Reflektionen über unsere Soliarbeit im Antifa-Ost Verfahren
Wir sind die Soligruppe des Berliner Angeklagten in diesem Verfahren. Auch wenn die Fahrten nach Dresden erst mal enden, führen wir unsere Soliarbeit weiter, auch in der Vorbereitung auf die kommenden Jahre, die unser Gefährte in Gefangenschaft verbringen soll.
Wir wollen hier eine Reflexion zu unserer Prozessbegleitung teilen, der persönlichen Unterstützung des Angeklagten, dem täterschützenden Verhalten eines Teils des Soli-Umfeldes in Bezug auf Johannes Domhöver, aber auch auf weitere Täter im Umfeld des Soli-Antifa-Ost Bündnisses (SAO).
Wir hoffen, dass andere aus unseren Erfahrungen in diesem Prozess etwas ziehen können, um gemachte Fehler nicht zu wiederholen. Wir möchten aber auch unsere Arbeit darlegen, um uns kritisierbar zu machen. Unser Fokus liegt dabei auf den Auseinandersetzungen zu Sexismus und patriarchaler Gewalt, Organisierung im Bündnis und prozess-taktischen Überlegungen.
Das Verfahren
Im so genannten Antifa-Ost Verfahren wurden am 31. Mai 2023 vier Antifaschist*innen am Oberlandesgericht Dresden zu 2 Jahren und 5 Monaten und bis zu 5 Jahren Haft verurteilt.
Es war an über 100 Tagen darüber verhandelt worden, ob die vier an verschiedenen Aktionen gegen Neonazis im Raum Thüringen und Sachsen beteiligt gewesen seien und zusätzlich darüber, ob sie dafür eine kriminelle Vereinigung nach §129 gegründet hätten und darin Mitglied oder Unterstützer dieser gewesen seien.
Seit der Gesetzesreform 2017, pünktlich zum G20 Gipfel in Hamburg, wurde die Strafbarkeit nach dem Gesinnungs-Paragrafen 129 ausgeweitet. Seit dem müssen weder vereinsähnliche Strukturen nachgewiesen werden, noch werden konkrete Kriterien an die Mitgliedschaft geknüpft. Es geht ausschließlich um die längerfristige Verfolgung eines „gemeinsamen übergeordneten Interesses“ und den Nachweis, dass der Zweck der Vereinigung in der Begehung von Straftaten liege. Laut Gesetz müssen diese Straftaten jedoch weder „vorbereitet“ noch „geplant“ sein, allein die Ausrichtung darauf muss nachzuweisen sein. Für diesen losen Zusammenschluss werden nun nicht mehr drei Menschen benötigt, sondern nur noch zwei.
Für den vorsitzenden Richter in Dresden reichten die Aussagen des Kronzeugen über angeblich regelmäßige Kampfsporttrainings, um diese Argumentation der, auf die Begehung von Straftaten ausgerichteten Gruppe, begründen zu können.
Die Ausgangshypothese der Bundesanwaltschaft (BAW), die Existenz einer kriminellen Vereinigung unter der Führung von zwei Personen, musste unter allen Umständen Hand und Fuß bekommen. So wurde im Laufe des Prozesses von der Soko Linx und mit Hilfe des Kronzeugen Domhöver eine “Kreis-Theorie” der Mitgliedschaft erfunden, um jene These, an der alle Glaubwürdigkeit des Staates hing, zu untermauern. Selbst ein sportlicher Körperbau, konnte als zentrales Einsatzwerkzeug für die Vereinigung deklariert werden.
Der Gefährte den wir unterstützen, ist erst im Laufe der Ermittlungen in den Beschuldigten-Status gerutscht. Und saß dann recht überraschend als einer der vier scheinbar sehr willkürlich Ausgewählten auf der Anklagebank. Wir mussten also recht spontan auf diesen Umstand reagieren und begannen uns erst einen Monat vor Verfahrensbeginn als Soli-Struktur zu finden. Zurecht finden mussten wir uns in Bezug auf schon bestehende Soli-Strukturen, auf die Art und Weise wie wir arbeiten wollen und wie wir miteinander einen guten Modus finden können.
Im Zentrum dieser Anfangsphase standen der Wunsch nach einer politischen Ausrichtung der Soliarbeit und Prozessstrategie, die logistischen Aufgaben, die Unterstützung des Angeklagten und patriarchale Dynamiken.
Es gab den Versuch politische Arbeit zum Verfahren und logistische als auch soziale “Care”-Aufgaben für den Angeklagten zu trennen, um so vor allem einer Forderung von FLINTA* nachzukommen.
Dieser Versuch scheiterte. Zum einen an der generell geringen Beteiligung von Typen an der Soligruppe, aber auch aufgrund der Aufgabenstellungen der ersten Monate, die unseren Fokus sehr schnell von politischen Strategien hin zu internen Prozessen lenkten.
Zu Prozessbeginn im Herbst 2021 wurde durch mehrere Outcalls öffentlich, dass Johannes Domhöver ein Vergewaltiger ist. Er war einer der Beschuldigten in diesem Verfahren und wurde 2023 vom Landgericht Meiningen, wegen Körperverletzung, zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.
Damit gingen viele interne Prozesse in den Soli-Strukturen los, um massives täterschützendes Verhalten auf zu decken. Erst in diesem Verlauf kamen weitere Täterschaften und patriarchale Machtverhältnisse im SAO zum Vorschein (www.soli-antifa-ost.org/taeterschaft-ta….
Im Winter 2022 lief Johannes Domhöver zu den Bullen über, wurde für dieses Verfahren Kronzeuge und versucht seitdem mit deutschen Polizei- und Staatsschutzbehörden so viele Linke wie möglich, durch Fotos und Namen, die ihm vorgelegt werden, ans Messer zu liefern.
Unser Verhältnis zum SAO
Wir sind als Soligruppe des Berliner Angeklagten offiziell Teil der SAO Gesamt-Struktur, die jedoch ohne uns aufgebaut worden war. Das heißt, wir fühlen uns verantwortlich für Kritik, die sich in den letzten zwei Jahren angestaut hat oder bereits formuliert wurde. Gleichzeitig ist es uns wichtig das, von Anfang an ambivalente Verhältnis, wie wir es wahrnahmen, zu beschreiben. Noch dazu vermuten wir bei vielen ein (unausgesprochenes) Unverständnis darüber, wo wir uns als Berliner Soligruppe in der Struktur SAO verorten.
Die über dutzend Beschuldigten des Verfahrens und speziell die weiteren drei Angeklagten kamen aus verschiedenen Städten und verschiedenen sozialen und politischen Zusammenhängen.
Dies brachte mit sich, dass in unserer Soligruppe eine eher distanzierte Haltung zu diesen aber auch zu Leuten bestand, die die Struktur des SAO mit aufgebaut hatten.
Da es zur Anfangszeit thematisch fast ausschließlich um den Outcall von Johannes Domhöver ging, aber auch schon andere Täter- und Täterschutzvorwürfe im Umfeld des SAO „unaufgeklärt“ im Raum standen, war das Verhältnis zu einigen Männern des SAO für viele von uns kompliziert und abwartend. Ganz simpel waren auch räumliche Distanzen ein unterschätztes Problem.
Wir tendierten in den ersten Monaten dazu, aufgrund der persönlichen (Nicht-)Bekanntschaften, dem Wissen zu (fehlenden) Auseinandersetzungen zu Täterschaften und generell aufgrund der erzwungenen Online-Kommunikation nicht näher an das SAO heran zu rücken.
Wir haben zu keinem Zeitpunkt verlässlich Strukturaufgaben, die ein jedes Verfahren mit sich bringt, aus den Strukturen des SAO übernommen. Es haben sich auch nur wenige von uns in der Verantwortung gesehen, verlässlich all die Informationen, die es gab, einzuholen, wöchentlich Protokolle zu lesen oder ansprechbar zu sein. Wir haben früh erkannt und kommuniziert, dass wir einen Fokus auf die Unterstützung allein „unseres“ Angeklagten legen werden und tragen können.
Wir haben völlig zu Recht über die Jahre immer wieder Kritik aus “der” Struktur bekommen, zu wenig Aufgaben für das gesamte Verfahren mit zu erfüllen.
An obiger Entscheidung haben wir jedoch bis zum Ende fest gehalten, was es für gemeinsame Textarbeit, soligruppen-übergreifende Treffen und spontane Entscheidungsfindungen auf allen Seiten erschwerte. Vor allem auch für den Berliner Angeklagten selbst. Diese distanzierte Haltung beizubehalten führte auch dazu, dass Kritik von beiden Seiten erst mal mit Skepsis behandelt wurde und weitere, vor allem soziale Hürden, aufgebaut wurden.
Wir hatten somit zum einen das Privileg uns raus halten zu können zu Dingen, die außerhalb Berlins passierten und andererseits wurden wir somit auch nicht immer als solidarisches Umfeld mit gedacht.
Ein Beispiel dieses unklaren Verhältnisses war die Phase, als wir versucht haben zu einer Entscheidung zu kommen, ob und wie wir das Alibi für den Berliner Angeklagten einbringen sollten. Wir hatten vorgeschlagen einen Text dazu zu verfassen, der im Namen des SAO hätte veröffentlicht werden können, da wir die Pro und Kontras dieses Prozesses transparent machen wollten.
Im Namen des SAO wurde dann ein Text zeitgleich mit der Einführung des Alibis veröffentlicht, in welchem unser Entwurf nicht enthalten war.
Wir veröffentlichten kurz darauf einen „eigenen“ Text zur Entscheidungsfindung als Soligruppe Berlin.
Dies ist ein Beispiel dafür, dass oft Missverständnisse, vermutbare unterschiedliche Ansätze zu Prozessführung und unausgesprochene Erwartungen den Raum füllten, statt die Einladung zu einer Diskussion.
Zusammenfassend ist für uns die Hierarchie der Struktur SAO ein Hauptkritikpunkt und gleichzeitig eine Art Ausrede, sich nie ausreichend in die Struktur eingebunden zu haben, die ohne uns aufgebaut worden war.
Wir würden es ein wenig provokant so formulieren, dass wir in der Struktur des SAO von Beginn an einen Versuch sahen, Soliarbeit zu professionalisieren beziehungsweise zu bürokratisieren. Das ging mit einer Konzentration von Kompetenzen und Aufgabenverteilung einher und mit etlichen Regeln und Vorstellungen, wie Dinge organisiert und entschieden werden sollten.
Die Aufgabenverteilung, oft anhand von Kennverhältnissen verteilt, war von Beginn an intransparent, was dazu führte, dass wir uns nicht angesprochen fühlten und zugleich immer mit dem Vorwurf konfrontiert sahen, uns nicht an der richtigen Stelle zu beteiligen.
Auch in formalen Abläufen und organisatorischer Arbeit muss es darum gehen, soziale Bezüge aufzubauen oder zumindest zu berücksichtigen. Diesen zwischenmenschlichen Ebenen haben wir und auch viele andere im SAO nicht geschafft eine größere Rolle zuzugestehen und waren somit nicht in der Lage zusammen zu wachsen.
Aufgabenkonzentration in wenigen Händen hat immer viele Seiten. Jene, dass einige zu wenig übernehmen und jene, dass Charaktere in der Szene sozialisiert und anerkannt sind, die sich „gerne“ übernehmen, Wissen anhäufen und sich damit auch schwer kritisierbar machen.
Aber auch jene, dass vor allem Männer wichtige Positionen (in Praxis und Politarbeit) besetzen, obwohl sie oft nicht in der Lage sind, Verantwortung und Konsequenzen ihres Handelns persönlich zu tragen.
In einem 129er Verfahren ist womöglich die größte Herausforderung, Soliarbeit auf vielen Schultern aufzuteilen ohne daran zu zerbrechen und sich unter Konflikten zu begraben.
Da wir in diesen Prozessen vor allem darunter leiden, dass Soliarbeit eben doch erst dann passiert, wenn es an allen Ecken brennt, nehmen wir uns auch mit diesem Text fest vor, wenigstens nicht den Fehler zu begehen, das Urteil als willkommenen Abschluss zu betrachten.
Somit müssen Diskussionen auch unter uns und in Bezug auf anstehende Repression immer wieder eingefordert werden.
Es geht nicht darum immer mit allen zu reden und sich kennen zu lernen, bevor eine Struktur aufgebaut wird. Aber es muss darum gehen, politische Entscheidungen, die in diesem Verfahren oft eine ganze Bewegung betreffen, transparent zu machen, und damit kritisier- und veränderbar.
Wichtige Prozesse innerhalb unserer Soliarbeit
Innerhalb der vergangenen zwei Jahre sind wir nur selten an die Öffentlichkeit getreten und auch innerhalb des SAO haben wir uns nur sehr punktuell eingebracht. Wir wollen im Folgenden darauf eingehen, welche Diskussionen und Prozesse wir geführt bzw. angestoßen haben.
Eine kollektive Auseinandersetzung um Alibis
Im März 2022 wurde durch unsere Verteidiger*innen ein Beweisantrag bezüglich eines Alibis des Berliner Angeklagten für den Tatvorwurf Eisenach II, eingereicht (kontrapolis.info/6749/). Grob zusammengefasst, konnte durch die Videoüberwachung der Haustür unseres Gefährten im Rahmen eines anderen 129 Verfahrens, sowie durch abgehörte Telefongespräche, etabliert werden, dass er sich zu der Zeit der Intervention in Eisenach, in Berlin aufhielt. Der BAW war dies natürlich bekannt, anderes belastendes Material aus dem Berlin/Athen Verfahren verwendeten sie schließlich auch im Dresden Prozess.
Wir führten damals wochenlang Diskussionen darum, ob wir dieses Alibi als Beweisantrag einbringen sollen oder nicht. Wir luden zu einem Treffen mit Freund*innen und Gefährt*innen ein, um uns Ratschläge und Kritik einzuholen. Schlussendlich haben wir die Entscheidung das Alibi einzuführen alleine als Soligruppe getroffen. Unsere ausführliche Erklärung dazu, lässt sich ebenfalls im oben genannten Text nach lesen. Wir dachten wir können dies als einen offensiven Moment nutzen, um einer breiten Öffentlichkeit die Handlungsweisen und Machenschaften der BAW auf zu zeigen. Diese Entscheidung zu treffen, ist uns nicht leicht gefallen. Wir haben eine immense Verantwortung gespürt dahingehend, unsere Überzeugungen und Haltung zu wahren und niemanden durch ein Alibi zu gefährden oder zu belasten. Gleichzeitig lässt sich nicht von der Hand weisen, dass natürlich die drohenden Haftstrafen ein Argument waren, welches immer im Hinterkopf war.
Von Seiten unserer Anwält*innen haben wir einen großen Druck verspürt, schnell eine Entscheidung zu treffen. Wir haben trotzdem versucht uns die Zeit zu nehmen, die wir gebraucht haben, um eine kollektive Diskussion mit vielen Beteiligten führen zu können, um schlussendlich zu einer Entscheidung zu kommen, die kontrovers war, aber hinter der wir stehen konnten. Allerdings, wie auch so vieles andere schon, ignorierte die BAW und der vorsitzende Richter das Alibi und unser Freund wurde trotzdem zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Sozialprognose
Als das Ende des Prozesses wahrscheinlicher wurde, brachten die Verteidiger*innen die Option der Sozialprognosen konkreter ins Spiel. Hintergrund war die bekannte Annahme einer möglichen Reduzierung der Haftstrafe durch eine positive Sozialprognose. Es gibt keine vorgeschriebene Form dieser Äußerung und somit liegt die Verantwortung bei einem selbst, einzuschätzen, was das Gericht hören will und wie es ausgeführt wird. Wir führten einige Diskussionen innerhalb der Soli-Strukturen. Eine gemeinsame Herangehensweise konnte nicht gefunden werden.
Zwei Angeklagte ließen einige Wochen später ihre Sozialprognosen von ihren Verteidiger*innen vortragen. Die Angeklagte trug ihr Statement zur Sozialprognose eigenständig vor. Der Berliner Angeklagte hatte sich von Beginn an gegen eine Sozialprognose ausgesprochen, worin wir ihn als Soligruppe unterstützten. Unserer Meinung nach, beinhaltet das Einbringen einer Sozialprognose ein indirektes Bekenntnis zu “rechtsstaatlichen Werten” und zu dem Ziel ein “anständiges, widerstandsfreien Leben” führen zu wollen.
Hier werden Klassenverhältnisse und Privilegien wirksam, indem diejenigen, die einen mustergültigen Lebenslauf, ohne Auffälligkeiten oder sogar inklusive Karriere-Perspektiven, aufweisen können, von der Richter*innenbank und Öffentlichkeit (vermeintlich) wohlwollender bedacht werden können. Wir finden es wichtig, die unterschiedlichen Möglichkeiten und Voraussetzungen der Menschen, mit denen wir gemeinsam auf der Anklagebank sitzen, einzubeziehen, wenn solche Entscheidungen getroffen werden müssen.
In der Konstellation im Antifa-Ost Verfahren, war es nicht allen Angeklagten in der gleichen Weise möglich, eine vorteilhafte Sozialprognose vor zu tragen.
Wir sehen das Einbringen dieser, auch retrospektiv, als einen Moment des Nachgebens gegenüber dem Gericht an, auch wenn wir die Beweggründe nachvollziehen können, wie z.B. die Hoffnung auf reduzierte (Haft-)Strafen. Insbesondere bei Lina, die einer Fülle an hetzerischer Berichterstattung ausgesetzt war, durch die Untersuchungshaft nur bedingt in der Lage war an Diskussionen teil zu nehmen und die Untersuchungshaft natürlich einen großen Druck mit sich bringt.
Diese Auseinandersetzung ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig es ist in jenen unterschiedlichen Situationen, in denen sich die Angeklagten befanden, einen Weg zu finden, den alle mittragen können, der aber niemanden am Ende schlechter dastehen lässt.
Täterschaften
Nach dem Outcall von Johannes Domhöver, war die Auseinandersetzung mit Täterschaften, Täterschutz und patriarchalem Verhalten eine konstante Begleitung in der Soliarbeit. Es wurde aber auch deutlich, dass es keine genügende Ehrlichkeit insbesondere der cis-männlichen Beteiligten in dem SAO über ihre eigenen Rollen als Täter oder Täterschützer gab. Immer mal wieder erreichten uns Informationen, meistens in Form von Gerüchten, über Menschen mit denen wir mal mehr, mal weniger eng zusammen arbeiteten. Wir konnten immer wenig mit diesen Informationen anfangen. Wir blieben mit dem Gefühl zurück, dass viel im Argen liegt, wir aber nicht genügend Zugang zu Informationen hatten, um einschätzen zu können, über was für einen Umfang wir sprechen oder wie die Auseinandersetzungen um diese Vorwürfe laufen. Gegenseitiges Vertrauen konnte so nur schwer entstehen, was eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit erschwert hat.
Da wir vor diesem Verfahren zu einem Großteil der im SAO Beteiligten keine Verbindung hatten, war es sehr schwer für uns Vertrauen auf zu bauen. Es gab auch in Berlin viele Vorwürfe, mit denen wir uns auseinander setzen wollten, auch gegen den Berliner Angeklagten. Wir hatten jedoch wenig Energie, in aufwendiger Detektivarbeit zu versuchen heraus zu finden, was dem Rest der Männer innerhalb des SAO vorgeworfen wird. Dennoch sahen und sehen wir uns in einer gewissen Verantwortung. Schlussendlich forderten wir von allen cis-Männern eine Klarstellung, ob und wenn ja welche Vorwürfe gegen sie im Raum stehen und inwiefern sie aktiv oder passiv Täterschutz betrieben hatten, nicht nur auf Johannes bezogen. Dies wurde auch versucht um zu setzen, viele Dinge wurden aufgeklärt, aber viele leider auch nicht. Mit einigen Fragezeichen blieben wir zurück. Die Auswertung bzw. der Zwischenstandsbericht der Männer innerhalb des SAO hat leider sehr lange auf sich warten lassen.
Umgang und Konsequenzen aus dem Outcall von Johannes Domhöver
Direkt am Anfang des Verfahrens und damit auch in der Phase des Zusammenfindens unserer Soli-Struktur, sahen wir uns mit dem Outcall von Johannes Domhöver und unserer Verantwortung darin konfrontiert. Johannes Domhöver, der sich jahrelang in Teilen unseres Umfeldes unwidersprochen bewegen konnte, wurde im September 2021 durch mehrere öffentliche Texte als Vergewaltiger und grenzüberschreitender Täter geoutet. Die darauf folgenden Kritiken und Auseinandersetzungen begleitenten uns das zwei Jahre andauernde Verfahren und bis heute.
Dass sich Johannes Domhöver circa ein Jahr nach den Outcalls entschieden hat, mit den staatlichen Behörden zusammen zu arbeiten und in dem Antifa-Ost Verfahren, sowie gegen viele weitere vermeintlich subversive Strukturen auszusagen, ist nur ein weiterer Verrat seinerseits, der sich in sein generell unpolitisches, egomanes Verhalten einreiht. So spielte dieser weitere Verrat in unserem Diskurs auch keine größere Rolle, als seine misogynen Taten.
Wir versuchen uns mit dem Outcall von Johannes Domhöver und unserer Verantwortung auseinander zu setzen, die Teile der Soligruppe als täterschützendes Umfeld tragen. Für uns ergeben sich daraus Konsequenzen für emanzipatorische Politik im allgemeinen und praktische Konsequenzen für unser eigenes Handeln im besonderen, die wir versuchen würden hier zu teilen.
Wir sind immer interessiert an Kritiken und Einschätzungen dazu (siehe Textempfehlungen unten).
Seit dem Sommer 2020 gab es bei einigen aus der Soligruppe das Wissen vom gewaltvollen Handeln von Johannes Domhöver aus den Akten. Versuche der Auseinandersetzungen mit und um Johannes fanden bereits vor der Gründung der Soligruppe um den Berliner Angeklagten statt. Auf dem zweiten Kennenlern- und Gründungstreffen der Soligruppe und ca. einen Monat vor dem Outcall, fand die Offenlegung der von Johannes ausgehenden Gewalt statt. An diesen Findungstreffen nahmen auch Leute teil, die sich täterschützend verhalten hatten. Einige davon blieben Teil der Soligruppe.
Eines der grundlegenden Probleme von Beginn der Aufarbeitung um Johannes, lag bereits darin, dass ein sehr kleiner Kreis Informationen hortete und ohne Input von außen, versuchte einen Umgang mit diesem Wissen zu finden Dies resultierte in einer komplett unsensiblen und grenzüberschreitenden Kontaktaufnahme mit der Betroffenen.
Im Sommer 2021 fand ein internes Treffen statt, bestehend aus dem Umfeld des Angeklagten, zur Kritik an einem Vice-Interview, was der Angeklagte nach seiner vorherigen Knaststrafe gegeben hatte. Ein Treffen hierzu war für FLINTA*, die sich vorstellen konnten, Soliarbeit für ihn im Rahmen des SAO zu machen, eine Grundvoraussetzung gewesen.
Der kurze Zeit zuvor veröffentlichte Outcall über Johannes Domhöver verstärkte die Wut von FLINTA* über mangelnde Auseinandersetzungen und über fortlaufendes Schweigen von Typen, zu dem Vergewaltiger Johannes aber auch in Bezug auf alltägliches misogynes Verhalten.
Auf diesem Treffen forderten FLINTA*, dass alle anwesenden Typen sich in Gruppen organisieren sollen, in denen sie sich kritisch mit ihrer Männlichkeit, mit Täterschutz und Sexismus auseinandersetzen sollen. Eine Forderung von FLINTA* der Soligruppe war, dass regelmäßige Updates aus den Männerrunden Teil der Treffen sind, welcher aber nur teilweise nachgekommen wurde.
Ein Punkt unserer Aufarbeitung war die Rückschau darauf, dass vor allem FLINTA* unsere Gruppe in den ersten Monaten verlassen haben. Gründe lagen generell in der patriarchalen Dynamik und im besonderen in der fehlenden Verantwortungsübernahme des Angeklagten für sein Auftreten im Rahmen des oben genannten Vice-Artikels.
Zeitgleich mit dem Outcall von Johannes Domhöver, erreichte uns eine Mail von einer Antifa-Gruppe aus Berlin mit der Forderung um Transparenz und Aufklärung bezüglich der Nähe zu Johannes und einer Positionierung zu dem Outcall. Als Reaktion erarbeiteten wir auf den ersten Soligruppen-Treffen eine Chronologie zu den Ereignissen, Wissensständen und den Auseinandersetzungen um Johannes Domhöver. Ziel war es auch für uns Transparenz untereinander herzustellen, da es in der Soligruppe sehr unterschiedliches Wissen um und über Johannes und täterschützendes Verhalten gab. Daraus entstand eine interne Zusammenfassung, die jener Antifa-Gruppe aber auch anderen unterstützenden Gruppen gegeben wurde.
Da der überwiegende Teil der Soligruppe Johannes nicht mal kannte oder mit ihm nichts zu tun hatte, haben wir entschieden, die weitere Aufarbeitung von patriarchalen Dynamiken um Johannes nicht auf unserem Plenum statt finden zu lassen.
Trotzdem glauben wir, dass diese intensive Phase viel in Bezug auf die weitere Plenums-Dynamik verändert hat, weil wir gemeinsam versucht haben als zusammen gewürfelter Kreis Verantwortung zu übernehmen, kritisch nachzufragen und sich in Diskussionen zu dem Thema weiter einzumischen.
Was haben wir verändert?
Eine bedeutsame Frage, die sich aus der Auseinandersetzung um Täterschutz und Verantwortungsübernahme um Johannes Domhöver ergibt, ist wie wir Beziehungen zu unseren Gefährt*innen und Freund*innen führen.
Es gibt sicherlich Gründe und Momente, in denen wir mit Menschen zusammen arbeiten und handeln, die wir nicht näher kennen und mit denen wir keine Grundsatzdiskussionen führen müssen. Insbesondere, wenn wir nur temporär und für kurze Momente zusammen kommen. Es hat natürlich auch Sicherheitsgründe, nicht zu viel von sich preisgeben zu wollen oder zu können. Arbeiten wir aber längerfristig zusammen und teilen möglicherweise auch einen sozialen Alltag, müssen wir eine Vertrauensgrundlage schaffen, die auf mehr beruht als nur ähnlich zu handeln.
Unsere Kämpfe haben keine revolutionäre Perspektive, wenn sie nicht einhergehen mit einer Auseinandersetzung der eigenen Sozialisation, Handlungsweise und Beziehungen untereinander. Auch eine Diskussion um die Konsequenzen unseres Handelns gehört dazu. Wie gehen wir mit Repression um? Was macht unser Handeln mit uns, wie verändert es uns vielleicht auch? Unsere Kämpfe sind nicht nachhaltig, wenn wir an den Konsequenzen unseres Handelns zerbrechen. Gespräche über Ängste und auch über unsere eigenen Limitationen sind eine Bedingung für militantes Handeln.
Unterstützung beim Prozess
Ein sich über Jahre ziehender Gerichtsprozess stellt für die Angeklagten aber auch alle unterstützenden Personen eine hohe, nicht nur zeitliche, Belastung dar. An zwei Tagen in der Woche mussten die meisten Beteiligten aus anderen Städten oder Bundesländern nach Dresden fahren. An allen Prozesstagen eine Begleitung des Angeklagten durch mehrere Leute von uns zu gewährleisten, war über die gesamte Dauer des Prozesses unser Anspruch, faktisch gelang es oft jedoch nur gerade so ein bis zwei Leute mit freien Kapazitäten unter uns zu finden.
Als Berliner Gruppe wäre uns eine durchgehende Prozessbegleitung nicht möglich gewesen, ohne die solidarische Unterstützung von Hausprojekten vor Ort, die uns über alle Monate hinweg Übernachtungen ermöglicht haben, egal wie kurzfristig unsere Anfragen mitunter waren. Dafür auch an dieser Stelle noch einmal Danke!
Generell wollen wir nicht vergessen, wie viel stille und oft ungedankte Arbeit Einzelner in die Begleitung der Prozesstage geflossen ist. Vom kontinuierlichen Schreiben detailierter Prozessberichte, über die tägliche Versorgung der Prozessbesucher*innen mit Kaffee und Tee, bis zum emotionalen Support für Angeklagte und Unterstützer*innen nach besonders aufwühlenden Tagen: Nichts davon selbstverständlich, aber die notwendige Basis für alles weitere.
Prozessarbeit
Vieles aus den Prozesstagen sprachen wir in unserem kleinen Kreis vor und nach, aber trugen davon nichts an die Öffentlichkeit. Wir trafen uns regelmäßig mit den Anwält*innen des Berliner Angeklagten und im Laufe des Verfahrens, nahmen wir auch gelegentlich an größeren Treffen mit den Verfahrensbeteiligten teil. Die Prozessarbeit war häufig sehr ermüdend und zehrend. Immer wieder hatten wir das Gefühl, dass es innerhalb der gesamten Soli-Struktur sehr unterschiedliche Vorstellungen einer (offensiven) Prozessstrategie gab.
Im Gerichtssaal selbst, kam es eigentlich zu keinem Zeitpunkt zu größeren Zwischenfällen, außer einigen kurzen Momenten innerhalb der Befragung Johannes Domhövers oder dem Urteilsspruch. Jeder noch so kleine Zwischenruf oder Lacher, wurde sofort vom Gericht durch Androhen von Sanktionen unterbunden.
Rückblickend würden wir sagen, dass es auch sinnvoll gewesen wäre, diesen Schauprozess mehr als Bühne zu benutzen, um zum Beispiel das ein oder andere Statement der Angeklagten zu hören. Wir glauben es hätte im Gericht mehrere Momente gegeben, die wir hätten versuchen sollen zu nutzen, um der dominierenden Meinungsmache des Gerichts und der Medien etwas entgegen zu setzen.
Zu Beginn hatten wir noch die Hoffnung, dass es für die Angeklagten auch im Gericht den Raum geben würde, eigene Positionen in den Prozess zu tragen. Nachdem der Richter allerdings den Versuch der Angeklagten ein Statement (https://www.soli-antifa-ost.org/erklaerung-zum-zeugen-domhoever-vom-23-11-2022/ ) bezüglich Johannes Befragung zu verlesen, umgehend unterband, mussten wir uns eingestehen, dass das Gericht alles dafür tun würde, den Angeklagten eben diesen Raum nicht zu gewähren.
Verhältnis zu den Anwält*innen
Das Verhältnis zu Anwält*innen ist meistens, insbesondere in großen Strukturverfahren, schwierig und ambivalent. Sie stellen Vertrauenspersonen dar und wir legen viel Wert und Vertrauen in ihre juristische Expertise. Gleichzeitig beißen sich häufig juristisch sinnvolle Herangehensweisen, um niedrige Strafen für die Angeklagten raus zu schlagen, mit offensiven Prozessstrategien.
Teilweise fühlten wir einen großen Druck unserer Anwält*innen, Entscheidungen schnell zu treffen, auch wenn wir Zeit brauchten, die Konsequenzen unserer Entscheidungen abwägen zu können. Wir versuchten uns diesem Druck nicht zu beugen und uns die Zeit zu nehmen, die wir brauchten. Das war nicht einfach, weil wir auch eine große Verantwortung gespürt haben, um weder den Angeklagten zu schaden, noch Strategien mit zu tragen, die wir eigentlich politisch nicht vertreten können. Es sind und waren am Ende häufig Kompromisse, die wir eingegangen sind, beziehungsweise, die zusammen eingegangen wurden.
Abschluss
Wir würden eine Zusammenfassung von unserer Soliarbeit aus beginnen.
Wir konnten die Soliarbeit für uns so gestalten, dass wir durch Kritik und Reflexion, Verbindlichkeit, Vertrautheit, Ehrlichkeit aufbauen konnten und auch Spaß an den Treffen hatten. Trotzdem gab es in der Zeit immer wieder Momente der Enttäuschung, in denen wir wütend, frustriert und fassungslos voreinander saßen.
Es gibt aber auch positive Zeichen dafür, dass sich nun bildende Soli-Strukturen für die zukünftig anstehenden Verfahren, patriarchale Mechanismen weit mehr auf dem Schirm haben. In diesem Sinne gab es in Berlin dieses Jahr auch ein Treffen, auf dem sich das SAO, einige Männer aus Johannes Domhövers altem Umfeld und wir uns der Kritik von fehlender Transparenz und Täterschutz stellten.
Positiv behalten wir das Beispiel für Berlin im Kopf, in Bezug auf die Entscheidung um das Alibi, auf breitere Strukturen zurück gegriffen, die Diskussion geöffnet und nach Rat und Einschätzungen gefragt zu haben.
Unsere Texte sind ein Produkt aller aus der Gruppe, so wie wir auch bei Entscheidungen versucht haben durch Aufschub alle einzubeziehen.
Ein negativer Punkt bleibt für uns, dass unser „Angeklagter“ eine zentrale Rolle in unserer Struktur eingenommen hat, über ihn fast jede Kommunikation verlief und somit viel Verantwortung, Kosten und Zeitstress auf seinen Schultern bis heute lasten.
Allgemein finden wir auffällig, dass weder Tumult im Gerichtssaal organisiert oder etabliert werden, noch anderweitig Druck von außen aufgebaut werden konnte. Es gab für die Größe und Bedeutung des Verfahrens vergleichsweise wenige Soli-Aktionen.
Es fehlten auch öffentliche Debatten zur Prozesführung (positives Gegenbeispiel: antifainfoblatt.de/aib137/antifa-ost-ve… ) oder generell (bestärkende) Beiträge zur Verteidigung von antifaschistischer Arbeit, geschweige denn von Militanz mit Bezug zu diesem Verfahren.
Es blieben vielmehr Gefühle von schwindendem Interesse, Machtlosigkeit und fehlenden Perspektiven. Dahingehend gab es auch wenig Vernetzung unter weiteren Strukturen, obwohl es von Stuttgart, über Frankfurt, Nürnberg, Leipzig, Berlin bis nach Hamburg extrem großen Repressionsdruck gegen militante Strukturen und auch Knaststrafen gibt.
Ein erheblicher Teil fehlender Bezugnahme und abwartender Haltung liegt, vermuten wir, in dem Versagen begründet, sich mit patriarchalen Machtverhältnissen und sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen auseinander zu setzen und wo nötig, öffentlich transparent zu sein.
Ein anderer Grund wird in der allgemeinen Situation des Rückzugs öffentlich sichtbarer Bezugnahmen liegen, vor allem sogenannter Antifa-Zusammenhänge. Ebenso wie in dem etablierten Schweigen jener Strukturen zu Repression, statt Öffentlichkeit und Austausch zu suchen. Fehlende politische Texte aus den Soli-Strukturen und die „Stille“ im Gerichtssaal, aber auch das Fehlen politischer Stellungnahmen der Angeklagten haben diese Haltung leider gefördert. Trotzdem kommt dem Zusammenstehen der Angeklagten ohne Alleingänge und ihrem Schweigen vor Gericht ein nicht zu unterschätzender Wert zu.
Wir hoffen sehr, dass aus den offensichtlichen Fehlern gelernt werden kann. Angefangen bei der Organisierung in Kleingruppen, bei welcher patriarchale Verhaltensweisen erkannt, angesprochen und bekämpft werden müssen. Über den Umgang mit Repression, der nicht nur immer Teil unserer Kämpfe und Planungen sein muss, sondern unsere Strukturen auch stärken und uns besser vernetzen könnte. Soligruppen sollten unabhängig(er) von den Angeklagten politisch arbeiten.
Wir sind bestimmt nicht die ersten, die diese Fehler jetzt gemacht haben aber vielleicht müssen andere sie ja nicht wiederholen 😉
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