Radikale Linke: Die „Kommandoführerin“ Lina E.

Von Manuel Bewarder, Ibrahim Naber

Eine 25-Jährige soll Anführerin einer kriminellen Vereinigung sein – an der Schwelle zum Linksterrorismus. Jetzt hat der Generalbundesanwalt sie wegen brutalen Angriffen auf politische Gegner festnehmen lassen. Ein außergewöhnlicher Schritt.

Die warnenden Worte sind zuletzt lauter geworden. Bundesinnenminister Horst Seehofer weist seit geraumer Zeit zwar vor allem auf die Gefahr durch die radikale Rechte hin – gleichzeitig aber lässt der CSU-Politiker kaum eine Gelegenheit aus, seine Sorge vor Linksextremisten auszudrücken.

Ganz ähnlich das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV): Präsident Thomas Haldenwang sagte erst vor Kurzem dem „Tagesspiegel“, die Gewalt im linksextremen Milieu sei „zunehmend brutaler und personenbezogener“. Immer wieder zeigen die Sicherheitsbehörden mit dem Finger auf Leipzig. Den „Hotspot“ der Linksextremisten, wie es oft heißt.

Ein außergewöhnlicher Vorfall könnte nun als weiterer Beleg herhalten: Der Generalbundesanwalt hat am Donnerstagabend eine mutmaßliche Linksextremistin in Leipzig durch Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen festnehmen lassen. Mehrere Wohnungen wurden durchsucht.

Die Vorwürfe sind erheblich: Die 25-jährige Lina E. soll Mitglied in einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung sein. Ihr wird außerdem gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung und besonders schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen.

Ziel sei insbesondere der politische Gegner gewesen: die extreme Rechte. Oder wie es die Bundesanwaltschaft ausdrückt: Personen, die aus „Sicht der Vereinigung der ,rechten Szene‘ angehören“.

Der Fall ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil die oberste Anklagebehörde der Republik seit dem Ende der Rote-Armee-Fraktion (RAF) nur selten Linksextremisten festnehmen ließ. Jetzt heißt es aus Ermittlerkreisen, man sehe die Gruppierung in Leipzig bereits an der Grenze zur terroristischen Vereinigung.

Wie WELT erfuhr, können Ermittler der Gruppierung aktuell zehn Personen zuordnen, zwischen 20 und 30 Jahre alt – zum Teil mit Bezügen in die Hauptstadt.

Lina E. habe in der Runde laut Generalbundesanwalt „eine herausgehobene Stellung“ eingenommen. Spätestens Anfang 2019 soll sich die Vereinigung gegründet haben – im September 2019 stieß die nun beschuldigte Lina A. dazu.

Ausschlaggebend für die Gründung sei eine „militante linksextremistische Ideologie“ gewesen, das Ablehnen des „bestehenden demokratischen Rechtsstaates“.

Die Taten, die ihnen vorgeworfen werden, strotzen vor Brutalität. Im Oktober 2019 soll Lina E. mit anderen zehn bis 15 Personen einen Anschlag auf den Inhaber und Besucher einer Gaststätte im thüringischen Eisenach verübt haben. Es handelte sich dabei um das Lokal „Bull’s Eye“, wo früher auch mal die NPD zu Gast war.

Laut Bundesanwaltschaft sei die Kneipe deshalb ausgewählt worden – da sie als Treffpunkt der „rechten Szene“ betrachtet wurde. Die Räumlichkeiten wurden verwüstet, die Opfer mit Schlagstöcken oder Faustschlägen attackiert.

Nur wenige Wochen später sollen die Beschuldigten erneut zur Tat geschritten sein. Zuerst hatte ein Mitarbeiter eines Baumarktes in Leipzig Lina E. angeblich dabei erwischt, wie sie zwei Hämmer mitnehmen wollte. Sie habe diesem einen Stoß verpasst, sei später aber gestellt worden.

Am Tag darauf hätten sie dennoch ihren Plan umgesetzt – mit Lina E. als „Kommandoführerin“. Laut Bundesanwaltschaft verfolgten sie den Betreiber der Gaststätte und schlugen dann mit Schlagstöcken, Hammer und Stangen auf ihn ein. Die Flucht jedoch gelang nicht wie geplant.

Sie seien unter anderem mit dem Auto von Lina E. weggefahren – um nicht aufzufallen, hatten sie gestohlene Kennzeichen angebracht. Die Fahndung aber war erfolgreich, die Personen wurden erstmal festgenommen.

Sie waren zwischen 19 und 25 Jahren alt, stammten aus dem Raum Weimar, Kassel, Berlin und Braunschweig, wie die Polizei damals berichtete.

Lina E. und ihre Anhänger sollen dann noch einmal im Juni 2020 in Leipzig ein mögliches künftiges Opfer ausgespäht haben: einen rechtsextremen Kampfsportler, heißt es aus Ermittlerkreisen; „zur Vorbereitung eines Anschlags“, teilt der Generalbundesanwalt mit. In diesem Zusammenhang hätte die Gruppierung auch Personen aus Berlin herangezogen.

Es könnte sein, dass den Sicherheitsbehörden mit der Festnahme ein Schlag gegen die gewalttätige linksextreme Szene gelungen ist.

Das BfV hatte bereits im Frühjahr in einer Analyse gewarnt, dass die Auswahl von „Zielen“ sich „immer häufiger von einer institutionellen Ebene auf eine persönliche Ebene“ verschiebe. Opfer würden „gezielt“ ausgesucht und in ihrem „persönlichem Rückzugsraum angegriffen“, wie WELT AM SONNTAG berichtete.

Laut den Verfassungsschützern würden „schwere Körperverletzungen der Opfer bis hin zum möglichen Tod billigend in Kauf genommen“. Möglich sei „die Herausbildung terroristischer Strukturen im Linksextremismus“.

In mehreren Bundesländern gibt es demnach Hinweise darauf, dass sich Kleingruppen herausbilden, „eigene Tatserien begehen und sich aufgrund steigender Gewaltbereitschaft bei ihren Taten vom Rest der Szene abspalten“. Der Verfassungsschutz warnt vor einer „Radikalisierungsspirale“ eines abgeschotteten „harten Kerns“.

Die polizeilichen Ermittlungen im aktuellen Fall werden durch die Soko LinX des LKA Sachsen geführt. Diese Sonderkommission war im Dezember 2019 gegründet worden, um gefährliche linke Gruppierungen und Gewalttäter in Leipzig besser im Blick zu behalten. Mehr als 20 Beamte seien dafür im Einsatz.

Die Linke-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel kommt aus Leipzig und kennt die autonome Szene dort sehr gut. Am Donnerstagabend berichtete sie auf Twitter über die Hausdurchsuchungen im Stadtteil Connewitz.

Im Telefonat mit WELT spricht sie von „schwerwiegenden Vorwürfen“. Zunächst gelte jedoch die Unschuldsvermutung. „Es muss den Personen erst einmal nachgewiesen werden, dass sie etwas mit den Angriffen zu tun hatten“, sagte Nagel.

In sächsischen Ermittlerkreisen ist man sich hingegen sicher, dass die Verdächtigen hinter den genannten Taten stecken. Tatsächlich geht man Hinweisen auf mehrere weitere Fälle nach. Mitunter sei bei Angriffen der Tod von Menschen in Kauf genommen, einer Person das Gesicht zertrümmert worden.

Doch so brutal die Beteiligten angeblich agierten, so vorsichtig seien sie vorgegangen. „Schlau“ heißt es aus Ermittlerkreisen, „hochprofessionell“. Es handele sich um ein überregionales Netzwerk. Immer wieder hätten sie Beamte abgeschüttelt, die sie im Blick behalten sollten.

Am Freitagnachmittag wurde Lina E. dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt. Dieser setzte den Haftbefehl in Vollzug.

Derweil ruft die radikale Linke zu „Freiheit für Lina!“ auf. Laut einem Beitrag auf „Indymedia“ soll noch am Freitagabend in Leipzig für die Beschuldigte demonstriert werden. Physische Gewalt gegen Nazis, heißt es in dem Aufruf, sei schließlich „notwendiger Teil antifaschistischer Politik“.

 

Bilduntertitel: Der Eingang eines Mehrfamilienhauses in Connewitz. Auf der Wand der Schriftzug: „All Cops Are Bastards“

Der Vorname wurde hier nicht nachträglich weggekürzt da u.a. auch der Soliblog ihn verwendet.
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passiert am 06.11.2020