Anschläge gegen AfD – Polizei setzt Sonderkommission ein

Abgebrannte Autos, kaputte Scheiben: Die Attacken nehmen seit dem Anschlag in Hanau zu. Die Polizei setzt eine Ermittlergruppe ein.

Als die Polizisten am frühen Morgen vor seiner Haustür standen, ahnte Ronald Gläser schon, was sie ihm mitteilen wollten. Er sollte Recht behalten. Die Beamten informierten den Abgeordneten der Berliner AfD-Fraktion an jenem Tag im August dieses Jahres, dass Unbekannte sein Auto angezündet hatten. Von den Tätern fehle jede Spur. Man gehe von einem politischen Motiv aus.

Über politisch motivierte Brandstiftungen ist viel geschrieben worden in den vergangenen Jahren. Oft ging es dabei um die Neuköllner Anschlagsserie. Seit 2016 wurden dabei immer wieder Autos angezündet. Die Täter: vermutlich Neonazis. Die Opfer: Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Angriffe auf Wohnhäuser und Autos

Die Neuköllner Anschlagsserie sorgt bis heute immer wieder für Schlagzeilen. Über angezündete Fahrzeuge von AfD-Politikern war weniger zu lesen. Dabei kann man auch hier von einer Serie sprechen. Im Oktober 2015 brannte das Auto der Berliner AfD-Politikerin Beatrix von Storch.

Zwei Jahre später beschädigten Unbekannte das Fahrzeug des Berliner AfD-Fraktionschefs Georg Pazderski. Im März dieses Jahres loderten Flammen aus dem Wagen des kommissarischen Berliner Parteivorsitzenden Nicolaus Fest.

Im Wohnhaus des Berliner AfD-Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio wurden die Scheiben eingeschmissen. An der Fassade stand: „Curio, du Mörder!“ Einen Monat später wurde der Jaguar des Parlamentarischen Geschäftsführers der Berliner AfD-Fraktion, Frank-Christian Hansel, angezündet. Im August folgte der Anschlag auf den Wagen des AfD-Abgeordneten Gläser.

Bedrohungen auch gegen Treffpunkte der AfD

Hinzu kamen zahlreiche Anschläge auf Autos von Bezirksverordneten der AfD. Treffpunkte der Partei wurden durch Schmierereien beschädigt. Gleiches gilt für Gaststätten, deren Betreiber Räume an die AfD vermietet hatten oder dies beabsichtigten – bis sie aus Angst vor weiteren Attacken einen Rückzieher machten. Jüngstes Beispiel: Ihren Landesparteitag musste die AfD bereits mehrere Male verschieben. Nach Anschlägen und Bedrohungen fand sie keine Räume

Die AfD hat die Medienberichte über die Attacken seit 2015 gesammelt. Die Auflistung umfasst rund 80 Vorfälle. Laut Polizei handelt es sich dabei „überwiegend um Beleidigungen, Verstöße gegen das Kunsturhebergesetz, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen und Brandstiftungen“.

Die Antwort der Behörde auf die Anfrage der Berliner Morgenpost zeigt, dass die extremistischen Strömungen auf beiden Seiten sich offenbar hochschaukeln. Denn nach dem rassistischen Anschlag von Hanau im Februar dieses Jahres, bei der ein geistig gestörter Rechtsextremist zehn Menschen erschoss, nahm die Zahl der Straftaten gegen die AfD erkennbar zu.

Wie die AfD von den Anschlägen profitieren will

Die Eskalation zeigt sich auch im Internet. Die linksextremistische Szene verherrlicht die Gewalttaten gegen die AfD dort als legitimen Kampf gegen Neonazis und Faschisten. Man wolle „materielle Schäden ihrer Struktur und Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit“ erreichen, heißt es beispielsweise auf einer Seite der sogenannten „Antifa“.

Die AfD verurteilt die Angriffe – und konstruiert ihrerseits einen Kontext mit der von ihr gepflegten Erzählung vom angeblichen Verfall des Rechtsstaates. „Linksradikale Angriffe werden uns nicht davon abhalten, die Freiheit und den Rechtsstaat in Deutschland wiederherzustellen“, sagt der AfD-Abgeordnete Gläser, der auch Parteisprecher ist. Von der Gewalt will die Partei offenbar profitieren.

„Die Motivation unserer Mitglieder steigt mit jedem abgefackelten Auto, mit jeder beschmierten Hauswand“, sagt Gläser. Dem Senat unterstellt er, Polizei und Verfassungsschutz durch einen Austausch des Führungsleute dazu gebracht zu haben, eine „Kultur des Wegsehens bei Linksradikalen“ zu praktizieren.

SPD-Politiker häufiger Opfer von Anschlägen als die der AfD

Ein Blick in die Statistik kann den von der AfD gepflegten Opfermythos indes nicht stützen. Laut einem kürzlich veröffentlichten Lagebild der Polizei waren Politiker der AfD im vergangenen Jahr in 40 Fällen von politisch motivierten Straftaten betroffen. SPD-Politiker traf es mit 62 Fällen deutlich häufiger. Auch Politiker der Grünen und der Linken waren laut Statistik häufiger betroffen.

Ähnlich verhält es sich bei den Angriffen auf Parteieinrichtungen und Abgeordnetenbüros. Laut Antwort der Innenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Linke registrierte die Polizei im Jahr 2018 insgesamt 17 Angriffe auf SPD-Einrichtungen. Die AfD war mit sechs Angriffen auf Parteibüros am dritthäufigsten das Ziel von Attacken.

Mitglieder der AfD sind allerdings offenbar besonders oft von Angriffen auf ihre Autos und Wohnhäuser betroffen, also auf ihre Privatsphäre. Der von AfD-Sprecher Gläser erhobene Vorwurf des Wegsehens scheint indes gewagt. Die Polizei verfolgt die Straftaten gegen die AfD jedenfalls mit einer speziellen Ermittlereinheit. Nach dem Anstieg der Straftaten in Folge des Anschlags von Hanau setzte die Behörde eine Sonderkommission mit dem Namen „Blau“ ein.

Tatverdächtige hat die Polizei bisher offenbar nicht ermittelt

„Ob die bisher bekannt gewordenen Straftaten Teil einer Serie sind, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen“, schreibt die Behörde. Die Frage, ob das Landeskriminalamt Tatverdächtige ermitteln konnte, beantwortet die Polizei nicht. Die Ermittlungen dauerten an.

Innensenator Andreas Geisel (SPD), sagte, Gewalt habe in der politischen Auseinandersetzung nichts zu suchen. „Mit politisch anderen Standpunkten müssen wir uns demokratisch auseinandersetzen, aber niemals mit Mitteln der Gewalt“, sagte Geisel. Die Polizei verfolge Straftaten gegen die AfD genauso wie Straftaten gegen andere Parteien.


Bildbeschriftung: Das Auto des AfD-Abgeordneten Ronald Gläser brannte am 13. August dieses Jahres aus. Anwohner hatten den Brand in der Nacht bemerkt. Ein weiteres Auto wurde durch Hitze der Flammen erheblich beschädigt.

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passiert am 10.10.2020