Brandschutz: Bezirk kooperiert mit Besetzern der „Rigaer 94“

Berlin. Der öffentliche Druck zeigte offenbar Wirkung: In der Affäre um Brandschutzmängel in dem linken Szene-Haus in der Rigaer Straße 94 hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nach eigener Aussage nun doch Maßnahmen zur Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes ergriffen. Die Bewohner seien bereits am 6. Oktober aufgefordert worden, Brandlasten im Treppenhaus und im Hof, also brennbare Einrichtungen, und eine auf Bildern der Polizei zu sehende „Konstruktion“ in einer Wohnung zu entfernen.

Außerdem seien sie aufgefordert worden, einen öffentlich bestellten Brandschutzprüfer zur Erstellung einer Mängelliste zu beauftragen. Das teilte das Bezirksamt nach einer parlamentarischen Anfrage des FDP-Abgeordneten Stefan Förster mit.

Auf Anfrage der Berliner Morgenpost teilte das Amt zudem mit, die Bewohner hätten die Mängel mittlerweile behoben. Der vorläufige Nachweis sei per Foto und Aussage des Anwalts der Bewohner erfolgt. Auch der Aufforderung zur Beauftragung eines Brandschutzprüfers seien die Gebäudenutzer nachgekommen, behauptet der Bezirk.

Eine unabhängige Bestätigung dafür liegt der Berliner Morgenpost nicht vor. In der Vergangenheit hatte Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) Innensenator Andreas Geisel (SPD) ihr bekannte Brandschutzmängel nach einer entsprechenden Anfrage in einem förmlichen Schreiben verschwiegen.

Schmidt und Herrmann missachten den Rat ihrer Fachleute

Mit ihrer Aufforderung an die Bewohner missachten Herrmann und Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) weiterhin den Rat ihrer eigenen Fachleute. Diese hatten wiederholt darauf hingewiesen, dass nur der Eigentümer zur Mängelbeseitigung aufgefordert werden kann. Eine „Option zu ,Verhandlung’ mit Mieter*innen“ sähen die Vorschriften dagegen nicht vor.

Schmidt und Herrmann hatten die Hinweise auf die Rechtslage immer wieder ignoriert. Auch das jüngste Schreiben vom 6. Oktober richtete der Bezirk nicht an den Eigentümer, sondern an die Bewohner. Diese stammen zum Teil aus der linksmilitanten sogenannten Anarcho-Szene. Laut Verfassungsschutz gelten sie als besonders gewaltbereit.

Der Bezirk rechtfertigte sein Vorgehen auf Anfrage der Berliner Morgenpost mit dem „Grundsatz der Effektivität des Handelns“. Die Bewohner hätten „zur Störung der Rechtsordnung“ mehr beigetragen als der Eigentümer.

CDU hält Argumentation des Bezirks für „abenteuerlich“

Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Burkard Dregger, hält diese Argumentation für „abenteuerlich“. Die zur Mängelbeseitigung nötigen Bauarbeiten an dem Gebäude stellten einen Eingriff in die Rechte des Eigentümers dar. „Den Eigentümer zu übergehen, ist mit dem Verwaltungsrecht nicht in Einklang zu bringen“, sagte Dregger. Schmidt und Herrmann würden sich nur deswegen nicht an den Eigentümer wenden, weil dieser für die Bauarbeiten zur Behebung der Mängel Polizeischutz beantragen würde. Vor einem solchen Einsatz wollten Schmidt und Herrmann die Linksextremisten offenbar bewahren.

Auch der FDP-Abgeordnete Förster bezeichnete die Argumentation des Bezirksamtes als „an den Haaren herbeigezogen“. Die Brandschutzmängel und die nachträglichen Einbauten seien ganz offensichtlich von den linksmilitanten Bewohnern vorgenommen worden. „Dass genau diese Bewohner jetzt plötzlich kooperativ sein sollen, ist schwer zu glauben“, sagte Förster.

Der Anwalt der Eigentümergesellschaft, Alexander Freiherr von Aretin, betonte erneut, der Eigentümer sei weiterhin bereit, die Brandschutzmängel zu beheben. Wegen der schwierigen Sicherheitslage in dem Gebäude sei dafür aber ein förmlicher Verwaltungsakt des Bezirksamtes nötig. „Die Ausschaltung des Eigentümers ist aus meiner Sicht eindeutig rechtswidrig“, sagte von Aretin.

Stadtentwicklungsverwaltung bestätigt Mängel beim Brandschutz

Die für die Bezirksaufsicht zuständige Innenverwaltung prüft unterdessen weiterhin, ob das Bezirksamt angesichts des jahrelangen Ignorierens der Brandschutzmängel womöglich rechtswidrig handelte. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung legte hierzu eine Stellungnahme aus fachlicher Sicht vor. Dem Vernehmen nach bestätigt die Behörde darin, dass in der Rigaer Straße 94 zahlreiche brandschutzrechtliche Mängel bestanden. Diese stellten erhebliche Risiken für die öffentliche Sicherheit sowie für das Leben und die Gesundheit der Gebäudenutzer dar.

Das Bezirksamt sei durch ein Schreiben der Polizei bereits im Februar 2016 über die Mängel informiert worden, heißt es dem Vernehmen nach in der Stellungnahme der Stadtentwicklungsverwaltung. Anhaltspunkte, dass diese Informationen nicht den Tatsachen entsprechen würden, habe es nicht gegeben.

Die Mitarbeiter der Bauaufsicht hätten daher auch ein Schreiben an den Eigentümeranwalt verfasst. Der Eigentümer sollte damit zur Beseitigung der Mängel aufgefordert werden. Laut Stadtentwicklungsverwaltung war das Schreiben angemessen und erforderlich. Nach einer Weisung von Baustadtrat Schmidt sei es aber nie abgeschickt worden.

Schmidt wollte angeblich Eskalation vermeiden

Schmidt hatte seine Weisung, das Schreiben nicht abzuschicken, damit begründet, dass der Bezirk eine durch einen Polizeieinsatz mögliche Eskalation habe verhindern wollen. Die Stadtentwicklungsverwaltung bezeichnet dieses Argument allerdings als zweifelhaft. Durch die Mängel beim Brandschutz seien nicht nur die Bewohner gefährdet gewesen, sondern auch Hausmeister, Besucher und beispielsweise Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung (BSR).

Innensenator Geisel sagte am Wochenende im Interview mit der Berliner Morgenpost, der Bezirk sei jetzt aufgefordert worden, zu der Einschätzung der Stadtentwicklungsverwaltung innerhalb einer festgelegten Frist Stellung zu nehmen. Danach muss die Bezirksaufsicht zu einer Einschätzung kommen, ob das Bezirksamt rechtswidrig gehandelt hat. Letzten Endes ist für eine solche Feststellung ein Senatsbeschluss erforderlich. Die CDU hatte Bürgermeisterin Herrmann und Baustadtrat Schmidt bereits zum Rücktritt aufgefordert.

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