Olga Benario – Reisende der Weltrevolution

Ein 80minütiges Musiktheaterstück mit dem Titel „Ich hebe Dir die Welt aus dem Angeln“ zeigt besondere Perspektiven auf das Leben der jüdischen Kommunistin, die 1928 durch eine Gefangenenbefreiung weltweit bekannt und populär wurde.

„Bravo Olga, Du hast mit Deiner Aktion erreicht, dass die Genossen aller Lehrmeinungen aufglühen“. So überschwänglich lobte die anarchistische Zeitung“ Fanal“ im April 1928 die Tat der Kommunistin Olga Benario. Das KPD-Mitglied befreite mit einer ungeladenen Pistole am 11. April 1928 ihren Freund und Genossen Otto Braun aus einem Berliner Gefängnis, in dem er wegen angeblicher Spionage schon mehrere Monate inhaftiert war. Diese Gefangenenbefreiung vor 95 Jahren stieß auf viel Sympathie. Für den kanadischen Historiker Robert Cohen ist diese spektakuläre Befreiungsaktion der jungen Kommunistin der Ausgangspunkt für seinen Roma „Exil der frechen Frauen“. So nannte sich laut Cohen ein loser Verein, den die Kommunistinnen Ruth Rewald und Maria Osten 1928 in Berlin gründeten, ein Tribut an Olga Benario und an die kommunistische Gesellschaft, für den alle drei kämpften. Bei Cohen heißt es: „Keine fünfzehn Jahre später sind die drei Frauen tot. Dazwischen liegen drei Leben, gelebt in Brasilien, Frankreich, Russland, gewidmet dem Widerstand gegen den Faschismus.“

Ruth Rewald und Olga Benario werden als jüdische Kommunistin von den Nazis ermordet, Maria Osten wird in der Sowjetunion Opfer der stalinistischen Konterrevolution. Olga Benario wird 1942 mit anderen Häftlingen in der Tötungsanstalt Bernberg mit Gas ermordet. Jetzt gibt die Neuköllner Oper unter dem Titel „Ich hebe dir die Welt aus den Angeln“ eine 80minütige Einführung in das Leben von Olga Benario. In der Präsentation wechseln sich Musik, Lesungen, Performances und Video ab. Unter der Regie von Kathrin Herm erinnern die Künstler*innen nicht nur an bestimmte Wegmarken im Leben von Olga Benario. Sie stellen sich die Frage, wie kann heute, im Jahr 2023, noch einer Kommunistin gedacht werden, die in Moskau noch die Zentrale eines hoffnungsvollen Rätestaates sah.

War Olga Benario so vergessen?

Es stellt sich auch die Frage, wie schnell eine Frau, die mit ihrer Gefangenenbefreiungsaktion weltweit bekannt und populär wurde, vergessen wurde. „Wer ist Olga Benario? Sie kennen sie nicht? Wir hatten sie auch vergessen,“ heißt es in einem Kurztext an die Theaterbesucher*innen. Angeblich sind die Künstler*innen erst durch den Stolperstein auf sie aufmerksam geworden, der in der Neuköllner Innstraße, wo sie länger wohnte, an die selbstbewußte Kommunistin erinnert. Das Olga Benario den Künstler*innen vorher völlig unbekannt war, ist aber schon deshalb nicht glaubhaft, weil eine von ihnen sagte, dass sie aus der Mecklenburg kommt. Und da soll sie von der regen Erinnerungskultur für Olga Benario in der DDR nicht so viel mitbekommen haben, dass sie wenigstens den Namen kannte? Die Legende von der vergessenen Frau wird an dem Abend von den Künstler*innen selber in Frage gestellt. Es wird an den Roman Olga Benario von Ruth Werner erinnert, der in der DDR große Verkaufserfolge hatte. Robert Cohens „Exil der frechen Mädchen“ wird leider nicht erwähnt, auch nicht die Filme, die in den letzten Jahren über Olga Benario gedreht wurden und durchaus Erfolg hatten. Auch die Existenz der Galerie Olga Benario, gegründet von Neuköllner Antifaschist*innen in den 1980er Jahren, zeigt doch, dass die Protagonistin zum Glück nicht so vergessen ist. Warum aber Mythos der vergessenen Kommunistin? Er wird in Künstler*innenkreisen gerne bemüht, weil man sich dann eben als Wiederentdeckerin feiern lassen kann. Dabei haben die Künstler*innen einen solchen Mythos nicht nötig. Sie brauchten Olga Benario nicht wieder zu entdecken. Aber sie können sich das Verdienst zuschreiben, einen sehr speziellen Blick auf ihr Leben geworfen zu haben und damit besondere auch zeitgemäße Zugänge zu ihren Leben zu verschaffen. Besonders gelungen ist die Präsentation der grauen unauffälligen Hausschuhe, die für einige Minuten im Mittelpunkt des Theatergeschehens auf der kleinen Bühne stehen. Diese Hausschuhe trug Otto Braun angeblich als er vor 95 Jahren von Olga Benario aus dem Gefängnis befreit wurde. Die Befreiungsaktion soll wohl auch für ihn überraschend gewesen sein, was sich wahrscheinlich auf den genauen Zeitpunkt bezog. Knapp wird in dem Theaterstück auf Olga Benario in Brasilien eingegangen, was etwas bedauerlich ist, weil so der Eindruck entstand, hier hätten einige Funktionär*innen der Kommunistischen Internationale völlig voluntaristisch ein Land für eine Revolution ausgesucht. Ausgeblendet wird dabei, dass es in Brasilien Anfang der 1930er Jahre eine große Massenbewegung gab und der ehemalige junge Militär Louis Carlos Prestes dort zum Hoffnungsträger der Armen geworden war. Prestes starb 1990 in hohen Alter, war über mehrere Jahrzehnte Generalsekretär der Kommunistischen Partei Brasiliens, bevor er in seinen letzten Lebensjahren Mitglied der von Lula mitgegründeten sozialdemokratischen Partei wurde. Übrigens wurde Prestes nie brasilianischer Präsident, was sich Olga Benario in ihren vielen Briefen an ihm aus dem Gefängnis erhoffte. Mehrere dieser von den schon erwähnten Robert Cohen im Wallstein-Verlag unter dem Titel „Die Unbeugsame“ herausgegebenen Briefe wurden an dem Abend verlesen.
Mutter Olga Benario

Dort geht es verständlicherweise nicht um politische Themen, weil die Briefe dann gar nicht weitergeleitet worden wären. In einen Brief wendet sich Olga Benario direkt an die Gestapo und fragt, was sie in den Biefen schreiben darf, damit sie weitergeleitet werden. Einen großen Raum nimmt die gemeinsame Tochter Anita ein, die schließlich mit Olga Benario das erste Lebensjahr gemeinsam in einer Zelle verbringen durfte. Das war gleichzeitig eine begrenzte Lebensgarantie für die Mutter. Die Künstler*innen haben thematisiert, unter welch großen Druck Olga Benario gestanden hat, weil sie den 30minütigen Hofgang nicht gemeinsam mit ihrer Tochter absolvieren durfte. Der Kinderwagen stand dann im Hof und Olga Benario hörte ihre Tochter schreien und konnte nicht zu ihr. Sie musste zudem fürchten, dass die Tochter in ein Nazikinderheim gegeben werden könnte. Dagegen mobilisierte eine weltweite Solidaritätskampagne, die vor allem von der Mutter von Louis Carlos Prestes getragen wurde. Sie konnte erreichen, dass Anita Benario-Prestes freigelassen wurde und bei den Verwandten des Vaters leben konnte. Doch das Leben von Olga Benario konnte die Solidaritätsbewegung nicht retten. Der Beginn des 2 .Weltkriegs verhinderte endgültig alle derartigen Bemühungen. Die Künstler*innen thematisieren den furchtbaren Druck auf die Mutter Olga Benario manchmal auf eine etwas zu modische Weise. Denn das Problem dürfte wohl weniger gewesen sein, dass die enge Zelle nach Kinderkacke roch. Das wirklich existentielle Problem dürfte doch gewesen sein, dass Olga Benario mit dafür kämpfte, dass ihre Tochter zu den Verwandten ihres Vaters ausreisen durfte, was aber gleichzeitig bedeutete, dass sie nie mehr sehen konnte. Denn ohne ihre Tochter, darüber machte sich Olga Benario keine Illusionen, war sie als jüdische Kommunistin in einen NS-Konzentrationslager eine Tote auf Urlaub. Trotzdem hatte sie bis zum Schluss zumindest in ihren Briefen den Optimismus und ihren Lebenswillen nie verloren. Sie hatte gleichzeitig deutlich gemacht, dass sie nie zur Verräterin an der Idee des Kommunismus und ihren eigenen Genoss*innen werden würde.

Ein Abend für Richard Schmincke?

Es war ein kurzweiliger rundum gelungener Abend, der das Leben einer eben nicht vergessenen Kommunistin aus einer neuen Perspektive zeigte. Besonders erfreulich, dass hier auch die Perspektive von Menschen einbezogen, die sich beispielsweise durch ihr Engagement in der Galerie Oga Benario mit der Kommunistin befasst haben. Vielleicht hätte man ihr Leben noch mehr einordnen können in den Kreis jener „Reisenden der Weltrevolution“, wie die Schweizer Historikerin Brigitte Studer diese Protagonist*innen in ihrer bahnbrechende Globalgeschichte der Kommunistischen Internationale nannte. Es handelt von Männer und Frauen, die wie Benario die Welt aus den Angeln heben wollten, die auch Pionier*innen im Kampf gegen Rassismus und Patriarchat waren, was Studer gut belegt. Ein Kapitel in dem Buch ist Olga Benario gewidmet. Wünschenswert wäre nach dem Ende des Stücks eine Gesprächsrunde mit dem Publikum. Dort hätte ich angeregt, einen ähnlichen Abend zum Leben von Robert Schmincke zu gestalten, einen leider wirklich vergessenen Neuköllner Kommunisten. Dabei war er von 1927 bis1 1933 kommunistischer Dezernent für Gesundheit im Berliner Stadtteil Neukölln, gewählt mit den Stimmen von KPD und sogar fortschrittlicher Liberaler. 1929 veröffentliche Schmincke als Dezernent eine Broschüre, in der er die konkreten Verbesserungen in der Sozialmedizin, sowie in der Kinder- und Sozialberatung unter seiner Ägide in Neukölln dokumentierte. Auch die Kämpfe von Pflegekräften für bessere Arbeitsbedingungen unterstützte er. Ihre Protestveranstaltungen konnten in Räumen des Stadtteils stattfinden.

„Am Beispiel von Neukölln konnte er zeigen, was möglich war mit einem kommunistischen Sozialprogramm an einer so entscheidenden Stelle und mit Kollegen, die er sich selbst aussuchen konnte, was er sofort tat., er stellte lauter linke und darunter viele jüdische Mitarbeiter ein“, schrieb Ricarda Bethke, Robert Schminckes Tochter . Sie veröffentlichte 2021 das Buch „Rotes Erbe, Auf der Suche nach Richard Schmincke, meinem Vater“ Dort nennt sie die Namen von Schminckes engen Mitarbeiter*innen Ruth Lubliner, Käthe Frankenthal, Magnus Hirschfeld sowie Georg und Hilde Benjamin, die später als Justizministerin in der DDR als Sozialreformerin bekannt wurde. Gegen Schminckes sozialreformerische Gesundheitspolitik regte sich bereits Ende der 1920er Jahre Widerstand aus konservativen, völkischen und faschistischen Kreisen. Schmincke wurde im März 1933 von den Nazis als Dezernent entlassen. Sie klagten ihn dafür an, dass er sich als Dezernent klar gegen den Antisemitismus positionierte und in Neukölln mit einem Kreis linker jüdischer Ärzt*innen konkrete Sozialreformen durchsetzte. Deswegen sollte er noch 1939 seine Approbation verlieren. Wenig später verübte er Selbstmord, weil er angesichts des scheinbar übermächtigen Nationalsozialismus keinen Ausweg mehr sah. Er sollte in Neukölln wieder bekannt gemacht werden, vielleicht demnächst in der Neuköllner Oper?

Peter Nowak

Ich heb Dir die Welt aus den Angeln –

EIN DOKUMENTARISCHES
MUSIKTHEATER ÜBER OLGA BENARIO VON DARIYA MAMINOVA (KOMPOSITION) UND KATHRIN
REGIE Kathrin Herm MUSIKALISCHE LEITUNGDariya Maminova DRAMATURGIE Änne-Marthe Kühn AUSSTATTUNG Robert Kraatz VIDEO Tin Wilke

MIT Fidan Aghayeva-Edler, Christian Clauß, Rita Feldmeier, Marina Frenk

Das Stück läuft täglich um 20 Uhr bis 22.1.23, Es ist ausverkauft, Restkarten könnte es an der Abendkasse geben.

https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/olga-benario-reisende-der-revolution

passiert am 14.01.2023