Eine Genossin der anderen Art
Der Roman »Der Hund des Terroristen« erzählt die Geschichte einer Generation radikaler Linker aus der Perspektive einer besonderen Beobachterin
Lange Haare, zotteliger Bart, Schlabberkleidung: Die Person auf dem Buchcover könnte direkt einem Klischeebild entsprechen, das Leserinnen der Springerpresse von einem Linksalternativen der 70er Jahre in der BRD oder Westberlin erwarten würden. In den Augen der konservativen Presse hätte sie wahrscheinlich noch eine Zwille oder einen »Molli« in der Tasche. Doch statt dieser Gegenstände findet sich auf dem Cover des Buches eine andere, aber ebenso prägnante Figur: Sheila, ein mittelgroßer Hund, der die zentrale Rolle in dem 2024 im Immergrün-Verlag erschienenen Roman »Der Hund des Terroristen« spielt. Der Titel ist provokant gewählt und bereits auf der ersten Seite wird deutlich gemacht, wie politisch unkorrekt er ist. Klar, von Terroristen schreibt man eher in der Springerpresse, weniger in linken Kreisen. Doch dass der Titel irreführt, erklärt Sheila gleich zu Beginn:
»Scheißtitel. Alles Lüge. Erstmals bin und war ich nie Hund … Ich bin eine Sie. Lebe, fühle, denke und beobachte als Sie. Feminin, Hündin.« Damit wird klargestellt, dass Sheila nicht nur die politischen Debatten der Linken versteht, sondern auch eine subtile, humorvolle Haltung zu ihnen hat. Sie nimmt die Zuschreibung im Buchtitel nicht allzu ernst, lässt sich nicht einfach in die Kategorien ihrer menschlichen Begleiter*innen einordnen.
Eine stille Vermittlerin
Sheila ist eine Ich-Erzählerin, die mit einer großen Portion Selbstbewusstsein und Scharfsinn die Geschichte aus der Perspektive einer Hündin erzählt. Anfangs mag es merkwürdig erscheinen, sich in die Gedanken einer Hündin zu versetzen, die unter Tischen, Sofas oder Betten liegt und deren Napf mit frischem Wasser serviert wird. Doch schnell wird klar, dass diese Erzählweise eine funktionierende literarische Entscheidung ist. Die Erlebnisse der radikalen Linken Westdeutschlands und Westberlins von 1968 bis 1992 werden durch Sheilas Augen von einer besonders aufmerksamen und mitfühlenden Beobachterin erzählt. Durch die Augen eines Hundes erlebt der Leser die politische Szene aus einer ganz anderen, überraschend neutralen Perspektive.
Sheila ist nicht nur eine passive Begleiterin, sondern von Anfang an ein Teil der radikalen Linken. Sie ist immer dabei, wenn sich Linke in Westberlin zu ihren Plena trafen, auch wenn diese oft in kleineren, konspirativen Gruppen stattfinden. Während die menschlichen Protagonist*innen immer wieder politische Konflikte austragen, wird Sheila von allen Fraktionen akzeptiert und als stille Beobachterin in alle politischen Diskussionen einbezogen. Ihre Präsenz als Hündin macht sie zu einer Art Vermittlerin zwischen den verschiedenen, oftmals zerstrittenen Lagern der Linken. Sie hat Zugang zu allen, unabhängig davon, ob die Gruppen sich gegenseitig misstrauen oder sich so verhalten, als befänden sie sich in einem Wettbewerb um die wahre Definition von Revolution.
Das erste Kapitel des Buches widmet sich Sheilas Stammbaum, der bis zur Hundestaffel des Bundesgrenzschutzes (BGS) Ende der 60er Jahre zurückgeht. Dort trifft sie ihren langjährigen Begleiter, der im Buch mit dem Kürzel HAP auftaucht. HAPs Karriere beim BGS endet jedoch rasch, als er sich von den politischen Ereignissen des Aufbruchs von 1968 inspirieren lässt und seinen Weg in die radikale Linke geht. Ab diesem Zeitpunkt wird Sheila zu einem unverzichtbaren Teil seines Lebens und seiner politischen Entwicklung. Sie ist dabei, wenn HAP an den bedeutendsten Ereignissen der radikalen Linken teilnimmt, von der RAF über die verschiedenen kommunistischen Splittergruppen bis hin zu den zivilgesellschaftlichen Bewegungen der 80er Jahre. Nur während HAPs politischer Haft von 1977 bis 1981 sowie während seiner Reisen in den frühen 90er Jahren ist Sheila für kurze Zeit von ihm getrennt. In diesen Jahren lebt sie bei verschiedenen Genoss*innen und führt ihre Beobachtungen fort.
Historisch dichte Erzählung
Die Erzählung, die sich über zwei Jahrzehnte erstreckt, ist so spannend wie historisch dicht. Sheila ist Zeugin vieler wichtiger Ereignisse der linken Geschichte, darunter auch des gescheiterten »Projekts Arthur«, einem ambitionierten Vorhaben der radikalen Linken aus den 80er Jahren, einen Dokumentarfilm über bewaffnete linke Gruppen in der BRD zu produzieren. Der Film sollte die verschiedenen linken Strömungen und Sichtweisen dokumentieren, doch Streitigkeiten und persönliche Animositäten verhinderten seine Fertigstellung. Der »Projekt Arthur«-Konflikt wird im Buch mit einer humorvollen Distanz beschrieben und Sheila gibt ihre subjektive Perspektive auf das Scheitern dieser Initiative preis. Besonders hervorzuheben bleibt die bittere Erkenntnis, dass die radikale Linke hier die Möglichkeit einer gemeinsamen historischen Aufarbeitung verpasste – was viele der Protagonist*innen des Romans in ein zwiespältiges Licht stellt.
Ein weiterer, bedeutender Moment im Buch ist die Erwähnung von Michael Klöckner, einem der Gründer der autonomen Zeitung Radikal, der aufgrund seiner politischen Aktivitäten verhaftet wurde und später als Abgeordneter der Alternativen Liste (AL) ins Europaparlament einzog. Klöckner steht für die Komplexität der politischen Veränderungen innerhalb der radikalen Linken, die viele Beteiligte vom außerparlamentarischen Aktivismus zu institutionellen Karrieren führten. In diesem Zusammenhang taucht auch der Name Gerd Albertus auf, ein Journalist, der enge Verbindungen zur radikalen Linken hatte und in der Taz eine Zeit lang tätig war. Albertus wurde 1987 erschossen, nachdem er von einer palästinensischen Widerstandsgruppe, mit der er zusammenarbeitete, zum Tode verurteilt worden war. Sheila schildert diesen Vorfall mit Objektivität und emotionaler Distanz. Der »Brudermord« wird als Ausgangspunkt für den Auflösungsprozess der Revolutionären Zellen dargestellt, einer der radikalsten Gruppen der deutschen Linken.
Ein interessantes, aber auch bedauerliches Detail ist, dass das Buch keinen Bezug auf die Debatte um linken Antisemitismus nimmt, die nach Albertus‘ Tod aufkam. Die Tötung Albertus‘ und die damit verbundenen politischen Spannungen führten zu einer intensiven Auseinandersetzung über die Problemstellung des Antisemitismus innerhalb der radikalen Linken, was in den frühen 90er Jahren zu einer wichtigen öffentlichen Diskussion führte. Es ist bemerkenswert, dass Sheila diese Entwicklung, obwohl sie als Erzählerin scheinbar allwissend ist, nicht aufgreift. Vielleicht war dies eine bewusste Entscheidung des Autors, um die subjektive Wahrnehmung Sheilas und ihre begrenzte Sichtweise zu betonen.
Trotz dieser ausbleibenden Auseinandersetzung mit einem der umstrittensten Themen der Linken ist »Der Hund des Terroristen« ein faszinierendes und einzigartiges Buch, das die Geschichte einer Generation radikaler Linker aus der Perspektive einer außergewöhnlichen, unvoreingenommenen Beobachterin erzählt. Es ist eine Geschichte von Träumen, Niederlagen, kleinen Siegen und vielen ausgelassenen Feiern, die durch die Augen der Hündin gesehen werden – ein literarischer Blickwinkel, der die Geschichte lebendig und zugleich mit einem Hauch von Melancholie versieht. Besonders gelungen ist auch die musikalische Untermalung des Buches: In jedem Kapitel sind QR-Codes integriert, die es den Leser*innen ermöglichen, die passende Musik zu den jeweiligen Ereignissen zu hören. Diese musikalische Begleitung macht das Lesen zu einem multisensorischen Erlebnis und lässt die linke Geschichte auf eine ganz neue Weise lebendig werden.
passiert am 28.12.2024