Räumung in Berlin: »Sich zu wehren, tut der Seele gut«

Berliner Polizei setzt trotz Widerstand Zwangsräumung in Kreuzberg um

Morgens um halb 9 in Kreuzberg: Aus einer Richtung rennen Aktivist*innen auf das Haus in der Nähe des Paul-Lincke-Ufers zu, von der anderen Seite nähern sich Polizeiwannen und Einsatzkräfte. Vor der Haustür kommt es zum Aufeinandertreffen. Durch Schubsen, Drücken und Zerren versuchen die Polizist*innen, die Unterstützer*innen vom Eingang zu entfernen. Das gelingt. Nichtsdestotrotz wächst die Zahl der gegen die Zwangsräumung Protestierenden nach diesem Auftakt in kurzer Zeit auf bis zu 80 Personen an.

Immer wieder kommt es zu wütenden Sprechchören und Parolen, Polizist*innen verdrängen wiederholt Aktivist*innen aus der Nähe des Eingangs. Gegen 9.40 Uhr trifft dann die Gerichtsvollzieherin vor Ort ein und wird zur Wohnung von Reinhard Stolzenberg eskortiert. Knapp 20 Minuten später tritt der nun wohnungslose Stolzenberg mit Begleitung aus der Haustür – er sieht traurig aus, winkt aber den Unterstützer*innen zu, die das mit der Parole »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr Reinhards Wohnung klaut« quittieren.

Am Freitagmorgen hat die Berliner Polizei mit etwa 40 bis 50 Beamt*innen die Zwangsräumung der Wohnung des Kreuzberger Altmieters Reinhard Stolzenberg in der Manteuffelstraße 63 gewaltsam durchgesetzt. Während der Räumung wurden mehr als zehn Personen in Gewahrsam genommen und ihre Identitäten festgestellt. Sogar die Personalien eines Pressevertreters, der sich vor Ort ausweisen konnte, wurden aufgenommen. Betroffene berichteten später von abfälligen Kommentaren seitens der Einsatzkräfte.

Der 69-jährige lebte seit bereits seit 44 Jahren in seiner Ein-Zimmer-Altbauwohnung in der Manteuffelstraße. Seine Vermieterin Nafiseh H. hatte vor Gericht eine Räumungsklage erwirkt. Das Bündnis »Zwangsräumung verhindern« beklagt, dass H. in den letzten Jahren viele Mieter*innen mit Eigenbedarfskündigungen vor die Tür gesetzt habe, danach aber weder sie selbst noch Angehörige von ihr in den oftmals zu Eigentumswohnungen transformierten Wohnungen lebten.

ÄHNLICHE ARTIKEL
03.10.2023 / Peter Nowak
Gemeinsam gegen Gentrifizierung: »Ein Teil meiner Familie«
Vor zehn Jahren wurde das Bündnis Zwangsräumungen verhindern in Berlin gegründet
14.09.2023 / Felix Schlosser
Berlin-Kreuzberg: Der letzte Altmieter soll auch noch raus
Nach 44 Jahren in seiner Kreuzberger Wohnung will die Vermieterin Reinhard Stolzenberg auf die Straße setzen – ein Bündnis protestiert
10.10.2023 / Marten Brehmer
Rigaer Straße in Berlin: Militante Aktion zum Räumungsjubiläum
Drei Jahre nach der Räumung der Liebig 34 errichten Personen Barrikaden auf der Rigaer Straße
Vor Ort in Kreuzberg bei der Räumung war auch Kalle Gerigk vom Bündnis »Recht auf Stadt«. Für die Kundgebung ist er extra aus Köln angereist. Er hat im Jahr 2014 selbst eine Zwangsräumung erfahren, die von großen Protesten begleitet wurde. »Sich zu wehren, tut der Seele gut. Man geht mit einem anderen Gefühl.« Sich einfach verdrängen zu lassen, bringe einen in ein größeres Loch. »Die Solidarität war für mich nicht das Ende, sondern der Anfang, sich hier weiter für diese Bewegung einzusetzen«, so Gerigk im Gespräch mit »nd«. »Wenn ich hier Leute sehe, die damals bei meiner Zwangsräumung dabei waren, und ich sie heute wiedertreffe – da geht mein Herz auf.«

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1177003.zwangsraeumung-raeumung-in-berlin-sich-zu-wehren-tut-der-seele-gut.html

Felix Schlosser

signal-2023-10-13-09-38-50-142_edit_401196764074198.jpg

passiert am 13.10.2023