeitenwende offiziell nicht dazu, Unternehmen, die Dual-Use-Güter produzieren oder Teil der Verteidigungsindustrie sind, besonders unterstützen zu wollen. Dennoch ist für Adlershof klar: Dort sind auch Firmen tätig, die an Technologien arbeiten, die auch militärisch genutzt werden können.
„In diesen Markt wird derzeit sehr viel investiert, deswegen wird er auch in Adlershof wachsen“, sagte Roland Sillmann, Chef der Betreibergesellschaft Wista dem Tagesspiegel Mitte August. „Gekauft wird die Ausstattung sowieso, dann sollten wir sie auch in Deutschland entwickeln. Und warum sollte Berlin als Standort keine Rolle dabei spielen?“

Der großflächige Stromausfall ist nach Angaben des Netzbetreibers schon jetzt der längste derartige Störfall seit mindestens 25 Jahren in der Hauptstadt. Die Reparatur laufe auch Hochtouren. Geplant sei, spätestens Donnerstagabend wieder alle Kunden mit Strom zu versorgen. „Für uns ist das eine neue Qualität. Wir haben einen solchen Anschlag, so einen Brand, als Unternehmen in der Form noch nicht erlebt“, sagte ein Sprecher von Stromnetz Berlin.

Der aktuelle Stromausfall betraf seit Dienstagmorgen anfangs 50.000 Haushalte und Firmen. Darunter waren auch am Mittwoch noch Schulen, die geschlossen hatten, S-Bahnhöfe, Einkaufszentren, einzelne Geschäfte und Pflegeheime. Ein Krankenhaus befindet sich nicht in dem Gebiet. Am Mittwoch, dem zweiten Tag des Stromausfalls, blieben noch Zehntausende Menschen und zahlreiche Firmen und Geschäfte ohne Elektrizität. Laut Netzbetreiber waren davon noch rund 20.000 Haushalten betroffen.

 

passiert am 10.09.2025